Dieser Blogbeitrag erhebt nicht den Anspruch, professionelle Ratschläge zur psychischen Gesundheit zu geben. Der Autor reflektiert lediglich persönliche Erfahrungen und das, was er insbesondere in Studien im Bereich der psychischen Gesundheitsforschung gelesen hat. Wenn es Dir psychisch nicht gut geht, solltest Du Dich an den psychologischen Dienst Deiner Universität (sofern vorhanden) oder an einen Psychotherapeuten wenden. Die hier beschriebenen Risiken sind aber auch keinesfalls bei jeder Promotion zu erwarten. Auf dem Völkerrechtsblog ist eine englische Version des Beitrags veröffentlicht, der sich auf die speziellen Umstände während der Promotion im Völkerrecht konzentriert.
Wer überlegt, ob er/sie in der Rechtswissenschaft promovieren soll, dem/der wird in der Regel dazu geraten. Die Promotion wird allgemein als intellektuell anregende und schöne Zeit beschrieben, bei der nur die letzte Phase stressig ist. Du kannst die Freiheit der Forschung genießen und Dich intensiv mit einem Thema beschäftigen, für das Du Dich begeistert, und zum/zur Expert:in auf diesem Gebiet werden. Auch wenn Du keine akademische Laufbahn anstrebt, wird sich ein Dr. iur. positiv auf Deine berufliche Laufbahn auswirken. Das Vertrauen, das Dir Dein:e künftige:r Betreuer:in entgegenbringt, schmeichelt Dir und bestärkt Dich darin, dass Du das schaffen wirst. Wenn Kommiliton:innen Dir nahelegen, dass sie sich ein solch langfristiges Unterfangen nicht zutrauen würden, wirst Du das wahrscheinlich weniger als Warnung denn als Anerkennung Deiner Fähigkeiten wahrnehmen.
In dieser Phase vor der Promotion wirst Du kaum mit mahnenden Stimmen konfrontiert. Dennoch haben viele Promovierte negative Erfahrungen gemacht. Über psychische Probleme wird besonders wenig berichtet. Bücher, die als Leitfaden für die juristische Promotion dienen sollen, schweigen in der Regel zu psychischer Gesundheit (siehe z.B. hier und hier). Dieses Buch enthält immerhin ein Kapitel über Krisenmanagement, das jedoch eher oberflächlich ist und psychische Erkrankungen ausspart. Diese Neuerscheinung von Daria Bayer und Jan-Robert Schmidt ist meines Wissens der erste deutschsprachige Promotionsratgeber, das sich explizit in einem ganzen Kapitel mit dem Thema „mental health“ beschäftigt). Ich habe nur zwei Blogposts von Jurist:innen gefunden, die sich dem Thema psychische Gesundheit im akademischen Bereich widmen (siehe hier und hier; dieser Blogpost aus dem Jahr 2012 schreibt von „emotional challenges“). In den sozialen Netzwerken berichten immer mehr Doktorand:innen über Schwierigkeiten mit der psychischen Gesundheit. Oft werden diese jedoch in einen eher humorvollen Kontext gestellt.
Das Fehlen von warnenden Stimmen steht im Widerspruch zu den vielen empirischen Studien der letzten Jahre, die zeigen, dass Doktorand:innen – unabhängig von der Fachrichtung – deutlich mehr mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben als der Bevölkerungsdurchschnitt (siehe z. B. hier, hier und hier). Diese Studien wurden zwar nicht speziell für die Rechtswissenschaft durchgeführt. Ich denke jedoch, dass die Studien den allgemeinen Zustand widerspiegeln, unabhängig von Forschungsbereich und Thema.
