von KILIAN ERTL, CHRISTIAN UFFELMANN und JANWILLEM VAN DE LOO
Nur ein sehr geringer Teil der Jura-studierenden BAföG-Empfängerinnen und Empfänger erhält ihre Förderung auch wirklich bis zum Studienabschluss. Dem Problem könnte durch eine Änderung der Regelstudienzeit abgeholfen werden. Doch wem obliegt die Gesetzgebungskompetenz in dieser Angelegenheit? Diese Frage hat durch die 2006 in Kraft getretene Föderalismusreform eine neue, in diesem Beitrag in den Blick zu nehmende Dimension erhalten.
Die Ursachen der „BAföG-Lücke“
Viele der BAföG-berechtigten Jurastudierenden erhalten in der entscheidenden Phase des Studiums keine BAföG-Förderung mehr. Wenn man berücksichtigt, dass nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts von 2014 nur 22,6 % von ihnen ihr Studium in Regelstudienzeit abgeschlossen haben (S. 645 und 648), liegt es nahe, dass die Regelstudienzeit zu knapp bemessen ist. Vor diesem Hintergrund ist es nur plausibel, dass die Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Sachsen-Anhalt den Freiversuch bei vorangegangener Schwerpunktbereichsprüfung mittlerweile bis zum Ablauf des neunten Semesters ermöglichen.
Die Anhebung der Freiversuchsfrist allein ist jedoch nur Teil der Lösung. Die Regelstudienzeit wurde schließlich auch in den besagten Ländern, in denen die Freiversuchsfrist um ein weiteres Semester angehoben wurde, bei neun Semestern belassen, anstatt sie konsequent und richtigerweise dann auf zehn Semester anzuheben. Dies führt für BAföG-berechtigte Studierende dazu, dass selbst wenn sie sich innerhalb der so genannten Freiversuchsfristen für den staatlichen Teil der Ersten Juristischen Prüfung anmelden, sie genau zu diesem Zeitpunkt die Regelstudienzeit überschreiten. Das hat zur Folge, dass auch die Ansprüche dieser Studierenden auf Leistungen nach dem BAföG enden, weil der Gesetzgeber die Förderungshöchstdauer in § 15a Abs. 1 BAföG an die Regelstudienzeit gekoppelt hat (zu den weiteren Folgen siehe etwa hier und hier). Das gesetzgeberische Ziel des BAföG – nämlich die Verwirklichung der Chancengleichheit im Bildungswesen – wird so konterkariert: Ausgerechnet in der entscheidenden Prüfungsphase wird den BAföG-berechtigten Studierenden der Geldhahn zugedreht. Das erscheint nicht nur als sozialpolitisch verfehlt, sondern auch als bildungspolitisch unsinnig, schließlich werden damit vier Jahre erfolgreiches und staatlich finanziertes Studieren auf’s Spiel gesetzt. Es besteht also Bedarf für eine Anhebung der Regelstudienzeit. Wer aber hat hier die Gesetzgebungskompetenz?
Bund oder Länder – wer bestimmt die Regelstudienzeit?
Die Regelstudienzeit des Jurastudiums wird sowohl durch landesrechtliche als auch durch bundesrechtliche Normen geregelt. Etwa nach § 3 Abs. 3 des Hamburgischen Juristenausbildungsgesetzes (JAG) beträgt die Regelstudienzeit des rechtswissenschaftlichen Studiums „neun Semester […] einschließlich der Prüfungszeiten“. Nach § 5a Abs. 1, 1. HS. DRiG beträgt die „Studienzeit“ vier Jahre bzw. nach § 5d Abs. 2 S. 1 DRiG muss der Prüfungsstoff in viereinhalb „Studienjahren“ – also neun Semestern – abgeschlossen werden können. Es bleibt also die Frage: Welcher der im Grundgesetz verankerten Kompetenztitel kommt an dieser Stelle zum Tragen?
