Das Klima als globales öffentliches Gut? – Fragen der ökonomischen Theorie an die Rechtswissenschaft

von SVEN STUMPF

Ein peruanischer Bergführer klagt vor dem Landgericht Essen gegen RWE, einen der größten CO2-Emittenten weltweit. Es geht dabei um einen Beitrag für Hochwasserschutzmaßnahmen, der die Heimatstadt Huaraz vor den Folgen der Klimaerwärmung schützen soll. RWE wird in die Haftung genommen, da der Konzern die Klimaerwärmung durch seinen CO2-Ausstoß mitverursacht haben soll. Dieser Blogbeitrag betrachtet den Fall aus dem Blickwinkel der ökonomischen Theorie der öffentlichen Güter und wirft Fragen auf, die die Rechtswissenschaft in diesem Zusammenhang beantworten muss.

Die Fallkonstellation

Die Stadt Huaraz, in den peruanischen Anden unterhalb des Gletschersees Palcacocha gelegen, wird von dessen Anwachsen bedroht. Schon 1941 starben mehr als 5.000 Menschen als der See durch einen Gletscherabbruch den Moränenwall, der ihn in Richtung Tal absperrt, durchbrach und innerhalb von 15 Minuten die Stadt mit mehr als 400.000 Kubikmetern Schuttmaterial verschüttete. Seitdem ist die Stadtbevölkerung von 25.000 auf 100.000 Menschen angewachsen. Das Volumen des Sees ist seit 1970 um das 34-fache gewachsen und die Bedrohung somit gestiegen.

Der Bergführer Saúl Luciano Lliuya verklagt nun mit Unterstützung von Germanwatch den Energieriesen RWE. Die Klage zielt nicht auf Schadensersatz ab, sondern stützt sich auf § 1004 BGB, der einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch gibt, wenn es zu einer Eigentumsbeeinträchtigung kommt, die der Eigentümer nicht dulden muss.

Die Kläger argumentieren, dass RWE durch den Ausstoß des Treibhausgases CO2 zur Klimaerwärmung und damit zum Abschmelzen des Gletschers und somit zur Bedrohung des Eigentums der Einwohner durch eine Flut beiträgt. Die Summe von 20.000 € dürfte für RWE weniger das Problem sein als die grundsätzliche Frage, ob CO2-Emittenten die von ihnen global verursachten Folgen beseitigen müssen.

Dieser Fall kann beispielhaft zeigen, welche Bedingungen und Fragen die ökonomische Theorie der öffentlichen Güter an die Rechtswissenschaft stellt, damit öffentliche Güter bereitgestellt werden können.

Die ökonomische Theorie der öffentlichen Güter

Zunächst ist dafür eine Definition öffentlicher Güter nötig: In der Ökonomie sind öffentliche Güter solche, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann (kein Konsumausschluss) und die gleichzeitig von verschiedenen Menschen genutzt werden können (Nichtrivalität).

Das globale Klima erfüllt beide Bedingungen quasi perfekt: Von den Folgen eines Klimawandels ist die gesamte Menschheit betroffen, genauso wie ein stabiles Weltklima von allen konsumiert werden kann (Nichtrivalität).

Es ist technisch auch nicht möglich, jemanden oder ein Land vom Konsum des Klimas auszuschließen, völlig egal, ob z.B. durch geringere Emissionen zum Erhalt des Klimas beigetragen wurde oder nicht (fehlender Konsumausschluss).

Diese Eigenschaften führen in eine Dilemma-Situation, die sich spieltheoretisch darstellen lässt. Angenommen werden dazu in der Theorie Individuen oder Staaten als Spieler, die ihren Nutzen ökonomisch rational maximieren. Das führt zu folgender Situation: Wenn kein Spieler einen Beitrag zu einem stabilen Klima leistet, ist es individuell auch nicht sinnvoll, etwas beizutragen; denn die Kosten sind auf der individuellen Ebene zu tragen, während der potentielle Nutzen des individuellen Beitrags gleichzeitig für alle Spieler da wäre. Wenn aber alle Spieler einen Beitrag leisten, ist es individuell ebenfalls nicht rational, selber einen Beitrag zu leisten. Denn der einzelne Spieler kann, auch ohne einen Beitrag zu leisten, das Klima konsumieren; das sogenannte Trittbrettfahrer- oder Free-Rider-Verhalten.