Dieser Blogpost soll zunächst das Bewusstsein für die Gefahr von psychischen Problemen während der Promotion schärfen und mögliche Faktoren nennen, darunter solche, die möglicherweise besonders relevant für Doktorand:innen in der Rechtswissenschaft sind. Er soll nicht dazu dienen, von einer Promotion abzuraten. Eine abgeschlossene Promotion kann eine positive und intellektuell anregende Erfahrung sein und viele Vorteile für die künftige Karriere mit sich bringen. Der zweite Teil dieses Beitrags erörtert einige Vorschläge, wie Doktorand:innen mit psychischen Problemen umgehen können. Der dritte Teil befasst sich mit der Rolle der Betreuer:innen und Institutionen bei der Unterstützung und Prävention psychischer Probleme von Doktorand:innen.
Die Vorschläge in diesem Blogpost basieren zwar auf psychologischen Studien, sind aber auch auf meine Erfahrungen als Doktorand zurückzuführen und erheben nicht den Anspruch, eine professionelle Beratung darzustellen. Meine Erfahrungen sind geprägt von meiner persönlichen Geschichte als Doktorand in bestimmten institutionellen Umfeldern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich kann und will nicht für alle Doktorand:innen sprechen.
Die Studienlage zur Gefahr für die psychische Gesundheit von Doktorand:innen
Viele Studien zeigen, dass Doktorand:innen häufiger an Depressionen, Angstzuständen und dem sog. Imposter-Syndrom leiden als Student:innen oder Hochschulabsolvent:innen im Berufsleben (siehe z.B. hier, hier und hier). Es wurden verschiedene Faktoren ermittelt, die zu psychischen Problemen bei Doktorand:innen beitragen, darunter Arbeitsbelastung, Probleme in der Betreuungsbeziehung, mangelnde Transparenz der universitären Prozesse, finanzielle Unsicherheit, ungewisse Karriereaussichten, Wettbewerb, Isolation und Perfektionismus.
Durch Promotionskolleg:innen sowie verschiedene Forschungsaufenthalte im Ausland habe ich den Eindruck gewonnen, dass gerade in renommierten Einrichtungen, in denen viele leistungsstarke Doktorand:innen zusammenkommen, ein großer Teil der psychischen Probleme zutage tritt. Was ich bei meinen Forschungsaufenthalten in einem dieser renommierten Institute äußerst auffallend fand, war der Wettbewerb untereinander, dem sich die Doktorand:innen (unfreiwillig) aussetzten. Erfolgsgeschichten (z.B. akzeptierte Abstracts oder Aufsätze, Stellen als Lehrbeauftragter, Jobs in internationalen Institutionen usw.) wurden zwar immer mitgeteilt, aber nie als etwas Besonderes gefeiert. Sie wurden nur als etwas angesehen, das man braucht, um mit den anderen mithalten zu können. Viele Doktorand:innen hatten das Gefühl, dass sie niemals das erreichen könnten, was andere bereits erreicht haben. Diese Atmosphäre führt zu einem Teufelskreis, in dem eine Leistung nie genug ist. Die Erhöhung des Arbeitspensums, insbesondere an den Wochenenden, ist hierdurch gerechtfertigt, wenn nicht sogar die Regel.
