Bairisch ist keine eigene Sprache – oder doch?

von ROBERT BÖTTNER

Bairisch ist ein Lebensgefühl – das steht wohl außer Frage. Nun will der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte e.V. (FBSD) den bayerischen Dialekt als eigenständige Sprache völkerrechtlich anerkennen und schützen lassen. Dazu übergab der Verein einen von über 22.000 Unterschriften unterstützen Antrag zur Aufnahme der Bairischen Sprache sowie des Alemannisch-Schwäbischen und des Fränkischen in die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen an den Bayerischen Landtag. Doch Moment: Ist Bairisch tatsächlich – rechtlich – eine eigene Sprache?

Dialekt ist Kultur und Identität

Unbestritten ist, dass Sprache einen nicht unerheblichen Teil der eigenen und der Gruppenidentität ausmacht. Demgegenüber verschwanden sprachliche Varianten in der Vergangenheit immer stärker aus dem öffentlichen Leben und dem täglichen Gebrauch. Die Gründe dafür sind vielfältig. Dialekte werden immer seltener im familiären Umfeld weitergegeben, vielen deutschen Dialekten haftet auch etwas profanes und im Vergleich zum Hochdeutschen ungebildetes an (Bildungssprache ist die Standardsprache). Und auch die zunehmende Mobilität und die Kommunikation mit öffentlichen Stellen haben ihren Anteil daran. Gerade wegen des kulturellen Elements rückt die Bewahrung und Förderung des Dialektsprechens in jüngerer Zeit wieder in den Fokus öffentlicher und zivilgesellschaftlicher Bemühungen. In diesem Kontext nimmt es nicht Wunder, dass nun gerade das Bairische einen besonderen Schutzstatus bekommen soll.

Funktion der Europäischen Sprachencharta

Zu diesem Zweck soll Bairisch als geschützte Sprache in den Anwendungsbereich der im Rahmen des Europarats erarbeiteten Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen aufgenommen werden. Insgesamt 25 Staaten des Europarats haben die Charta ratifiziert. In Deutschland ist sie seit 1999 in Kraft. Anlässlich der Ratifikation hat die Bundesrepublik die folgenden Sprachen notifiziert: Dänisch, (Ober- und Nieder-)Sorbisch, Nordfriesisch und Saterfriesisch sowie die Sprache Romanes der deutschen Sinti und Roma als Minderheitensprachen und Niederdeutsch als Regionalsprache.

Für alle Regional- und Minderheitensprachen im Sinne der Charta gilt ein Mindestschutzniveau (Artikel 7), etwa die Anerkennung der jeweiligen Sprachen als Ausdruck kulturellen Reichtums und eine generelle Verpflichtung zur Förderung der Sprache sowie die Abschaffung jeder Diskriminierung gegenüber Sprecherinnen und Sprechern der betroffenen Sprachen. Für die bei der Ratifikation ausdrücklich benannten Sprachen übernimmt der Vertragsstaat darüber hinaus besondere Verpflichtungen in den Bereichen Bildung, Medien, Verwaltung, Kultur etc. Aufgrund der föderalen Struktur und der Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik bestimmen die Bundesländer, welche Schutzverpflichtungen sie für welche Regional- oder Minderheitensprache übernehmen. Für die Einhaltung müssen die Vertragsstaaten alle drei Jahre einen Bericht einreichen, den der Sachverständigenausschuss der Sprachencharta prüft und ggf. Empfehlungen an den Mitgliedstaat richtet.

In Deutschland hat die Sprachencharta zu einem verstärkten Bewusstsein für die Minderheiten- und Regionalsprachen geführt. Dies steht natürlich nicht singulär, sondern ist in Zusammenhang mit einem verstärkten Minderheitenschutz zu sehen. Gerade das Friesische und das Niederdeutsche (Plattdeutsch) haben seither Aufwind bekommen und mit Blick auf das Sorbische ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Brandenburg kontinuierlich ausgebaut worden. Immer öfter werden auch Sprachlernangebote für die Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland bereitgestellt.

Ist Bairisch eine eigenständige Regionalsprache?

Die Frage ist nun: Gehört auch Bairisch zu den Regional- oder Minderheitensprachen in Deutschland? Nach Art. 1 der Sprachencharta sind „Regional- oder Minderheitensprachen“ im Sinne der Charta „Sprachen, die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung des Staates, und die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden“. Gerichts– und Amtssprache in der Bundesrepublik sind Deutsch. Dass sich das Bairische hiervon zum Teil erheblich unterscheidet, bedarf hier keiner Vertiefung. Was nun aber eigentlich eine Sprache überhaupt ausmacht, dazu verhält sich die Charta nicht.

