Und jährlich grüßt der Finanzausgleich – Zur strukturellen Schwäche des deutschen Finanzausgleichssystems

von UDO MOEWES

UdoMoewesChin Meyer bringt es aus auf den Punkt. Für den Volkswirt und Kabarettisten ist der Finanzausgleich eine „feine Sache“, weil die Schwaben den Flughafen finanzieren, den die Berliner in den Sand setzen. Ich will diese Polemik mit einer rechtspolitischen Einschätzung vertiefen.

Dass Hessen und Bayern gegen den Finanzausgleich klagen, war nicht weiter überraschend. Wenn um die Verteilung des knappen Gutes Geld im Bundesstaat gerungen wird, sind Spannungen vorprogrammiert. Jedes Bundesland versucht, das Meiste für sich rauszuholen. Als Ausfluss des bündischen Prinzips soll der Finanzausgleich armen Bundesländern unter die Arme greifen, indem reiche Bundesländer helfen. Welch hehres Ziel.

Das Problem im System Finanzausgleich

Leider hat der Finanzausgleich unbestreitbar eine strukturelle Schwäche, die der Finanzwissenschaftler „Negativanreize“ nennt. Zugespitzt formuliert: Warum sollte sich Berlin selber um Einnahmesteigerungen bemühen, wenn es jährlich durch den Finanzausgleich Milliarden kriegt? Dem Grunde nach nutzen zwar auch manch andere Bundesländer den Finanzausgleich aus, aber Berlin treibt es auf die Spitze und kann daher als „Musterbeispiel“ im negativen Sinne genommen werden.

Das Problem wird an ganz banalen Dingen deutlich: Die Geberländer erheben Straßenausbaubeiträge; Berlin nicht. Die Minister der Geberländer fliegen Economy Class; die Berliner im gleichen Flugzeug in der Business Class. Weitere Beispiele gibt es zur Genüge.

Das gern von Berliner Seite vorgetragene Argument: „Die Bayern haben auch jahrelang durch den Finanzausgleich kassiert“ ist ausgezehrt. Die Bayern haben auch unter Berücksichtigung der Inflation schon weit mehr eingezahlt als herausbekommen. An Stelle von Markus Söder würde ich mich auch nicht mit dieser Situation zufrieden geben.

Haushaltsrecht ist Haushaltspflicht

Berlin hält sich durch autonome und vorsätzliche Unterlassungen arm. Ich beurteile dies als einen Dauerverstoß gegen die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 6 Abs. 1 HGrG. Valide Einnahmequellen werden brach liegen gelassen: Eigenanstrengungen Fehlanzeige. Die Welt ist für lau für den Berliner. Oder wie ein Außenminister einmal in anderem Zusammenhang formuliert hat: „Spätrömische Dekadenz“. Gut für das Stadtvolk, schlecht für den Haushalt. Das bündische Prinzip der Hilfeleistung durch reiche Länder wird hier schamlos ausgenutzt.

Der sparsame Umgang mit öffentlichen Ressourcen ist für manche Personen eine Selbstverständlichkeit. Einen Haushalt autonom verwalten zu dürfen, dafür haben unsere Vorfahren noch bis auf das Messer gestritten. Das Haushaltsrecht ist aber nicht nur ein Recht; es ist gleichzeitig auch eine Haushaltspflicht. Niemand außer dem Berliner Abgeordnetenhaus und der Berliner Regierung kann effektiv über die Gelder der Stadt entscheiden. Die Verantwortlichen sollten angesichts der Zahlen Zurückhaltung bei den Ausgaben wahren; umgekehrt sollten Einnahmen aktiv generiert werden.

Wenn die Schuldenbremse 2020 endlich für die Länder in Kraft tritt, bleibt abzuwarten, wie sich die Senatsverwaltung für Finanzen der Bundeshauptstadt verhält. Auf einer haushaltsrechtlichen Tagung im vergangenen Jahr hatte jedenfalls die zuständige Staatssekretärin, Margaretha Sudhof, die auch Mitglied des Aufsichtsrates der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH ist, das Berliner Problem deutlich gemacht: Berlin habe viele Ausgabeposten in großer Höhe. Man „wisse“ nicht, ob die Schuldenbremse einzuhalten sei.

Schuld daran, dass die Strukturschwäche des Finanzausgleichs ungeschoren ausgenutzt wird, trifft teilweise auch den Berliner Landesrechnungshof, der nicht intensiv genug zur Haushaltsdisziplin ermahnt. Man muss nicht jeglichem Treiben der Finanzverwaltung Raum lassen. Seiner „Watchdog“-Funktion wird das Gremium nur marginal gerecht.

Dass sich die Hauptstadtbevölkerung dagegen aufregt, ob man beim Bäcker vor Ort „Wecke“ oder „Schrippe“ sagen muss, darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Die Menschen sollten sich mit anderen Dingen beschäftigen. Vielleicht mit der Frage, wie lange und in welcher Höhe die künftigen Generationen durch die Fehlplanungen beim Flughafen mehrbelastet werden (Wo sind die Demos wegen des Hauptstadtflughafendesasters?). Oder wie man aus den Schulden rauskommen will, um den drohenden Verfassungsverstoß zu vermeiden.