Gibt es Faktoren, die für Doktorand:innen in der Rechtswissenschaft eine besondere Rolle spielen? In Ermangelung von Daten sind nur einige Vermutungen möglich, und viele dieser Faktoren gelten natürlich auch für andere Disziplinen. (1) Die Hierarchien sind in der Rechtswissenschaft traditionell eher steil. Professor:innen pflegen regelmäßig ein formelles Verhältnis mit einer gewissen Distanz zu ihren Doktorand:innen. Das kann bei diesen zu dem Gefühl mangelnder Sichtbarkeit und fehlender Wertschätzung führen. Es kann zudem eine Hürde schaffen, persönliche Probleme anzusprechen. (2) Generell wird in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung, in der viel Leistungs- und Leidensbereitschaft verlangt wird, immer wieder der Eindruck vermittelt, dass Sorgen um die psychische Gesundheit keinen Platz haben, wie der hohe Wellen schlagende Artikel „Der Bachelor ist ein Loser-Abschluss“ von Tiziana Chiusi, Vorsitzende des Deutschen Juristen-Fakultätentages, in der FAZ letztes Jahr eindrücklich zeigt (siehe hier für eine gelungene Antwort). (3) Doktorand:innen, die nicht einem Promotionskolleg oder einer Forschungsgruppe zugehören, sind mit ihrem Thema häufig alleine gelassen, denn die Kolleg:innen am Lehrstuhl oder Mitstipendiat:innen forschen zu ganz anderen, spezifischen Fragestellungen und können sich in der Tiefe nicht auf die Forschung anderer einlassen. (4) Viele Doktorand:innen, die ihre Promotion nach dem ersten Staatsexamen beginnen, schließen ihre Promotion nicht vor Beginn des Referendariats ab. Die Gründe hierfür sind vielfältig: schlechtes Timing; langes Warten auf die Erstkorrektur oder das Gutachten des/der Betreuer:in; das Gefühl, bei der langen Ausbildungszeit zu alt für den Berufseinstieg zu sein; Fehleinschätzung der Intensität im Referendariat oder der Restarbeit an der Dissertation. Der Abschluss der Promotion während des Referendariats bedeutet zusätzlichen Stress zur ohnehin schon sehr anstrengenden Ausbildung, insbesondere wenn der Examenstermin näher rückt.
Was Doktorand:innen tun können
Die Vorstellung, dass nur die letzte Phase der Promotion anstrengend ist, ist also offensichtlich ein Mythos. Einige Faktoren wie Arbeitsbelastung, finanzielle Unsicherheit oder ungewisse Karriereaussichten können sich zum Ende hin verstärken. Auch wird die juristische Promotionszeit nach der enormen psychischen Belastung im Jurastudium und insbesondere vor den Staatsexamina im Vergleich anfangs möglicherweise noch als gute Phase empfunden. Die oben beschriebenen Faktoren für psychische Probleme können jedoch zu jedem Zeitpunkt der Promotion auftreten. Es ist ratsam, sich im Voraus Gedanken darüber zu machen, ob und wie man sie vermeiden oder mit ihnen umgehen kann. Da die Anfälligkeit für psychische Probleme auch von der Persönlichkeit und persönlichen Umständen abhängt, sind die folgenden Vorschläge nicht für jede:n gleich nützlich.
- Die Leidenschaft für die Forschung kann vor Depressionen schützen. Du solltest Dir Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, warum Du promovieren möchtest. In einem lesenswerten Blogbeitrag gibt Douglas Guilfoyle eine Antwort auf die Frage, was die Motivation für eine Doktorarbeit sein sollte: „because I want to, I feel I’m not done studying and learning“. Damit verbunden ist die Wahl des Themas der Doktorarbeit. Es sollte für lange Zeit Dein Interesse hochhalten können (auch geplante Schnellzeitpromotionen ziehen sich häufig in die Länge). Wenn das Thema von dem/der Betreuer:in vorgegeben wird, es aber nicht Deine Leidenschaft weckt, sprich ihn/sie darauf an. Ein:e gute:r Betreuer:in sollte in der Lage sein, das Thema gemeinsam mit Dir so zu gestalten, dass es Euer beiden Interessen entspricht, oder Dich an eine:n Kolleg:in zu verweisen.
