Derzeit ist ein Trend in den Bundesländern festzustellen, nicht nur bestehende Informationsfreiheitsgesetze einer Revision zu unterziehen, sondern dies zum Anlass zu nehmen, das Informationsfreiheitsrecht konzeptionell weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt ist die gesellschaftspolitische Diskussion zu mehr Transparenz, Kollaboration und Partizipation – schlagwortartig zusammengefasst als Open Government. Der Teilaspekt Open Data findet sich auf Bundesebene erstmalig in einem Koalitionsvertrag. Mag Transparenz in einem demokratischen Staat zwar einen hohen Stellenwert haben, so darf sie aber nicht zum Selbstzweck erhoben und über andere Funktionsprinzipien gestellt werden. Regierung und Netz-Community sind dazu aufgerufen, die erforderlichen parlamentarischen Verfahren zu nutzen, die Argumente der jeweils anderen Seite aufzunehmen und einen Ausgleich zwischen Transparenz und Amtsverschwiegenheit zu erzielen.
Revisionsbedarf bestehender Informationsfreiheitsgesetze
Die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Informationszugangs im Land Brandenburg stellt zutreffend fest, dass „Bürger … inzwischen immer stärker an Informationen interessiert sind, die in Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen vorhanden sind“. Ob die bisherigen Informationsfreiheitsgesetze auch daran leiden, dass sie zu viele Ausnahmen enthalten, mag dahinstehen, jedenfalls sind viele in die Jahre gekommen und werden aktuellen Entwicklungen nicht mehr gerecht. Viele Regelungen basieren gedanklich auf der Papierakte und nicht auf einem modernen Verständnis von staatlicher Datenhaltung im Sinne von IT-gestützten Wissensmanagement-Systemen, dem Einsatz elektronischer Akten (vgl. § 6 EGovG) bis hin zum Data-Warehouse-Gedanken. Insbesondere seit der Initiative für ein Transparenzgesetz in Hamburg und dessen Verabschiedung ist das Thema präsent, allerdings oft ohne Bezüge zum weitergehenden Open Government oder zu Open Data zu behandeln.
Vereinfachung und Beschränkung der Ausnahmen
Folgende Gesetze und Initiativen stehen exemplarisch für diesen Trend:
Die Verabschiedung eines Informationszugangsgesetzes in Schleswig-Holstein. Dieses Gesetz fasst das Informationsfreiheits- und das Umweltinformationsgesetz des Landes zusammen. Das neue Gesetz hat ferner das Ziel, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, die Verfahrens- und Kostenregelungen und die Ablehnungsgründe zu vereinheitlichen sowie den Informationszugang für Antragsteller praktisch wirksam auszugestalten. Inhaltlich gehen die Vorgaben jedoch kaum über den vorherigen Status quo hinaus. Proaktive Elemente fehlen und auch Anwendungsbereich und Ausnahmeregelungen wurden weitgehend beibehalten.
Anders das Transparenzgesetz in Hamburg – dieses enthält Neuerungen im Anwendungsbereich (Ausdehnung auf Private, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen, vorrangig im Bereich der Daseinsvorsorge) und bei den Ausnahmevorschriften (grundsätzliche Einbeziehung von Verträgen der öffentlichen Verwaltung).
Der weitergehende Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Informationszugangs im Land Brandenburg der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen griff Elemente aus beiden Gesetzen auf. Einerseits war die Zusammenführung des allgemeinen Informationsfreiheits-, Umweltinformations- und Verbraucherinformationsgesetzes beabsichtigt. Andererseits sollte der Anwendungsbereich erweitert und die Ausnahmen enger gefasst werden. Brandenburg kann dabei auf eine gewisse Tradition zurückblicken, da der Anspruch auf Akteneinsicht (bundesweit einmalig) in der Landesverfassung verankert ist (Art. 21 Abs. 4) und das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz über lange Zeit als fortschrittlich gelten konnte. Die mittlerweile in Kraft getretene Fassung auf Grundlage eines Regierungsentwurfs verzichtet hingegen auf eine grundlegende Neukonzeption.
