Höher, schneller, weiter? Ein paar Gedanken zur Zukunft der JTÖR

von ODILE AMMANN und KONSTANTIN CHATZIATHANASIOU

Die Verkündung wird jedes Jahr mit Spannung erwartet: Am Ende der JTÖR teilt das Orga-Team im Rahmen der Aussprache den nächsten Tagungsort mit. Diese Verkündung ist das Ergebnis eines Suchprozesses, der mit einem „Call for Teams“ seinen Anfang nimmt. Dieses Jahr war die Spannung besonders groß. Denn die Zürcher Tagung endete mit einem Cliffhanger. Zwar hat sich mittlerweile ein exzellenter Tagungsort gefunden. Der Findungsprozess war aber nicht leicht und ein Nachfolgeteam wurde erst mehrere Wochen nach der Tagung identifiziert.

Offenbar liegt hier ein wiederkehrendes Problem. Das diesjährige Zittern möchten wir daher gerne zum Anlass nehmen, um über Gründe und Lösungswege nachzudenken. Der Elefant im Raum heißt natürlich Corona, denn die Pandemie führt zu einer beträchtlichen und sicherlich abschreckenden Planungsunsicherheit. Wie in vielen Bereichen hat Corona aber auch im Falle der JTÖR ein grundlegendes, bereits bestehendes Problem sichtbar gemacht.

Im Folgenden beschreiben wir zunächst die problematische Tendenz der JTÖR zu einem „Höher, Schneller, Weiter“ (I.). Aus dieser Problembeschreibung ziehen wir zwei Konsequenzen: Die JTÖR darf kleiner werden (II.). Die Bereitschaft, sich bei der Organisation der JTÖR einzubringen, wenn auch andere an Bord sind, könnte geschickter aktiviert werden (III.). Als zusätzlichen Punkt möchten wir der Begeisterung für hybride Formate ein paar zur Vorsicht anhaltende Überlegungen entgegenhalten (IV.). Insgesamt geht es uns darum, potenzielle Teams zu ermutigen, die JTÖR jeweils im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auf ihre Art durchzuführen (V.).

I. „Höher, Schneller, Weiter“

Über die Jahre hinweg hat sich die JTÖR – trotz ihrer gelegentlichen informellen Bezeichnung als „kleine Staatsrechtslehrertagung“ – zu einer sehr großen Tagung entwickelt. Für die 62. JTÖR im Februar 2022, die wie schon im Vorjahr coronabedingt in den digitalen Raum verschoben werden musste, gingen über 400 Anmeldungen ein. Ob analog oder digital – die hohe Teilnehmerzahl schafft logistische Herausforderungen. Dazu reicht die Tagung fast über eine ganze Woche. Neben einem satten akademischen Programm wollen Eröffnungsabend, Podiumsdiskussion, Rahmenprogramm, regionaler Abend, Arbeitskreistreffen, Abschlussparty und vor allem die Finanzierung des Ganzen organisiert werden. Auch nach der Tagung fällt Arbeit an. Neben Danksagungen, Abrechnungen, Berichten und sonstigen Follow-ups gehört insbesondere die Veröffentlichung des Tagungsbands zu den traditionellen Aufgaben.

Jedes Orga-Team hat dabei die Leistungen seiner Vorgänger*innen vor Augen. Niemand möchte dahinter zurückfallen. Dieses Engagement ist wunderbar und lohnend. Gleichzeitig hat es zu einer Spirale des „Höher, Schneller, Weiter“ geführt. Der Stresstest Corona, der zusätzliche Planungen für ein digitales Format erfordert, zeigt, dass sich schon das Grundkonzept am Limit des Durchführbaren bewegt hat. Dementsprechend war es – schon anekdotischer Evidenz zufolge – auch in „normalen Zeiten“ oft nicht leicht, ein Nachfolgeteam zu finden.

