Krim-Krise: Wer ist hier der Boss?

Die Gretchenfrage nach der Anerkennung von Regierungen geht in ihre x-te Runde

von RALPH JANIK

RalphJanikswDie aktuellen Geschehnisse rund um die Krim sind ein Lehrbuchbeispiel für eine Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots: Die russische Flotte patrouilliert rund um Sewastopol, russische Streitkräfte, bzw. jedenfalls Russland zuzurechnende bewaffnete Einheiten übertreten ukrainisches Staatsgebiet, bringen Grenzübergänge in ihre Gewalt, umstellen Regierungsgebäude, schließen den zentralen Flughafen, übernehmen die Kontrolle über sämtliche militärische Einrichtungen sowie wichtige Kommunikationsanlagen und verletzen den ukrainischen Luftraum.

Bislang gilt der Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland als Hauptargument und -rechtfertigung für dieses Vorgehen, eine Begründung, die Russland bereits im Krieg mit Georgien 2008 vorgebracht hatte und die freilich auf tönernen Füßen steht. Kürzlich berichteten einige Medien darüber hinaus von einer zweiten, zusätzlichen möglichen Begründung. So verlas der russische Botschafter bei den UN, Vitaly Churkin, im Rahmen der Sondersitzung des Sicherheitsrats einen Brief von Wiktor Janukowytsch, in dem dieser sich nach wie vor als das ukrainische Staatsoberhaupt ansieht und als solches um ein russisches Eingreifen bittet.

Die klassische Frage: Anerkennung von Regierungen

Der Coup d’état in der Ukraine führt uns insofern zu einem zentralen Thema des Völkerrechts, die Anerkennung von Regierungen. Klassischerweise handelte es sich hierbei um einen mehr oder minder rechtsfreien Raum: Lassa Oppenheim stellte in der aus dem Jahr 1905 stammenden Erstauflage seines berühmten Lehrbuchs fest, dass die Entscheidung darüber, mit wem ein Staat diplomatische Kontakte pflegt, in dessen freien Ermessen liege – weder habe irgendein Staat das Recht, die Anerkennung seiner Regierung von anderen Staaten zu verlangen, noch könne er eine solche zurückweisen.

Dieses freie Ermessen gilt jedoch nicht bei gewaltsamen Umstürzen. Laut Hersch Lauterpacht sei die bestehende Regierung in derartigen Fällen so lange als amtierend anzusehen, wie sie sich im Land aufhält und jedenfalls teilweise Kontrolle über das Staatsgebiet ausübt. So gesehen besteht auch in diesen Angelegenheiten ein status quo-bias. Eine „verfrühte Anerkennung“, also eine, die vor dem Ende eines Bürgerkriegs oder gar vor dessen Ausbruch ergeht, stelle daher eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates dar. Erst wenn die Kampfhandlungen eingestellt sind und die neue, siegreiche, Regierung die effektive Kontrolle innehat und zu erwarten ist, dass dieser Übergang von Dauer ist, dürfe sie anerkannt werden. Andernfalls könnten Staaten beliebige Oppositionsgruppen jederzeit als de iure-Regierung ansehen und auf deren Einladung hin intervenieren, um die bestehende Obrigkeit zu stürzen: Die Jellinek’sche normative Kraft des Faktischen würde dadurch auf den Kopf gestellt.

Neben der Effektivität braucht es auch ein Mindestmaß an Legitimität, ein Kriterium, das in den letzten Jahren im Lichte des postulierten Siegeszugs der Demokratie vermehrt an Bedeutung gewonnen hat, womit die Praxis zwischen diesen beiden Erfordernissen oszilliert: so verlangt ein Regierungsumsturz die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung – idealerweise ausgedrückt durch die baldige Abhaltung von Wahlen – , bzw. kann selbst eine gewaltsam ihres Amtes enthobene demokratisch gewählte Regierung weiterhin anerkannt und in letzter Instanz wieder eingesetzt werden..

Intervention auf Einladung

Grundsätzlich gibt es eine Reihe von Autoren, die bei Erfüllung dieser beiden Kriterien eine „Intervention auf Einladung“ als mit dem Gewaltverbot vereinbar ansehen. So wie man im innerstaatlichen Strafrecht einer Körperverletzung zustimmen kann – etwa bei Operationen oder durch die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten, in deren Rahmen es zu einer solchen kommen kann oder gar nahezu unausweichlich kommen muss – besteht auch im Völkerrecht die Möglichkeit, dass ein Staat, bzw. dessen Regierung, die Entsendung von ausländischen Truppen erbittet, um die interne Ordnung (wieder-)herzustellen.

Ein Blick in die Geschichte bestätigt jedoch Lauterpachts Warnung und zeigt, wie missbrauchsanfällig dieser Rechtsgrund ist. So hat die Sowjetunion bei der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 oder dem Einmarsch in Afghanistan jeweils Einladungen angeführt, die offensichtlich nicht vorlagen. Auch die Fälle, in denen die USA sich auf eine Einladung beriefen, sind höchst fragwürdig. Der vermutlich bekannteste ist die Invasion in Grenada 1983, bei der das damalige Reagan-Kabinett unter anderem auf die Einladung des dortigen „Generalgouverneurs“ verwies, der als „die einzige verbliebene Quelle legitimer Regierungsgewalt“ bezeichnet wurde. Das zentrale Problem bei dieser Einschätzung lag darin, dass der Generalgouverneur unter der seit 1979 geltenden Verfassung nicht mehr als ein bloßer Repräsentant der britischen Königin war und lediglich zeremonielle und beratende Funktionen erfüllte. Obendrein bleibt bis heute unklar, ob seine Einladung, die insofern eher „privaten“ Charakter hatte, vor oder nach der Invasion ergangen war.

