von OLE LUEG
Der 30.6.2017 war ein bedeutender Tag: Im Bundestag wurde die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe beschlossen. Aus familienpolitischer Sicht verspricht der 30.6.2025 ähnlich spannend zu werden. An dem Tage läuft die dem Gesetzgeber vom BVerfG mit Urteil vom 9.4.2024 (Az. 1 BvR 2017/21) gesetzte Frist zur Reform des Vaterschaftsanfechtungsrechts aus. Speziell geht es um die Frage, wie der Ausschluss des Anfechtungsrechts leiblicher Väter bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater gem. § 1600 II, III 1 BGB neu geregelt werden kann. Bislang liegen keine konkreten Anpassungsüberlegungen vor. Mögliche Reformansätze sollten aber stets das Kindeswohl in das Zentrum stellen. Aufgegriffen werden können hierbei die Gedanken im frühen Diskussionsteilentwurf des BMJV aus dem Jahr 2019 und im Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Abstammungsrechts, den das BMJ am 9.12.2024 veröffentlicht hat.
Nur beschränktes Anfechtungsrecht des biologischen Erzeugers
1600 I Nr. 2 BGB eröffnet für den leiblichen, nicht rechtlichen Vater seit dem Jahre 2004 ein Anfechtungsrecht. Trotz eigenen Anfechtungsrechts steht der biologische Vater im geltenden Recht aber häufig vor einem Dilemma: Der Zugang zur Vaterschaft wird ihm durch § 1600 II, III 1 BGB versperrt. § 1600 II BGB lässt die Anfechtung des leiblichen Vaters insbesondere nur unter der Voraussetzung zu, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Eine solche Beziehung setzt nach § 1600 III 1 BGB voraus, dass der rechtliche Vater zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt bzw. getragen hat.
Später Beurteilungszeitraum für das Vorliegen der sozial-familiären Beziehung
Für die Frage des Bestehens einer sozial-familiären Beziehung stellt der BGH allgemein auf den Zeitpunkt des Schlusses der letzten Tatsacheninstanz ab (BGH, Beschl. v. 24.3.2021 – Az. XII ZB 364/19). Diese Betrachtung kann allerdings zu Unbilligkeiten führen: Man denke etwa an den Fall, dass die unverheiratete Mutter der Vaterschaftsanerkennung ihres neuen Lebensgefährten zustimmt (§ 1595 I BGB), nicht aber der des leiblichen Vaters. Während einer vom leiblichen Vater unmittelbar angestrengten Anfechtung der Elternschaft des neuen Lebensgefährten kann nun gezielt eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind begründet werden, die der Anfechtung durch den leiblichen Vater entgegensteht.
Die Verfassungswidrigkeit des § 1600 II, III 1 BGB
Das BVerfG hat mit Urteil vom 9.4.2024 die Verfassungswidrigkeit des § 1600 II, III 1 BGB festgestellt und dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30.6.2025 zur Schaffung einer Neuregelung gesetzt (Az. 1 BvR 2017/21). Es betont, leibliche Väter werden in ihrem Elterngrundrecht gem. Art. 6 II 1 GG verletzt, wenn man ihnen die Anfechtung bestehender rechtlicher Vaterschaften und damit die Übernahme von Elternverantwortung dauerhaft versage.
Dem Gesetzgeber werden vom BVerfG zwei Reformmöglichkeiten eröffnet: Denkbar sei zunächst die Etablierung einer rechtlichen Dreielternschaft zwischen der Mutter, dem leiblichen und dem rechtlichen Vater. Diese Option ist freilich nicht unproblematisch, da im Elternnetz ein Spannungsverhältnis angelegt wäre, welches insbesondere das Wohl des Kindes beeinträchtigen könnte. Andernfalls könne aber auch an der Zweielternschaft festgehalten werden, wenn dem leiblichen Vater ein Verfahren an die Seite gestellt werde, das die Erlangung der rechtlichen Elternschaft erlaube.
Das Kindeswohl als Ausgangspunkt einer Reform des Anfechtungsrechts
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD finden sich keine Anhaltspunkte für eine Reform des Vaterschaftsanfechtungsrechts. In Rn. 2904 f. wird allerdings hervorgehoben, man werde sich bei „Reformen des Familienrechts […] vom Wohl des Kindes leiten lassen“. Dieser Betrachtungsansatz überzeugt gerade auch im Zusammenhang mit einer Fortentwicklung des § 1600 II, III 1 BGB: Die Interessen des Kindes dürfen keinesfalls bei dem Wechsel einer rechtlichen Elternperson unberücksichtigt bleiben. Nur auf diesem Wege lässt es sich etwa verhindern, Zuordnungsentscheidungen über „den Kopf des Kindes hinweg“ zu treffen und stabile Eltern-Kind-Bande zu zertrennen.
