von ANNEMARIE KAHL
Im November 2023 haben sich der Bund und die Länder auf ein bundesweites Semesterticketmodell geeinigt. Für tausende Promotionsstudierende in Berlin und Brandenburg gibt es einen Haken: Sie sind von dem neuen Ticketmodell ausgeschlossen, weil der VBB sich in den Vertragsverhandlungen mit dieser Forderung durchgesetzt hat. Einige Hochschulen fordern trotzdem zunächst unterschiedslos von allen Studierenden die Semesterticketbeiträge in voller Höhe ein. Der Beitrag untersucht, unter welchen Voraussetzungen Mitgliedsbeiträge an Hochschulen erhoben werden können und wie Hochschulen auf die veränderte Solidargemeinschaft „Deutschlandsemesterticket“ reagieren können.
Vom Semesterticket zum Deutschland(semester)ticket
Für Studierendenschaften (bzw. in Bayern die Studentenwerke) waren solidarische Semestertickets bislang mit erheblichem Aufwand verbunden: Die Tarifbedingungen und Preise eines Semestertickets mussten mit dem jeweiligen Verkehrsverbund regelmäßig neu ausgehandelt werden. Heterogene Interessen innerhalb der Studierendenschaften, z.B. zum räumlichen Geltungsbereich, haben die Konsensfindung erschwert. In der Folge gab es fast an jeder Hochschule ein eigenes Semesterticketmodell. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht haben konkrete Semestertickets für zulässig befunden.
Zum 1. Mai 2023 wurde das Deutschlandticket für 49 Euro eingeführt. Seitdem wuchs der politische Druck, alte und kleinteilige Tarifmodelle zugunsten einer Studierenden-Variante des Deutschlandtickets aufzugeben. Im November 2023 haben sich der Bund und die Länder auf eine neue Finanzierung geeinigt (allgemein und für Studierende). Das neue Modell beinhaltet ein solidarisches Semesterticket zum Preis von 60% des Deutschlandtickets. Für das Sommersemester 2024 bedeutet das einen verpflichtenden Betrag von 176,40 Euro. Die detaillierten Tarifbestimmungen waren damit noch nicht geklärt. Ob die jeweilige Studierendenschaft sich dem neuen Modell anschließen möchte, entscheidet sie selbst. Sie schließt einen Vertrag mit dem lokalen Verkehrsverbund über das neue Semesterticket ab. Die Zeit für die mehrstufige Umsetzung des Beschlusses war derart knapp, dass die Einschreibefristen an zahlreichen Hochschulen zu laufen begannen. Anfang Februar 2024 wurde bekannt, dass Promotionsstudierende und Studierende in Aufbau- und Weiterbildungsstudiengängen in Berlin und Brandenburg künftig vom Semesterticket ausgeschlossen sein werden. Der VBB hat sich gegenüber Medienvertretern auf „die Logik des VBB-Tarifs“ berufen. Nach Tarifbestimmung Nr. 5.2.5.1 (Amtsbl. S. 372f.) erhalten nur Studierende eine Zeitkarte, deren Ausbildung „20 Wochenstunden bzw bei Studierenden einen Leistungsumfang von mindestens 15 Credit Points umfasst“. Promotionsstudierende will der VBB – anders als noch im Wintersemester 2023/24 – offenbar pauschal nicht mehr darunter subsumieren.