- Die Betreuung spielt eine zentrale Rolle während der Promotion. Die Beziehung zum/zur Betreuer:in kann Auswirkungen auf Deine psychische Gesundheit haben. Du solltest ihn/sie mit Bedacht wählen und (ehemalige) Doktorand:innen fragen, ob sie sich von ihm/ihr gut betreut fühlen. Wenn Dich ein:e Professor:in fragt, ob Du bei ihm/ihr promovieren möchtest, solltest Du dies nicht als einmalige Gelegenheit betrachten. Vor allem an weniger bekannten Universitäten gibt es Möglichkeiten für eine Promotion, auch wenn Du mit dem/der Professor:in noch nicht bekannt bist. Du solltest auch gut überlegen, ob Du für Deine:n Betreuer:in arbeiten möchtest, da Du Dich dadurch in eine doppelte Abhängigkeit begibst. Die Angst vor der Auswirkung einer möglichen Unzufriedenheit mit Deiner Arbeit auf die Benotung der Dissertation kann dazu führen, dass Du mehr arbeitest als vertraglich vorgesehen, dass Du Dir ständig Sorgen um die Qualität Deiner Arbeit machst und Du eine hohe Arbeitsbelastung oder die Betreuungsperson als Arbeitgeber nicht kritisieren möchtest. Du solltest Dir bewusst sein, dass es Betreuer:innen gibt, die diese doppelte Abhängigkeit bewusst ausnutzen. Alternativ kannst Du z.B. bei einem anderen Lehrstuhl oder in einer Kanzlei arbeiten. Weiterhin kannst Du Dich um ein Promotionsstipendium bewerben. Ein solches erlaubt Dir, Dich voll auf Deine Forschung zu konzentrieren. Um der Gefahr der Isolation und Einsamkeit vorzubeugen, kannst Du als Fellow an ein Institut gehen oder in (reduzierter) Teilzeit arbeiten.
- Strukturiere Deine Arbeit! Es hilft, sich einen festen Arbeitsanfang und ein festes Arbeitsende zu setzen und ausreichend Pausen einzuplanen. Langes Arbeiten an der Doktorarbeit ist ineffektiv. Auf lange Sicht kannst Du mehr erreichen, wenn Du weniger arbeitest. Empfehlenswert ist eine Planung in kleinen Aufgaben. Statt von Kapitel zu Kapitel zu denken, sollten konkretere Ziele formuliert werden, die messbar und erreichbar sind. Auf diese Weise kann Frustration vermieden werden. Wenn es keine institutionelle Struktur gibt, etwa regelmäßige Kolloquien, solltest Du nach Möglichkeiten suchen, Deine Forschung anderweitig zu präsentieren. Eine kleine Gruppe mit anderen Doktorand:innen, die sich regelmäßig trifft, um ihre Fortschritte zu präsentieren, kann sehr hilfreich sein. Um sich nicht mit den anderen zu sehr zu vergleichen, kann es ratsam sein, wenn diese nicht aus Deinem speziellen Forschungsgebiet kommen. Präsentiert nicht nur Eure Fortschritte, sondern teilt auch Eure Schwierigkeiten!
- Soziale Unterstützung kann sehr wichtig für die psychische Gesundheit sein. Um sich mit (psychischen) Problemen nicht alleine zu fühlen, sollte man ein Netzwerk von Menschen um sich herum wissen, mit denen man über diese sprechen kann. Das können z.B. der/die Partner:in, Geschwister, Freund:innen, Kolleg:innen oder Vertrauensdozent:innen sein. Ich habe während der Promotion meinen engen Freund:innen von meinen psychischen Problemen erzählt. Sie haben mich ermutigt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ohne sie hätte ich diesen Schritt vielleicht lange hinausgezögert, was meinen Zustand ernsthaft hätte verschlimmern können. Es ist keine Schande, seine Verletzlichkeit zuzugeben und Hilfe zu suchen.
- Wenn Du professionelle Hilfe benötigst, ist es wichtig, zu wissen, wo Du sie erhältst. Es schadet nicht, sich vor Beginn der Promotion (und auch ganz unabhängig von dieser) zu informieren, wo und wie professionelle Hilfe zu erreichen ist. Einige Universitäten bieten für Student:innen und Mitarbeiter:innen eine kostenlose psychologische Beratung an. Hier erfährst Du eine erste Hilfe, Dein Zustand wird professionell beurteilt und Du kannst beraten werden, wie Du weiter vorgehen sollst. Für eine Psychotherapie gibt es häufig lange Wartelisten. An Ausbildungsinstituten für Psychotherapie oder niedrigschwelligen Einrichtungen wie der Seelsorge oder der Lebensberatung sind die Wartezeiten oft deutlich kürzer. In Notsituationen kann ein öffentlicher Krisendienst in Anspruch genommen werden.
