Im Vorlauf zur ATÖR 2019 haben wir mit Dr. Johan Horst, Referent im Panel „VerfassungsBilder“, über seinen heutigen Vortrag zum Thema „Gewaltenteilung und Gewaltengliederung in der transnationalen Konstellation“ gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Andreas Fischer-Lescano an der Universität Bremen.
JuWiss: Gewaltenteilung und Gewaltengliederung sind Grundsätze, die wir in allererster Linie mit dem Nationalstaat und dessen Verfasstheit in Verbindung bringen. Ist diese Kopplung der Grundsätze an das Staatenkonzept notwendige Voraussetzung?
Horst: Verfassungsstaatliche Lesarten koppeln Gewaltenteilung und -gliederung in der Tat über den Grundsatz der Selbstgesetzgebung in der Regel recht eng an Vorstellungen einer einheitlichen Staatsgewalt im Sinne der Bevölkerungssouveränität. Diese Lesart ist – dies zeigt die Herausbildung der Grundsätze der Gewaltenteilung und -gliederung – allerdings keineswegs zwingend. So war etwa die Gewaltenteilung – verstanden als Aufteilung politischer Machtausübung – bei Montesquieu nicht bezogen auf die Vorstellung einer einheitlichen Staatsgewalt, sondern auf die Pluralität sozialer Gewalten im status mixtus, d.h. auf die Partizipation unterschiedlicher Normativkräfte an der Rechtsgewalt.
Auch für die Gewaltengliederung – verstanden als die funktionale Gliederung in legislative, judikative und exekutive Elemente – ist die Engführung auf ein Organisationsprinzip des Verfassungsstaates nicht wirklich plausibel. Hier geschieht meines Erachtens, was Kelsen schon für die Staatsgewalt beobachtet hatte und was schon vielfach angemerkt wurde: Die verfassungsstaatliche Lesart nimmt eine spezifische (verfassungsstaatliche) Institutionalisierungsform der Gewaltengliederung für das Wesen der Gewaltengliederung selbst. Schon bei Aristoteles lässt sich aber aufzeigen, dass mit der funktionalen Gewaltengliederung nicht bloß ein verfassungsstaatliches Organisationsprinzip gemeint ist, sondern ein Merkmal rechtlicher Ordnung schlechthin. Auch Rechtstheoretiker wie Kelsen oder Hart erklären deshalb die funktionale Gewaltengliederung aus den Eigenheiten rechtlicher Normativität selbst. Recht zeichnet sich danach wesentlich dadurch aus, dass sich legislative, judikative und exekutive Elemente analytisch (und nicht zwingend auch als institutionalisierte Realformen) unterscheiden lassen. Gewaltenteilung und -gliederung lassen sich also auch ohne Verweis auf Staatlichkeit rekonstruieren.
JuWiss: Wie wären diese Grundsätze und unser Verständnis davon auf der transnationalen Ebene anzupassen?
Horst: Die transnationale Konstellation zeichnet sich durch zwei ineinandergreifende Prozesse aus: Erstens meint dieser Begriff, dass es zur Herausbildung von Bereichsordnungen kommt, deren Geltungsgrund nicht auf staatliches oder zwischenstaatliches Recht zurückgeführt werden kann (genuin transnationales Recht). Diese Bereichsordnungen sind in Bezug auf die Rechtsgeltung autonom. Zweitens ist mit der transnationalen Konstellation ein gleichzeitig ablaufender Prozess gemeint, der darin besteht, dass die Erzeugung, Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen auf nationaler, internationaler und supranationaler Ebene zunehmend von hybriden Akteuren mitgeprägt wird (Transnationalisierung).