Die Situation in der Ukraine

Dennoch ist die Frage, ob Janukowytsch noch als Regierungsoberhaupt angesehen werden kann, nicht von rein akademischem Interesse. Im Gegensatz zu den erwähnten Beispielen hatte er wohl immerhin zu einem gewissen Zeitpunkt die Befugnis, eine solche Einladung auszusprechen. Auch darf nicht vergessen werden, dass die Übergangsregierung zwar den Großteil, nicht aber das gesamte ukrainische Staatsgebiet unter ihrer Kontrolle hat. Sollte man dieser deswegen (noch) ihre Anerkennung verweigern, hätte das Bittschreiben an Putin jedenfalls für die Befürworter der Möglichkeit einer Intervention auf Einladung einen gewissen rechtlichen Wert.

Dagegen spricht jedoch, dass Janukowytsch bekanntermaßen nicht mehr in der Ukraine weilt und das Parlament ihn deswegen für abgesetzt erklärt hat, auch wenn er die Rechtmäßigkeit dieses Schritts bestreitet, da die Abgeordneten hierzu gezwungen worden seien. Auch fehlt es ihm an der notwendigen Legitimität um selbst ohne jegliche effektive Kontrolle als rechtmäßige quasi-Exilregierung zu gelten. Schließlich räumte selbst Wladimir Putin ein, dass Janukowytsch keine politische Zukunft habe.

Die Begründung, auf Grundlage einer Einladung zu handeln, ist somit nicht haltbar. Gerade solche Situationen wie die derzeitige Krim-Krise zeigen, weshalb dieser Rechtsgrund im Allgemeinen auf Skepsis stößt. Die Geschichte kann mit zu vielen Episoden aufwarten, die von dessen Anfälligkeit für Missbrauch zeugen – „You just don’t invade another country on phony pretexts in order to assert your interests“ hat John Kerry in Bezug auf die Situation in der Ukraine vor Kurzem festgestellt. Dass diese Worte ausgerechnet von einem US-Außenminister stammen – noch dazu einem, der als Senator grundsätzlich die Invasion des Iraks im Jahr 2003 befürwortet hat – birgt freilich eine nicht von der Hand zu weisende Ironie.

[Hinweis der Redaktion: Das Thema Krim-Krise ist auch Gegenstand eines weiteren Beitrags von Sinthiou Buszewski]
Anerkennung von Regierungen, Bürgerkrieg, Intervention auf Einladung, Krim-Krise, Ralph Janik, Revolution, Schutz eigener Staatsbürger, Ukraine, Umsturz
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Oliver Daum
    6. März 2014 12:29

    Hallo Ralph,

    schöner Beitrag, vielen Dank!

    Soweit ich das verstanden habe, folgst Du der Ansicht von H. Lauterpacht, dass eine „legitimierte“ Regierung i. S. d. Völkerrechts zwei Voraussetzungen zu erfüllen habe: Die Regierung muss sich im Land aufhalten und „jedenfalls teilweise Kontrolle über das Staatsgebiet“ ausüben. Hinzukommen muss ein Mindestmaß an (demokratischer) Legitimität.
    Weiter schreibst Du: „Eine „verfrühte Anerkennung“, also eine, die vor dem Ende eines Bürgerkriegs oder gar vor dessen Ausbruch ergeht, stelle daher eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates dar.“ Auch das klingt einleuchtend.

    Vor diesem Hintergrund frage ich mich, wie Du die Anerkennung der syrischen Opposition durch „westliche“ Staaten beurteilst? Die wurde doch auch im Laufe des Konflikts anerkannt, also verfrüht. Wäre das Deinen Kriterien nach auch eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten?

    Beste Grüße

    Antworten
  • Nunja, Staaten versuchen dieses schwierige Thema ja mittlerweile zu umgehen, indem sie Rebellen und dergleichen als „legitime Vertreter des Volkes“ und dergl. „anerkennen“. Insofern trennen sie die Anerkennung von ihren Folgen; diese Art der Anerkennung als solche ist mE relativ unproblematisch, sofern man mit ihr keine weiteren Folgen verknüpft. Wenn also die USA, Frankreich, GB in Syrien Waffen liefern oder gar intervenieren, weil die syrische Opposition sie dazu „eingeladen“ hat, wäre das ein Rechtsbruch. Siehe zB http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/1404124/Syrien_Ende-des-Waffenembargos-kontra-Volkerrecht oder http://derstandard.at/1363710289695/Intervention-in-Syrien-Was-sagt-das-Voelkerrecht

    Antworten
  • Oliver Daum
    8. März 2014 10:13

    Hey Ralph,

    die Völkerrechtswidrigkeit einer „verfrühten Anerkennung“ bestimmt sich also weniger nach dem Inhalt der Anerkennungserklärung, sondern vielmehr nach den damit verbundenen Folgen? Welche Folgen müssten denn vorliegen bzw. wann wäre eine „verfrühte Anerkennung“ völkerrechtswidrig?

    Beste Grüße

    Antworten
  • grundsätzlich bedeutet eine Anerkennung, dass sämtliche damit verbundene Folgen ausgelöst werden; entweder ganz oder gar nicht. In Syrien scheint die Anerkennung eher Symbolcharakter zu haben, bzw sogar mit diplomatischen Kontakten verbudnen zu haben, was auch vom Standpunkt der Nicht-Einmischungproblematisch ist. Solange man keine Intervention vornimmt oder sonstige Hilfe an die Bürgerkriegsparteien leistet, freilich nicht im selben Ausmaß.

    Antworten

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