Sexismus in der juristischen Ausbildung – (K)ein Thema für die JuMiKo?!

von LUCY CHEBOUT, SELMA GATHER und DANA-SOPHIA VALENTINER

LC_JuWiss_swSelma_swValentinerFrauen haben im Durchschnitt bessere Abiturnoten als Männer, schneiden aber im juristischen Examen signifikant schlechter ab. Warum das so ist, lässt sich schwer sagen. Die einen vermuten, es könnte daran liegen, dass Frauen im Abitur zu gut bewertet werden. Andere werfen die Frage auf, ob Frauen im Examen diskriminiert werden. In den aktuellen Diskussionen zur Reform der juristischen Ausbildung spielen diese Fragen bislang keine Rolle. Ein Blick auf Diskriminierung und Ungleichheiten fehlt – sowohl bei der inhaltlichen Ausgestaltung als auch im Hinblick auf strukturelle Exklusionsmechanismen der Ausbildung. Es ist Zeit, dies zu ändern, um das Jurastudium diskriminierungsfrei und inklusiv zu gestalten.

Lernen am Klischee

In der Zivilrechtsvorlesung werden einige Standardprobleme des Vertragsrechts anhand eines Falles abgehandelt, der den Titel trägt: „Das besondere Verhältnis der Frau zu ihrer Einbauküche“.

Fälle sind das zentrale Ausbildungsmaterial im juristischen Studium und die Falllösung die wesentliche Technik, die im Examen beherrscht werden muss. Das Problem: Die Vermittlung erfolgt oftmals anhand stereotyper Übungsfälle. Frauen sind darin unterrepräsentiert und tauchen überwiegend in tradierten Geschlechterrollen auf. Zudem agieren vor allem Mehrheits-Angehörige. Wenn marginalisierte Perspektiven vorkommen, dann oft stigmatisiert, z.B. als „kriminelle Migranten“. Bereits vor 40 Jahren haben sich Juristinnen mit diesen Problemen auseinandergesetzt. Gleichwohl hat sich bis heute das Ausbildungsmaterial in dieser Hinsicht kaum verbessert.

Fälle erzählen Geschichten und tragen so zu dem Bild bei, das Studierende von der Welt entwickeln. Bedienen sie sich stereotyper Darstellungen, reproduzieren und perpetuieren sie damit problematische Rollenbilder. Treten marginalisierte Gruppen vorrangig in stigmatisierenden Zusammenhängen auf, wird dies auch einen Einfluss darauf haben, wie Jurist*innen diesen in ihrer späteren Praxis begegnen.

„Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird nur die männliche Schreibweise…“

Obwohl zum Teil in Gleichstellungs- und Hochschulgesetzen und in Gleichstellungsplänen von Universitäten und Juristischen Fakultäten vorgegeben, wird in der juristischen Ausbildung nur selten geschlechtergerechte Sprache verwendet. Mit dem generischen Maskulinum mögen zwar alle gemeint sein, aber es ist nicht von der Hand zu weisen: Wer „Jurist“ hört, sieht vor dem inneren Auge bestimmt keine Juristin. Selbst diejenigen von uns, die im täglichen Leben geschlechtergerecht sprechen, haben im Rahmen von juristischen Prüfungsarbeiten und insbesondere im Examen darauf verzichtet. Denn zu groß scheint die Gefahr, dass eine geschlechtergerechte Schreibweise von Korrektor*innen moniert oder gar mit Punktabzug sanktioniert wird.

Dabei müsste es genau anders herum sein: Inkludierende und gerechte Sprachformen sollten explizit als Qualitätsmerkmal von juristischen Prüfungsleistungen festgelegt werden. Das geht nicht ohne ein Zusammenspiel mit nichtdiskriminierendem Ausbildungsmaterial, das gesellschaftliche Pluralität abbildet.

Männlich, weiß, hetero

Wir, vier Examenskandidatinnen, sitzen beim Vorsitzenden unserer mündlichen Prüfungskommission. Das bis dahin ermutigende Gespräch endet mit dem Hinweis: „Die Prüfungskommission ist ja ausschließlich männlich besetzt. Ziehen Sie sich einen schönen Rock an, dann haben Sie nichts zu befürchten.“ Am Prüfungstag erscheinen vier von vier Studentinnen im Rock.