Für die Gewaltengliederung im internationalen Recht gibt es vor allem mit den Analysen von Christoph Möllers aber etwa auch mit den Ansätzen der Internationalen Öffentlichen Gewalt sowie des Global Administrative Law sehr elaborierte Theorien. Diese Ansätze bauen – trotz erheblicher Unterschiede im Detail – weitgehend auf der Begründung der Gewaltengliederung aus individueller und demokratischer Legitimation auf. Für die transnationale Konstellation müssen wir unser Verständnis von Gewaltenteilung und -gliederung aber noch in zwei Hinsichten erweitern: Erstens ist der Bezugspunkt der transnationalen Gewaltenteilung nicht in erster Linie die Aufteilung einer auf eine (globale) Gemeinschaft verweisenden einheitlichen Rechtsgewalt, sondern die Vermittlung polyzentrischer und konkurrierender gesellschaftlicher Gewalten auf den unterschiedlichen Ebenen transnationaler Normerzeugung. Neben staatlichen, internationalen, supranationalen Institutionen sowie Gruppierungen außerhalb und innerhalb staatlicher Zusammenhänge, die als gesellschaftliche Kräfte die normative Abstützung ökonomischer Austauschbeziehungen vorantreiben, müssen hier subalterne Bewegungen, die um Anerkennung, Umverteilung, Überleben streiten, bürgerliche, kosmopolitische Agenden unterschiedlichen Zuschnitts, nicht durch Staaten repräsentierte Personengruppen und nicht zuletzt Interessen von rechtlich gar nicht als Subjekten erfassten Entitäten (u.a. Natur, nichtmenschliches Leben) viel stärker als bisher zur Geltung gebracht werden. Gewaltenteilung als Partizipation einer Pluralität der Normativkräfte besteht mithin in der Realisierung des Ideals gleicher Mitwirkungsrechte an der transnationalen Rechtserzeugung. Nur auf diese Weise kann transnationales Recht ökologischen, natürlichen und gesellschaftlichen Anforderungen gerecht werden.
Dabei werden wir zweitens die legislativen, judikativen und exekutiven Elemente – in Anerkennung der Tatsache, dass es sich hierbei nicht um ein Merkmal der Staatsorganisation, sondern um eine Eigenschaft des Rechts selbst handelt – nur erfassen können, wenn wir sie in ihrer Vielgestaltigkeit beschreiben und systematisieren. Hier führt die einseitige Orientierung an den staatlichen Institutionalisierungsformen nicht weiter. Als legislative Elemente sind z.B. auch transnationale Vertragsnetzwerke einzuordnen, die die Infrastruktur ganzer Märkte bilden. Judikative Elemente nehmen hier Formen an, die von zivilgesellschaftlichen Verfahren in der Tradition der Russel-Tribunale bis hin zu vertragsbasierten Auslegungsinstanzen reichen und die eingebunden sind in ein heterarchisches Netzwerk nationaler, internationaler, sowie bereichsspezifischer Spruchkörper. Exekutive Elemente bestehen neben der Inanspruchnahme staatlicher Durchsetzungsinstrumente (die im Übrigen keineswegs als Angewiesenheit transnationalen Rechts auf nationale Durchsetzungsgewalt fehlgedeutet werden sollte) auch in genuin transnationalen Formen. Hierzu gehören vertragsbasierte Formen wie die Verrechnung, Kollateralisierung und Abwicklung von Ansprüchen ebenso wie Sanktionsandrohungen gesellschaftlicher pressure groups (Konsumenten, Streiks, etc.).
JuWiss: Wie ist es um die Gewaltenteilung und Gewaltengliederung in der Europäischen Union bestellt? Gibt es hier einen Anpassungsbedarf?
Horst: In Bezug auf die Union macht mir vor allem eine Tendenz Sorgen, die die Herausbildung von Normen und Standards zunehmend auf Foren verlagert, in welchen nationale Parlamente, ebenso wie das Europäische Parlament, aber auch zivilgesellschaftliche Gruppen von der Normerzeugung weitgehend ausgeschlossen werden. Dies bedeutet nicht nur eine Verschiebung hin zur Exekutive, sondern allgemeiner die Beschränkung der Beteiligung an der Normerzeugung.
So sind etwa in jüngerer Zeit durch Freihandelsabkommen (insbesondere im CETA) Ausschüsse geschaffen worden, welchen die Fortentwicklung wichtiger regulatorischer Normen obliegt. Schon im Ansatz ist hier ungeklärt, wie genau die parlamentarische und zivilgesellschaftliche Beteiligung so abgesichert werden soll, dass ihre Rolle nicht lediglich auf ein nachträgliches Abnicken von Ergebnissen reduziert wird. Eine partizipatorische Gewaltenteilung würde hier eine viel stärkere und frühzeitigere Einbindung einer Varietät von Stimmen bei der Normbildung erfordern.
