Von THOMAS MATTHIES
Seit August 2018 gilt ein neues Verfahren im Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte. Die Regelungen des § 36a AufenthG stoßen in der Praxis jedoch auf große Schwierigkeiten, sodass die Familienzusammenführung bis heute stark erschwert wird. Selbst Verfahrensvereinfachungen haben nicht dazu geführt, das Kontingent der 1.000 nationalen Visa zu erreichen.
Das Verfahren zur Familienzusammenführung soll so ablaufen (hier verkürzt wiedergegeben): Die Familienangehörigen vereinbaren in den deutschen Auslandsvertretungen einen Termin zur Einreichung ihres Antrags auf Erteilung eines Visums. Hiernach prüft in einem ersten Schritt die Auslandsvertretung unter anderem, ob die Voraussetzungen für die Familienzusammenführung in der Person der visaantragsstellenden Personen gegeben sind (sog. Auslandssachverhalte). Im Anschluss prüft die Ausländerbehörde das Vorliegen der Inlandssachverhalte (s. § 27 Abs. 3a und § 36a Abs. 2 & 3 AufenthG und § 31 AufenthV). Schließlich prüft das Bundesverwaltungsamt, ob nicht andere subsidiär Schutzberechtigte einen „höheren“ Anspruch auf Familienzusammenführung haben (§ 36a Abs. 2 S. 4 AufenthG). Denn jeden Monat dürfen nur 1 000 nationale Visa ausgestellt werden (§ 36a Abs. 2 S. 2 AufenthG). Das Bundesverwaltungsamt informiert im Anschluss die Auslandsvertretungen darüber, welchen Familienangehörigen Visa zur Einreise in das Bundesgebiet ausgestellt werden sollen, woraufhin die Auslandsvertretungen ebenjenes tun.
In der Praxis haperte es in den ersten Monaten schon an der ersten Stufe, nämlich der Terminvereinbarung, wobei schon die obligatorische und teure Terminbuchung via privater Unternehmen auf Kritik stößt (s. hier). Die Auslandsvertretungen hatten zunächst schlicht die personellen Kapazitäten nicht, sodass ein Großteil der Familienangehörigen schon keinen Termin zur Antragsstellung erhielt (kritisch im Hinblick auf das Erfordernis einer persönlichen Vorsprache VG Berlin, Juni 2016, Zif. 4). Zurzeit schaffen es die Auslandsvertretungen immerhin, etwas mehr als 1.000 Anträge an die Ausländerbehörde weiterzuleiten, die wiederum Schwierigkeiten bei der Bearbeitung haben (so zumindest der Nds. FlüRat). Leider wurden in den ersten vier Monaten nur etwas mehr als 1.500 Visa schlussendlich erteilt. Dabei bestand als Übergangsregelung für die ersten fünf Monate (August bis Dezember) ein Kontingent von insgesamt 5.000 Visa für Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten!
Das behördliche Prüfverfahren dauert einfach zu lang. Und dies trotz der Tatsache, dass die Verfahrenshürden teilweise beseitigt wurden. So hat das niedersächsische Innenministeriumper Erlass das Verfahren zu beschleunigen versucht, indem bis Ende 2018 die Prüfung der Ausländerbehörden nur auf das Vorliegen zwingender Versagungsgründe (§ 27 Abs. 3a AufenthG) und Regelversagungsgründe (§ 36a Abs. 3 AufenthG) beschränkt wurde. Abzuwarten bleibt, ob derartige Verfahrensvereinfachungen ausreichend waren, um den Nachzug von 1.000 Familienangehörigen pro Monat zu gewährleisten. Was jedoch schon festgestellt werden kann, ist, dass die Neuregelung des § 36a AufenthG Regelungen geschaffen hat, welche in der Praxis nur eingeschränkt beachtet wurden.
Das Recht auf Familie für subsidiär Schutzberechtigte
Natürlich ist die Beschränkung des Familiennachzuges zu in Deutschland lebenden Ausländer*innen grundrechtlich relevant. Ins Auge fallen die Art. 8 EMRK und Art. 6 GG, die den Schutz der Familie gewährleisten. Das BVerfG kam Ende 2017 zu dem Ergebnis, dass die Aussetzung des Familiennachzuges für zwei Jahre für subsidiär Schutzberechtigte zumindest keine verfassungsrechtlichen Bedenken dergestalt aufwerfe, dass der Vollzug des § 104 Abs. 13 a. F. ausgesetzt werden sollte (BVerfG, Oktober 2017, Rn. 19). Sowohl das BVerfG wie auch das VG Berlin gingen von einer (im Falle des VG Berlin gerade noch so gegebenen) Verhältnismäßigkeit dieser Regelung aus (BVerfG, März 2018,Rn. 16; VG Berlin, November 2017, Rn. 38-41). Im konkreten Fall hatte das VG Berlin jedoch einen Anspruch des Klägers auf Familienzusammenführung gemäß § 22 AufenthG angenommen (ebenda, Rn. 52).