Art. 98 Abs. 1 und 3 GG: Rechtsstellung der Bundesrichter*innen und Landesrichter*innen
Nach Art. 98 Abs. 1 GG ist die Rechtsstellung der Bundesrichter*innen durch besondere Bundesgesetze zu regeln. Von diesem Kompetenztitel sind jedoch vielmehr Fragen umfasst, die speziell die Richter*innen des Bundes insbesondere im Hinblick auf Status und Besoldung betreffen. Nach Art. 98 Abs. 3 GG ist hingegen die Rechtsstellung der Richter*innen in den Ländern durch besondere Landesgesetze zu regeln, soweit Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG nichts anderes bestimmt (hierzu sogleich mehr). Hieraus ergibt sich insoweit nur eine Gesetzgebungskompetenz der Länder. Bis zur Föderalismusreform im Jahre 2006 enthielt Art. 98 Abs. 3 GG a.F. jedoch eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes hinsichtlich der Rechtsstellung der Richter*innen in den Ländern, die durch eben jene Neustrukturierung der Gesetzgebungskompetenzen aus dem Grundgesetz entfernt wurde. Schon zu Art. 98 Abs. 3 S. 2 GG a.F. konnte jedoch eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes über Fragen der juristischen Ausbildung dann nicht angenommen werden, wenn den Regelungen kein ausfüllungsbedürftiger Rahmen, sondern detaillierte und konkrete Vorgaben über das Verfahren der Erlangung notwendiger Berufsqualifikationen zu entnehmen waren. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Festlegung der Regelstudienzeit folgt hieraus nicht, schließlich bleibt den Ländern bei der Regelung einer konkreten Regelstudienzeit gerade keine Möglichkeit zur Konkretisierung eines solchen gesetzlichen Rahmens.
Regelstudienzeit als Frage des Berufszulassungsrechts der Richter*innen?
Zu erwägen wäre allerdings, dass die hier maßgeblichen Regelungen des DRiG auf die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG – ggf. im Wege einer Gesetzgebungskompetenz kraft Sachenzusammenhang – zu stützen sein könnten. Zu trennen ist in diesem Zusammenhang zwischen dem Statusrecht der Richter*innen und dem Hochschulrecht. Wie noch zu sehen sein wird, hat der Bund durch die Föderalismusreform seine damalige sog. Rahmengesetzgebungskompetenz im Hochschulbereich weitgehend eingebüßt.
Die verbindliche Regelung einer Regelstudienzeit betrifft zunächst nicht unmittelbar Status, Rechte oder Pflichten der Richter*innen. Vielmehr ist § 5a DRiG einem Bereich zuzuordnen, der sich dem Berufszugang widmet. Auch dieser kann grundsätzlich unter Wahrnehmung des Kompetenztitels aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG geregelt werden, immerhin besteht im Grundsatz ein unmittelbarer und unvermeidbarer Zusammenhang zwischen Berufsrecht und der für die Ergreifung dieses Berufs notwendigen Qualifikationen, weswegen sich die Gesetzgebung auch auf berufsqualifizierende Regelungen erstrecken darf. An dieser Stelle bedarf es jedoch einer Abgrenzung zwischen berufsqualifizierenden und rein hochschulrechtlichen Regelungen. An das Berufsrecht der Richter*innen ist zumindest im Wege einer Gesetzgebungskompetenz kraft Sachenzusammenhang die Regelung der Berufszugangsvoraussetzungen gekoppelt. Hiervon umfasst sind Regelungen über die Notwendigkeit des erfolgreichen Absolvierens beider juristischer Staatsexamina. Gleiches gilt für die Regelung einer Mindeststudienzeit, immerhin können hiermit noch Mindestanforderungen formuliert werden, die der Sicherung der Qualifikation der Richter*innen dienen. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch hochschulrechtliche Regelungen, die nicht den Zugang, sondern vielmehr das Verfahren des Studiums betreffen. Dazu gehört auch die Regelung einer Regelstudienzeit. Für Studierende ist die Regelstudienzeit vor allem von Bedeutung, weil die Universitäten für diese Zeit verpflichtet sind, entsprechende Veranstaltungen und Prüfungen anzubieten. Zum anderen führt sie jedoch gerade aufgrund der Verknüpfung zum BAföG zur Verkürzung des Studiums und dient insoweit jedenfalls nicht der Sicherung von Qualifikationen. Keineswegs ist die Regelung einer Regelstudienzeit zwingend notwendig, um das Berufszulassungsrecht auszugestalten. Die Regelstudienzeit ist – anders als eine Mindeststudiendauer – insoweit nicht untrennbar mit dem Berufsrecht der Richter*innen verknüpft. Nicht zutreffend ist daher, dass die hier in den Blick genommenen Bundesregelungen – soweit man in ihnen überhaupt eine verbindliche Regelung der Regelstudienzeit sehen will – lediglich Voraussetzungen für die Ergreifung des Richter*innenberufs formulieren. Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich mithin weder aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG unmittelbar, noch kraft Sachzusammenhangs.