Allerdings sind, so bestimmt Art. 1 weiter, „Dialekte der Amtssprache(n) des Staates“ nicht vom Anwendungsbereich erfasst. Wo allerdings ein Dialekt aufhört und eine eigene Sprache beginnt, ist selbst in der Sprachwissenschaft umstritten. Letztlich kommt es nicht allein auf linguistische Aspekte an. Auch politische Erwägungen spielen dabei eine Rolle. Zugespitzt formuliert hat es der Sprachwissenschaftler Max Weinrich: „Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine“. Den Status als eigenständige Regionalsprache attestieren dem Bairischen mehrere Gutachten, auf die sich die Initiative stützt (hier, hier und hier).

Richtig ist, worauf die Initiatoren auch verweisen, dass die UNESCO das Bairische – wie beispielsweise auch das Ostfränkische oder das Mosel-Fränkische – als bedrohte Sprache identifiziert hat. Rechtlich gesehen ist dies aber zumindest für die Sprachencharta unerheblich. Nach Ansicht der Bundesrepublik sind mit den oben genannten und notifizierten Sprachen „alle Sprachen in Deutschland erfasst, die als Regional- oder Minderheitensprachen für einen Schutz nach der Charta in Betracht kommen“ (S. 5). Dies ist völkerrechtlich als eine (von den übrigen Vertragsstaaten zumindest konkludent angenommene) Interpretationserklärung i.S.v. Art. 31 Abs. 2 b) der Wiener Vertragsrechtskonvention zu werten, die bei der Auslegung der Sprachencharta zu berücksichtigen ist. Die Bundesregierung hat damit abseits soziolinguistischer Debatten den Anwendungsbereich der Sprachencharta in Deutschland (völker)rechtsverbindlich definiert. Bairisch ist damit, trotz landespolitischem Zuspruch zur Initiative, keine Minderheiten- oder Regionalsprache, sondern ein außerhalb des Anwendungsbereichs der Charta liegender Dialekt. An dieser Rechtseinschätzung hat sich seit der Ratifikation nichts ersichtlich geändert.  

Dialektförderung geht auch ohne völkerrechtlichen Vertrag

Mit der Ausklammerung der Dialekte meint die Sprachencharta aber nicht, dass diese nicht schutzwürdig seien. Vielmehr soll dadurch die Wirksamkeit der Charta nicht durch ein Klein-Klein der Sprachvarianten überfordert werden. Dass die Charta Schutz nicht verkürzen, sondern möglichst breit eröffnen will, zeigt die den Vertragsstaaten grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, auch „in ihrem gesamten Hoheitsgebiet oder einem Teil desselben weniger verbreitete Amtssprachen“ unter spezifischen Schutz zu stellen (Art. 3 Abs. 2).

Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Einbeziehung einer Sprache in die Sprachencharta nichts erlaubt, was die Staaten nicht ohnehin schon tun könnten. Abgesehen davon, dass der Gebrauch sowohl von Minderheitensprachen als auch von Dialekten grundrechtlich geschützt ist (nicht zuletzt durch die Allgemeine Handlungsfreiheit, aber auch spezialgrundrechtlich), steht es den Bundesländern frei, in Kindergärten, Schulen, im Alltag oder im öffentlich rechtlichen Rundfunk (etwa § 5 Abs. 2 des NDR-Staatsvertrags) regionale Sprachen und Sprachvarianten aktiv zu fördern. Beispiele gibt es viele, etwa den neuen Landespreis für Dialekt in Baden-Württemberg oder die Kampagne „So geht Sächsisch“. Gleiches gilt für den Freistaat Bayern und den dortigen Dialekt. Aber ungeachtet des konkreten Ausgangs der Initiative des FBSD ist die Bewahrung von Sprache und Sprachvielfalt ein begrüßenswertes Ziel.

Zitiervorschlag: Böttner, Robert, Bairisch ist keine eigene Sprache – oder doch?, JuWissBlog Nr. 17/2025 v. 18.02.2025, https://www.juwiss.de/17-2025/

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Bairisch, Dialekt, Minderheitensprache, Regionalsprache
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