von MAXIMILIAN ROTH
Die „Ampel“ feiert ihr „Modernisierungspaket“ für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung nach über 30 Stunden (Nacht-)Verhandlungen und spricht von einem „Paradigmenwechsel“ im Naturschutz. Ein näherer Blick in das Papier des Koalitionsausschusses lässt den aufmerksamen Leser verdutzt dreinblicken, weil Klima- und Naturschutz vor einem Ausverkauf stehen und gefestigte Grundstrukturen umgekehrt werden sollen. Während die Umwelt– und Naturschutzverbände bereits Sturm laufen, ist einer regierungstragenden Partei in zentralen Ergebnissen des Koalitionspapiers zu einem haushohen Punktsieg zu gratulieren.
Halbierung der Verfahrensdauer – bisher verabschiedete Planungsbeschleunigungsgesetze
Ziel der „Ampel“ ist es ausweislich ihres Koalitionsvertrags, die Verfahrensdauern von Planungs- und Genehmigungsverfahren mindestens zu halbieren (Koalitionsvertrag 2021, S. 12). Dazu wurden bereits im Jahr 2022 das „Osterpaket“ mit dem Schwerpunkt bei der Windkraft auf See und erneuerbarer Energien sowie das „Sommerpaket“ mit dem Schwerpunkt bei der Windkraft an Land und zum Einsatz verflüssigten Erdgases (LNG) verabschiedet. Das als „Herbstpaket“ angekündigte Beschleunigungsgesetz für den Verkehrsbereich sorgte zunächst für Widerstand innerhalb der Bundesregierung. Nun ist aber klar: Aus dem Herbstpaket wird ein zweites Sommerpaket. Denn bis zum 10.8.2023 muss die Richtlinie EU 2021/1187 über die Straffung von Maßnahmen zur raschen Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) in nationales Recht umgesetzt sein.
Vorbild: LNG-Beschleunigungsgesetz – der geleakte Referentenentwurf
Bereits im Dezember ist dazu ein Referentenentwurf an die Presse und an die Wissenschaft (Morlock/Khan/Lohmann, KlimR 2023, 39 ff.) durchgedrungen. Herzstück des Entwurfs ist es, die Instrumente aus dem LNG-Beschleunigungsgesetz in das Bundeswasserstraßengesetz, das Bundesfernstraßengesetz und das Allgemeine Eisenbahngesetz zu überführen. Das beim LNG-Bau vorgelegte Tempo nennt Kanzler Scholz gerne „das neue Deutschlandtempo“. Dass das LNG-Beschleunigungsgesetz allerdings gerade keine Vorbildfunktion für weitere Infrastrukturprojekte und -gesetze haben soll, darüber waren sich die Teilnehmenden der 25. Speyerer Planungsrechtstage Anfang März nahezu unisono einig. Damit droht dieser Gesetzentwurf genauso desaströs zu enden wie der Versuch, die verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich zu beschleunigen.
„Deutschlandtempo“ im Sinne der Umwelt?
Aber passen Beschleunigungsinstrumente wie der Entfall der Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 4 LNGG), ein weitreichender vorzeitiger Baubeginn ohne die Notwendigkeit der Vollständigkeit der Antragsunterlagen (z.B. § 7 Satz 1 Nr. 5 LNGG) oder die vorzeitige Besitzeinweisung bereits nach der Einwendungsfrist (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 LNGG) in das Selbstverständnis einer regierungstragenden Partei, die aus einer ökologischen Bewegung entstand, nach ihrem Grundsatzprogramm für den Schutz bzw. Erhalt der Umwelt eintritt und für eine frühzeitige und wirksame Verfahrensbeteiligung sorgen will? Denn neben unionsrechtlichen Zweifeln (u.a. Kment/Fimpel, NuR 2022, 599 ff.) sind die Abstriche im Umwelt- und Naturschutz besonders deutlich, was die beispielhaft genannten Instrumente zeigen. Bloß auf die Erkenntnis abzustellen, in Regierungsverantwortung nun zu pragmatischen Lösungen gezwungen zu sein, greift zu kurz. Durchsetzungsfähigkeit sieht anders aus. So droht ein Ausverkauf von Umwelt- und Naturschutz bei gleichzeitig schwachen eigenen Erfolgen.
