Eine staatsorganisationsrechtliche Frage zum Fall Böhmermann
von ROMAN KAISER
Die „Causa Böhmermann“ (deutsche Medien) beschäftigt das Land. Strafrechtlich im Blickfeld stehen § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) und § 104a StGB. Letzterer erfordert als Voraussetzung der Strafverfolgung u.a. eine Ermächtigung durch die Bundesregierung. Dazu erklärte Kanzlerin Merkel letzten Freitag, diese werde erteilt, um die strafrechtliche Beurteilung der Justiz zu überlassen. Dabei stellt sich – vor allen materiellen juristischen und politischen Erwägungen – eine staatsorganisationsrechtliche Frage: Wer entscheidet über die Ermächtigung zur Strafverfolgung?
Der Wortlaut des § 104a StGB nennt die „Bundesregierung“, womit nach Art. 62 GG grundsätzlich das „aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern“ bestehende Kollegialorgan gemeint ist. Dennoch sind sich die Kommentare zum StGB im Grundsatz einig, dass die Entscheidung über die Ermächtigung vom Außenminister getroffen wird. Dies soll sich wohl aus dem Ressortprinzip des Art. 65 S. 2 GG ergeben. Doch für die Ermächtigung zur Strafverfolgung lässt sich eine Ressortzuständigkeit von Verfassungs wegen schwerlich begründen. Dem Gesetzgeber steht es offen, eine Kompetenz der Bundesregierung zuzuweisen, sofern es sich nicht um eine Aufgabe handelt, die nur im Rahmen eines Ressorts (z.B. wegen des Erfordernisses eines Verwaltungsunterbaus) erfüllt werden kann. Den Art. 62 und 65 GG lässt sich die konkrete Zuständigkeit nicht entnehmen, vielmehr kommt es darauf an, wem der Strafgesetzgeber die Entscheidung überantworten wollte. Aufgrund des Wortlauts des § 104a StGB ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung zuständig sein soll. Dafür spricht auch ein Vergleich mit Art. 32 Abs. 3 GG. Die dort genannte Entscheidung (Zustimmung der Bundesregierung zu Verträgen der Bundesländer mit auswärtigen Staaten) fällt ebenfalls in das Ressort für auswärtige Beziehungen, wird aber von der Bundesregierung als Kollegialorgan getroffen. Unproblematisch dürfte es dabei sein, wenn im Regelfall des § 104a StGB der Minister des betroffenen Ressorts, also der Außenminister, für die Bundesregierung entscheidet und die Bundesregierung als Kollegialorgan sich nur die Entscheidung in besonders brisanten Fällen vorbehält. Dies entspricht § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg), wonach dem Kabinett „alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung“ vorzulegen sind. Das dürfte wohl auch gemeint sein, wenn einige StGB-Kommentare schreiben, die Bundesregierung könne die Kompetenz im Einzelfall an sich ziehen.
Wenden wir uns dem tatsächlichen Geschehen im Fall Böhmermann zu, so steht fest, dass die Entscheidung nicht von Außenminister Steinmeier alleine getroffen wurde, denn dieser sprach sich gegen eine Ermächtigung zur Strafverfolgung aus. Vielmehr sollen – sowohl laut Merkel als auch laut Steinmeier – an der Entscheidung das Bundeskanzleramt, das Außenministerium, das Justizministerium sowie das Innenministerium beteiligt gewesen sein. Aufgrund einer Stimmengleichheit zwischen den Koalitionspartnern habe die Stimme der Bundeskanzlerin den Ausschlag gegeben, so Steinmeier. Dies spricht auch dagegen, dass Merkel aufgrund einer Einzelfallausübung ihrer Richtlinienkompetenz nach Art. 65 S. 1 GG den Außenminister angewiesen hat, in ihrem Sinne (und entgegen seiner Überzeugung) zu entscheiden.
Die zitierten Äußerungen stellen unsere Lösung (Entscheidung der Bundesregierung als Kollegialorgan) vor Probleme. Die Bundesregierung entscheidet gemäß § 24 Abs. 2 S. 1 GOBReg nach dem Mehrheitsprinzip. Wie angesichts von sechs Ministern der SPD und neun Unionsministern (plus Kanzlerin Merkel) eine Stimmengleichheit zwischen den Koalitionspartnern bestanden haben soll, ist nicht ganz klar. Möglicherweise sind die Aussagen von Merkel und Steinmeier so zu verstehen, dass nur Bundeskanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier, Justizminister Maas und Innenminister de Maizière über die Ermächtigung abgestimmt haben. Dann hätte wirklich Stimmengleichheit (2:2) bestanden, bei der nach § 24 Abs. 2 S. 2 GOBReg die Stimme des Vorsitzenden, also der Kanzlerin (§ 22 Abs. 1 S. 1 GOBReg), den Ausschlag gibt.