Das ist aus vielen Gründen schade. Der besondere Wert der JTÖR für alle Beteiligten liegt auf der Hand. Vor allem aber ist die Schwierigkeit, ein Nachfolgeteam zu finden, nicht einfach mit fehlendem Engagement in der Community zu erklären. In der jungen Wissenschaft vom öffentlichen Recht mag manch eine*r das einsame Gelehrtentum pflegen. Allgemein herrscht aber eine hohe Bereitschaft, sich zu engagieren. Davon zeugt eine Vielzahl an Initiativen. Man denke nur an Blogs, Lehrbuchprojekte, Podcasts und Nachwuchstagungen in Spezialgebieten oder in bestimmten Regionen des deutschsprachigen Raums. Man könnte sicherlich überlegen, ob diese Initiativen vielleicht eine Konkurrenz zur JTÖR bilden. Dagegen spricht aber schon, dass diejenigen hinter diesen Initiativen oft auch an der JTÖR teilnehmen. Deutlich wird jedoch, dass es leichter fällt, kleinere Projekte zu realisieren. Aus dieser Problembeschreibung ergeben sich für uns zwei Konsequenzen: Erstens darf auch die JTÖR kleiner werden. Zweitens sollten wir über Wege nachdenken, die Engagementbereitschaft vor Ort besser zusammenzuführen.

II. Weniger kann Mehr sein

Was auf der JTÖR passiert, ist historisch nicht in Stein gemeißelt. Kein potenzielles Orga-Team sollte sich darum sorgen, dass es nicht eine JTÖR durchführen kann oder möchte, die so groß ist wie die vorherige. Die JTÖR darf der Größe des Teams und des Hochschulorts angemessen sein. Orga-Teams dürfen die Personenzahl begrenzen; die Dauer der Tagung kann kürzer werden; nicht jeder Abend braucht Programm. Angesichts der oben beschriebenen Spirale wäre eine solche Selbstbegrenzung sogar vernünftig. Wer solche Einschnitte kritisiert, würde die Augen vor den grundsätzlichen Schwierigkeiten verschließen, eine solche Veranstaltung durchzuführen. Es erscheint nicht angemessen, von kleinen Hochschulorten ein einwöchiges Spektakel zu erwarten – erst recht, wenn größere Standorte sich bei der Durchführung der Tagung zurückhalten.

III. Bereitschaft zum Engagement sichtbar machen

Wichtig erscheint uns zweitens, darüber nachzudenken, wie sich die Kooperationswilligen an den Hochschulorten (und ggf. auch hochschulübergreifend) zusammenführen lassen. Die JTÖR teilt das Schicksal vieler Gemeinschaftsprojekte. Zwar sind viele bereit, in sie zu investieren, aber nur dann, wenn sich eine kritische Masse findet, die es ebenfalls tut. Aufwand und Ertrag bleiben in diesem Fall in einem vertretbaren Verhältnis. Denn bei aller Liebe zur JTÖR – nur die wenigsten sind bereit, über Monate einen erheblichen Teil ihrer Forschungszeit dafür zu opfern. (In diesem Zusammenhang lassen sich übrigens gewisse Muster feststellen, die uns nachdenklich stimmen, wie etwa die Übervertretung von Frauen.) Eine solche Aufopferung zu erwarten, kann auch nicht im Sinne der Community sein, die an einer nachhaltigen Struktur interessiert sein sollte. Es gibt genug Beispiele von Initiativen, die von ein paar wenigen motivierten Forscher*innen getragen werden, aber später wieder versanden, weil keine nachhaltige Struktur geschaffen werden konnte, um diese Initiativen unabhängig von ihren Gründer*innen weiterzuführen. Die JTÖR ragt hier als etablierte Tagung, bei der neue Teams von Erfahrungen und Vorarbeiten ihrer Vorgänger*innen profitieren, heraus. Welche Instrumente ließen sich also einsetzen, um die bedingt Kooperationswilligen zusammenzubringen und den Erfolg der JTÖR nachhaltig zu sichern?

Wie wäre es mit einem Umfragetool, bei dem sich – eventuell auch anonym – angeben ließe, welche individuelle Bereitschaft zur Durchführung der Tagung bestände? Ein solches Umfragetool könnte das Stimmungsbild an einem Hochschulort oder in einer bestimmten Region abbilden. Zu denken wäre die Angabe eines abgestuften Commitments. Ein drastisches Beispiel wäre eine Skala von 10 („mache notfalls alles selbst“) bis 1 („eher esse ich meinen Schuh“). Wir glauben, dass sich viele fänden, die für eine Durchführung zu haben wären, aber eben nicht um jeden Preis – also eher 6 anklicken würden („wenn genug andere mitmachen“). Vielleicht ließe sich diese Bereitschaft sogar bei der Anmeldung zur nächsten Tagung abfragen. Dann hätte das Orga-Team ein Bild, wo sich das Anklopfen lohnen könnte.