Zwar sind im Rahmen eines etwaigen Anspruches auf Familienzusammenführung aus Art. 6 GG staatliche Steuerungsanliegen mit individuellen Nachzugsinteressen abzuwägen. Jedoch drängt sich, je länger die Trennung andauert, ein Anspruch auf Familienzusammenführung immer stärker auf. So ist beispielsweise umstritten, ob es im Rahmen des Art. 6 GG nicht eine Maximalfrist der Trennung von Familienmitgliedern von drei Jahren gibt.
Große Teile der subsidiär Schutzberechtigten sind schon lange von ihrer Familie aufgrund ihres Fluchtweges und der langen Dauer ihres Asylverfahrens getrennt. Diese Trennung wurde auch durch die Aussetzung des Familiennachzuges nach § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. aufrechterhalten. Und nun kommen verschiedene Verfahrensprobleme im Rahmen der Visavergabe hinzu.Dies umfasst die Terminbuchung in der Ausländervertretung, die Beschaffung der für die Visumsvergabe erforderlichen Dokumente sowie die Einreise oder den Aufenthalt in dem Land, in welchem die zuständige Auslandsvertretung ihren Sitz hat. In den meisten Fällen wird sich daher wohl mittlerweile das Ermessen im Rahmen des § 36a AufenthG auf Null reduzieren. Selbst wenn das Kontingent von 1.000 Personen aufgebraucht werden sollte, so kommt immer noch eine Familienzusammenführung über § 22 AufenthG in Betracht (restriktiv OVG Berlin-Brandenburg, Januar 2018, Rn. 4).
Das Problem der Verfahrensdauer
Den Ausländer*innen wird jedoch, wenn die verfahrenstechnischen Probleme weiterhin bestehen, nichts anderes übrig bleiben, als mittels der Untätigkeitsklage auf eine Visumsvergabe zu dringen (diesen keine Erfolgsaussichten zubilligend BeckOK AuslR/Kluth AufenthG § 104 Rn. 27). Grundrechtlich hätte man die überlange Verfahrensdauer wohl am besten über Art. 41 GrCh geltend machen können, welcher jedoch im Rahmen der Familienzusammenführung nicht in Betracht kommt. Der EuGH hat nämlich jüngst ausdrücklich festgestellt, dass die Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG nicht auf subsidiär Schutzberechtigte anwendbar ist (EuGH, November 2018, Rn. 33). Auch die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EG hilft nicht weiter, da sich Art. 23 ebenjener Richtlinie auf die Aufrechterhaltung, nicht die Herstellung der Familieneinheit bezieht.
Fazit
36a AufenthG hat ein (zu) umfangreiches Prüfsystem eingeführt. Die Kontingentierung auf 1.000 Personen scheitert zurzeit schon am Verfahrensablauf. Je länger jedoch die Trennung von den Familienangehörigen andauert, desto eher drängt sich ein Anspruch auf Visavergabe unabhängig von Obergrenzen auf.
Das Problem drohender, überlanger Verfahrensdauer muss mittels personeller Aufstockung und der Beibehaltung von Verfahrensvereinfachungen (sowie beispielsweise in Niedersachsen geschehen) bekämpft werden. Auch ist es denkbar, Anträge von Familienangehörigen von unbegleiteten, minderjährigen Ausländer*innen prioritär zu behandeln. Darüber hinaus sollte die Kontingentierung auf 1.000 Plätze pro Monat flexibel gehandhabt werden. So wurde für die letzten fünf Monate des Jahres 2018 beschlossen, insgesamt 5.000 Nachzugsplätze vorzusehen. Diese Flexibilitätsollte beibehalten werden, damit die dringend benötigten Nachzugsplätze nicht verfallen (so auch der offene Brief Osnabrücker Organisationen).
Zitiervorschlag: Matthies, Verfahrensrechtliche Hürden im Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte, JuWissBlog Nr. 2/2019 v. 10.1.2019, https://www.juwiss.de/2-2019/
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
[…] und der Aberkennung, aber auch die Beschränkung des Familiennachzugs (vgl. für Deutschland Thomas Matthies). Die Frage, wie weit die Einschränkungen der Rechte subsidiär Schutzberechtigter im Vergleich zu […]
Das Recht auf Familie für subsidiär Schutzberechtigte……
Und warum ist es in Deutschland so schwer, das Recht von Trennungskinder auf Umgang mit jeden Elternteil durchzusetzen?