Die juristische Ausbildung ist männlich dominiert. Der Anteil der weiblich besetzten juristischen Lehrstühle liegt bei gerade einmal 16 Prozent. Das heißt, Männer bekleiden 84% der Juraprofessuren. Wenngleich mittlerweile sogar mehr Frauen als Männer Jura studieren, nimmt der Anteil von Frauen mit jedem Schritt auf der Karriereleiter drastisch ab. Während noch 45 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen weiblich sind, werden nur 39 Prozent der rechtswissenschaftlichen Promotionen von Frauen verfasst. Nicht einmal 25 Prozent der juristischen Habilitand*innen sind Frauen. Erweitert man den Blick auf andere Dimensionen der Ungleichheit, ist der Befund noch drastischer. „Where are the Black Lawyers in Germany?“ fragte Iyiola Solanke bereits 2005. Zwar ist auch diesbezüglich unter Studierenden eine erfreuliche Diversifizierung zu beobachten. In den Reihen juristischer Ausbilder*innen sucht man Schwarze Menschen und People of Color ebenso wie Trans*-Personen und andere, die nicht Repräsentant*innen der Mehrheitsgesellschaft sind, nach wie vor zumeist vergeblich. Sie alle fehlen als Vorbilder, als Vor- und Mitdenker*innen, und nicht zuletzt als potentielle Arbeitgeber*innen.

Sexismus als Alltagserfahrung

Der AG-Leiter weist darauf hin: „Wenn Sie mich evaluieren, müssen Sie nicht schreiben, dass ich diskriminierende Aussagen tätige. Das weiß ich selber.“

Für viele von uns sind Sexismus-Erfahrungen derart alltäglich, dass wir die meiste Zeit darüber hinwegsehen. Sie sind uns zur Gewohnheit geworden und oft erscheinen die Vorkommnisse für sich genommen zu banal, um großen Protest auszulösen. Das ist fatal, denn in der Zusammenschau sind die alltäglichen Erfahrungen schwerwiegend, frauenverachtend und diskriminierend.

Eine Reform, die das diskriminierende und elitäre Studienklima nicht adressiert, ist halbherzig. Es ist längst bekannt, dass Diskriminierung ein möglicher relevanter Faktor für den Studienerfolg und den Karriereverlauf sein kann. Hierzu brauchen wir weitergehende Forschung, zum Beispiel zu den Fragen, welchen Einfluss Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Behinderung auf die Examensergebnisse haben oder wie die eigene Biografie von Juraprofessor*innen sich in ihrer Beschäftigungspolitik auswirkt.

(Mehr) Rechtskritik, Gender- & Diversity-Perspektiven in den Stoffkatalog

Was macht gute Jurist*innen aus? Diese Frage sollte als Leitfrage über jeglichen Reformbemühungen in der juristischen Ausbildung stehen. Die Kompetenz, gesellschaftliche Ungleichheiten und Diskriminierungsverhältnisse zu reflektieren, scheint bisher nicht Teil der Antwort zu sein. Dabei betrifft das Jura-Studium wie kaum ein anderes Fachgebiet grundlegende Gerechtigkeitsfragen. Um diese adäquat adressieren zu können, reicht es nicht aus, geltendes Recht mechanisch anwenden zu können. Jurist*innen sollten dieses auch hinterfragen und in gesellschaftliche Zusammenhänge einordnen können. Dazu gehört die Sensibilität für Dominanzverhältnisse, die die Gesellschaft strukturieren, auf das Recht einwirken und mit diesem in Wechselbeziehung stehen. Diese Sensibilität fällt nicht vom Himmel, sie geht über Alltagswissen hinaus und muss erlernt werden. Noch sind Seminare im Bereich der Feminist Legal Studies oder Critical Race Theory an den meisten Universitäten überhaupt nicht im Lehrangebot zu finden. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf. Unseres Erachtens sind es gerade die Grundlagenfächer und das Schwerpunktstudium, in denen eine solche reflexive und kritische Auseinandersetzung mit dem Recht erlernt und erprobt werden kann. Statt diese Bereiche der juristischen Ausbildung zukünftig zu reduzieren und in ihrer Bedeutung abzuschwächen, müssten sie flächendeckend gestärt und erweitert werden.

