Nach dem Überblick im ersten Teil der Serie möchte ich jetzt vertiefend auf einige demokratischen Probleme des Investorenschutzes bei CETA eingehen. Insbesondere zeige ich auf, dass die Investitionsschutzregeln im Vergleich zu den nationalen Regeln tendenziell weiter sind. Außerdem möchte ich zeigen, wie Investorenrechte frei von parlamentarischer Einwirkungsmöglichkeit ausgeweitet werden können.
Als großer Erfolg für die aktuelle CETA-Variante wird die ausdrückliche Verankerung eines „Rechts auf Regulierung“ in Artikel 8.9 gefeiert.
Hierbei handelt es sich jedoch um nichts weniger als eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit. Kein Investitionsschutz-Vertrag stellt grundsätzlich in Abrede, dass Parlamente Gesetze machen dürfen. Ebenfalls gibt es kein Investitionsschutzregime, nach dem alleine aus negativen Auswirkungen auf die Gewinnerwartung eines Investors ein Schadensersatzanspruch abgeleitet würde. Allerdings steht, und hier liegt das Problem, das Recht der Parlamente unter einem Vorbehalt. Nur „legitime politische Ziele“ sind erfasst, einige Beispiele sind in einem nicht abschließenden Katalog aufgeführt. Ob ein Ziel „legitim“ ist, bestimmt sich nach einer Abwägung im Einzelfall. Diese Abwägung liegt aber nicht beim Parlament, sondern beim Sondergericht.
Internationale Investorenrechte und die nationale Rechtsordnung
Aus ganz verschiedenen Gründen erstaunlich ist die allenthalben verbreitete Entwarnung, der Investitionsschutz in CETA ginge nicht über die Regeln der deutschen Rechtsordnung hinaus. Das Gegenteil ist richtig.
Strukturell angelegt ist entgegen anders lautender Aussagen sogar eine Ausweitung der Investorenrechte. Einige nicht abschließende Beispiele:
Freund*inneninternationaler Investorenschutz-Regime führen oft beschwichtigend an, die Sondergerichte könnten, anders als nationale Gerichte, keine Rechtsakte direkt aufheben. Deshalb seien sie keine Gefahr für den Spielraum demokratischer Organe. Diese Feststellung ist richtig, die Schlussfolgerung daraus falsch. Ein Gesetz oder ein Bebauungsplan kann tatsächlich nur von einem nationalen Gericht für unwirksam erklärt werden. Allerdings läuft die Verhängung von Schadensersatz in Millionenhöhe auf das Gleiche hinaus. Der Schadensersatz ist so hoch bemessen, dass sich kein Staat leisten könnte, an einer Maßnahme festzuhalten, die ein Sondergericht als völkerrechtswidrig qualifiziert. Eine Niederlage vor einem Sondergericht ist aus der Perspektive des verklagten Staates wesentlich unangenehmer als die Anfechtung eines Rechtsaktes vor einem nationalen Gericht. Wird ein Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen und für nichtig erklärt, so folgt daraus kein Schadensersatzanspruch. Qualifiziert ein Sondergericht eine gesetzliche Bestimmung unmittelbar oder mittelbar als völkerrechtswidrig, so ist damit zugleich auch ein Schadensersatzanspruch verbunden, wenn der Investor durch die Regelung Gewinneinbußen erleidet. Bei Maßnahmen der Verwaltung ist es einem Investor nach deutschem Recht verwehrt, diese Maßnahme zu dulden und danach Schadensersatzansprüche geltend zu machen (Kein: „Dulde und liquidiere“!). Hat er die Maßnahme nicht fristgemäß angegriffen, kann es hinterher im Regelfall auch keinen Schadensersatz geben („Vorrang des Primärrechtsschutzes“). Mit diesem Mechanismus werden die öffentliche Hand und damit auch die Steuerzahler vor übermäßigen Schadensersatzforderungen privater Akteure geschützt. Schlimmer noch: Viele staatliche Stellen werden sich mehrmals überlegen, ob sie tätig werden, wenn eine Klage vor einem Sondergericht droht („regulatory chill“). Denn in diesem Fall kann einen Staat sein Tätigwerden im Wortsinn teuer zu stehen kommen.