Dabei ergibt sich aber ein anderes Problem: Zwar müssen an einem Beschluss nicht alle Kabinettsmitglieder mitwirken, doch ist die Bundesregierung nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte ihrer Mitglieder anwesend ist (§ 24 Abs. 1 GOBReg). Somit müssten für einen ordnungsgemäßen Beschluss neben den vier genannten Personen noch mindestens vier weitere Kabinettsmitglieder anwesend gewesen sein und sich ihrer Stimme enthalten haben. Auch ohne nähere Kenntnisse des gewöhnlichen Geschäftsgangs der Bundesregierung erscheint dies als recht merkwürdige Vorstellung.
Waren an der Entscheidung der Bundesregierung tatsächlich nur die Kanzlerin und die genannten drei Minister beteiligt, so wäre der Beschluss über die Ermächtigung zur Strafverfolgung also nicht geschäftsordnungskonform zustande gekommen. Was wären die Folgen dieses Geschäftsordnungsverstoßes? Klar ist, dass im Regierungsinnenverhältnis ein rechtswidriger und unwirksamer Beschluss vorläge. Im Außenverhältnis hingegen, hier also gegenüber den für die Strafverfolgung zuständigen Organen und gegenüber dem Bürger Böhmermann, ist die Nichteinhaltung von Geschäftsordnungsvorgaben nur beachtlich, wenn zugleich gegen das Grundgesetz verstoßen wird. M.E. lässt sich ein Quorum als verfassungsrechtliches Erfordernis durchaus begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies für die Beschlussfassung über Rechtsverordnungen ausdrücklich angenommen. Seine Ausführungen können auf unseren Fall der Ermächtigung nach § 104a StGB übertragen werden. Denn auch dann ist die „Mitwirkung einer hinreichenden Zahl von Mitgliedern der Bundesregierung“ eine der „Mindestvoraussetzungen dafür, dass ein Beschluss der Bundesregierung zugerechnet werden kann“ (BVerfGE 91, 148, 166 f.). Ohne die Einhaltung eines Quorums liegt kein Beschluss des Kollegialorgans Bundesregierung und folglich auch im Außenverhältnis kein wirksamer Rechtsakt vor. Da somit die Ermächtigung als Prozessvoraussetzung fehlen würde, wäre ein Strafverfahren gegen Böhmermann jedenfalls bis zu einer erneuten, wirksamen Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Herr Kaiser,
Besten Dank, aber wieso nicht gleich eine Stufe runter und die Verfassungskonformität des § 104a StGB in Frage stellen?
Die in § 104a StGB geregelte notwendige Bedingung der Gegenseitigkeit der Strafverfolgung bedeutet, dass die Strafverfolgung im Inland von Vorschriften ausländischer Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsorgane abhängig gemacht wird, die nicht vom deutschen Volk legitimiert sind. Damit muss sie (die Strafverfolgung) flöten gehen und damit der ganze § 104a StGB.
Die Strafbarkeit der Präsidentenbeleidigung bestünde dann nur noch aus einer wirkungslosen Formulierung des § 103 StGB, die völlig ins Leere geht. Die Frage ist jetzt: soll diese wirkungslose Formulierung den Anforderungen an die Gesetzlichkeit zum Zeitpunkt der Tat gem. Art. 103 Abs. 2 GG und Artikel 7 Abs. 1 EMRK gerecht werden? Von mir ein klares Nein.
Vielen Dank für den schönen Beitrag! Eine kleine Anmerkung dazu: Wenn ich es recht sehe, hat die Bundeskanzlerin in ihrer Erklärung vom 15. April 2016 lediglich angekündigt, dass die Bundesregierung die Ermächtigung erteilen wird – und nicht, dass sie dies bereits getan hat (https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/04/2016-04-15-erklaerung-bkin.html). Wurde die Entscheidung evtl. zwischenzeitlich getroffen? Hier http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wie-es-zur-entscheidung-im-fall-boehmermann-kam-14191637.html finden sich einige ergänzende Informationen zu den tatsächlichen Abläufen, aber leider auch nichts zu dieser Frage.
Mir scheint damit nur die Frage der Erteilung, also der Bekanntgabe der Entscheidung nach außen gegenüber der Strafverfolgungsbehörde gemeint zu sein, und nicht die Entscheidung in der Sache.