von RICO NEIDINGER
Von der (Fach-)öffentlichkeit nahezu unbemerkt, ist zum 1. Juni 2022 eine Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung in Kraft getreten, mit welcher der Bayerische Normenkontrollrat errichtet wurde. Lässt die Bezeichnung vorschnell auf Parallelen zu entsprechenden Einrichtungen auf Bundes– bzw. Landesebene (z.B. Baden-Württemberg) schließen, kommt bei näherer Betrachtung doch ein bayerischer Sonderweg zum Vorschein. Insbesondere der Umstand, dass das Gremium faktisch im Verborgenen handeln soll, macht den unbefangenen Leser stutzig. Der Beitrag soll einen ersten Überblick über das neue Gremium bieten.
Übersicht Bürokratieabbau in Bayern
Einleitend seien die wesentlichen Grundsätze und Institutionen des bayerischen Bürokratieabbaus dargestellt, in die sich der Normenkontrollrat künftig einfügen soll. Die Staatsregierung rühmt sich nicht selten damit, bei diesem Thema eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die dabei zum Einsatz kommenden Instrumente sind vielfältig und auf unterschiedliche Zuständigkeiten verteilt, sodass sie nicht einfach zu überblicken sind.
Zunächst sei auf den Beauftragten für Bürokratieabbau aufmerksam gemacht. Dabei handelt es sich um ein Ehrenamt mit einer monatlichen Amtsentschädigung von 2.000€ (vgl. Art. 3 Abs. 1 S. 2 BayBeauftrG), das bislang an das Finanzministerium angegliedert war (Nr. 1.3 BeauftrBek2019) und nun im Rahmen der Einführung des Normenkontrollrats in die Staatskanzlei gewechselt ist (Nr. 1.3 BeauftrBek2022). Er wird durch eine Geschäftsstelle unterstützt. Sein normativ umrissenes Aufgabengebiet umfasst Fragen des Bürokratieabbaus, wo er „konkrete administrative oder normative Maßnahmen an[regt], um die bürokratische Belastung der Bürger, Unternehmen und Behörden zu senken“ (Nr. 1.3 BeauftrBek2022). Eine maßgebliche Leistung des Beauftragten stellt die Initiative zur Einführung des „Praxis-Checks“ dar, in dessen Rahmen Vorschriften „vorab im Zusammenspiel mit Anwendern und Betroffenen modellhaft einer praktischen Anwendung unterzogen und auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden“ sollen (Nr. 2.3 OR).
Daneben sei noch auf die sog. „Paragraphenbremse“ hingewiesen. Dieses seit 2013 eingesetzte Prinzip, wonach neue Vorschriften nur eingeführt werden, wenn eine bestehende dafür gestrichen wird („one-in-one-out“), hält den Normbestand in Bayern, was die Anzahl der Stammvorschriften angeht, stabil. Zudem müssen die Ministerien beim Erlass von neuen Normen weitere Vorgaben beachten. So ist jedem Normentwurf ein Vorblatt beizufügen, in dem „die zu erwartenden Kosten […] dargestellt werden“ sollen (§ 15 StRGO). Dazu zählt auch die Folgenabschätzung bezüglich neuer Informationspflichten für Wirtschaft und Bürger auf der Grundlage des Standard-Kosten-Modells (§ 7 Abs. 6 Nr. 1 StRGO). In diesem Zusammenhang kommt der Zentralen Normprüfstelle in der Staatskanzlei eine entscheidende Rolle zu: sie überprüft die Ausgestaltung der Norm sowie ihre ausreichende Begründung und gibt Empfehlungen dazu ab. Will das für die Ausarbeitung federführende Staatsministerium solche Empfehlungen unberücksichtigt lassen, kann es den Normprüfungsausschuss anrufen. Dieser Besteht aus dem im Übrigen auch für die ressortübergreifende Koordination zuständigen Leiter der Staatskanzlei als Vorsitzenden, den Staatssekretären bzw. den Amtschefs der Ressorts (§ 15 Abs. 6 StRGO).