Rechtsgrundlage für die Erhebung des Beitrags „Deutschlandsemesterticket“
Ein Semesterticket stellt einen Beitrag dar, der zusammen mit anderen Abgaben als Voraussetzung für die Immatrikulation erhoben wird. Rechtsgrundlage für den Beitrag als Voraussetzung für die Einschreibung bzw. Rückmeldung ist das jeweilige Hochschulgesetz eines Landes, welches der Studierendenschaft die Aufgabe der Wahrnehmung der sozialen Belange der Studierenden überträgt. In Berlin regelt das § 18a BerlHG bzw. in Brandenburg § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6, Abs. 4 BbgHG. Dazu tritt regelmäßig eine Beitragsordnung der Studierendenschaft, die die Beitragspflicht hinsichtlich der Höhe und der Personengruppen konkretisiert. Was zu den sozialen Belangen der Studierendenschaft zählt, ist unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 1 GG zu bestimmen. Das OVG Lüneburg führt dazu aus:
„Zu einer […] Verbesserung der örtlichen Studienbedingungen einer wirtschaftlich schwachen, maßgeblich auf Unterhaltsleistungen, öffentliche Studienförderung oder neben der Ausbildung zu erzielende Einkünfte angewiesene[…] Bevölkerungsgruppe trägt die Einräumung günstiger Verkehrstarife im öffentlichen Nahverkehr bei, so daß hierauf abzielende Maßnahmen unzweifelhaft der Wahrnehmung der sozialen Belange der Student[en]schaft dienen.“ (OVG Lüneburg, Urteil vom 15.10.1998, 10 L 7904–95, BeckRS 1998, 23174)
Das Deutschlandsemesterticket verbessert grundsätzlich für Studierende die Studienbedingungen im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, weil Leistungen zu einem Preis angeboten werden, der deutlich unter den sonst geltenden Tarifen liegt. Das neue Ticket wird solidarisch für 60% des normalen Verkaufspreises des Deutschlandtickets angeboten. Damit erleichtert es Verkehrswege, die im Rahmen des Studiums anfallen.
Anforderungen an die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen in Pflicht- und Zwangskörperschaften
Beim Semesterticket gelten grundsätzlich dieselben Anforderungen wie sonst im Abgabenrecht für Pflichtmitgliedschaften. Anlässlich des Rundfunkbeitrages hat das Bundesverfassungsgericht 2018 festgehalten:
Diesen Anforderungen wird eine Umsetzung des neuen Semesterticketmodells an denjenigen Hochschulen nicht gerecht, die trotz des Ausschlusses alle Studierenden unterschiedslos zur Kasse bitten. Wer aufgrund seines Studiengangs, etwa eines Promotionsstudiums, vom Ticket ausgeschlossen ist, hat per se keine Möglichkeit, es regelkonform zu nutzen.
Zu diesem Ergebnis führt auch das sog. Äquivalenzprinzip. Es stellt im Abgabenrecht eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Danach ist die Höhe eines Beitrages in ein Verhältnis zu setzen zu seinem Vorteil. Das Prinzip ist jedenfalls verletzt, soweit sich das Verhältnis für die beitragszahlende Person als Missverhältnis darstellt. Für pauschal ausgenommene Studierendengruppen besteht die Pflicht zur Zahlung von 176,40 Euro für insgesamt 6 Monate im Voraus, ohne dass mit diesem konkreten Beitragsteil irgendein individuell nutzbarer Vorteil verbunden wäre. Auch als Solidarforderung ist die Erhebung des Beitrags gegenüber Promotionsstudierenden nicht gerechtfertigt. Das Äquivalenzprinzip erfordert zumindest die Möglichkeit, langfristig in vergleichbarem Maße selbst von der Solidargemeinschaft zu profitieren. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Im Ergebnis ist es also rechtswidrig, von ausgeschlossenen Studierenden einen Solidarbeitrag ohne eigene Nutzungsmöglichkeit einzufordern.
Koppelung von Zahlung und Rückmeldung
Doch genau das tun einige Hochschulen offenbar in vorläufiger Form, indem sie die Studierenden zu einer entsprechenden Zahlung auffordern. Dann sind etwa die Systeme der Immatrikulationsämter auch mehr als zwei Wochen nach Bekanntwerden des neuen Ticketmodells noch nicht angepasst. Studierende werden vertröstet, indem eine Rückzahlung nach erfolgter Rückmeldung in Aussicht gestellt wird. Für eine „vorläufige“ Erhebung im Sinne einer vorübergehenden Überzahlung fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Den Hochschulen ist zugute zu halten, dass die Umsetzungszeit knapp war. Allein, das heilt nicht die Rechtswidrigkeit einer Beitragserhebung.
