von TJORBEN STUDT
Wer eine Nachricht schreibt, telefoniert oder aus anderem Grunde den Blick von der Fahrbahn auf ein elektronisches Gerät wendet, fährt eine erhebliche Strecke im Blindflug und kann kaum auf das sich entwickelnde Verkehrsgeschehen angemessen reagieren. Nicht verwunderlich ist es daher, wenn der Staat derartige ablenkungsbedingte Verstöße (§ 23 Ia StVO) aufdecken und ahnden möchte, um die dadurch entstehenden Unfallgefahren durch einen „Überwachungsdruck“ einzudämmen – dabei sind dem Staat allerdings auch insbesondere im Hinblick auf die Verwertbarkeit von „Beweisfotos“ Grenzen gesetzt.
Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz
Zur Eindämmung dieser Unfallgefahren hat die Polizei Rheinland-Pfalz im Sommer/Herbst 2022 ein Pilotprojekt mit der Kameratechnik (MonoCam) durchgeführt. Dabei wird von einer erhöhten Position durch die Frontscheibe in den Innenraum der Fahrzeuge gefilmt, welche sich im Detektionsbereich bewegen. Diese Aufnahmen werden von einer KI auf die Sichtbarkeit von elektronischen Geräten gescannt und eine Beurteilung vorgenommen, ob die Haltung des Fahrers eine typische Nutzungshaltung darstellt. Gleichzeitig wird das Kennzeichen systemintern mit bereits Aufgenommenen abgeglichen und die Aufnahme kurzfristig gespeichert.
Beim Erkennen einer typischen Nutzungshaltung und eines elektronischen Geräts wird ein Trefferbild „geschossen“ und von Polizeibeamten*innen auf das Vorliegen der Auslösevoraussetzungen überprüft. „Nicht-Treffer“-Aufnahmen werden automatisch gelöscht.
Erste Entscheidung zur MonoCam
Die Ahndung etwaiger im Pilotprojekt aufgedeckter Verkehrsverstöße ist rechtlich jedoch nicht unproblematisch – wie eine Entscheidung des AG Trier offenbart.
Das Gericht entschied, dass die „MonoCam“-Aufnahmen trotz Fehlens einer Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz der Kameratechnik dennoch als Beweise vor Gericht verwertbar seien, weil diese nur eine geringe Eingriffsintensität in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) aufwiesen und das erhebliche öffentliche Interesse an der Ahndung von Verkehrsverstößen durch die Nutzung von elektronischen Geräten überwiege.
Die Erforderlichkeit einer derartigen Abwägung bei Beweiserhebungsfehlern ist nach den dafür entwickelten Grundsätzen auch in Bußgeldverfahren gem. § 46 OWiG ständige Rechtsprechung, allerdings spricht vorliegend viel dafür, dass diese Abwägung ganz im Gegenteil zur Entscheidung des AG Trier zugunsten der Betroffenen ausfällt.
Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG schützt die Befugnis des Einzelnen grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und gegenüber wem er zu welchem Zweck Lebenssachverhalte im allgemeinen und personenbezogene Daten im besonderen offenbart.
Bereits im Rahmen der Vorfelddetektion werden bei der MonoCam in maschinenlesbarer Form, weil auf dem systemintern zumindest kurzfristig gespeichert, persönliche Daten wie das Kennzeichen (§ 45 S. 2 StVG), die Gesichter der Fahrzeuginsassen sowie der Fahrzeuginnenraum als Handlungssphäre derselben erhoben und dargestellt. Unerheblich für den Eingriff ist ferner, dass die Daten nach ihrer Erhebung bei einem „Nicht-Treffer“ wieder vollständig gelöscht werden, weil nach der BVerfG-Rechtsprechung bereits ausreichend ist, wenn die personenbezogenen Daten in einer Form vorgelegen haben, dass sie für die Behörden verfügbar gemacht worden sind, einen Abgleich ermöglichen und ein Personenbezug vor Löschung hergestellt werden könnte.
Im Kontrast dazu besteht das unabweisbare Bedürfnis an der effektiven Verfolgung von ordnungswidrigen Verhaltensweisen, die erhebliche Unfallgefahren bergen.
Allerdings kommt dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund der Art des Eingriffs im Rahmen der Abwägung gerade kein geringes Gewicht zu. Denn zum einen kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beweise durch eine bewusst rechtswidrige Maßnahme erlangt wurden. Das Land Rheinland-Pfalz hatte trotz Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten, welcher erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Pilotprojekts ohne Ermächtigungsgrundlage und der Ahndung von aufgezeichneten Verstößen geäußert hat, keine Bedenken gegen sein Handeln aufkommen lassen. Diese wären andererseits aber bereits deshalb angezeigt gewesen, weil die Rechtsprechung in der Vergangenheit eindeutig festgestellt hat, dass auch für ein Pilotprojekt eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich ist. Dies beruht auf dem Wesentlichkeitsgedanken, wonach ein derartiger massiver Grundrechtseingriff in quantitativer Hinsicht einer speziellen Ermächtigungsgrundlage bedarf, welches dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit und strikten Zweckbindungs-/Zweckbestimmungsvorgaben genügen muss.