Ist das Gerichtsverfassungsrecht einschlägig?
Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfällt auch das Gerichtsverfassungsrecht der konkurrierenden Gesetzgebung. Eine Zuordnung des DRiG zum Gerichtsverfassungsrecht liegt insoweit nahe, als die im Rahmen des DRiG getroffenen Regelungen bis zum Erlass dieses Gesetzes im Jahre 1961 Bestandteil des Gerichtsverfassungsgesetzes waren. Zu beachten ist jedoch, dass das Recht der Richter*innen dem Recht der Gerichtsverfassung gerade mit der im Jahre 1972 ausgearbeiteten Neufassung des Art. 98 Abs. 3 GG entnommen werden sollte. Das Gerichtsverfassungsrecht umfasst insoweit nur noch die institutionelle und organisatorische Seite der Gerichtsbarkeit, nicht aber die personelle. Art. 98 Abs. 3 GG geht daher als spezielle Regelung vor. Somit ergibt sich auch aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung der Juristenausbildung.
Regelstudienzeit als Element des Hochschulrechts?
Nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG a.F. oblag es dem Bund, die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens zu regeln. Schon zu Zeiten vor der Föderalismusreform wurde in diesem Kompetenztitel keine Befugnis des Bundes gesehen, detaillierte Einzelfragen des Hochschulrechts zu regeln. Selbst wenn in Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG a.F. eine Befugnis des Bundes zum Erlass einer Regelstudienzeit zu erblicken wäre, stünde dies einer abweichenden landesrechtlichen Regelung nicht mehr im Wege.
Nach dem heutigen Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG unterfallen die Hochschulzulassung und die Hochschulabschlüsse hingegen der konkurrierenden Gesetzgebung. Auch wenn allenfalls der Begriff der Hochschulabschlüsse eine Regelung einer Regelstudienzeit ermöglichten könnte, besteht mit Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 GG auch hier jedenfalls eine Abweichungsmöglichkeit der Länder.
Fazit: Die Länder dürfen voranschreiten
Nach alledem obliegt es den Ländern, die Regelstudienzeit des Jurastudiums im Wege der grundlegenden Gesetzgebungskompetenz aus Art. 70 Abs. 1 GG festzusetzen. Dem Bundesgesetzgeber steht es zwar offen, Mindestanforderungen zu regeln, jedoch verleibt die Kompetenz zur letztverbindlichen Festlegung der Regelstudienzeiten wie gesehen bei den Ländern. Die Landesgesetzgeber sind also gefordert, die eingangs skizzierte „BAföG-Lücke“ – etwa im Zuge der ohnehin anstehenden Reform der juristischen Ausbildung (siehe etwa hier und hier) – durch eine Änderung ihrer JAG‘s zu schließen. Nur so kann das BAföG seinen Zweck auch in dieser wichtigen Endphase des Studiums erfüllen und das politische Versprechen, Chancengleichheit zu gewährleisten, einlösen. Mit Blick auf das gefundene Ergebnis ist auch von der formellen Verfassungswidrigkeit des § 5a DRiG auszugehen, soweit man in dieser Regelung eine verbindliche Anordnung einer Regelstudienzeit erblicken möchte.
Anmerkung: Dieser Beitrag ist in längerer und abgewandelter Form bereits in der NordÖR 2016, S. 399 ff. erschienen.