Von der Ticketnutzung ausgeschlossene Studierende sind pauschal vom Beitragsteil für das Deutschlandsemesterticket zu befreien. Die Hochschulen müssen in der laufenden Einschreibefrist die Systeme anpassen. Die Zeit drängt: Die Einschreibefrist endet teilweise bereits Ende Februar. Wer nicht zahlt, droht aufgrund der Koppelung einen Exmatrikulationsbescheid zu erhalten (§ 15 S. 3 Nr. 2 BerlHG; § 14 Abs. 5 Nr. 3 BbgHG). Hochschulen müssen die Änderungen der Beiträge, ggf. der Beitragsordnungen und des Rückmeldeverfahrens klar und deutlich kommunizieren. Es kann erforderlich sein, die Einschreibe- bzw. Rückmeldefrist für Promotionsstudierende zu verlängern. Einer Säumnisgebühr kann die Grundlage fehlen, notfalls ist sie über eine Härtefallklausel zu erlassen. In Einzelfällen werden Exmatrikulationsbescheide in Widerspruchsverfahren zu überprüfen sein.
In den Fällen, in denen die Semesterabgaben bereits überzahlt wurden, müssen individuelle Rückzahlungen zeitnah erfolgen. Studierenden kann nicht zugemutet werden, ihren Hochschulen Darlehen einzuräumen – erst recht nicht zinsfrei. Das gilt ebenso für die bereits geleistete Überzahlung grundständig Studierender vor Bekanntwerden der tatsächlichen Beitragshöhe von „nur“ 176,40 Euro. Auch, wenn individuelle Rückzahlungen aufwändiger sind als eine spätere Verrechnung, sind sie zeitnah auf Grundlage des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs anzubieten
Anmerkung: Die Autorin promoviert und ist insofern persönlich von den oben geschilderten Vorgängen betroffen.
Zitiervorschlag: Kahl, Annemarie, „Deutschlandsemesterticket“: Einen rechtswidrigen Beitrag „vorläufig“ erheben?, JuWissBlog Nr. 15/2024 v. 05.03.2024, https://www.juwiss.de/15-2024/.
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für diesen Beitrag! Es ist einmal mehr wenig überraschend, dass Gruppen wie die Promovierenden durch alle denkbaren Raster fallen. Mich hat es schon immer sehr geärgert, dass ich als Promotionsstudent Leistungen mitfinanziere, von denen ich überhaupt nicht profitieren kann bzw. auf die ich als Promotionsstudent keinen Einfluss nehmen kann. Das bleibt leider ein recht blinder Fleck seitens der Politik und der gesellschaftlichen Institutionen, auch weil die Promotionszeit ihrer Natur nach eine teils recht knapp befristete und gleichzeitig zeitaufwändige ist und sich hierdurch keine solche politische Schlagkraft aufbauen lässt, wie es etwa für Berufe oder die Studienzeit der Fall ist.
Sehr spannender und aktueller Beitrag!
In Leipzig gibt es eine vergleichbare Situation, die potenziell noch mehr Studierende betrifft. Die Stadt bietet hier für Geringverdiener ein vergünstigtes Deutschlandticket für 29 EUR monatlich an. Zugleich wurde ein Deutschland-Semesterticket für 29,40 EUR monatlich eingeführt. Für Studierende mit geringem Einkommen ergibt sich damit überhaupt kein Vorteil, sondern sogar ein Nachteil, da diese nicht nur mehr als eigentlich notwendig für die gleiche Mobilität bezahlen sollen, sondern auch die monatliche Kündigungsmöglichkeit verlieren. Anhand der letzten Sozialerhebung von 2021, die u.a. auch die Durchschnittseinkommen der Studierenden in Sachsen betrachtet, ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Studierenden von dem hektisch durch die Gremien gedrängten neuen Semesterticket keinen Vorteil hat und damit auch das Äquivalenzprinzip verletzt ist.