im Interview für die Law Clinic MORITZ SCHRAMM
Dieser Beitrag ist Bestandteil der Interviewreihe „Refugee Law Clinics: soziales Engagement als praktische Kritik an der universitären Juristenausbildung?“
Das Asyl- und Aufenthaltsrecht hat derzeit in der Praxis Hochkonjunktur. In der normalen juristischen Ausbildung ist das Gegenteil der Fall. Aber die Studierenden strömen zu Hauf in die Refugee Law Clinics. Ist mit diesem Rechtsgebiet ein besonders hoher rechtsdidaktischer bzw. pädagogischer Mehrwert verbunden, den man lange unterschätzt hat?
Wir waren selbst überwältigt von dem Ansturm der Studierenden zu der von uns organisierten Vorlesung zur Einführung in das deutsche und europäische Asyl- und Aufenthaltsrecht. Im aktuellen Wintersemester findet unsere Vorlesung in einem der größten Säle der Humboldt-Universität statt und wird stetig von über dreihundert Studierenden besucht. Dies ist sicherlich einerseits der generellen Relevanz des Themas geschuldet – ganz besonders aber auch unseren Dozent_innen, die es schaffen, einen an der Praxis orientierten und zugänglichen Einblick in das Rechtsgebiet zu verschaffen. Insbesondere für Jurastudierende ist das Asyl- und Aufenthaltsrecht auch didaktisch besonders wertvoll, weil es besonderes und allgemeines Verwaltungsrecht mit einer spannenden Thematik verknüpft und die Einflüsse des Völker- und Europarechts besonders deutlich werden.
Streitet das hohe Interesse der Studierenden an diesem Rechtsgebiet mit seiner hohen sozialen bzw. existenziellen Relevanz dafür, ähnliche Rechtsgebiete generell in das Studium mit einzubeziehen oder sollten solche Rechtsgebiete weiterhin eher Nischenfächer bleiben, weil auch ihr „Marktwert“ nach wie vor eher gering ist?
Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn im Rahmen der allgemeinen Ausbildung im öffentlichen Recht mehr auf die besondere Problematik dieses so relevanten Rechtsgebiets hingewiesen würde. Der didaktische Mehrwert – insbesondere im Rahmen des Hauptstudiums – wurde ja bereits hervorgehoben. Hier sind alle Dozent_innen aufgerufen zu überlegen, ob sie Aspekte und Problematiken nicht auch in ihre Vorlesung integrieren können. Einer der standardmäßigen Kritikpunkte am Jurastudium ist, dass es „trocken“ und „lebensfremd“ sei – der ein oder andere Verweis auf die aktuellen Entwicklungen im Asylrecht vermögen hier entgegenzuwirken.
Angesichts der schon sehr umfassenden juristischen Ausbildung in Deutschland wäre es zwar zu begrüßen auch die Grundzüge des Asyl- und Aufenthaltsrecht als Pflichtstoff aufzunehmen, wahrscheinlich ist es jedoch nicht. Im Rahmen von Seminaren oder anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen sind jedoch die juristischen Fakultäten in Europa gefordert das Thema auf die Agenda zu bringen!
Bei Euch wird Interdisziplinarität groß geschrieben. Könnt Ihr für die Leser*innen kurz erläutern, wie sich Interdisziplinarität bei Euch ausdrückt und warum Euch dieser Aspekt so wichtig ist?
Wir sind eine studentische Initiative und eines unserer primären Ziele ist es, das Thema Asyl- und Migrationsrecht in der wissenschaftlichen Debatte präsent zu machen. Dies beschränkt sich nicht nur auf den juristischen Diskurs, sondern umfasst alle Fachrichtungen. Außerdem sind unterschiedliche Denkansätze bereichernd bei der Zusammenarbeit. Im Rahmen der Vorlesung haben wir nicht ausschließlich juristische Inhalte, sondern beispielsweise auch eine psychologische Vorlesung zum Thema Traumalehre.
In unserer Vorlesung sind circa ein Drittel der Teilnehmer_innen Studierende nichtjuristischer Fächer. Ferner nehmen auch Berufstätige, Praktiker_innen, Ehrenamtliche und sogar Rentner_innen teil.
Im Rahmen unserer jüngst angelaufenen Beratungstätigkeit in Notunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Berlin sind ebenfalls ungefähr ein Drittel der Berater_innen keine Jurist_innen. Um eine fachlich kompetente Beratung anbieten zu können muss jede_r Berater_in unseren einjährigen Ausbildungszyklus durchlaufen.
Lässt sich sagen, dass gerade die Arbeit in einem Rechtsgebiet wie dem Asyl- und Aufenthaltsrecht nur dann gut zu bewältigen ist, wenn bestimmte interdisziplinäre Aspekte eingeflochten werden und lässt sich etwas allgemeiner sagen, dass ein rechtswissenschaftliches Studienangebot zwingend mit interdisziplinären Einsprengseln gestaltet werden muss, wenn man den Anspruch hat, Praxisnähe herzustellen?
Kurzum: Ja! Gerade aus der Erfahrung der Beratungspraxis zeigt sich, dass ein möglichst breiter Horizont und ein umfassendes Verständnis des ganzen Problemkomplexes „Flucht“ unerlässlich sind.
Auch auf materieller Ebene spielen andere Fachgebiete im Asylrecht eine herausgehobene Rolle. Psychologie, Medizin, Soziologie und vieles mehr werden in die juristische Arbeitsweise mit einbezogen. Eine verbesserte interdisziplinäre Ausbildung ist hier absolut nötig – der Umgang der Rechtspraxis insbesondere mit medizinischen Fragen und Problemstellungen ist teilweise äußerst fragwürdig.