Die Bremer Empfehlungen zu Open Government Data: Diese bauen auf dem Informationsfreiheitsgesetz Bremen auf, das 2006 erstmals in Deutschland eine proaktive Pflicht der Behörden zur Veröffentlichung bestimmter Informationen eingeführt hatte. Sie enthält unter anderem die Empfehlung, sich bundesweit an dieser Regelung zu orientieren und die Informationszugangsgesetze als Anknüpfungspunkt für Open Government Data zu nehmen.
Einen anderen Teilaspekt findet man – thematisch nicht sachgerecht verortet – im E-Government-Gesetz des Bundes. Nach § 12 Abs. 1 sollen Behörden, die über öffentlich zugängliche Netze Daten zur Verfügung stellen, an denen ein Nutzungsinteresse zu erwarten ist, maschinenlesbare Formate verwenden. § 12 Abs. 2 enthält überdies eine Verordnungsermächtigung für Nutzungsbestimmungen. Diese sollen die kommerzielle und nichtkommerzielle Nutzung abdecken, den Umfang der Nutzung, Nutzungsbedingungen, Gewährleistungs- und Haftungsausschlüsse regeln.
Open Data und die „Arkantradition“ deutscher Verwaltung
Die Forderungen nach Open Data bilden einen Kontrast zur Verwaltungsrealität, die trotz IFG und anlassbezogenen Informationspflichten weiterhin von Abschottung geprägt ist. Es ist die überkommene Verwaltungstradition, die rechtlich fundiert (§ 30 VwVfG) das Arkanprinzip fortschreibt: Das Prinzip des Amtsgeheimnisses diente dem Schutz der Entscheidungsprozesse und der Beteiligten, schloss allerdings eine öffentliche Kontrolle der Verwaltungstätigkeit weithin aus. Diese restriktive Verwaltungspraxis wird als Arkanprinzip bezeichnet (von lat. arcanum = Geheimnis), kritisch auch als Ansammlung geheimer Praktiken, durch die religiöse oder weltliche Autoritäten ihre Herrschaft über das unmündige Volk absichern.[1] Nichttransparenz ist jedoch kein Selbstzweck[2], sondern dient dem Schutz anderweitiger Interessen.
Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen
Staatliche Verschwiegenheit soll den Schutz staatlicher und dritter Interessen sichern, die durch eine Offenbarung beeinträchtigt würden. Hier muss eine Diskussion ansetzen: weder die Forderung nach vollständiger Transparenz noch die vollständige Abschottung staatlicher Stellen sind zielführend und zeitgemäß. So respektieren die Vertreter von Open Government Data zwar ganz überwiegend personenbezogene Daten, die in staatlichen Datenbeständen gespeichert sind, als schützenswert (Ausnahme: Vertreter der Post Privacy). Ganz im Sinne der sog. Hacker-Ethik: „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen„. Bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen von Unternehmen – bspw. im Kontext von Verträgen der öffentlichen Verwaltung – sieht dies schon anders aus: das (vermeintliche) Allgemeininteresse soll in der Regel das individuelle Interesse des Unternehmens an Geheimhaltung überwiegen. In dieser Pauschalität kann dies nicht überzeugen. Es bedarf zumindest einer Abwägung – auch Unternehmen können eine grundrechtlich geschützte Position für sich in Anspruch nehmen. Die Intransparenz des Staates schützt hier nicht eine eigene Sphäre, sondern diejenige Drittbetroffener, die auf die Verschwiegenheit vertrauen dürfen.
