von JUWISS-REDAKTION
Heute Abend ist es endlich wieder soweit: Vier Tage Assistententagung warten auf uns. Traditionell beginnt die Tagung mit dem Eröffnungsabend und einem Festvortrag. Diesen Vortrag hält in diesem Jahr der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof. Die JuWiss-Redaktion hat diese Gelegenheit genutzt und Professor Kirchhof im Vorwege ein Fragen gestellt. Assoziationen zum Tagungsthema, Herausforderungen für die junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht und die Rolle des rechtswissenschaftlichen Bloggens haben uns dabei besonders interessiert.
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an das Thema der diesjährigen Assistententagung „RECHTsFRIEDEN – FRIEDENsRECHT?“ denken? Drängen sich Ihnen Assoziationen zu aktuellen Problemen auf?
Zu Rechtsfrieden und Friedensrecht fällt mir sofort die europäische Idee ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es mit Hilfe einer Rechtsgemeinschaft gelungen, den Frieden zwischen den zusammengeschlossenen Staaten zu erhalten und wichtige zivilisatorische Errungenschaften im Zusammenrücken der Völker weiter zu verankern. Ergänzend kann man an die Europäische Konvention der Menschenrechte denken, die das Ziel eines grundrechtlichen Mindeststandards als Friedensgrundlage in 47 Staaten Europas verwirklichen will.
Welchen Themen, welchen methodischen Herausforderungen sollten sich die auf der Assistententagung versammelten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Öffentlichen Rechts zuwenden?
Bürger und Gesellschaft sind heute mehr denn je auf die Existenz und das Funktionieren von privaten Infrastrukturen angewiesen. Denken wir nur an das Internet mit den dortigen Suchmaschinen, an soziale Netzwerke und an Handelsplattformen. Sie werden von privaten, global agierenden Firmen betrieben, deren Gestaltungsmacht der staatlichen Hoheitsgewalt zumindest nahe kommt. Jedoch entwinden sie sich der Kontrolle nationaler Rechtsordnungen, indem sie übernational, teilweise sogar auf hoher See oder über Satelliten tätig sind. Diese Entwicklung verlangt nach neuen Regulierungskonzepten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre zudem die Frage aufzuwerfen, wie weit nationale Grundrechte noch das Handeln dieser „global players“ beeinflussen können und wie wir die Grundrechtsbindung auch für sie effektiv werden lassen.
Auch auf nationaler Ebene entwickelt sich der Grundrechtsschutz weiter. Die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen kann oftmals nicht mehr allein anhand materieller Vorgaben eines Grundrechts festgestellt werden. Die Entscheidungen zu „Hartz IV“ haben uns zum Beispiel gelehrt, dass aus der Verfassung kein auf Heller und Pfennig exakt beziffertes, für ein menschenwürdiges Dasein erforderliches Existenzminimum zu berechnen ist. Also muss der Grundrechtsschutz mit Hilfsmaßstäben arbeiten; dort war es die sachgerechte, plausible und konsequente Ermittlung des Regelleistungssatzes aus empirischen Grundlagen. Dieser Hilfsmaßstab musste den an sich vorrangigen materiellen Maßstab ergänzen. Hinzu trat die Obliegenheit der Legislative im Prozessfall, die Rationalität und Konsequenz ihrer Berechnungsmethoden darzulegen.
Interdisziplinarität ist wieder in aller Munde. Welchen wissenschaftlichen Mehrwert weisen Sie der interdisziplinären Arbeitsweise zu?
Ich glaube, dass im Moment in erster Linie die empirischen Wissenschaften mit der Rechtswissenschaft zusammenarbeiten sollten. Der Gesetzgeber verlässt sich im Umwelt- und Technikrecht auf Umfragen, Statistiken und Expertenaussagen, weil ihm das notwendige technische Fachwissen für seine Normsetzung fehlt. Hier könnte es zu einer intensiveren Zusammenarbeit mit dem Mehrwert einer zielgerechten und realitätsnahen Regelsetzung kommen.
In welchen Bereichen des Öffentlichen Rechts sehen Sie die junge Wissenschaft besonders berufen, sich in wissenschaftliche Debatten einzumischen?
Die jüngeren Wissenschaftler sind mit elektronischen Medien bereits aufgewachsen. Als „digital natives“ können sie in diesem Bereich aus ihrer eigenen Lebenserfahrung mehr zur öffentlichen Debatte beitragen als ältere Juristen, die sich diese Kenntnisse erst mühsam aneignen mussten. Das Gleiche dürfte für den Blick über den juristischen Gartenzaun der nationalen Rechtsordnung gelten: Ein längerer Auslandsaufenthalt war früher eher die Ausnahme, heute gehört er zum Alltäglichen. Wer ein oder zwei Jahre im Ausland mit dem Studium fremder Rechtsordnungen verbracht hat, kann diese Perspektive in die wissenschaftliche Arbeit „zuhause“ einbringen. Dies sind zwei Gebiete, die jüngere Wissenschaftler im akademischen Diskurs betreten sollten.
Gibt es etwas, das die heutige Generation von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von der Ihrigen grundlegend unterscheidet?
Nein, fundamentale Unterschiede gibt es glücklicherweise nicht. Gewiss hat die heutige Generation andere Erfahrungen gemacht als frühere. Vielleicht hat sie auch andere Interessen. Es ist aber beruhigend zu sehen, dass die Methoden für die Erfassung des Realbereichs, die Normierung und die Entscheidungsfindung in der juristischen Wissenschaft strukturell gleich geblieben sind. Wissenschaft verbindet im gemeinsamen Erkennen über die Generationen hinaus.
Rechtswissenschaftliches Bloggen liegt derzeit im Trend. Wie stehen Sie zu diesem Thema: Ist das Bloggen eine Bereicherung für die Rechtswissenschaft? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in diesem schnellen und unmittelbaren Medium für die Rechtswissenschaft?
Blogs führen zu einem schnellen und breit angelegten Diskurs über aktuelle Probleme; hierin liegt zweifellos ihre Stärke. Aufgrund dieser Schnelllebigkeit und des spezifischen Formats – in der Regel kürzere Texte ohne Literaturnachweise – besteht jedoch das Risiko, dass Blog-Beiträge vom wissenschaftsnotwendigen, umfassenden Reflektieren eines Problems in knallig argumentierende Hypothesen abgleiten. Zudem können sie zur Polarisierung in Meinungsgruppen führen, denen es weniger um den Diskurs im Sinne des optimalen Ergebnisses als um ein Sich-Behaupten im Meinungsstreit geht. Auch muss man stets im Auge behalten, dass auch die verschiedenen Blogs miteinander auf einem Markt konkurrieren und sich teilweise vordergründiger Aufmerksamkeitsmechanismen bedienen müssen.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Frage Nr. 7:
Herr Kirchhof, wie fühlt sich so eine Schlappe eigentlich an, nachdem man eifrig an entsprechenden diskriminierenden Gesetzen aktiv mitgewirkt hat?
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/01/rs20150127_1bvr047110.html