Neben kritischen Perspektiven auf das Recht sind Gender- und Diversity-Kompetenz zentrale Schlüsselqualifikationen für juristische Berufe. Es ist zu erwarten, dass ihre Bedeutung zukünftig noch zunehmen wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund pluraler und international vernetzter Gesellschaften. Bisher werden solche Kompetenzen im Rahmen der juristischen Ausbildung noch nicht ausreichende anerkannt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es einen hohen Begründungsaufwand erfordert, z.B. Genderperspektiven in die juristische Lehre zu tragen. Entsprechenden Vorhaben schlägt bei den zuständigen Stellen nicht selten kühler Gegenwind entgegen. Hierzu bedarf es einer entsprechenden Ergänzung bzw. Klarstellung des § 5a Abs. 3 DRiG, der die Relevanz von Schlüsselqualifikationen in der juristischen Ausbildung regelt. Darüber hinaus braucht es dafür kompetentes Lehrpersonal sowie fachspezifische Weiterbildungsmöglichkeiten für alle juristischen Professionen.

… und eine transparente, partizipative Reformdebatte.

Die juristische Ausbildung soll Menschen dazu befähigen, verantwortungsvoll mit einem so wichtigen Werkzeug wie dem Recht umzugehen. Eine Reform der derzeitigen Angebote ist aus vielen Gründen notwendig. Ein Grund ist die diskriminierende Gesamtprägung der juristischen Ausbildung, die mit Exklusionsmechanismen einhergeht. Der Zugang zum Recht muss aber in jeder Hinsicht diskriminierungsfrei gewährleistet sein. Gender- und diversitätssensible, kritische Perspektiven helfen dabei, dieses Ziel zu erreichen.

Für eine grundlegende Änderung der juristischen Ausbildung und ihrer Kultur braucht es eine transparente Diskussion, die partizipativ geführt wird. Dazu gehört die Beteiligung vielfältiger juristischer Akteur*innen, nicht nur der Fakultäten und nicht nur ihrer privilegiertesten Repräsentanten.

Anmerkung der Redaktion

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Version von Lucy Chebout, Selma Gather und Dana-Sophia Valentiner, „Sexismus in der juristischen Ausbildung. Ein #Aufschrei dreier Nachwuchsjuristinnen“, djbZ 4/2016, S. 190-193.

Dana-Sophia Valentiner, Debatte, Gender, Juristenausbildung, Lucy Chebout, Partizipation, Rechtskritik, Selma Gather, Sexismus, Transparenz
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12 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es einen hohen Begründungsaufwand erfordert, z.B. Genderperspektiven in die juristische Lehre zu tragen.“

    Klar, wer etwas geändert haben will, muss argumentieren.

    Sonst passiert genau das: „Entsprechenden Vorhaben schlägt bei den zuständigen Stellen nicht selten kühler Gegenwind entgegen.“

    So weit, so üblich. Gerade in einem Bereich wie der Jurisprudenz, die ja vom Austausch von Sichtweisen, vom besseren Argument lebt.

    Wer für seine Sache keine überzeugenden Argumente vorbringen kann, geht eben leer aus. Das ist aber nicht ungewöhnlich und daran ist auch nichts falsch.

    Die einfache eigene Überzeugung „Hach, ich wurde bestimmt diskriminiert, sonst hätte ich doch eine viel bessere Note bekommen“ reicht für den juristischen Bereich noch viel weniger als in sonstigen gesellschaftlichen Bereichen. Und das ist auch gut so!

    Allerdings, dass in den Fallkonstellationen des Jurastudiums als Mörder oder Totschläger in aller Regel ein Mann auftaucht, ist durchaus auffällig. Frauen kommen da nicht vor, nicht einmal bei Kindstötungen, obwohl der größte Teil aller umgebrachten Kinder auf das Konto der eigenen Mutter geht.

    Wenn eine Frau in den klassischen Fallkonstellationen denn mal als Täterin auftaucht, dann eher zur Illustration strafmildernder Umstände.

    Genauso, wie es bei Sexualdelikten in den Fallkonstellationen einfach keine weiblichen Täter zu geben scheint.

    Regelrecht lächerlich werden dann Fallkonstellationen, in denen es um den sogenannten „Tyrannenmord“ geht. Als ob es heute noch einsame Gehöfte ohne Telefon und Nahverkehr geben würde!

    Aber auch hier sind natürlich die Rollen eindeutig verteilt: Der „Tyrann“ ist natürlich(?) immer ein Mann.