Staatliche Eigeninteressen: Der Kernbereich exekutiver Willensbildung
Es bleiben letztlich Schutzanspruch und Schutzbedürftigkeit staatlicher Eigeninteressen: der Kernbereich exekutiver Willensbildung. Das Amtsgeheimnis wird isoliert – also ohne Bezug zu Dritten – kaum noch als Rechtfertigungsgrund einer Geheimhaltung akzeptiert. Es verfolgt aber in gleicher Weise anerkennenswerte Interessen. Nur das Vertrauen darauf, dass nicht jedes Detail einer (staatlichen) Entscheidungsfindung dokumentiert und im Nachhinein transparent gemacht wird, ermöglicht Kompromisse und eine eigenverantwortliche Entscheidung. Werden Willensbildung und Entscheidungsfindung hingegen inhaltlich determiniert oder Verfahrensvorgaben gemacht, geriete dies in Konflikt mit der Minister-, Ressort- und Regierungsverantwortlichkeit. Diese ist nachträglich und in Form einer Ergebnisverantwortung ausgestaltet; eine Entscheidung lässt sich nur verantworten, wenn man diese eigenverantwortlich und frei von (faktischen) Einflüssen des eine (nachträgliche) Kontrolle ausübenden Organs getroffen hat. Zum System von Kontrolle und Verantwortung gehört notwendig, dass Verantwortung nicht tragen kann, wer in seiner Entscheidung inhaltlich an die Willensbildung eines anderen gebunden ist. Dieses Grundprinzip gerät durch eine begleitende, alle Verfahrensschritte einbeziehende und selbst durch eine nachträgliche Regierungs- und Verwaltungstransparenz in Gefahr. Das zukünftige Verhalten wäre vorhersehbar, die Kompromissbereitschaft aufgrund faktischer Zwänge und aufgrund der öffentlichen Meinung eingeschränkt. Aufgabe von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung wird es sein, diese Grenzen auszuloten – Anhaltspunkte wird die Behandlung der vergleichbaren Konfliktlinie zwischen parlamentarischem Aufklärungsrecht und dem Kernbereich der Regierungswillensbildung geben können.https://www.juwiss.de/?p=8414&preview=true
Fazit: Open Data ausbauen, staatliche Funktionslogik respektieren
Es bleibt festzuhalten, dass Transparenz und Vertraulichkeit beide zur sachgerechten, am Gemeinwohl ausgerichteten Entscheidungsfindung beitragen. Das richtige Verhältnis beider Elemente steht nicht für alle Zeit fest, sondern ist ausgehend von gewandelten gesellschaftlichen und technischen Möglichkeiten immer neu zu bewerten. Die positiven Effekte von mehr Transparenz sollen nicht in Abrede gestellt werden, die Erwartungen an einen grundlegenden Wandel des Bürger-Staat-Verhältnisses dürften in Teilen aber überzogen sein. Die Evaluation der Informationsfreiheitsgesetze bestätigt diese Annahme. Dass dies bei proaktiver Bereitstellung gänzlich anders ist, bleibt zu bezweifeln. Eine Fortentwicklung des Umgangs mit staatlichen Willensbildungsprozessen, Informationen und Daten bei Respektierung staatlicher Funktionslogik und Eigengesetzlichkeiten der Verwaltung, die im Interesse des Gemeinwohls wohldosierte Verschwiegenheit ebenso wie wohldosierte Transparenz einschließen, dürfte hingegen der richtige Weg sein.
[1] Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1990, S. 117, 299 f. [2] S. auch Han, Transparenzgesellschaft, 2. Aufl. 2012.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Danke für den Beitrag und das Update zu Open Data! Kannst Du konkretisieren, woran Du die (ja allerorten wiederholt) festgestellte Abschottung in der deutschen Verwaltungsrealität festmachst? Die Frage rührt daher, dass bspw die Ablehnungsstatistiken nichts darüber aussagen, ob die Verwaltung sich abschottet. Und um einschätzen zu können, ob gerichtliche Herausgabeanordnungen entgegen der ursprünglichen Verwaltungsansicht „Abschottung“ bedeuten, müsste man diese zumindest in ein quantitatives oder qualitatives Verhältnis zu den Gesamtanfragen setzen. Zwar werden auf Portalen wie FragdenStaat.de auch sehr kreative Ablehnungen, Verzögerungen etc präsentiert, jedoch sind das idR ja alles Einzelfälle. Aus den Statistiken, wie auch in dem angeführten Evaluationsbericht, wird deutlich, dass in der Mehrheit der Anträge der Informationszugang gewährt wurde – was natürlich keine endgültige Aussage zur Frage der Abschottung ist, aber immerhin eine Tatsache, die entkräftet werden muss.