- Nicht zuletzt sollte die Bedeutung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Arbeit und Freizeit im Alltag nicht unterschätzt werden, denn dies ist wichtig, um Deine Energie, Kreativität und Leidenschaft für Deine Doktorarbeit zu erneuern. Im Allgemeinen können eine Runde Sport, soziale Aktivitäten oder Ruhephasen am Tag sehr effektiv sein, um Deine negativen Gedanken zu stoppen und Dir zu helfen, zu erkennen, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt als die Doktorarbeit und den akademischen Erfolg.
Was Betreuer:innen und Institutionen wissen sollten und was sie tun können
Was Doktorand:innen individuell gegen psychische Probleme unternehmen können, hilft nur bedingt, wenn das institutionelle Umfeld nicht gut ist. Hier sollte in erster Linie Verantwortung bei den Betreuer:innen gesucht werden, da sie das Wohlbefinden ihrer Doktorand:innen stark beeinflussen können. Es besteht nachweislich ein Zusammenhang zwischen starken, unterstützenden und positiven Beziehungen zwischen Betreuer:innen und Doktorand:innen und weniger Angstzuständen und Depressionen. Aber was genau kann ein:e Betreuer:in tun, um sicherzustellen, dass die Doktorand:innen weniger von psychischen Problemen betroffen sind?
- Ein:e Betreuer:in sollte sich seiner/ihrer Rolle für den psychischen Zustand der Doktorand:innen bewusst sein. Ich habe den Eindruck, dass einige Professor:innen sehr resilient sind oder selbst (während ihrer Promotion) von psychischen Problemen verschont wurden, was ein Grund (von vielen) dafür sein könnte, dass sie überhaupt Professor:innen geworden sind. Andere haben möglicherweise die psychischen Probleme, die sie erlebt haben, verdrängt oder aufgearbeitet – und manche scheinen zu denken, dass neue Doktorand:innen es nicht leichter haben sollten als früher, eine Einstellung, die offensichtlich fragwürdig ist.
- Der/die Betreuer:in sollte dem/der Doktorand:in frühzeitig klarmachen, dass die Promotion eine psychisch sehr herausfordernde Zeit sein kann. Ein ehrlicher Bericht über die eigenen Erfahrungen als Doktorand:in oder Betreuer:in kann deutlich machen, dass psychische Probleme weit verbreitet sind und kein persönliches Versagen darstellen. Ein:e Betreuer:in kann auch erklären, was zu tun ist, wenn psychische Probleme auftreten, sich selbst als Ansprechpartner:in anbieten (wenn er/sie sich dafür kompetent fühlt) und auf Stellen hinweisen, die professionelle Hilfe anbieten. Zudem sollte betont werden, dass Misserfolge wie umfangreiche Rückmeldungen zu oder Ablehnungen von Beiträgen, Kritik auf Konferenzen oder Frustration in der Lehre zum akademischen Alltag dazu gehören und kein persönliches Versagen bedeuten. Wenn so etwas passiert, sollte ein:e Betreuer:in Unterstützung anbieten und Bewältigungsstrategien erklären.
- Ein:e Betreuer:in sollte seine/ihre Doktorand:innen unterstützen und ihnen nicht das Gefühl von Gleichgültigkeit vermitteln. Nicht alle Doktorand:innen brauchen das gleiche Maß an Unterstützung, aber ein regelmäßiges Feedback ist für die meisten wichtig. Außerdem können sich Struktur und Leitlinien positiv auf die psychische Gesundheit auswirken. E-Mails, Anfragen zur Begutachtung eines Kapitels oder Abstracts, die Anfertigung des Votums, etc. sollten nicht ignoriert oder lange Zeit ohne Erklärung unbeantwortet gelassen werden, da Warten unweigerlich zu Fragen führt wie: „Habe ich schlechte Arbeit geleistet?“ und „Bin ich dem/der Betreuer:in egal?“. Es sollte für ein positives soziales Klima am Lehrstuhl gesorgt werden. Dazu gehören unter anderem regelmäßige Treffen, Transparenz, gute Kommunikation und Gleichbehandlung (hier und hier finden sich weitere Anregungen). Eine einfache Frage, wie es läuft, ob es Schwierigkeiten gibt oder ob die Arbeitsbelastung derzeit zu hoch ist, kann oft schon dafür sorgen, dass sich die Doktorand:innen gesehen und verstanden fühlen und sich trauen, Probleme offen anzusprechen.