Die bewusste Missachtung oder zumindest grob fahrlässige Unkenntnis dieser Rechtsprechung – damit willkürliche Vorgehensweise des Landes – ist bei der Abwägung zugunsten eines Beweisverwertungsverbotes zu berücksichtigen. Dies gilt auch besonders deshalb, weil die Verwertung von derartigen Bildaufzeichnungen das systematisch verfassungswidrige Handeln der Polizei manifestieren würde (vgl. AG Frankfurt a.M., Urteil vom 27.05.2010 – 901 OWi – 858 Js 10445/10). Dies kann rechtsstaatlich nicht gewollt sein. Darüber hinaus stellt sich der Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als gegenüber einer Vielzahl von Personen in der Ausgestaltung des Messverfahrens angelegt dar und wird dadurch besonders bedeutungsschwer.
Ein Verkehrsverstoß von besonders schwerem Gewicht?
Es ist auch nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weshalb nach dem AG Trier der Verstoß gegen § 23 Ia StVO ein solcher von besonders schwerem Gewicht sei.
Dies ergibt sich weder aus der gesetzlich unterschiedlosen Konzeption der Ordnungswidrigkeiten in § 49 I StVO noch hat der „Ablenkungsverstoß“ strafrechtliche Relevanz (vgl. §§ 315b, 315c StGB). Ebensowenig liegt das Bußgeld für Verstöße gegen § 23 Ia StVO im oberen Bereich und auch die Statistik widerspricht dem Ergebnis des AG Trier. Denn im Jahr 2021 sind lediglich 0,3% der Unfälle mit Personenschaden und 0,7% der Unfälle mit Verkehrstoten auf derartige ablenkungsbedingte Verstöße zurückzuführen. Die Annahme einer besonderen Schwere der Verstöße erscheint umso mehr zweifelhaft, wenn ein Geschwindigkeitsverstoß bereits in qualitativer und quantitativer Hinsicht mehr realisierte Gefahren hervorruft (Anteil an Unfällen: 11,99% mit Personenschaden; 23,48% mit Verkehrstoten) und dennoch von der Rechtsprechung (s. AG Frankfurt a. M. a.a.O.) bereits als bloß von unterer bis mittlerer Schwere eingeordnet worden ist.
Es mag zwar eingewandt werden, dass ein Verstoß gegen § 23 Ia StVO gerade punktuell Gefahren schafft, die sich gravierend auswirken können und die Dunkelziffer wegen der erschwerten Nachweisbarkeit besonders hoch ist. Allerdings führt genauso wie bei anderen Verkehrsverstößen die punktuelle Gefahrschaffung nicht auch zu einer unbedingten Gefahrrealisierung.
Fazit
Die Gefahren die von einer Nutzung elektronischer Geräte im Straßenverkehr ausgehen sind unabweisbar hoch. Der richtige Weg diesen Gefahren zu begegnen, mag zwar in der Verkehrsraumüberwachung durch Systeme wie der MonoCam liegen und dem damit erzeugten Überwachungsdruck. Dieser kann jedoch auch nur dann general-präventiv wirken, wenn eine dahingehende „Überwachung“ auf Akzeptanz trifft und einen Unterwerfungsdruck bzw. eine Abschreckungswirkung erzeugt. Deshalb ist der parlamentarische Gesetzgeber aufgefordert zu handeln und eine geeignete Ermächtigungsgrundlage zu schaffen, wenn er den Einsatz der MonoCam in Zukunft auf rechtssichere Beine stellen und eine Ahndung entsprechender Verkehrsverstöße ermöglichen möchte.
Festzuhalten ist überdies – insbesondere im Hinblick auf die dem Pilotprojekt entstammenden Bußgeldbescheide –, dass sich der Staat zwischen der Erprobung rechtsstaatlichen Handelns und rechtswidrigem Handeln in Erprobungssituationen zu entscheiden hat. Es sollte bedacht werden, dass die Akzeptanz des staatlichen Verfolgungsanspruchs stärker beschädigt werden könnte, wenn der Staat sehenden oder grob fahrlässigen Auges alle von Verfassung und Gesetzes wegen vorgesehenen Sicherungen unbeachtet lassen könnte, ohne daraus eigene Konsequenzen ziehen zu müssen.
Zitiervorschlag: Studt, Tjorben, Der Straßenverkehr als rechtsstaatsfreier Raum?, JuWissBlog Nr. 10/2023 v. 22.03.2023, https://www.juwiss.de/10-2023/.
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