Ferner sind gerade besonders strittige Vorhaben in der Union oft an den – ohnehin eher schwach ausgebildeten gewaltenteiligen Strukturen der Union – vorbei realisiert worden. Dies gilt etwa für den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Hier wurde bewusst die Flucht ins Völkerrecht gesucht, um die partizipatorischen Strukturen in der Union zu umgehen. Ähnlich liegt der Fall beim Handeln der Troika in Bezug auf Griechenland durch Memoranda of Understanding. Der EUGH hat diese und andere Handlungsformen bekanntlich gebilligt. Sie bleiben gleichwohl aus Perspektive einer partizipatorischen Gewaltenteilung bedenklich. Ein aktuelles Beispiel ist der Europäische Verteidigungsfonds. Um die eigentlich im Rahmen der GASP einschlägigen Normen des EUV zu umgehen, wird versucht diesen Fonds auf Kompetenznormen der Markt- und Industrieförderung aus dem AEUV zu stützen. Wir brauchen in der Union (und vor allem in der Kommission) ein viel stärkeres Bewusstsein dafür, dass ein derart flexibler Umgang mit Kompetenznormen und Beteiligungsrechten mittelfristig die eigene Legitimität untergräbt.
Schließlich gibt es im Zuge der Transnationalisierung auch in der Union die Tendenz die Entwicklung vermeintlich eher technischer Standards auf hybride Foren auszulagern. So werden etwa bedeutende Vorschriften zur Rechnungslegung in unterschiedlichen Foren transnationaler Behördenkooperation unter Mitwirkung von Markteilnehmerinnen so stark vorgezeichnet, dass dem Unionsrecht hier oft nur mehr die Aufgabe der Inkorporation anderweitig entwickelter Normen verbleibt. Die Beteiligung auf Behördenebene kompensiert hier nicht die mangelnde parlamentarische und zivilgesellschaftliche Einbindung. Dies gilt insbesondere für viele Normen und Standards des internationalen Finanzmarktrechts. Gerade diese vermeintlich technischen Normen sind aber von ganz entscheidender Bedeutung für Fragen gesellschaftlicher Wohlstandsverteilung. Dies betrifft nicht nur das Unionsrecht sondern auch das deutsche Recht: Es kann z.B. nicht sein, dass im Dezember 2016 (also fast zehn Jahre nach Beginn der Finanzkrise) infolge eines BGH-Urteils in Deutschland im Eilverfahren weitgehende Insolvenzprivilegien (die Praxis des sog. close-out Nettings) für außerbörsliche Derivategeschäfte mit dem bloßen Verweis auf die Usancen der OTC Märkte durch den Bundestag gebracht werden. Gerade diese Märkte wurden doch als eine der wichtigsten Quellen systemischer Risiken ausgemacht. Ihre Rolle in der Entstehung der Finanzkrise ist deshalb zentral. Hinzu kommt, dass durch diese Privilegien erhebliche finanzielle Risiken von den Marktteilnehmerinnen (und das sind vor allem Großbanken) auf die Allgemeinheit umverteilt werden. Das ist eine immense Umverteilung gesellschaftlichen Wohlstands. Wir müssen über solche zentralen Fragen gesellschaftlicher Wohlstandsverteilung viel mehr und viel öffentlicher streiten. Das Konzept der transnationalen Gewaltenteilung und -gliederung versucht hierzu einen Beitrag zu leisten, indem es Kontestierbarkeit und Streit auf den unterschiedlichen Ebenen transnationaler Normerzeugung ermöglicht.
Interview von Matthias K. Klatt für die JuWiss-Redaktion.
Zitiervorschlag: Interview mit Johan Horst im Rahmen der 59. Assistententagung Öffentliches Recht, JuWissBlog Nr. 25/2019 v. 21.2.2019, https://www.juwiss.de/25-2019/
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