JuWiss-Schwerpunktwoche zum Datenschutzrecht
von ANNA SCHIMKE
Mit der zunehmenden „Datafizierung“ nimmt auch die Verarbeitung personenbezogener Daten zu, so dass der Anwendungsbereich des Datenschutzrechts stetig erweitert wird. Gleichzeitig bestehen für eine Vielzahl dieser nunmehr auch datenschutzrechtlich erfassten Gebiete bereits Regelungen, in denen die Datenkategorie nicht im Vordergrund steht. Datenschutzrecht muss an diesen Stellen angemessen mit den anderen Regelungsregimen koordiniert werden, um keine kontraproduktiven Effekte zu entfalten. Ein Beispiel ist das Verhältnis von Datenschutz- und Äußerungsrecht im Internet, das über ein neues Verständnis des Medienprivilegs geregelt werden könnte.
Datenschutz- und Äußerungsrecht: der Überschneidungsbereich
Datenschutzrecht und das zivilrechtliche Äußerungsrecht weisen einen sich überschneidenden Anwendungsbereich auf: fast immer, wenn eine Äußerung über ein Medium zumindest an eine Teilöffentlichkeit kommuniziert wird, werden dabei gleichzeitig personenbezogene Daten verarbeitet. Berichtet zum Beispiel eine Zeitung über einen Prominenten, verarbeitet sie dessen personenbezogene Daten. Die Verletzung durch eine Äußerung ist aber nicht nur in den klassischen Massenmedien möglich, sondern auch in den verschiedenen neuen Medien im Internet. So kann die Ergebnisliste einer Internet-Suchmaschine das allgemeine Persönlichkeitsrecht genauso betreffen wie ein Facebook-Post oder eine Bewertung auf einer Bewertungsplattform.
Charakteristika von Datenschutz- und Äußerungsrecht
Datenschutzrecht und Äußerungsrecht weisen dabei ganz unterschiedliche Charakteristika auf. Während das Äußerungsrecht auf eine ex-post Regulierung von Konflikten zwischen den Kommunikationsfreiheiten und dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit Hilfe v.a. von Unterlassungsansprüchen ausgerichtet ist, lässt sich das Datenschutzrecht im Ausgangspunkt als eine Rahmenordnung verstehen, die darauf zielt, Datenverarbeitungsvorgänge zu strukturieren und für den Betroffenen sachgerecht und transparent zu gestalten. Aus der Perspektive konkret betroffener Schutzgüter handelt es sich um eine ex-ante Regulierung, weil die Regelungen unabhängig von einer konkreten Gefährdung greifen, Gefährdungen zum Teil erst abschätzbar machen und insoweit „vor“ ihnen ansetzen. Während das Äußerungsrecht darauf ausgerichtet ist, das Interesse von (Teil-)Öffentlichkeiten zu berücksichtigen, ist das Datenschutzrecht bipolar am Verhältnis Datenverarbeitender-Betroffener ausgerichtet und kann damit Interessen größerer Öffentlichkeiten nicht ohne weiteres abbilden. Während schließlich das Äußerungsrecht mit dem Institut der Störerhaftung eine abgestufte Verantwortlichkeit kennt, kennt das Datenschutzrecht nur die Verantwortlichkeit des Datenverarbeitenden.
Das Verhältnis von Datenschutz- und Äußerungsrecht mit Bezug auf Massenmedien
Datenschutzrecht ist nicht von vornherein kommunikationsfeindliches Recht: es zielt nicht darauf ab, dass überhaupt keine Daten mehr verarbeitet werden, sondern strukturiert Datenverarbeitung nach bestimmten Kriterien. Datenschutzrecht kann allerdings kommunikationshemmende Wirkung entfalten. Das gilt zumindest für den Bereich der Massenmedien. Grund dafür ist nicht nur, dass das Datenschutzrecht die Interessen der Öffentlichkeit nicht gut abgebbilden kann oder auf bipolare Verhältnisse ausgerichtet ist. Grund dafür ist vielmehr auch, dass ein auf Partizipation und Einflussnahme ausgerichtetes Datenschutzrecht die journalistische Recherche behindern kann oder Berichtigungs- und Löschansprüche eine Verdachtsberichterstattung verhindern können, weil sie schon dann greifen, wenn die Richtigkeit der verarbeiteten Daten nicht sichergestellt ist. Unter anderem aus diesen Gründen ist eine angemessene Koordination zwischen dem Äußerungsrecht und dem Datenschutzrecht für die Massenmedien vor dem Hintergrund der Kommunikationsfreiheiten notwendig. Diese wird darüber erreicht, dass die Vorschriften zum sog. Medienprivileg die journalistische Tätigkeit in den Massenmedien weitgehend von der Anwendung datenschutzrechtlicher Vorschriften freistellen. Weil das Datenschutzrecht für die Massenmedien per se kommunikationshemmend wirkt, wird das Medienprivileg hier als eine Regelung verstanden, die die Kommunikationsfreiheiten mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Einklang bringt.
