Seit dem ersten November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Es löst das alte, in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) unter anderem mit dem begrüßenswerten Ziel ab, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Vornamens- und Geschlechtsänderungen für Trans*- und nonbinäre Personen zu schaffen. Das SBGG macht dabei kaum inhaltliche Vorgaben, wie viele oder welche Vornamen gewählt werden können. Lediglich in § 2 Abs. 3 SBGG findet sich die Einschränkung, dass „die [Namen] dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen“ müssen. Doch selbst diese Einschränkung könnte dem Gesetzgeber letztlich auf die Füße fallen, denn an deren Verfassungsmäßigkeit bestehen ernstliche Zweifel: Es sind grundsätzlich keine Einschränkungen in der Namenswahl zulässig.
Was bedeutet die Einschränkung in § 2 Abs. 3 SBGG konkret?
In einem internen Rundschreiben an die Standesämter vom 18. Juli 2024 vertrat das Bundesinnenministerium noch die Auffassung, dass jedenfalls nach § 2 Abs. 3 SBGG keine Änderung der Anzahl der Vornamen zulässig sei. Eine solche Auslegung entspräche nicht dem Normzweck (vgl. dazu BT-Drs. 20/9049, 36), denn das Gesetz wolle lediglich eine Angleichung der Vornamen an die Geschlechtsidentität ermöglichen. Die Anzahl der Vornamen habe aber keinen Einfluss auf die Geschlechterrepräsentation und sei daher nicht vom Normzweck erfasst. Deshalb sei eine solche Änderung in Fortführung der alten Rechtslage nach den allgemeinen Bestimmungen des Namensrechts, insbesondere nach den §§ 11 i.V.m. 3 ff. NamÄndG, vorzunehmen, die eine Änderung der Vornamensanzahl nur in Ausnahmefällen aus einem „wichtigen Grund“ zulassen. Darüber hinaus müssten die gewählten Namen dem Geschlecht in einem strengen Sinne entsprechen. Männer dürften ausschließlich männliche Vornamen tragen, Frauen ausschließlich weibliche. Wer den Geschlechtseintrag gestrichen oder in „divers“ habe ändern lassen, solle sowohl geschlechtsneutrale wie auch geschlechtsgebundene Namen wählen dürfen.
Auf vielfache Kritik änderte das BMI in einer E-Mail an die Landesinnenministerien seine Rechtsauffassung einige Wochen später dahingehend, dass sowohl auf die Anzahl als auch auf die Wahl der Vornamen nach dem SBGG die allgemeingültigen Grundsätze anzuwenden seien, die die Rechtsprechung für die Namenswahl von Neugeborenen entwickelt habe. Dieser Auffassung scheinen sich – soweit zum jetzigen Zeitpunkt ersichtlich – die meisten Standesämter angeschlossen zu haben. Weitergehende Einschränkungen wurden bisher weder im akademischen Diskurs noch in der Öffentlichkeit gefordert und werden deshalb im Folgenden nicht berücksichtigt.
Wie verhält sich das BVerfG zu Namensänderungen?
Folgt man der Auffassung des BMI, so bedeutet das eine freie Wahl von bis zu fünf Vornamen in beliebiger Anzahl und Reihenfolge, von denen mindestens einer eine Zuordnung zum Geschlecht ermöglichen muss. Darüber hinaus wären Phantasienamen und solche Namen, die offenkundig keinen Vornamenscharakter haben, unzulässig (vgl. etwa hier und hier). Das BVerfG hat diese allgemeinen Grundsätze für die Namenswahl Neugeborener durch deren Eltern in ständiger Rechtsprechung entwickelt, auf die auch die E-Mail des BMI verweist. Bei genauerer Lektüre der entsprechenden Entscheidungen wird jedoch deutlich, dass vergleichbare Einschränkungen für die Namenswahl mündiger Bürger:innen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind.
Das BVerfG nimmt zwar keine Einordnung der Namenswahl in die Sphären des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, lässt aber durchblicken, dass es eine Abwägung jedenfalls des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit entgegenstehenden Rechtsgütern in diesem Bereich ausschließt (vgl. hier, hier und hier). Das entspricht im Wesentlichen der Intimsphäre. Das vermag auch dogmatisch zu überzeugen. Der Intimsphäre ist die innerste Gedanken- und Gefühlswelt zugeordnet, aber auch höchstpersönliche Informationen etwa über den Gesundheitszustand, wobei diese Definition nicht als abschließend verstanden werden kann (Schertz, NJW 2013, S. 721 (723)). Der Vorname repräsentiert die Person in einem Wort; er verbindet ihre Persönlichkeit, Erfahrungen und Erinnerungen zu einem fassbaren Ganzen. Diese Elemente sind unzweifelhaft Teil der Intimsphäre. Ob und wie sie nach außen repräsentiert werden, ist – genau wie etwa bei der Veröffentlichung von Gesundheitsdaten – ureigene Entscheidung des oder der Berechtigten. Hinzu kommt, dass bereits das Selbstgespräch der Intimsphäre zugeordnet wird, weil Bürger:innen ein höchstpersönlicher Rückzugsort gewährt werden muss. Vor diesem Hintergrund muss der Schutz der Wahl eines eigenen Namens, der ungleich enger mit der ungestörten Persönlichkeitsentwicklung verbunden ist als ein Rückzugsort, ebenfalls der Intimsphäre zugeordnet werden, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.