IV. Schattenseiten dauerhafter Hybridität

Bei dieser Gelegenheit möchten wir noch auf die Idee zu sprechen kommen, die JTÖR dauerhaft hybrid durchzuführen. Wir stehen dieser Idee eher kritisch, zumindest aber ambivalent gegenüber. Die Argumente, diese Möglichkeit beizubehalten, sind zwar gewichtig: Der Zugang zur Tagung wird drastisch verbessert. Wer wegen privater oder beruflicher Verpflichtungen nicht fahren kann, hat trotzdem die Möglichkeit, teilzunehmen. Gerade wenn die Tagung weit weg von der eigenen Hochschule und über eine ganze Woche stattfindet, ist die digitale Option bedeutend preisgünstiger.

Aus unserer Sicht hat dieses Modell aber auch Nachteile, die nicht unterschätzt werden sollten. Zum einen stellt die hybride Durchführung das Orga-Team vor zusätzliche Herausforderungen und ist damit nicht im Sinne einer Abkehr vom „Höher, Schneller, Weiter“; zum anderen ist das hybride Format der Idee des Plenums nicht förderlich.

Das Besondere an der JTÖR ist, dass sie uns einen gemeinsamen Diskursraum anbietet. Alle Vorträge finden im Plenum statt. In anderen Sozialwissenschaften – aber auch auf anderen größeren juristischen Tagungen – sind solche Foren selten: Das Plenum ist in der Regel Keynotes und Podien vorbehalten. In kleineren Kreisen wird dann speziellere Arbeit vorgestellt und diskutiert. Hybride Formate aber ermöglichen auch zum Plenum selektiven Zugang. Man hört sich diejenigen Vorträge an, die von persönlichem Interesse sind. Wer hingegen vor Ort ist, wird viel eher auch einen Vortrag hören, der nicht zum persönlichen Interessengebiet gehört. Während das Plenum Serendipität fördert, führt das Hybride zu einer Erosion des gemeinsamen Diskursraums. Dazu ist der geschützte und abgeschlossene Raum aufgebrochen.

Überhaupt hat die Möglichkeit, nicht zu reisen, gewisse Schattenseiten. Das Besondere an der JTÖR ist nicht nur, dass man einen anderen Ort kommt. Es liegt oftmals auch daran, für eine Zeit einen gewohnten Ort zu verlassen und sich auf neue persönliche Begegnungen einzulassen – und vielleicht sogar gleichgesinnte Kolleg*innen kennenzulernen, mit denen man sich vorstellen könnte, in Zukunft die Organisation einer JTÖR in Angriff zu nehmen. Auch hier kann die Selbstbeschränkung und der Verzicht auf die Verlockung des hybriden Formats zum Gewinn werden. Darüberhinaus ist die Befürchtung geäußert worden, dass es in manchen Fällen schwieriger werden könnte, von Arbeitgeberseite Reisegenehmigung und –mittel zu erhalten, wenn auch die Möglichkeit der digitalen Teilnahme besteht.

Kurzum: Hybride Tagungen haben den großen Vorteil, inklusiv zu sein. Hybride Formate haben aber auch ihren Preis und sollten nicht zu einer Erosion des Plenums, der wissenschaftlichen Neugier und des persönlichen Austauschs führen.

V. Mut zur Eigenwilligkeit!

Alles das sind selbstverständlich nur Anregungen und Gedankenspiele. Zentral ist letztlich, dass das jeweilige Orga-Team frei ist, die Tagung so zu gestalten, wie es sich das wünscht. Wir möchten unsere Überlegungen vor allem als Ermutigung verstanden wissen – nämlich dazu, die JTÖR nach jeweils eigenen Vorstellungen und Möglichkeiten durchzuführen, ohne sich um vermeintliche Kritik zu sorgen. Vor allem sollten wir darüber nachdenken, ob wir es uns mit einer gewissen Konzentration auf das Wesentliche nicht leichter machen würden, die Durchführbarkeit, Einzigartigkeit und Nachhaltigkeit der JTÖR sicherzustellen.

 

«Die Autoren danken Julia Meier (Universität Zürich) und Dr. Berit Völzmann (Goethe-Universität Frankfurt am Main) für ihre kritischen Anregungen.»

 

Zitiervorschlag: Ammann, Odile  und Chatziathanasiou, Konstantin, Höher, schneller, weiter? Ein paar Gedanken zur Zukunft der JTÖR, JuWissBlog Nr. 32/2022 v. 29.06.2022, https://www.juwiss.de/32-2022/.

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