Einen überzeugenden kindeswohlorientierten Vorschlag unterbreitete insofern bereits der Diskussionsteilentwurf zur Reform des Abstammungsrechts, welcher vom BMJV im Jahr 2019 vorgelegt wurde: Nach einem § 1600a II 2 BGB-E BMJV soll eine Anfechtung der Vaterschaft des nur-rechtlichen Scheinvaters dann möglich sein, wenn „auch eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu dem oder der Anfechtenden besteht und diese Beziehung für das Kind wichtiger ist“. Es handele sich um eine „Abwägung zwischen den […] Klärungsinteressen des mutmaßlichen leiblichen Vaters und den Kindesinteressen“, wobei die Interessen des biologischen Elternteils bei erheblichen Beeinträchtigungen des Kindeswohl zurücktreten müssten.
Berücksichtigung des Kindeswohls auch im BMJ-Vorschlag eines § 1597i I 1 BGB-E aus dem Dezember 2024
Orientiert werden kann sich auch am Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Abstammungsrechts („AbReG“), den das BMJ am 9.12.2024 vorgestellt hat. Der Entwurf schlägt eine Neukonzeption des Abstammungsrechts vor, in deren Rahmen auch ein § 1597i BGB-E etabliert werden soll. Die Regelung wurde speziell vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG vom 9.4.2024 entwickelt und soll einen „angemessenen Ausgleich der sich gegenüberstehenden Grundrechten [sic!] unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls“ ermöglichen.
Nach § 1597i I 1 BGB-E AbReG ist eine Anfechtung der rechtlichen Elternstelle durch den leiblichen Vater trotz Bestehens einer „sozial-familiären Beziehung“ zwischen rechtlichem Elternteil und dem Kind dann möglich, wenn der Fortbestand der rechtlichen Elternschaft „nicht der Billigkeit entspricht“. Dafür sind nach § 1597i I 2 BGB-E AbReG das Wohl des minderjährigen Kindes und die berechtigten Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Nach § 1597i II BGB-E AbReG wiegt das Interesse des leiblichen Elternteils an der Einnahme der rechtlichen Elternstelle besonders schwer, wenn auch zwischen ihm und dem Kind eine „schutzwürdige sozial-familiäre Beziehung“ besteht.
Der Vorschlag überzeugt dem Grunde nach und bildete einen guten Ausgangspunkt für die Anpassung des Anfechtungsrechts. Zugelassen wird eine umfassende Würdigung des Kindeswohls und der Interessen des leiblichen Elternteils. Es könnte – wie auch im Diskussionsteilentwurf des BMJV aus dem Jahre 2019 – womöglich aber klarer herausgearbeitet werden, dass auch das „Sich-Bemühen“ um eine sozial-familiäre Beziehung durch den leiblichen Vater miterfasst wird. In der Praxis wird dieser nämlich (abseits der Fälle des § 1686a BGB) häufig vom Kind ferngehalten werden.
Kein Ausschluss der Vaterschaftsanerkennung während eines Feststellungsverfahrens
Nicht zielführend sind jedenfalls Gestaltungsansätze, welche die „missbräuchliche“ Anerkennung der Vaterschaft z.B. durch den Scheinvater während eines gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahrens ausschließen, um Anfechtungen von vornherein zu vermeiden. Vorgesehen ist eine solche Regelung etwa in § 1595 IV BGB-E AbReG. Letztlich führte ein solcher Ansatz zu einem „Wettlauf“ zwischen dem anerkennenden und feststellenden Elternteil und versetzte das Kind in eine unzumutbare „Zuordnungsschwebe“, die insbesondere dessen Wohl zuwiderliefe. Das Vaterschaftsanerkennungsrecht könnte an der Stelle unabhängig vom Vaterschaftsanfechtungsrecht oder Feststellungsrecht unter verstärkter Einbeziehung der Interessen des Kindes (etwa im Rahmen der Anerkennungszustimmung gem. § 1595 BGB) reformiert werden. Die Anpassung der Regelung des § 1600 II, III 1 BGB hat demgegenüber isoliert und etwa unter Zugrundlegung der bereits kindeswohlorientiert ausgestalteten § 1600a II 2 BGB-E BMJV und § 1597i I, II BGB-E AbReG zu erfolgen.
Zitiervorschlag: Lueg, Ole, Vater ohne Elternschaft: Wie steht es um die Reform des Anfechtungsrechts?, JuWissBlog Nr. 50/2025 v. 04.06.2025, https://www.juwiss.de/50-2025/
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