Eine gute asylrechtliche Beratung ohne interdisziplinäre Kenntnisse ist letztendlich illusorisch.
Wie sieht bei Euch der Alltag der studentischen Rechtsberatung aus? Sucht Ihr aktiv nach Fällen, werden Sie Euch von anderen Organisationen weitergeleitet oder hat sich das Projekt inzwischen so gut herumgesprochen, dass die Menschen, die Rechtsberatung benötigen, selbst Ihren Weg zu Euch finden?
Wir haben fünf Gruppen von je vier bis sechs Berater_innen. Diese sind maßgeblich nach ihrem Wohnort zusammengesetzt. Die Gruppen sind selbst dafür verantwortlich, Einrichtungen zu finden, in denen sie beraten können. Sollten Probleme entstehen, steht unser Verein, die Refugee Law Clinic Berlin e.V., natürlich bereit. Auch haben wir sowohl juristische als auch psychologische Supervision für unsere Beraterteams auf die Beine gestellt.
Die Beratung in den Einrichtungen ist zunächst einmal eine Frage des Zugangs und der Sprache. Es muss zunächst ein gewisses Vertrauensverhältnis zu den Verwaltungen der Einrichtungen aufgebaut werden, damit uns verlässlich Einlass gewährt wird. Auch gilt es stets die Sprachbarriere zu überwinden – ein logistisch sehr aufwändiges Unterfangen.
Innerhalb der Unterkünfte bieten wir sowohl eine allgemeine Aufklärung über das Asylverfahren in Deutschland an. Hier stellen wir Hinweise zur Anhörung beim BAMF in den Mittelpunkt – diese ist schließlich der Dreh- und Angelpunkt des Asylverfahrens. Außerdem stellen unsere Berater_innen individualisierte Einzelfallberatung bereit, in denen einzelne Geflüchtete auf ihre Anhörung vorbereitet werden, asylrechtliche Fragen beantwortet bekommen und sofern nötig an einen Anwalt weitergeleitet werden.
Zurzeit begeben wir uns noch in die Heime – dies hat auch den Grund, dass wir leider noch keine geeigneten Räumlichkeiten an der Universität gefunden haben. Hier sind viele andere Refugee Law Clinics im Vorteil.
Habt Ihr den Eindruck, dass die Studierenden durch Ihre Tätigkeit besser motiviert sind, Rechtswissenschaft zu studierenden oder ist dieser Zusammenhang weniger stark ausgeprägt als man als Beobachter vermuten würde?
Nein, dieser Zusammenhang besteht eindeutig! Das Feedback der Jurastudierenden ist sehr positiv und die Motivation gleichbleibend hoch. Man muss sich das einmal vergegenwärtigen – Dienstagsabends von 18 bis 20 Uhr finden sich hunderte Studierende ein, um besonderes Verwaltungsrecht bei uns zu lernen, ohne dass sie sich dies an der Uni anrechnen lassen können.
Außerdem haben Law Clinics generell den Reiz, dass man bereits während des Studiums Recht anwenden kann und mit echten Fällen in Kontakt kommt. Das motiviert ungemein – schließlich ist Kontakt zum „echten Leben“ im juristischen Studium eigentlich erst im Referendariat vorgesehen.
Seht ihr im Modell der Law Clinics ein Konzept, das auch auf andere Rechtsgebiete ausgeweitet und regulär in den Studienalltag aller Studierenden integriert werden sollte? Seht Ihr hier ganz besondere Chancen oder gibt es bestimmte Risiken, die gegen eine solche Generalisierung sprechen?
Das Konzept der Law Clinics kommt ursprünglich aus den Vereinigten Staaten und war dort mitnichten ein genuin aufenthaltsrechtliches Phänomen. Auch in Deutschland haben Law Clinics zunächst in anderen Rechtsbereichen fußgefasst. Verbraucherschutzrecht ist da ein Klassiker. Es ist also eher so, dass der Themenkomplex Asyl- und Aufenthaltsrecht durch die Refugee Law Clinics für das Konzept Law Clinic erschlossen wurde.
Generell halten wir das Konzept Law Clinic für sehr sinnvoll – auch wenn hier die Bandbreite groß ist. Wir als studentische Initiative sind da ganz anders aufgestellt als Law Clinics, die fest an Lehrstühle angebunden bzw. von diesen gegründet wurden. Gleichwohl macht aber der unmittelbare Bezug zur Praxis unheimlich viel Spaß. Das Modell der Law Clinics kann und sollte also in der zuweilen etwas eingerosteten deutschen Juristenausbildung Schule machen.
Kontakt zur Refugee Law Clinic Berlin e.V.:
Moritz Schramm
Mitglied des Vorstandes der Refugee Law Clinic Berlin e.V.
Student an der Humboldt-Universität zu Berlin im fünften Semester, Schwerpunkt im Völker- und Europarecht
moritz.schramm@rlc-berlin.org oder info@rlc-berlin.org
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Sorry, aber ab dem ersten sperrigen und sinnlosen „_“ mitten im Text war für mich der Artikel nicht mehr lesbar. Schade, wäre sicher sehr interessant. Und dann verwendet ihr auch noch sowohl „*“ als auch diesen irrsinnigen „gender-Strich“. Das ist eine Schande für die deutsche Sprache! Man kann nur hoffen, dass das niemals in dem wissenschaftlich seriösem Diskurs Einzug findet!