Schwerpunkt „Recht und Klimawandel“ des Jungen Forums der Österreichischen Juristenkommission und des ClimLaw: Graz
Spätestens seit dem Genehmigungsverfahren zur „Dritten Piste“ am Flughafen Wien ist klar, dass Abwägungsentscheidungen zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen großes Konfliktpotenzial in sich tragen. Die am Ende des Abwägungsvorgangs ergehende Entscheidung stellt nolens volens immer ein „Werturteil“ dar, das ob seiner Subjektivität regelmäßig für Unverständnis sorgt. Die Rechtsordnung allein vermag hier keine zufriedenstellenden Lösungen zu liefern, wodurch es erforderlich scheint, über den juristischen „Tellerrand“ zu blicken.
Die Interessenabwägung als umweltrechtliches Instrument
Kaum ein Bereich des öffentlichen Rechts ist frei von Abwägungsentscheidungen. Gegenläufige Interessen treffen auf allen Ebenen der Rechtsordnung aufeinander und bedürfen sorgfältiger Abwägung und damit eines bestmöglichen Ausgleichs durch das gesetzlich dazu legitimierte Entscheidungsorgan. Abwägungstatbestände finden sich auch im Umwelt- und Anlagenrecht vielfach wieder, in dessen Sphäre etwa das zumeist öffentliche Interesse an der Realisierung eines Vorhabens mit erheblichen Umweltauswirkungen regelmäßig dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des jeweiligen Schutzguts entgegensteht. Traditionellerweise wird das Instrument der Interessenabwägung vor allem im Naturschutzrecht, das zwar grds. von Schutzpflichten und Eingriffsverboten durchzogen ist, jedoch nur wenig „absolute“ Verbote enthält, verwendet; dass sich diese Systematik in der einzelfallbezogenen Verwaltungspraxis als ökologisch nicht unproblematisch herausstellt, offenbart etwa eine aktuelle Studie zur Interessenabwägung im Naturschutzrecht am Beispiel Vorarlberg.
Klimaschutz oder Wirtschaftswachstum?
Wie sich am Beispiel des (Beschwerde-)Verfahrens zur Errichtung der dritten Piste des Flughafens Wien-Schwechat zeigte, birgt die vorzunehmende Auflösung von Interessenkonflikten insbesondere auch im Zusammenhang mit der vergleichsweise „jungen“ umweltrechtlichen Materie des Klimaschutzrechts viel Potenzial für kontroverse Diskussionen rund um das Rechtsinstrument der Interessenabwägung: Als das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Flughafen Wien AG als Projektwerberin im Februar 2017 die beantragte Genehmigung versagte, da es das öffentliche Interesse am Klimaschutz als höherwertig beurteilte und damit den behördlichen Genehmigungsbescheid behob, stellte dies die erste Gerichtsentscheidung weltweit dar, in der das ökonomische Interesse an einem Vorhaben hinter den Schutz des Klimas zurücktreten musste, und sorgte damit für eine rege mediale, gesellschaftliche und juristische Teilhabe, die nicht zuletzt von Unverständnis für die Entscheidung geprägt war. Kurze Zeit später behob allerdings der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Erkenntnis des BVwG – nicht minder kontroversiell – wieder, da dieses u.a. den Abwägungsvorgang fehlerhaft vollzogen und in Summe Willkür geübt hätte. Die Diskussionen hierzu gehen weit über eine rein juristische Entscheidungsanalyse hinaus, sondern rühren an den Grundprinzipien von Umweltverfahren sowie dem System der Verwaltungsgerichtsbarkeit und erschließen so vor allem auch die politische Dimension des Umwelt- und Klimaschutzrechts.