- Ein:e Betreuer:in sollte es vermeiden, seine/ihre Doktorand:innen, wenn diese für ihn/sie arbeiten, mit Aufgaben zu überlasten und sie mehr als die arbeitsvertraglich vereinbarte Zeit oder an Wochenenden/in der Urlaubzeit arbeiten zu lassen. Aufgrund der doppelten Abhängigkeit ist es für viele Doktorand:innen schwierig, angemessene Grenzen zu ihrem/ihrer Betreuer:in zu ziehen.
Auch Institutionen, an denen Doktorand:innen forschen, können Maßnahmen ergreifen, um deren psychisches Wohlbefinden zu verbessern. Das Betreuungsverhältnis sollte nicht allein der Verantwortung der Betreuer:innen überlassen werden. Die meisten Betreuer:innen leiten die Doktorand:innen in ihrer Arbeit an, ohne jemals in dieser Hinsicht beurteilt zu werden. Führungsqualitäten sind keine Voraussetzung für eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn.
In einigen Ländern, z.B. in Großbritannien, wurden Maßnahmen eingeführt, um die Faktoren zu minimieren, die eine Rolle für psychische Probleme bei Doktorand:innen spielen können. Bei guter Umsetzung, die auch in diesen Ländern leider nicht vollumfänglich gewährt ist, sind die Maßnahmen aus meiner Sicht erfolgversprechend: (1) Etablierung von Vertrauensdozent:innen (siehe z.B. hier und hier); (2) regelmäßige Treffen mit Betreuer:innen und work-in-progress Foren, in denen die Doktorand:innen ihre Forschungsergebisse vorstellen können; (3) Regulierung der Anzahl der Doktorand:innen pro Betreuer:in; (4) um die Abhängigkeit vom Betreuer:in zu verringern, sollte die Bewertung der Doktorarbeit nicht in den (alleinigen) Händen des/der Betreuer:in liegen, z.B. durch Hinzunahme externer Prüfer:innen; (5) Einführung von Konsequenzen und automatischen Mechanismen, wenn Betreuer:innen/Prüfer:innen das Votum nicht rechtzeitig einreichen (siehe auch hier in den Abschnitten 75-95).
Eine juristische Promotion kann eine positive und intellektuell anregende Zeit sein, wenn die Bedingungen stimmen. Damit dies der Fall ist, muss der psychischen Gesundheit von Doktorand:innen insgesamt mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wer eine Promotion in Erwägung zieht, sollte sich der Risiken für die eigene psychische Gesundheit bewusst sein und wissen, wie er/sie diesen vorbeugen und mit ihnen umgehen kann. Es erfordert auch die Bereitschaft der Betreuer:innen und Institutionen, Veränderungen zugunsten der psychischen Gesundheit der Doktorand:innen vorzunehmen. Schon mit einfachen Maßnahmen lässt sich viel Leid verhindern.
Ich habe mich dazu entschieden, den Beitrag anonym zu veröffentlichen. Auch wenn ich überzeugt bin, dass psychische Gesundheit kein Tabu-Thema sein darf, werde ich die Wissenschaft bald verlassen und weiß nicht, wie zukünftige Arbeitgeber:innen, Kolleg:innen, Mandant:innen oder Gegenparteien auf die hier geteilten persönlichen Informationen reagieren werden.
Zitiervorschlag: Psychische Herausforderungen während der juristischen Promotion, JuWissBlog Nr. 28/2023 v. 12.05.2023, https://www.juwiss.de/28-2023/.
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