    Als großen Mangel empfunden habe ich das aber nicht. Die Rechtsprechung unterscheidet nicht -und darf nicht unterscheiden!- zwischen dem männlichen und dem weiblichen Täter. Ein Mord wird eben nicht dadurch weniger schlimm, dass ihn eine Frau begeht. Die Fallkonstellationen sollen die juristische Seite transparent -und leicht merkbar- machen.

    Deshalb gibt es Fälle, die sich mit dem „besonderen Verhältnis“ zur Einbauküche beschäftigen.

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    • Ich les hier nur: Mansplaining.
      Was ist der Punkt, Rudolf S.?

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      • „Mansplaining“ ist auch so ein Unwort. Damit wird dem Mann, der einen Vorwurf entkräftet, gesagt er hätte ja kein Recht etwas zu erklären.
        Ich denke das Wort sollte nicht als Kritik verwendet werden.

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  • Ich gehe jetzt davon aus, dass die einleitenden Aussagen zu Abiturs- und Examensnoten zutreffend sind, Belege wären gleich wohl sinnvoll an dieser Stelle.
    Nun sei aber angemerkt, dass im Abitur die Kandidaten den Prüfern = Lehrern persönlich bekannt sind, also auch das Geschlecht. Die Aufsichtsarbeiten (Klausuren) der beiden juristischen Staatsexamina werden hingegen anonymisiert geschrieben, und die jeweiligen Korrektoren kennen die Bearbeiter nicht, insbesondere keinen Namen, aus dem sich das Geschlecht folgern ließe. Allenfalls die Handschrift könnte hier als Kriterium dienen. Und das die meist schönere weibliche Handschrift zu schlechterer Bewertung führt, wage ich zu bezweifeln, hier sie die Befassung mit den subjektiven Einflüssen auf Prüfer angeraten.
    Insoweit wäre es interessant zu sehen, ob es deutliche Unterschiede von Bewertungen schriftlicher und mündlicher Prüfungsleistungen bei Kandidatinnen; insbesondere im Vergleich mit Kandidaten gibt.
    Von daher halte ich die dargestellte Grundannahme für nicht ausreichend fundiert für die weiteren Ausführungen.
    Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass es im mündlichen Examen auf einen überzeugenden – auch selbstbewussten – Auftritt ankommt; könnte auch hier ein Gesichtspunkt liegen?

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    • Die vermissten Belege finden sich, wie hier üblich, per Link im Text. Dort kann auch nachgelesen werden, dass der Notenunterschied in den mündlichen Prüfungen in der Tat noch deutlicher ist, Frauen also noch schlechter im Vergleich zu Männern abschneiden. Über die Gründe lässt sich spekulieren, streiten – oder: forschen.

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  • Als schwulem Mann muss mir niemand was über Diskriminierung erzählen, aus der Sicht von Schwulen sind heterosexuelle Frauen Teil der diskriminierenden Mehrheitsgesellschaft, nicht unsere Verbündeten, um das einmal in aller Deutlichkeit klarzustellen. Die ungefragte Vereinnahmung von queer people durch den Feminismus ist ein Ärgernis.

    In der Sache: nirgendwo kommen queers in der Juristenausbildung vor. Nichtmal das Lebenspartnerschaftsgesetz im Familienrecht. Wenn aber der Anspruch unserer Ausbildung ist, für die Praxis zu rüsten und dahinter keine böse Absicht steckt – was durchaus zu klären wäre – dann habe ich nichts gegen das Argument, dass das Gros der Juristen nun einmal mit den Millionen Ehen in der Praxis zu tun haben wird, die wenigsten mit den nur einigen tausend Lebenspartnerschaften.

    Ähnlich kann man zB argumentieren, dass rein linguistisch die Geschlechtsartikel nicht wirklich auch nur Mann oder Frau bezeichnen. Ich bin kein Germanist, aber „der Jurist“ oder „die Juristen“, da scheint der Artikel doch nur zur Unterscheidung von Singular und Plural zu dienen. Nach meiner Lesart sind Mann, Frau, alles dazwischen, eben alle mit beiden Stex, eingeschlossen, auch ohne an jedes Wort ein -innen zu hängen.

    Dass Täter im Strafrecht meist Männer sind folgt auch der Realität, dass diese nun einmal die Mehrheit unter den Straftätern darstellen.