Dem steht nicht entgegen, dass das BVerfG die Anerkennung des Geschlechts durch den Staat einer Rechtsgüterabwägung nicht vollständig entzieht, was – gesprochen mit der Sphärentheorie – im Wesentlichen einer Einordnung in die Privatsphäre gleichkommt. In der Entscheidung betont das BVerfG den sozialen Charakter von Geschlecht. Es beeinflusst die Wahrnehmung der eigenen Person durch Dritte im Alltag und konstruiert gesellschaftliche Erwartungen (Rn. 39; ausführlich Butler, Gender Trouble). Das gilt zwar auch für Namen, soweit sie geschlechtskonnotiert sind. Geschlecht existiert aber nicht ohne Gesellschaft, und ohne das Verlangen der Gesellschaft, sich einer bestimmten Geschlechterkategorie zu unterwerfen, käme dem keine wesentliche Bedeutung für die Konstitution der eigenen Persönlichkeit zu (ebd.). Zu beachten ist dabei, dass zwar auch das Geschlecht höchstpersönliche Elemente der Persönlichkeit nach außen repräsentiert. Der Geschlechtseintrag stellt jedoch neben etwa Kleidung oder Habitus im Alltag nur einen kleinen Teil der Geschlechterrepräsentation dar. Überdies erlangt er – anders als der Name – gerade durch die Gleichsetzung mit dem Geschlechtseintrag Anderer seine für die soziale Bedeutung entscheidende Vergleichbarkeit. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum Namen, dem über die Geschlechterzuordnung durch die Gesellschaft hinaus die obig ausgeführte Repräsentation höchstpersönlicher Elemente zukommt. Er verdient deshalb im Vergleich zum Geschlecht einen gesteigerten Grundrechtsschutz über die Verortung in der Intimsphäre.
Wegen der besonderen Nähe zur Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in diesem Bereich nach ganz herrschender Meinung abwägungsfest, Eingriffe also ohne Abwägung mit widerstreitenden Grundrechten immer verfassungswidrig (Boksanyi Kap. 1 Rn. 38 ff.). Das bedeutet, dass jede Einschränkung in der Namenswahl jedenfalls über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG verfassungswidrig ist. Konkret bei der Namenswahl durch die Eltern leitet das BVerfG die obig aufgeführten Grundsätze allerdings überzeugend nicht als Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes her, sondern als Einschränkung des in Art. 6 GG verankerten Elternrechts. Die Grundsätze über die Namenswahl schränken dabei nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes ein, sondern das Recht der Eltern, das Grundrecht ihres Kindes treuhändisch auszuüben. Art. 6 GG unterliegt anders als Art. 1 GG lediglich einem einfachen Gesetzesvorbehalt; es kann grundsätzlich eingeschränkt werden. Während das Kind sich selbst also jeden beliebigen Namen geben dürfte, wenn es dazu fähig wäre, trifft dessen Eltern die Verantwortung, ihr Kind vor Schaden zu bewahren. Dieser Schutz vor Schaden in der späteren Persönlichkeitsentwicklung ist der ausschließliche und einzige Maßstab, den das BVerfG an die Namenswahl anlegt. Sämtliche eingangs vorgestellten Grundsätze stellen sich ausschließlich als Konkretisierung ebendessen dar. Überlegungen etwa zur abnehmenden Effizienz der Verwaltung bei zu vielen oder unpassenden Namen, auf die das BMI in seiner E-Mail abstellt, sucht man dagegen vergeblich.
Was bedeutet das für die Namensänderung nach dem SBGG?
Wo mündige Bürger:innen in freier Entscheidung selbstständig einen neuen Namen wählen, ist der sachliche Schutzbereich des Elternrechts nicht eröffnet. Dementsprechend lassen sich auch dessen Schranken nicht anwenden. Das bedeutet: Die allgemeinen Grundsätze der Namenswahl für Neugeborene sind nicht übertragbar. Zu berücksichtigen ist einzig das allgemeine Persönlichkeitsrecht der wählenden Person, dessen Einschränkung in diesem Fall – wie obig ausgeführt – nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Ob § 2 Abs. 3 SBGG vor diesem Hintergrund noch verfassungskonform ausgelegt werden kann, soll vorliegend offen bleiben. Die Norm spricht zwar im Wortlaut davon, dass „[m]it der Erklärung nach Absatz 1 […] die Vornamen zu bestimmen [sind], die die Person zukünftig führen will und die dem gewählten Geschlechtseintrag entsprechen“, überlässt Bürger:innen also keine Wahlmöglichkeit, ob ihr Name dem gewählten Geschlecht entsprechen soll. Gleichzeitig ist mit Blick auf das in § 1 Abs. 1 Nr. 1 SBGG verankerte Gesetzesziel, „die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken“ eindeutig, dass es dem Gesetzgeber gerade nicht um eine staatliche Kontrollbefugnis in der Namenswahl ging. Vor diesem Hintergrund kommt der Wortlautgrenze eine vergleichsweise geringere Bedeutung zu.
Klar ist jedenfalls, dass im Ergebnis Trans*- und non-binäre Personen ihren Namen frei wählen können.
Zitiervorschlag: Baum, Ende, Freie Namenswahl für freie Bürger:innen, JuWissBlog Nr. 81/2024 v. 18.12.2024, https://www.juwiss.de/81-2024/
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