Schwerpunkt „Recht und Klimawandel“ des Jungen Forums der Österreichischen Juristenkommission und des ClimLaw: Graz
von MIRIAM HOFER
Erwartungshaltungen, die der Staat durch gezielte verhaltenssteuernde Maßnahmen, wie etwa die Gewährung finanzieller Prämien, befördert, genießen (verfassungs-)rechtlichen Schutz. Spätere rechtliche Maßnahmen, die diese Erwartungshaltungen konterkarieren, können deshalb juristische Konsequenzen bis hin zur Verfassungswidrigkeit dieser Maßnahmen haben. Dies gilt es insbesondere im Hinblick auf wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen zu beachten: staatliche Prämien und Subventionen, die klimaschädliches Handeln unterstützen, können den Handlungsspielraum des Staates im Klimaschutz einengen und schwerwiegende finanzielle Folgen (sei es durch Entschädigungsleistungen oder Strafzahlungen bei Verfehlung der Klimaziele) nach sich ziehen.
„Erwartungen“ als juristische Kategorie
Hitzewellen, Dürreperioden, Hochwasser – die Folgen, die der Klimawandel für uns mit sich bringt, sind, so meint man zumindest, inzwischen hinreichend bekannt. Und doch haben klimaskeptische Positionen durch Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in den letzten Jahren Aufwind bekommen. Studien offenbaren, dass aber auch abseits von KlimawandelleugnerInnen bei BürgerInnen, die zwar um die Folgen der Klimakrise wissen, die Bereitschaft, an den eigenen Lebensgewohnheiten zugunsten des Klimas etwas zu ändern, sehr gering ist. Klimaschutzmaßnahmen, die den unmittelbaren Lebensbereich der einzelnen BürgerInnen betreffen, wie etwa Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und Bundesstraßen sowie höhere Strom- oder Heizkosten, sind besonders unbeliebt.
Aus rechtlicher Sich ist dies zunächst einmal nicht weiter relevant. Inwieweit wir davon ausgehen, unseren Lebensstil in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aus Klimaschutzgründen radikal ändern zu müssen, hat zunächst wohl politische, aber kaum rechtliche Konsequenzen. Sie gewinnt aber dann an Relevanz, wenn unsere Erwartungshaltungen Rechtsansprüche (etwa Kompensationszahlungen) auslösen können. Dies betrifft insbesondere berechtigte Erwartungshaltungen, die durch den Vertrauensschutz abgesichert werden.
Die verfassungsrechtliche Dimension staatlicher Verhaltenssteuerung
Ganz allgemein schützt der Grundsatz des Vertrauensschutzes u.a. vor staatlichen Maßnahmen mit nachteiligen Folgen für den Einzelnen, wenn diese in ihren Auswirkungen nicht voraussehbar waren (s. z.B. EuGH ECLI:EU:C:2018:483). Der Vertrauensschutz gem. Art. 7 ö B-VG schützt nach ständiger Judikatur des österreichische VfGH vor plötzlichen und überraschenden Eingriffen in eine Rechtsposition, auf deren Bestand aus guten Gründen vertraut werden durfte Dies ist insb. auch dann der Fall, wenn der Staat durch verhaltenssteuernde Maßnahmen BürgerInnen gezielt zu bestimmten Dispositionen veranlasst, deren Vorteile er dann aber verwehrt. In diesem Zusammenhang erklärte etwa der österreichische VfGH die Ausdehnung eines Nachtfahrverbots auf lärmarme LKWs als verfassungswidrig, nachdem kurz zuvor die Erlassung eines (verfassungskonformen) Nachtfahrverbots für LKWs, das lärmarme LKWs explizit ausnahm, viele Spediteure zu Investitionen in lärmarme LKWs bewegt hatte (VfSlg 12.944/1991).
Freilich kann ein Eingriff in eine Rechtsposition sachlich begründet und damit gerechtfertigt sein, dies insb. auch aus Gründen des Klimaschutzes. Fördert aber der Staat trotz bestehender Klimaschutzverpflichtungen gezielt klimaschädliches Verhalten, und muss er dieses anschließend, um ebendieser Klimaschutzverpflichtung gerecht zu werden, wieder beschränken, so kann ein solcher Eingriff kaum als gerechtfertigt angesehen werden.
Gesellschaftliche Transformation und rechtliche Kontinuität
Die Ziele des Pariser Übereinkommens, die Vorgaben der EU zum Klimaschutz und die Konsequenzen, die die Überschreitung des 2°C-Ziels haben würde, offenbaren: eine umfassende gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation hin zu einer emissionsneutralen Gesellschaft ist unumgänglich und wird Maßnahmen erfordern, die unser aller Leben betreffen. Nicht nur aus Klimaschutzgründen, sondern auch zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und rechtlicher Kontinuität sollten effektive Klimaschutzmaßnahmen besser heute als morgen beschlossen werden – längere Übergangsfristen, etwa bei einem Verbot von Ölheizungen und Kohlekraftwerken, sind verfassungsrechtlich ohnehin unumgänglich. Ein kürzlich beschlossenes Verbot von Ölheizungen in der Steiermark sieht vor diesem Hintergrund etwa einen gestuften Ausstieg aus dem Öl bis 2025 (Ölheizungen älter als 25 Jahre) bzw. 2035 (!) für neuere Ölheizungen vor.
Klimaschädliche Wirtschaftsförderung in der Corona-Krise
Gerade im Hinblick auf die im Zuge der Coronakrise diskutierten Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung darf dies nicht übersehen werden. Eine „Abwrackprämie“ etwa, wie sie im Mai auch für den Erwerb neuer (emissionsarmer) Benzin- und Dieselfahrzeuge in Deutschland andiskutiert wurde, würde genau eine solche rechtlich relevante Erwartung schaffen: Fördert der Staat aktiv den Ankauf eines neuen Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor, indem er finanzielle Anreize in Form von staatlichen Prämien gewährt, so schafft er eine individuelle Erwartungshaltung bei den ErwerberInnen, ihr Fahrzeug auch in den nächsten Jahren nutzen zu dürfen. Fahrverbote bzw. rechtliche Beschränkungen der Nutzung von Autos mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren wären damit mindestens bis 2030 (rechnet man mit einer Mindestnutzungsdauer von 8 Jahren, wovon etwa das österreichische Steuerrecht ausgeht, und einer Prämie im Jahr 2021) ausgeschlossen. Würde man dadurch die Klimaziele verfehlen, hätte dies massive finanzielle Auswirkungen – auch dann, wenn man Klimaschutzmaßnahmen trotz aufrechtem Vertrauensschutz umsetzten möchte, würden schwere finanzielle Folgen etwa in Form von Entschädigungszahlungen drohen. Wirtschaftsförderungsmaßnahmen in der Coronakrise sollten also möglichst klimafreundlich, oder immerhin klimaneutral gestaltet werden: Erwartungen, dass auch in Zukunft klimaschädliches Verhalten problemlos möglich sein wird, sollten trotz drohender Wirtschaftskrise keinesfalls staatlich bestärkt und rechtlich abgesichert werden.
Zitiervorschlag: Miriam Hofer, Recht im (Klima-)Wandel: Zum Schutz „legitimer Erwartungen“ in der Klimakrise, JuWissBlog Nr. 94/2020 v. 20.06.2020, https://www.juwiss.de/94-2020/.
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