    Ich mag mich hier und da irren, mein Punkt ist, solange man sachlich begründen kann, warum nicht auf jede Minderheit eingegangen wird oder Mörder im Fallbeispiel meist männlich sind, dann sollten wir Juristen die letzten sein, die politische Empfindlichkeiten vor nüchterne Fakten stellen. Ist nicht die Fähigkeit zur nüchternen Betrachtung und Abstraktion gerade das, was uns Juristen so auszeichnet?
    Ich hoffe meine kritischen Erwägungen stoßen auf ein offenes Ohr, wobei ich betonen möchte, dass ich euren generellen Ruf nach mehr kritischer Debatte in der Juristenschaft vorbehaltlos teile!

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    • Vielen Dank für die „kritischen Erwägungen“.

      1. „Die ungefragte Vereinnahmung von queer people durch den Feminismus ist ein Ärgernis.“
      – Von welcher Vereinnahmung ist hier die Rede? In unserem Beitrag kommt der Begriff „queer“ überhaupt nicht vor.
      – „Den Feminismus“ gibt es nicht, auch innerhalb feministischer Kreise gibt es eine breite Vielfalt von Positionen und Überzeugungen. Ganz sicher finden sich darunter queer-feministische Ansätze ebenso wie lesbische Feministinnen und andere Queers*.
      – Schwule Männer hab ich bisher nur selten in feministischen Zusammenhängen erlebt. Auch das schließt sich wohl nicht kategorisch aus. Von Vereinnahmung (in die eine oder andere Richtung) kann aber sicher nicht die Rede sein.

      2. „Als schwulem Mann muss mir niemand was über Diskriminierung erzählen…“
      Ich würde nicht davon ausgehen, dass man alles über alle möglichen Formen von Diskriminierung weiß, wenn man selbst von Homophobie betroffen ist. Leider sind Marginalisierte nicht davor gefeit, selbst an ausgrenzenden Strukturen teilzuhaben. Genauso wie heterosexuelle Frauen diskriminierend gegenüber LSBTI* sein können, sind Frauenfeindlichkeit und Rassismus in weißen schwulen Kontexten ebenso alt wie persistent – um nur zwei Beispiele zu nennen und ohne damit die Opression Olympics eröffnen zu wollen.

      3. Die angebotenen Argumentationsketten finde ich nicht so ganz überzeugend.
      – „Dass Täter im Strafrecht meist Männer sind folgt auch der Realität, dass diese nun einmal die Mehrheit unter den Straftätern darstellen.“ Abgesehen davon, dass es in der Formulierung ein Zirkelschluss ist, ist das Argument doch nicht geeignet, unsere Kritik an stereotypen Fallkonstellationen zu entkräften. Selbst wenn die überwiegende Zahl der Straftäter männlich ist, müssen Fallkonstellationen nicht mit sexistischen und rassistischen Bildern arbeiten.
      – Wenn man die juristische Ausbildung daran ausrichten würde, was die Mehrzahl der Absolvent*innen im späteren Berufsleben tatsächlich macht, müsste zum einen die am Richter*innen-Beruf orientierte Perspektive durch die anwaltliche ersetzt werden. Zum anderen wären Bereiche wie bspw. das Arbeits- und Familienrecht ebenso wie das Sozialrecht viel stärker zu berücksichtigen.

      ..
      Aber ich freue mich, dass wir die Forderung nach mehr Rechtskritik teilen 😉

      Antworten
      • Zu 1., es sei zugegeben, dass ich da mehr in den Text hinein interpretiert haben könnte, als dort zu finden ist. Ich musste kürzlich erfahren, dass in einer Jugendorganisation ein Fachforum, das sich speziell mit den Anliegen von Queer People befasste und von mir seinerzeit mit aufgebaut wurde, kurzerhand abgeschafft und als „Unterpunkt“ dem feministischen Fachforum zugeschlagen wurde, auch in der Politik erlebt man zunehmend eine Vereinnahmung von Queers und Queer-Themen durch den Feminismus und hier mag bei mir unterbewusst Pawlow zugeschlagen haben, mea culpa.