Was der genaue Inhalt der Investorenrechte ist, wissen wir erst, wenn wir die ersten Schiedssprüche kennen, die auf Basis dieser Regeln gefällt wurden. Anhaltspunkte bieten selbstverständlich die Urteile der Sondergerichte, die auf der Basis ähnlich lautender Bestimmungen aus anderen Verträgen urteilen. Aber das bildet nur den gegenwärtigen Stand der Schiedsgerichts-Rechtsprechung ab. Wir wissen schlicht nicht, wie sich diese weiter entwickelt. Selbst in einem Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums zu CETA muss eingeräumt werden, dass „verlässliche Anhaltspunkte“ fehlten, „wie die Vorschriften in der Schiedspraxis in Zukunft tatsächlich ausgelegt und angewendet werden.“ Die „Gefahr“ einer „Haftungserweiterung durch rechtsfortbildende Auslegung der investitionsschutzrechtlichen Standards“ sei „nicht zu vernachlässigen, haben Investor-Staats-Schiedsgerichte doch in der Vergangenheit maßgeblich zur Ausformung und Fortentwicklung des Investitionsrechts beigetragen und sind deswegen in die Kritik geraten.“
Die Dynamik von „richterlicher Rechtsfortbildung“ wird in der Politik offensichtlich unterschätzt. Die Auslegung von Rechtsnormen durch Gerichte entfernt sich oft sehr weit vom ursprünglichen Wortlaut. Gerichte haben die Tendenz, ihre Entscheidungsgewalt auszudehnen.
Im CETA-Entwurf finden sich viele Wendungen „zur Klarstellung“, in denen ausgeführt wird, welche Auslegung nicht vom Wortlaut umfasst sein soll. Diese sind oftmals Reaktionen auf Schiedssprüche aus der Vergangenheit. So wird klargestellt, dass die Gewährleistung von „vollem Schutz und voller Sicherheit“ („full protection and security“) sich nur auf die physische Sicherheit des Investors bezieht. Die Notwendigkeit dieser Klarstellung überrascht, denn der Wortlaut legt genau das eigentlich nahe. Viele Sondergerichte haben aber aus dieser Klausel die sehr weitgehende staatliche Schutzpflicht abgeleitet, ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen und zu sichern. Das illustriert: Vor der erweiterten Auslegung von Anspruchsgrundlagen für Investoren wären Deutschland und die Europäische Union bei einem Inkraftreten von CETA nicht gefeit.
Vertragsänderungen ohne Parlament
Eine dynamische Rechtsprechung ist relativ unproblematisch, wenn sie demokratisch korrigiert werden kann und damit auch inhaltlich eine Rückbindung zum Volkswillen besteht. In der innerstaatlichen Rechtsordnung bedeutet das praktisch, dass Parlamente Gesetze ändern können, wenn sie inhaltlich mit einer „ständigen Rechtsprechung“ nicht übereinstimmen.
Bei CETA besteht zunächst einmal die Möglichkeit, den Vertrag neu zu verhandeln oder ihn zu kündigen. Das ist rechtlich und politisch schwierig, zumal Investitionen vor dem Zeitpunkt der Kündigung noch 20 Jahre nach der Kündigung weiter geschützt werden.
Unterhalb dieser Schwelle kann der gemischte Ausschuss den Gerichten sogar in einem laufenden Verfahren durch einstimmigen Beschluss verbindliche Auslegungsvarianten vorschreiben. Dies ändert jedoch an der kritischen Einschätzung nichts. Denn erstens ist es unwahrscheinlich, dass eine Vertragspartei einem „ihrer“ Investoren bei einem Schiedsgerichtsverfahren in den Rücken fällt. Zweitens kann der Vertrag durch solche Vorgaben genauso gut einschränkend wie erweiternd ausgelegt werden. Den Vorsitz im gemischten Ausschuss führen der EU-Handelskommissar und der kanadische Handelskommissar. In deren Behörden sitzen tendenziell Befürworter eines weitgehenden Investitionsschutzregimes. Die Gefahr ist also real, dass der Investorenschutz dann verschärft wird, wenn die Öffentlichkeit nach Abschluss des Vertrages nicht mehr so genau hinschaut.
Die verbindliche Festlegung einer Auslegung wie auch die im ersten Teil erwähnte Möglichkeit, den Katalog zur „gerechten und billigen Behandlung“ nachträglich zu erweitern, gewährt dem „Gemischten Ausschuss“ faktisch das Recht, den Vertrag nachträglich zu ändern. Da es sich von der Wirkung, nicht aber terminologisch um eine Vertragsänderung handelt, müssen die regulären Verfahren zur Vertragsänderung nicht beachtet werden. Das geht zu Lasten der Parlamente, die in dem Verfahren übergangen werden können. In seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon hat das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich darauf hingewiesen, dass – auch faktische – Änderungen der europäischen Verträge ohne parlamentarische Beteiligung nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar sind.