Das neue Gremium des Normenkontrollrats
In dieses Gefüge wurde, gestützt auf die Geschäftsordnungsautonomie der Staatsregierung gem. Art. 53 BV, mit dem Bayerischen Normenkontrollrat ein weiteres Gremium eingefügt, ohne die übrigen Institutionen abzuschaffen oder deren Aufgabenzuschnitt anzupassen. Sie bestehen parallel fort, was hinsichtlich des Ziels des Bürokratieabbaus einer gewissen Ironie nicht entbehrt.
Zusammensetzung
Der Normenkontrollrat besteht aus bis zu sechs (aber min. vier) Mitgliedern, wovon einer der Beauftragte für Bürokratieabbau ist, welcher den Vorsitz im Gremium hat. Zur Unterstützung der Arbeit des Rats wird bei der Staatskanzlei „eine finanziell und personell angemessene und auf das Notwendige beschränkte“ Geschäftsstelle eingerichtet (Nr. 4 NKRBek).
Die Mitglieder des Normenkontrollrats werden vom Ministerpräsidenten namens der Staatsregierung berufen und entlassen. Das Amt endet jedenfalls mit dem Ende der Wahlperiode des Landtags, wobei eine Wiederberufung unbegrenzt zulässig ist. Die Mitglieder erhalten eine monatliche Amtsentschädigung i.H.v. 1.000 €, der Vorsitzende i.H.v. 2.000 € (Nr. 2 NKRBek). Anders als etwa bei den Normenkontrollräten im Bund oder Baden-Württemberg besteht in Bayern keine Indemnität mit anderen Staatsämtern. Dafür dürfen die Mitglieder „keine nach dem Bayerischen Lobbyregistergesetz eingetragene Interessenvertretung gegenüber Staatsregierung oder Landtag wahrnehmen“ (Nr. 2.3 NKRBek). Die Formulierung ist nicht eindeutig. Unklar ist, ob mit der Regelung eine generelle Indemnitätsvorschrift für im Lobbyregister eingetragene Interessenvertreter oder nur die Untersagung der Interessenvertretung gemeint ist. Der Wortlaut der NKRBek deutet auf letzteres hin, wobei ins Lobbyregister nicht die Interessenvertretung selbst, sondern wer Interessenvertretung betreiben will und damit der Interessenvertreter eingetragen wird (Art. 1 Abs. 1 S. 1 BayLobbyRG). Keinesfalls darf Nr. 2.3 NKRBek aber in dem Sinne gedeutet werden, dass dem Normenkontrollrat selbst eine Interessenvertretung untersagt wird. Denn die weite Definition der Interessenvertretung im BayLobbyRG würde andernfalls die Arbeit des Normenkontrollrats unmöglich machen. Überlegenswert wäre, ob man den Normenkontrollrat ausdrücklich in den Kreis der Adressaten des BayLobbyRG aufnimmt, wobei schon jetzt bei einem Herantreten an den Rat, je nach Auslegung des Kriteriums der mittelbaren Einflussnahme, eine Interessenvertretung angenommen werden könnte. Außerdem ist aktuell mit dem Beauftragten für Bürokratieabbau, durch seine zeitgleiche Mitgliedschaft im Landtag, zumindest der Vorsitzende des Gremiums direkter Adressat des BayLobbyRG. Gleiches gilt für seinen Stellvertreter.
Aufgaben, Geschäftsgang und Wirkmacht
Der Auftrag des Normenkontrollrats ist in Nr. 1 NKRBek umschrieben: danach soll er die Staatsregierung in Angelegenheiten des staatlichen Aufgabenabbaus, der Deregulierung und des Normenabbaus, des Abbaus entbehrlich gewordener staatlicher Förderungen, einer schlanken Verwaltung, des allgemeinen Normenvollzugs sowie der Entbürokratisierung und Digitalisierung beraten und unterstützen. Ausdrücklich ausgeschlossen von Untersuchungen durch den Normenkontrollrat sind Einzelfälle des Verwaltungshandelns, die Empfehlungen der Normprüfung nach § 15 StRGO, die Angelegenheiten der Selbstverwaltungsträger, Staatsbetriebe und staatlichen Beteiligungen (Nr. 1.3 NKRBek). Insbesondere der Ausschluss der Normprüfung, wohinter sich die Prüfung des Erfüllungsaufwands nach dem Standard-Kostenmodell und damit eine wesentliche Aufgabe der übrigen Normenkontrollräten (im Bund § 1 Abs. 3 NNKRG) verbirgt, lässt das bayerische Gremium im Vergleich zu seinen Namensvettern deutlich hinken.