Über allem steht die Problematik, dass die Abwägung gegenläufiger Interessen – seien es ökonomische und ökologische oder aber auch verschiedene, miteinander konkurrierende ökologische Interessen, wie sie typischerweise i.Z.m. dem Ausbau Erneuerbarer-Energie-Anlagen auftreten – zwar juristisch nachvollziehbar begründet werden kann, allerdings nicht in logisch zwingender Form; für die zu berücksichtigenden Interessen existieren de facto keine vergleichbaren Bewertungsmaßstäbe bzw. keine allgemeingültigen Gegenüberstellungs- und Vergleichskriterien. Bringt die Umsetzung einer Schigebietserweiterung einen höheren Nutzen für das Gemeinwohl als z.B. der Erhalt des Landschaftsbilds? Ist für die Gesellschaft ein neuer Radweg mehr wert oder doch das bislang unberührte Waldstück? Wäre die Bewahrung der Qualität eines natürlichen Oberflächengewässers oder doch die Errichtung eines Wasserkraftwerks zur nachhaltigen Stromerzeugung wichtiger? Wie viel spart der Staat durch ein „stabiles“ Klima bzw. wie hoch sind die „Kosten“ der Untätigkeit eines Staates hinsichtlich seiner Pflicht zur Vornahme von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel? Wie diese Beispiele veranschaulichen, ist die am Ende des Abwägungsvorgangs ergehende Entscheidung immer eine von mehreren Alternativen, für die am Ende die vermeintlich besseren Argumente sprechen. Einer solchen Wertentscheidung haftet ob ihrer unvermeidlichen Subjektivität letztlich jedenfalls ein kleines Maß an Irrationalität an und bedingt so oftmals Unverständnis. Nach stRsp des VwGH ist ihre Rechtmäßigkeit im Allgemeinen daran zu messen, ob das Abwägungsmaterial möglichst umfassend, präzise und transparent in der Begründung des Bescheides dargelegt und die Abwägung der konkurrierenden Interessen im Einklang mit Denkgesetzen, Erfahrungssätzen und – gegebenenfalls – Erkenntnissen der Wissenschaft erfolgte. Gerade aber das letzte (wichtige) Erfordernis, die Wissenschaftlichkeit, kann von der Rechtsordnung allein nicht bereitgestellt werden, wodurch nach Methoden aus anderen Disziplinen zu suchen ist, die weiterhelfen könnten.
Die Monetarisierung ökologischer Interessen
Die Umweltökonomik kennt den Begriff der „öffentlichen Güter“, die sich einerseits durch Nichtrivalität und andererseits durch fehlenden Konsumausschluss auszeichnen. Am Beispiel des Klimaschutzes als zu erhaltendes „Gut“ werden diese Eigenschaften mehr oder weniger perfekt ausgeformt: Ein stabiles Klima kann von allen konsumiert werden, während sich die negativen Folgen des Klimawandels ebenso auf die gesamte Menschheit auswirken. Anders formuliert: Wenngleich der Erhalt eines gleichbleibenden Klimas unzweifelhaft einen (Markt-)Wert besitzt, bringt seine Nutzung für den Einzelnen keinerlei Kosten mit sich. Dies führt dazu, dass bei individuell rationalem Verhalten öffentliche Güter wie Klimaschutz nicht oder nicht ausreichend bereitgestellt werden. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Marktversagen, das durch den Gesetzgeber, spätestens aber im einschlägigen Anlagengenehmigungsverfahren ausgeglichen werden muss.
Während die der Ökologie zuwiderlaufenden Interessen typischerweise bezifferbar sind – oder es sogar vielmehr sein müssen, als ProjektwerberInnen die (zumeist ökonomischen) Vorteile ihres Vorhabens hinreichend darzulegen haben –, ist ihr eigener Wert jedoch ungleich schwieriger einzuschätzen. Wäre der Schutz des Klimas ebenso monetarisiert – d.h., sein wahrer gesellschaftlicher Wert identifiziert –, könnte die fehlende Vergleichbarkeit minimiert und in weiterer Folge auch die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz von Abwägungsentscheidungen erhöht werden. Vielversprechend erscheinen in diesem Zusammenhang vor allem ökonomische Instrumente, die sich mit der Bewertung von Umweltgütern auseinandersetzen. Im Fokus stehen dabei Bewertungsmethoden zur Messung der Zahlungsbereitschaft für die Vornahme von Klimaschutzmaßnahmen oder der Akzeptanzbereitschaft für Verschlechterungen durch die Nichtvornahme von Klimaschutzmaßnahmen, wobei zwischen nutzungsabhängigen und nutzungsunabhängigen individuellen Präferenzen unterschieden wird, mit denen der ökonomische Gesamtwert eines solchen Guts ermittelt wird. Methoden wie der kontingente Bewertungsansatz dienen im übertragenen Sinne dazu, die Gesellschaft als solche in den Abwägungsprozess zu integrieren, ihre Präferenzen bezüglich bestimmter umweltschädlicher Projektauswirkungen aufzudecken, und diese in monetäre Werte umzuwandeln. Im ökonomischen Sinn sollte eine Abwägungsentscheidung hiernach mehr Kosten als Nutzen für die Gesellschaft mit sich bringen.
Zitiervorschlag: Christoph Romirer, Abwägungsentscheidungen im Klimaschutzrecht – Interdisziplinäre Ansätze als Schlüssel zu erhöhter Akzeptanz?, JuWissBlog Nr. 95/2020 v. 20.06.2020, https://www.juwiss.de/95-2020/.
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[…] der Plattformen bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit von Inhalten seien mit Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (Déclaration des droits de l’homme et du citoyen) i.V.m. Art. 34 der Verfassung von […]