Da diese Überlegungen von allen Spielern gleichermaßen angestellt werden, stellt diese Situation ein sogenanntes Nash-Gleichgewicht dar, also eine Situation, in der kein Spieler einen Anreiz hat, sein Verhalten zu verändern, solange die anderen Spieler ihr Verhalten nicht ändern. Denn die jeweilige individuelle Strategie ist vor dem Hintergrund der Strategien der anderen Spieler die beste Antwort auf diese Strategien. Die Folge davon ist ein klassisches Marktversagen: Alle Spieler wissen, dass es individuell immer sinnvoll ist, keinen Beitrag für die Nutzung des Guts zu zahlen, und deshalb wird niemand bereit sein, das Gut anzubieten. Ökonomisch gesprochen: Die individuelle Nachfrage, gemessen an der Zahlungsbereitschaft, ist null, und damit auch der Marktpreis, sodass es auch kein Angebot gibt, obwohl es kollektiv gesehen eine Nachfrage gäbe, da alle von einem stabilen Klima profitierten.

Globale öffentliche Güter

Während einige klassische öffentliche Güter – z.B. Deiche, Straßenbeleuchtung oder die Landesverteidigung – auf der nationalstaatlichen Ebene in befriedigender Weise bereitgestellt werden können, ist das Klima in seinen Auswirkungen nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden. Es handelt sich bei einem stabilen Klima also um ein globales öffentliches Gut (dessen ist sich die Staatengemeinschaft auch bewusst). Beim globalen Klimaschutz, also dem was getan werden muss, um ein stabiles Klima bereitzustellen, gibt es allerdings noch zwei weitere Probleme:

Erstens können auch die größten CO2-Emittenten das Klima nicht im Alleingang retten, und zweitens können souveräne Staaten nicht zum Klimaschutz gezwungen werden. Wirksamer Klimaschutz benötigt also die Kooperation souveräner Staaten, je mehr desto besser. Es gibt also zusätzlich zum Free-Rider-Problem noch ein Kooperationsproblem.

Damit bleibt die Frage, wie globale öffentliche Güter, wie ein stabiles Klima, bereitgestellt werden können, zunächst offen.

Lösungsansätze

Die Lösungsansätze sehen bisher so aus, dass versucht wird, durch Regulierung das oben beschriebene Marktversagen aufzuheben: Die CO2-Emittenten müssen für ihre Emissionen zahlen, wobei mehr Emissionen entsprechend mehr kosten. Somit bekommt der Ausstoß von CO2 auf Kosten des Klimas einen Preis, und je höher dieser ist, desto eher werden Emissionen und damit Kosten vermieden und dadurch das Klima geschützt. Die Regulierungsansätze nutzen dafür zwei verschiedene Mechanismen

Mengenlösungen

Bei Mengenlösungen wird die Menge an Emissionen durch den Gesetzgeber vorgegeben und durch diese Verknappung soll sich ein Marktpreis bilden, wie es z.B. das Ziel des Emissionsrechtehandels ist. Je höher der Marktpreis für Emissionen liegt, desto eher werden diese vermieden und somit das Klima weniger belastet.

Dafür sind zwei Handelssysteme eingerichtet worden: Eines für Staaten, beruhend auf dem Kyoto-Protokoll. Dieses System hat zwei Hauptprobleme, die seine Effektivität einschränken: Durch ein Überangebot von Verschmutzungsrechten liegt der Preis zu niedrig bzw. ist der Anreiz für eine CO2-Reduktion zu niedrig. Außerdem ist die Fortentwicklung schwierig, da es für weitere Verknappungen der Verschmutzungsrechte internationale Kooperation und politische Einigkeit bräuchte.