Das Verhältnis von Datenschutz- und Äußerungsrecht in den neuen Medien
Bisher nicht geklärt ist, ob und inwieweit auch Kommunikationen im Internet dem Medienprivileg unterfallen, mit der Folge, dass auch hier der datenschutzrechtliche Regelungsanspruch zurückgenommen wird. Dafür spricht, dass Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Bewertungsplattformen oder andere neue Medien eine wichtige Rolle im Prozess der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung einnehmen. Weil die einzelnen Medien im Netz aber unterschiedlich funktionieren, kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass Datenschutzrecht per se kommunikationshemmend wirkt oder dass das Äußerungsrecht das passende Regelungsinstrumentarium bereithält. Die Frage nach der Anwendung des Medienprivilegs muss vielmehr differenziert beantwortet werden.
Das Medienprivileg als Koordinationsmechanismus
Offen ist, nach welchen Kriterien die Anwendung des Medienprivilegs auf die verschiedenen Medien erfolgen soll. Der BGH (Rn. 22) geht davon aus, dass eine automatische Entscheidung gegen die Anwendung des Medienprivilegs und also für die Anwendung des Datenschutzrechts spricht, weil eine automatische Entscheidung keine Merkmale einer journalistisch-redaktionellen Tätigkeit aufweist, wie sie typisch für die Massenmedien ist. Allerdings läuft dieser Vergleich mit den Massenmedien Gefahr, die Spezifika der einzelnen neuen Medien und ihre Bedeutung für den Kommunikationsprozess nicht hinreichend zu beachten.
Die Auslegung des Medienprivilegs lässt sich aber auch medienspezifisch konkretisieren. So könnte in einem ersten Schritt herausgearbeitet werden, welchen Bezug das beobachtete Medium zum Prozess der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung hat: auf welche Weise trägt das jeweilige Medium zu diesem Prozess bei? Welche Rollen übernehmen die verschiedenen Akteure? Auf welche Weise prägt die jeweilige „Infrastruktur“ den Kommunikationsinhalt? Wie viele Einflussmöglichkeiten haben die NutzerInnen? Welche Teilöffentlichkeiten entstehen? Auf diese Weise wird zum einen ein Bezug zu den Kommunikationsfreiheiten als übergeordnete Bezugspunkte des Medienprivilegs hergestellt. Zum anderen wird der Blick für die Besonderheiten des jeweiligen Mediums geschärft, so dass eine gegenstandsgerechte rechtliche Einordnung erfolgen kann.
Sodann bietet es sich in einem zweiten Schritt an, die oben angedeuteten Charakteristika des Datenschutzrechts und des Äußerungsrechts zu berücksichtigen und also zu fragen, welches Regime für das jeweilige Medium das passende Instrumentarium bereitstellt. Das ist möglich, weil das Datenschutzrecht und das Äußerungsrecht in ihrem Überschneidungsbereich jeweils den Schutz der Persönlichkeit vor medialen Äußerungen dienen und damit dasselbe Schutzgut in Bezug nehmen. Datenschutzrecht sollte immer dann angewandt werden, wenn es sinnvoll ist, auf die strukturellen Bedingungen der Kommunikation einzuwirken, um bestimmte unerwünschte Ergebnisse zu verhindern. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die kommunikative Infrastruktur mögliche Äußerungsinhalte so weit vorprägt, dass sie weitgehend antizipierbar sind. In diesem Fall könnte das Datenschutzrecht unter Berücksichtigung der aus dem antizipierbaren Ergebnis resultierenden Gefährdungslage Anforderungen an die Ausgestaltung des Verarbeitungsvorgangs stellen. Ein in dieser Weise antizipierbares Ergebnis liegt zum Beispiel bei vielen Bewertungsplattformen vor. Umgekehrt gehen strukturbezogene datenschutzrechtliche Regelungen dort weitgehend ins Leere, wo das Ergebnis nicht antizipierbar ist und also im Einzelfall im Rahmen einer ex-post Betrachtung eine Abwägung vorgenommen werden muss. Das ist zum Beispiel bei der Ergebnisliste einer Internet-Suchmaschine der Fall. Die Abwägung ist zwar insbesondere bei verfassungskonformer Auslegung der entsprechenden Erlaubnistatbestände auch im Datenschutzrecht möglich. Sie kann aber besser äußerungsrechtlich vorgenommen werden. Denn hier ist die Entscheidung eingebettet in eine lange und differenzierte Rechtsprechungstradition, so dass das entsprechende Wissen im Umgang mit Abwägungsentscheidungen in medialen Kontexten vorhanden ist. Allerdings gilt sowohl für das Datenschutzrecht als auch für das Äußerungsrecht, dass sie medienspezifisch noch erheblich weiterentwickelt werden müssen.
Das Medienprivileg muss vor diesem Hintergrund als eine Art Koordinationsmechanismus zwischen Datenschutz- und Äußerungsrecht verstanden werden, der das jeweils passende Rechtsregime zur Anwendung bringt.
Zitiervorschlag: Schimke, Datenschutz- oder Äußerungsrecht? Zur Rolle des Medienprivilegs im Internet, JuWissBlog Nr. 59/2018 v. 01.06.2018, https://www.juwiss.de/59-2018/
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