Innerhalb des Aufgabenbereiches besitzt der Rat thematische Freiheit und fachliche Unabhängigkeit (Nr. 1.2 NKRBek). Jedes Mitglied hat ein Initiativrecht für Themen. Ob ein Vorschlag tatsächlich aufgegriffen wird, muss aber genauso einstimmig beschlossen werden (Nr. 3.2 NKRBek), wie seine Empfehlungen generell. Bei letzterem genügt der einstimmige Beschluss der an der Beschlussfassung mitwirkenden Mitglieder, wobei eine Enthaltung als Ablehnung gilt. Beschlussfähig ist der Normenkontrollrat bei Mitwirkung von mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder.
Eine erhebliche Einschränkung erhält die Wirkmacht des Normenkontrollrats durch die Beschränkung, dass der Rat nicht nach außen auftritt und seine Empfehlungen auch nicht veröffentlicht werden (Nr. 3.5 NKRBek). Zudem wird die Tätigkeit des Rats als vertraulich eingestuft und die Möglichkeit der Unterrichtung der Öffentlichkeit in die Entscheidungsgewalt des betroffenen Staatsministeriums gelegt, welches darüber im Einvernehmen mit der Staatskanzlei entscheidet (Nr. 3.6 NKRBek). Je nach Auslegung der Beschränkungen kann der Normenkontrollrat damit nicht einmal Kontakt mit seinen Namensvettern aufnehmen und mit ihnen kooperieren. Auch ist er bei der Umsetzung seiner Empfehlungen stets vom Wohlwollen der Staatsministerien abhängig und kann nicht einmal durch Veröffentlichung seiner Arbeit öffentlichen Druck aufbauen.
Resümee
Der Bayerische Normenkontrollrat unterscheidet sich von namensgleichen Institutionen auf Bundes- und Landesebene im Aufgabenzuschnitt, Zusammensetzung und Arbeitsweise wesentlich, sodass eine Gleichsetzung der Räte verfehlt wäre. Trotz formaler thematischer Freiheit und fachlicher Unabhängigkeit erscheint der Ausschluss der eigenständigen Öffentlichkeitsarbeit geeignet die Wirkmächtigkeit des neuen Gremiums erheblich zu beschränken. Es stellt jedenfalls ein Handicap dar und zeigt das Bestreben der Staatsregierung, die Kontrolle über das Thema Bürokratieabbau nicht aus der Hand geben zu wollen.
Ob Bürokratieabbau nur durch Einsetzung weiterer Gremien und damit letztlich durch mehr Bürokratie erfolgreich betrieben werden kann, lässt sich zudem bezweifeln. Mit der Einbindung des Beauftragten für Bürokratieabbau findet eine personelle Verflechtung zu einer bereits etablierten Größe im Rahmen des Bürokratieabbaus statt, was eine Doppelung der Strukturen und Kosten zur Folge hat. Hier scheint eine vollständige formale Zusammenfassung beider Institutionen sinnvoll, um Reibungsverluste zu vermeiden. Gleiches gilt für den Normprüfungsausschuss. Es wäre deshalb ein treffender Auftakt seiner Arbeit, wenn der Normenkontrollrat zum Einstieg Empfehlungen zur Förderung einer schlanken Verwaltung und der Entbürokratisierung auf dem Feld der Entbürokratisierung ausspricht.
Zitiervorschlag: Neidinger, Rico, Der Bayerische Normenkontrollrat – Bürokratieabbau mit Handicap, JuWissBlog Nr. 33/2022 v. 01.07.2022, https://www.juwiss.de/33-2022/.
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