Auf EU-Ebene ist, zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll, ebenfalls ein Handelssystem etabliert worden, an dem statt der Staaten die CO2-Emittenten teilnehmen müssen, die in der EU-Emissionshandelsrichtlinie bestimmt werden, z.B. Betreiber von Verbrennungsanlagen, Erdölraffinerien und Eisen- und Stahlwerken. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hält den Emissionshandel prinzipiell für sinnvoll, kritisiert aber die deutsche Umsetzung des EU-Systems, da dort viele Zertifikate frei an die Unternehmen weitergegeben und CO2-intensive Kohlekraftwerke gegenüber Gaskraftwerken bevorzugt werden. Nach Meinung des Sachverständigenrats stellt die freie Vergabe von Zertifikaten an energieintensive Unternehmen eine nicht gerechtfertigte Subvention dar, die der Idee des Klimaschutzes entgegen wirkt.

Vorteilhaft ist an einem solchen System, dass die Reduktion von dem Akteur erbracht werden kann, der die geringsten Kosten dafür hat. Der Grund dafür ist, dass die Emittenten selber entscheiden können, ob sie in Technologie investieren, die ihren CO2-Austoß und damit die Kosten für Zertifikate minimiert oder ob sie lieber die Kosten für die Zertifikate tragen, weil ihre Innovationskosten zu hoch sind. Die Unternehmen die mit relativ geringen Kosten auf eine weniger CO2-intensive Technologie umsteigen können, werden dies somit eher tun, als diejenigen, die hohe Investitionskosten haben. Volkswirtschaftlich gesehen ist das die effizienteste, weil kostengünstigste, Lösung.

Außerdem ließe sich, bei entsprechendem politischem Willen, über die Festlegung der Gesamtzahl der Zertifikate die Gesamtmenge der Emissionen gut steuern. Nicht gelöst wird dadurch jedoch das Problem, dass es eine globale Einigung auf ein Emissionshandelssystem bräuchte und dieses effektiv kontrolliert werden müsste, um Free-Rider-Verhalten auszuschließen

Preislösungen

Die Alternative zu Mengenlösungen sind Preislösungen. Hierbei wird der Preis von Emissionen beispielsweise durch Steuern erhöht. So könnte der Ausstoß von CO2 besteuert werden, eine sogenannte Pigou-Steuer. Diese Lösung ist in der Praxis schon auf nationaler Ebene schwierig, z.B. stellen sich Fragen nach der Bemessungsgrundlage und der optimalen Höhe der Steuer. Auf internationaler Ebene würde aber das Free-Rider-Problem dadurch ebenso wenig gelöst wie das Kooperationsproblem, weil auch hier wieder auf einzelstaatlicher Ebene ein Anreiz dafür besteht die eigenen Unternehmen mit weniger Steuern zu belasten als die anderen Staaten. Die Steuer müsste also international vereinbart und erhoben werden, was recht schwierig zu erreichen sein dürfte.

Offene Fragen an die Rechtswissenschaft

Folglich sind die bestehenden Instrumente nur mäßig geeignet, zu einem effektiven globalen Klimaschutz zu führen und damit ein stabiles Klima bereitzustellen. Die ökonomische Theorie der öffentlichen Güter besagt, dass diese ohne regulierende Eingriffe, normalerweise durch den Staat, nicht angeboten werden. Damit ein stabiles Klima „angeboten“ wird, muss die Dilemma-Situation, in der Staaten und CO2-Emittenten stecken, gelöst werden. Die besondere Schwierigkeit im globalen Kontext ergibt sich daraus, dass es dort keine dem Nationalstaat vergleichbare Autorität gibt, die eine Regulierung einseitig vorgeben, kontrollieren und durchsetzen kann. Es gibt zusätzlich noch ein Kooperationsproblem. Für die Lösung dieser beiden Probleme stellen sich aus der ökonomischen Theorie einige Fragen an die Rechtswissenschaft:

Kann die Tatsache, dass die Emissionen von RWE in Deutschland wohl gesetzlich gestattet sind, als Argument dafür dienen, dass deren transnationale Auswirkungen damit irrelevant sind? Wenn das so ist, dann stellt sich die Frage: wie können globale öffentliche Güter überhaupt bereitgestellt werden? Müssten dann dafür demnächst bei der nationalen Gesetzgebung die Belange aller Menschen, auch außerhalb des Nationalstaates, berücksichtigt werden? Und in wieweit wäre das überhaupt realisierbar, ohne dieselben Fragen bezüglich Free-Rider-Verhalten und Kooperation aufzuwerfen?

Mit anderen Worten: Welche internationalen juristischen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden und wie müssen die nationalen Rechtssysteme sich verändern, um effektiven Klimaschutz und somit ein stabiles Weltklima bereitzustellen?

Wie lässt sich z.B. verhindern, dass der Emissionsrechtehandel als Subventionsinstrument für nationale Wirtschaftspolitik genutzt wird? Welche Anforderungen an die Kausalität kann man im globalen Kontext realistischer Weise stellen, wenn es um die Frage von juristischer Verantwortung geht? Liegt die Verantwortung für die Folgen der CO2-Emissionen lediglich bei den Emittenten, also den Unternehmen, oder gibt es auch eine Verantwortung der Nationalstaaten Gesetze zu erlassen, die die Unternehmen zu einer CO2-Reduktion bzw. einem Beitrag zur Bewältigung der Folgen zwingen? Wenn die Emissionen von RWE den nationalstaatlichen Vorgaben entsprechen, liegt dann nicht das Versagen eigentlich beim Nationalstaat, der diese Regelungen erlassen hat und besteht, z.B. aus Principle 21 der Stockholm Declaration, eine völkerrechtliche Verantwortung der Staaten für Emissionsfolgen, die von ihrem Gebiet ausgehen?

Aus Sicht der ökonomischen Theorie der öffentlichen Güter lautet die Frage im Fall Huaraz zugespitzt: Muss ich, also Unternehmen wie als Nationalstaat, meine Emissionen nur weit genug über die Grenze bringen und mit anderen vermischen, damit ich juristisch dafür keine Verantwortung mehr trage? Dann wird es kein globales öffentliches Gut „stabiles Klima“ geben. Das Urteil im Fall Huaraz wird darauf jedenfalls zumindest implizit eine Antwort geben.

Huarez, Interdisziplinarität, Nash-Gleichgewicht, öffentliche Güter, ökonomische Analyse des Rechts, RWE, Spieltheorie, Sven Stumpf
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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • […] Eine weitere Alternative stellen Preislösungen dar. Sie haben sich in der Praxis jedoch nur bedingt als effektives Werkzeug für eine Reduktion des CO2-Ausstoßes erwiesen. Staaten wenden deshalb das Steuer-Prinzip an. Sie besteuern Unternehmen und deren Produkte, die einen hohen CO2-Ausstoß verursachen. Ökonomen bezeichnen diese Steuer als Pigou-Steuer. Doch bereits auf einer nationalen Ebene haben sich in der Praxis Schwierigkeiten ergeben. Sowohl die Festlegung der Bemessungsgrundlage als auch die Bestimmung der Steuerhöhe waren eine Herausforderung. Da das auf einer nationalen Ebene ein Problem ist, funktioniert die Steuer auf einer internationalen Ebene noch weniger. Schließlich dominiert ein Kooperationsproblem. Dennoch haben einige Staaten erkannt, dass der Klimawandel kein erfundenes Phänomen, sondern die bittere Realität darstellt. Aus diesem Grund haben sich Akteure zusammengefunden, die das berühmte Kyoto-Protokoll formuliert haben. (Quelle: juwiss.de) […]

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