        Zu 2., nun ja, ich habe auch noch Migrationshintergrund und bin Sint, merkliche und strukturelle Diskriminierung habe ich jedoch nur als schwuler Mann erfahren. Auch meine lesbischen Freunde haben v. a. deswegen Probleme, weil sie Lesben sind, nicht durch ihr Geschlecht. Deswegen verschweigen Queers bis heute in den meisten sozialen Kontexten ihre sexuelle Identität – nicht zuletzt, sondern ganz besonders, in der konservativen Juristenschaft und auch schon an Hochschulen (ich erinnere mich gut an die verstohlenen, fast konspirativen Treffen unserer winzigen Queerjus-Hochschulgruppe damals an der Uni vor wenigen Jahren, meiner Information nach hat sich daran bis heute nichts geändert). Man wünscht sich gelegentlich einfach, dass Queer-Anliegen nur ein Quentchen der Aufmerksamkeit erhalten, die der feministische #Aufschrei o. ä. ständig erhält. Das kannst du gerne als subjektives Eingeschnapptsein betrachten, ich bin auch nur ein Mensch.

        Zu 3., ja, daher meinte ich ja, es wäre noch zu prüfen, inwiefern die Ausbildungsinhalte denn wirklich sachlich die Wirklichkeit im späteren Berufsleben abbilden und dahingehend drängen sich einige notwendige Veränderungen auch sofort auf. Nur, ich bin der Meinung, dass Inhalte nicht schon deswegen in das Studium gehören, weil man meint, dass Feminismus oder Queer People politisch auch eine Stimme und Aufmerksamkeit brauchen, sondern weil die berufliche Anforderung und juristische Realität darin gespiegelt ist. Mir geht es also letztlich darum, diese Diskussion zu versachlichen und nicht schon deswegen die Studieninhalte zu kritisieren, weil progressive Buzzwords im Curriculum fehlen. Wenn wir uns darin einig sind und die Debatte mit eurem Debattenbeitrag quasi gerade erst begonnen hat, dann sind wir da im Ergebnis auf der selben Seite.

        Antworten
  • St. Margarita
    7. Februar 2017 20:51

    Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag!
    Ich begrüße es sehr, dass dieses Thema diskutiert wird- bezüglich der konkreten Umsetzung gibt es sicherlich mehr als „den einen richtigen Weg“.
    Was die Diversität der Fallgestaltungen angeht gibt es sicherlich noch großen Spielraum nach oben und die Lebensrealität wird nun einmal immer vielfältiger.
    Für besonders wichtig halte ich das sprachliche Argument: das Sichtbarmachen von Frauen in verschiedensten Kontexten ist nicht zu unterschätzen. Das immer wiederkehrende Argument der „politischen Befindlichkeiten“ lässt sich durch unzählige Studien zum Zusammenhang zwischen Sprache, Unterbewusstsein und den daraus resultierenden Handlungsweisen entkräften: es handelt sich eben nicht um Befindlichkeiten, sondern um wissenschaftliche Fakten (dazu bspw. Heise, Elke in Sprache und Kognition (19) 2000, 3ff. Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen). Ein gutes Beispiel für das problematische „mitgemeint-Fühlen“ war auch die nahezu hysterische Diskussion (überwiegend von Männern) über den angeblichen Vorschlag einer Uni doch einheitlich die weibliche Bezeichnung zu verwenden statt die männliche – in diese Richtung funktioniert es dann doch wohl nicht….

    Antworten
    • „über den angeblichen Vorschlag einer Uni doch einheitlich die weibliche Bezeichnung zu verwenden statt die männliche – in diese Richtung funktioniert es dann doch wohl nicht….“

      Der Vorschlag ist ebenso wie die von Ihnen zitierten sog. Fakten bestenfalls eine Hypothese.

      Weiterhin zeigt das Beispiel sehr gut, wieso man durchaus mehr politisches Bauchgefühl als wissenschaftliche Fakten vermuten kann.

      Professor oder Student sind keine „männlichen“ Bezeichnungen, eigentlich. So heißen diese in quasi jeder europäischen Sprache, ob diese Geschlechtsartikel überhaupt kennt oder nicht. Im Englischen ist es zB the professor, the student.

      Wenn, dann wäre es sowohl linguistisch wie auch sprachästhetisch klüger, dahin zu drängen, dass die offensichtlich einst geschlechtsneutrale Sprache wieder in den Alltag zurück kehrt, bevor wir Wörter mit _*Innen am Ende aufpumpen oder dergleichen.

      Die sog. Geschlechtsartikel heißen eigentlich nur so, weil man dem Kind halt einen Namen geben musste.

      Der Becher – die Becher, da geht es um Einzahl und Mehrzahl und bestimmt ist der Becher nicht „maskulin“ weil er auf -er endet, ebenso wenig wie die Mutter, weil sie auf -er endet die männliche Form der Mutterin ist.