Verkehrsminister trumpft im Autobahnausbau
Besonders deutlich wird dies bei der strittigen Frage, ob auch der Ausbau von Autobahnen von der Planungsbeschleunigung umfasst sein soll. Bereits in der Sitzung des Koalitionsausschusses im Januar wollte Verkehrsminister Wissing über 100 Autobahnvorhaben zur Engpassbeseitigung beschleunigen. Davon ist er nicht abgerückt und kann als Erfolg verbuchen, dass knapp 10 % der Vorhaben nach der Anlage zum Fernstraßenausbaugesetz künftig einem „überragenden öffentlichen Interesse“ unterliegen. Als „Kompromiss“ sollen dafür Photovoltaikanlagen entlang der Autobahnen errichtet werden – ein mehr als dürftiger und schwacher Trost für die Umwelt. Ob der Streit innerhalb der Koalition damit vollständig aus dem Weg geräumt ist, bleibt allerdings offen. Denn im Gesetzgebungsverfahren muss Wissing noch das Einvernehmen mit den betreffenden Bundesländern herstellen – der Zank dürfte damit nur verlagert sein.
Moderner Ablasshandel
Noch krasser sind jedoch die Ergebnisse des Koalitionspapiers mit Blick auf den Klima- und Naturschutz. So verkündete Finanzminister Lindner vollmundig einen „Paradigmenwechsel“ im Naturschutz, indem die Kompensation von naturschutzrechtlichen Eingriffen künftig auch durch entsprechende Zahlungen erfolgen kann. Das bestritt Umweltministerin Lemke noch am gleichen Abend auf Twitter – in der irrigen Annahme, dieser Passus wäre kein Teil des Papiers. Bislang ist es gefestigter naturschutzrechtlicher Grundsatz, dass ein Eingriff ausgeglichen oder ersetzt werden muss (§ 15 Abs. 2 BNatSchG). Nur wenn dies nicht zumutbar ist, kommt als ultima ratio eine Ersatzzahlung nach § 15 Abs. 6 BNatSchG in Betracht (vgl. Guckelberger, in: Frenz/Müggenborg (Hrsg.), BNatSchG, 3. Aufl. 2021, § 15 Rn. 111). Nach dem Willen der Koalition soll diese Ersatzzahlung auf gleichrangiger Stufe wie Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen stehen, damit „Vorhabenträger Infrastrukturprojekte einfacher und schneller planen“ können. Das ist moderner Ablasshandel und das davon ausgehende Signal fatal: Eingriffe in die Natur sind käuflich.
Vom sektoralen zum sektorübergreifenden Klimaschutzgesetz
Doch damit ist noch nicht genug. Auch in Sachen Klimaschutzgesetz (KSG), welches Anton Hofreiter noch bei der Verabschiedung durch die Große Koalition als „schlechten Tag für den Klimaschutz“ bezeichnete, droht ein Ausverkauf. Bisher geht das KSG in § 4 i.V.m. der Anlage 1 von einem Sektorprinzip aus, welches die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges erfasst. In der Anlage 2 sind die konkreten Jahresemissionsmengen in Millionen Tonnen CO2-Äquivalent bis 2030 aufgeführt. Die einzelnen Sektoren werden dabei von den jeweiligen Bundesministerien verantwortet (§ 4 Abs. 4 KSG). Das Ergebnispapier besagt, dass künftig alle Sektoren aggregiert betrachtet werden sollen. Doch wo liegt der Anreiz für Verkehrsminister Volker Wissing, die Emissionen im Bereich „Verkehr“ einzuhalten, wenn diese bspw. im Sektor Landwirtschaft durch einen ehrgeizigen Landwirtschaftsminister deutlich unterschritten und damit ausgeglichen werden? Eine solche Ausgestaltung würde deutlich hinter dem KSG-Schutzniveau der GroKo zurückbleiben.
Verbleibende Hoffnung: Gesetzgebungsverfahren
Bevor der Teufel noch größer an die Wand gemalt wird: Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses sind bekanntlich kein gültiges Recht. Die jeweils federführenden Ministerien müssen die Ergebnisse, die zum Teil auch einem weiten politischen Interpretationsspielraum zugänglich sein dürften, nun in Gesetzentwürfe gießen. Anschließend gelangen sie in die Ressortabstimmung und in das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Spätestens dort werden die Umwelt- und Naturschutzverbände in der Verbandsanhörung mit Pauken und Trompeten reagieren und ihre erste Kritik vertiefen. Und auch das „Struck’sche-Gesetz“, dass kein Gesetz so das Parlament verlässt, wie es hineinkommt, dürfte ein Hoffnungsschimmer sein, dass ein drastischer Ausverkauf von Klima- und Naturschutz am Ende vielleicht doch nicht eintritt.
Zitiervorschlag: Roth, Maximilian, Ausverkauf von Klima- und Naturschutz – Das Papier des Koalitionsausschusses kritisch betrachtet, JuWissBlog Nr. 11/2023 v. 31.03.2023, https://www.juwiss.de/11-2023/.
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