Fazit: Keine Globalisierung von Investor-Sonderrechten
Auch der reformierte Investitionsschutz bei CETA bietet Investoren Rechte ohne vergleichbare Pflichten. Die institutionelle Verankerung von Investor-Sonderrechten drängt konkurrierende Interessen wie Umweltschutz, Verbraucherschutz oder Arbeitnehmerrechte strukturell in die Defensive.
Ein Sonderrechtsregime für Investoren ist ein Verstoß gegen die demokratische Gleichheit. Das entstehende Geflecht von Investitionsschutzverträgen beschleunigt den Weg in eine „Postdemokratie“ (Colin Crouch), in der Parlamente zwar noch regulär gewählt werden, aber immer weniger entscheiden dürfen.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für den Beitrag, Folke. Du bist sehr bemüht die aus deiner Sicht bestehenden Schwachpunkte darzustellen (Stichworte: nur Schiedsgericht statt richtiges internationales Gericht, generalklauselartige Investorenrechte, Vertragsänderungen ohne Parlament). Mir scheint dies widersprüchlich, wenn man die Argumente zusammenführt.
1. Ein „richtiges“ internationales Gericht schafft viel größere institutionelle Eigendynamiken als ein Schiedsgericht, auch ein ständiges. Uns alle sind die Urteile von EuGH und EGMR bekannt und wie diese über die ursprünglichen Absichten der Gründerstaaten hinausgehen. Diesen Punkt siehst du selbst in Teil 2 deines Beitrags. Das kann man gut oder schlecht finden. Wenn der Kritikpunkt aber ist, es werde kein richtiges Gericht geschaffen, so steht das in Widerspruch zum Tenor deines Beitrages, die Souveränität möglichst unbehelligt zu lassen.
2. Du schreibst, CETA biete hinsichtlich der Investorenrechte nichts Neues. Natürlich. Vergleicht man CETA mit dem Modellvertrag des Bundeswirtschaftsministeriums (http://investmentpolicyhub.unctad.org/Download/TreatyFile/2865) fällt auf, dass CETA detallierter UND die Balance zwischen Investoren und gesellschaftlichen Interesse ist viel besser schafft. Im Übrigen, sind Generalklauseln das Schicksal des öffentlichen Rechts. Struktuell besteht zwischen den Investorenrechten, den GG-Grundrechten oder EMRK kein Unterschied. Das bringt mich zu Punkt
3. Der CETA-Ausschuss ist ein guter Kompromiss zwischen der Schwierigkeit einen völkerrechtlichen Vertragsänderung und der Sicherung des Rechts auf Regulierung. Und deine Vermutung wie diese genutzt wird, ist nur das eine Vermutung. Der bisherige Präzedenzfall, die NAFTA interpretative note, schränkte den FET-Standard im NAFTA-Vertrag auf den völkerrechtlichen Mindesstandard ein.
4. Investorenrechte bringen gesellschaftliche Interesse nicht in die Defensive. Siehe zum Beispiel Phillip Morris gegen Uruguay. Und dass auf Basis eines BITs, der den Ausgleich zwischen Investorenrechten und gesellschaftlichen Interessen viel schlechter hinbekommt als CETA.
5. Letztlich ist deine Kritik von dem Argument getragen, dass Investorenrechte gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Auch das teile ich nicht. Zum einen ersetzt ISDS funktionell den Fremdenschutz und kommt damit der Verfassungspflicht nach, einer allgemeinen Schiedsgerichtsbarkeit beizutreten, Art. 24(3) GG. Zudem ist es naiv, dass ohne ISDS die Konflikte nicht bestehen bleiben. Die Konflikte, die das CETA-Tribunal beilegt, würden ohne dieses auf die zwischenstaatliche Ebene gelegt. Das ist die Logik des diplomatischen Schutzes. Dieses Privileg haben aufgrund ihrer Lobbymacht aber nur große Konzerne (im Gegensatz zum CETA-Tribunal).Die Belastung der zwischenstaatlichen Beziehungen mit Investorenstreitigkeiten lenkt von wichtigeren internationalen Problemen ab, wo gute Beziehungen zwischen Kanada und der EU essentiell sind.