      Wenn man sich einmal von der voreiligen Annahme befreit, dass unsere Sprache nicht einfach geschlechtsneutral verwendet werden kann, sondern jede Identität in Personenbegriffen eingeflochten werden muss, haben wir tatsächlich wissenschaftliche Debatten.

      Antworten
  • Janwillem van de Loo
    11. Februar 2017 14:21

    „Die juristische Ausbildung soll Menschen dazu befähigen, verantwortungsvoll mit einem so wichtigen Werkzeug wie dem Recht umzugehen. Eine Reform der derzeitigen Angebote ist aus vielen Gründen notwendig. Ein Grund ist die diskriminierende Gesamtprägung der juristischen Ausbildung, die mit Exklusionsmechanismen einhergeht. Der Zugang zum Recht muss aber in jeder Hinsicht diskriminierungsfrei gewährleistet sein. Gender- und diversitätssensible, kritische Perspektiven helfen dabei, dieses Ziel zu erreichen.“

    Danke für diesen Artikel. Ein Mehr an Reflexion würde unserer Ausbildung in der Tat gut tun – nein Sie ist sogar notwendig.

    Sicherlich wird es wichtig sein von den Einzelfallschilderungen zu breiteren, empirischen Daten zu kommen, was ja auch ihr eingeschlagener Weg ist. Dafür wünsche ich viel Erfolg!

    Die angesprochenen Sprachlichen Elemente sind dabei natürlich keine juristische Besonderheit – was die Sinnhaftigkeit sie entsprechend sensibel zu behandeln jedoch nicht tangieren sollte.
    Es ist empirisch belegt, dass eine große Mehrheit der Menschen bei „der Jurist“ nicht an eine Geschlechtslose Person und noch weniger an eine Frau denkt, sondern an einen Mann. Das Prägt Rollenverständnisse, wo es eigentlich gesellschaftlich effektiver wäre Freiräume zu lassen, damit sich Menschen voll nach ihren Interessen und Fähigkeiten entfalten.
    Die Debatte ist nicht gegen Männer gerichtet, es geht darum Bewusstsein für sprachliche Präzision zu entwickeln, die unsere Gesellschaft freier und besser machen kann.
    Da wäre weniger Hysterie als bisweilen an den Tag gelegt wird (auch hier in den Kommentaren), doch vernünftiger.

    viel Erfolg weiterhin LUCY CHEBOUT, SELMA GATHER und DANA-SOPHIA VALENTINER

    Antworten
  • Christos Pie
    16. Februar 2017 10:47

    Interessanter Artikel. Ich musste mich jüngst auch wieder an die hiesigen Ausführungen erinnern, als ich in den Sachverhalt eines (inhaltlich gelungenen)Übungsfalls aus der aktuellen Ausgabe der ZJS geschaut habe, Titel: „Jacqueline und der Fluch der Damenhandtasche“; Auszug:

    „Jacqueline (J) ist Auszubildende im örtlichen Seniorenheim.
    Ihre Passion sind jedoch Schmink-Videos auf YouTube, wo
    sie unter dem Handle „SweetJacky93“ die neuesten Trends
    aus der Welt des Makeups vorstellt. Leider handelt es sich
    hierbei um ein teures Hobby und „SweetJacky93“ ist nicht
    bekannt genug, um die Produkte gesponsert zu bekommen.“

    (Sebastian/Lorenz, ZJS 2017, 84 – http://zjs-online.com/dat/artikel/2017_1_1082.pdf)

    Ich würde mich hüten, den Autoren auch nur ansatzweise Sexismus attestieren zu wollen (und finde den Fall rein rechtlich für Studenten zum Üben wie gesagt auch gut), aber man sieht eben, auf welche „Frauenrollen“ man(n) so (unabsichtlich) zurückgreift, wenn es humorig werden soll … aber: Immerhin ist die Frau hier auch mal Täterin, was einige Kommentatoren hier ja zufriedenstellen sollte.

    Für den Bereich (versuchte) Kindstötung gibt es übrigens, entgegen obiger Behauptungen von Rudolf S., ohnehin genug berühmte Beispiele – zwar direkt aus der Rspr., aber eben gerade deshalb immer wieder bevorzugt in der Ausbildung besprochen – Badewannen-Fall (RGSt 74, 84), Kochsalz-Fall (NJW 2006, 1822) …

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