Stellte man sich vor, die Berliner müssten wieder Straßenausbaubeiträge zahlen, das Geschrei wäre in der Stadt wohl groß. Ob es so groß wäre, wie manch ein Berliner über das griechische Haushaltsgebaren geredet hat? Interessanterweise wird im April eine Delegation Berliner Abgeordneter nach Griechenland reisen, um sich über die dortigen Sparmaßnahmen zu informieren.

Die Chance des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht wird wohl kaum den Finanzausgleich für verfassungswidrig erklären. Das Maßstäbegesetz, auf der Assistententagung in Bern von Robert Frau zu Recht wegen der inhaltsgleichen Bestimmungen im FAG kritisiert, wird seiner mittelbaren Befriedungsfunktion gerecht. Aufgrund der Haushaltsautonomie des Bundes kann es DIE EINE „richtige“ Finanzverteilung im Bund nicht geben, denn ansonsten würden die Richter selbst Finanzpolitik betreiben. Stadtstaateneinwohner können im Rahmen der „Einwohnerveredelung“ mehr berücksichtigt werden als Bewohner ländlicher Räume (wenngleich man die ökonomischen Grundlagen hierfür noch einmal auf den Prüfstein setzen sollte). Für das Finanzausgleichsrecht ist Hauptsache, dass das System schlüssig und folgerichtig ist, frei von willkürlichen Erwägungen. Raum für den Gesetzgeber des FAG ist da zur Genüge.

Vielleicht senden uns die Götter aus Karlsruhe aber auch ein Zeichen. „Maßstäbegesetz II“? Die Rückkehr der Überraschung?

Der Vater des deutschen Finanzausgleichs, Johannes Popitz, hat uns viele wichtige Erkenntnisse geliefert, bevor ihn die Nazis aufgrund seiner mutigen oppositionellen Haltung ermordet haben. Aber dass ein Land sich zur Verwaltung eines ordentlichen Haushalts nicht anstrengen würde, wurde selbst durch ihn nicht vorhergesehen. Zu ehrwürdig war wohl für ihn die Ausübung des Haushaltsrechts; kein Wunder, denn Popitz’ Wertschätzung für das Haushaltsrecht stand unter dem Eindruck, dass das Parlament dieses Recht erst jüngst hart erkämpfen musste. Heute müssen wir uns also selbst um die Fortentwicklung des Finanzausgleichs bemühen.

Ich selbst sehe keine Möglichkeit, im Rahmen des Finanzausgleichs die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu mehr Wirkung zu verhelfen. Wie soll es geregelt werden, Verstöße gegen die Haushaltsdisziplin finanzausgleichsrechtlich zu ahnden? Als abgabenrechtliches Instrumentarium sollte der Finanzausgleich vom Haushaltsrecht getrennt werden; zumal Bürger aus den Haushaltsgrundsätzen keine subjektiven Rechte ableiten können. Das Problem muss daher außerhalb des Finanzausgleichs gesucht werden.

Hier könnte das Bundesverfassungsgericht ansetzen: Entweder den Grundsätzen eine gewisse Relevanz für das Bundesstaatsprinzip verleihen (vielleicht wird eine bislang schlummernde GG-Bestimmung aktiviert: Art. 37). Eine gesetzeswidrig konstruierte Außenrechtsrelevanz des Haushaltsrechts? Oder den Finanzausgleich doch kippen? Oder, und darin sehe ich das richtige Signal: Berlin die dunkelgelbe Karte zeigen und zu konkreten Anstrengungen bei der Einnahmegenerierung verpflichten.

Arm geht nicht immer mit sexy einher. Haushaltsrecht ist sicher nicht sexy, aber wichtig. Arm ist manchmal jedoch auch erbärmlich.

Der Beitrag gibt nur die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.

 

Literaturhinweise

Die Hauptschriften von Johannes Popitz:
Der Finanzausgleich und seine Bedeutung für die Finanzlage des Reichs, der Länder und Gemeinden, 1932.
Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, 1932.
Finanzausgleich, in: Elster/Weber/Wieser (Hrsg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaft, Bd. III, S. 1016 ff.

Ausgewählte Schriften über Popitz und sein Werk:
Bentin, Johannes Popitz und Carl Schmitt, 1972.
Bödeker, Johannes Popitz: Auf der Suche nach einer neuen Wirtschaftsordnung, in: Staat 1985, S. 513 ff.
Dieckmann, Johannes Popitz, 1960.
Edling, Entwicklungstendenzen im bundesdeutschen Föderalismus – Das Popitzsche „Gesetz“ von der „Anziehungskraft des größten Etats“, in: DÖV 1987, S. 579 ff.
Hansmeyer/Zimmermann, Das Popitzsche Gesetz und die Entwicklung der Ausgabenverteilung zwischen Bund und Ländern in den 60er und 70er Jahren, in: Koch/Petersen (Hrsg.), FS f. Kolms, S. 297 ff.
Kuss, Müssen Gemeindesteuern örtlich „radizierbar“ sein?: Johannes Popitz und sein Einfluss auf die kommunale Finanzverfassung in Deutschland, in: AfK 1965, S. 47 ff.
Schulz, Über Johannes Popitz (1884-1945), in: Staat 1985, S. 485 ff.
Terhalle, Der künftige Finanzausgleich: Einige Grundgedanken aus dem berühmten Popitz-Gutachten von 1931 und aus der Begründung des 1954 vorgelegten Finanzverfassungsgesetzes, in: FR 1954, S. 521 ff.

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