Zur 14. Rundfunkentscheidung des BVerfG
von FREDERIK FERREAU und THOMAS WIERNY
Nun haben wir also an der Zahl 14 Rundfunkentscheidungen. Wolfgang Janisch hat in seinem Artikel „Das Ewigkeitsproblem” in der SZ vom 24. März 2014 ein freundschaftliches Verhältnis zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dem Bundesverfassungsgericht beschrieben. Ein guter Freund hilft zuweilen auch einmal aus ungünstigen Situationen heraus. Hat das Bundesverfassungsgericht also mit seiner Entscheidung zum ZDF-Staatsvertrag dem ZDF – und aufgrund der Übertragbarkeit der grundsätzlichen Ausführungen auch den anderen Rundfunkanstalten – die Ketten der politischen Einflussnahme zerschlagen?
Im November 2009 schlug die „Causa Brender“ hohe Wellen. Nach deutlichen Positionierungen verschiedener in den Aufsichtsgremien präsenter Politiker wurde der Vertrag des damaligen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht verlängert. Das Ereignis löste eine Debatte um die Beteiligung von politischen oder dem Staat zuzurechnenden Vertretern in den Gremien aus, die eigentlich Garant für die funktionsadäquate Distanz der Anstalten vom Staat sein sollen. Mit dem Urteil vom 25. März 2014 hat das Bundesverfassungsgericht Eckpfeiler für eine Neuordnung der Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eingeschlagen.
Die Länder als Gesetzgeber in Rundfunksachen haben bei dieser Ausgestaltung konsequent das Gebot der Vielfaltssicherung auch in Form der Staatsdistanz zu beachten. Das bedeutet nicht, dass Staat und Politik in den Gremien überhaupt nicht vertreten sein dürfen. Gefordert ist aber, dass die staatsfernen Mitglieder den bestimmenden Einfluss auf alle Entscheidungen haben.
Einmal mehr: L’État, c’est quoi?
Bei der vom BVerfG vertretenen funktionellen Betrachtungsweise ist staatlich, wer „ staatlich-politische Entscheidungsmacht innehat oder im Wettbewerb um ein hierauf gerichtetes öffentliches Amt oder Mandat steht und insoweit in besonderer Weise auf die Zustimmung einer breiteren Öffentlichkeit verwiesen ist.“ Hierunter subsumiert das BVerfG Regierungsmitglieder, Abgeordnete, politische Beamte, Wahlbeamte in Leitungsfunktionen (zum Beispiel Bürgermeister und Landräte), Vertreter der Kommunen sowie “staatsnahe” Personen, die von politischen Parteien entsandt werden. Als nicht staatlich bezeichnet das Gericht hingegen u.a. Vertreter von Hochschulen und Richter. Angesichts politischer Bestrebungen, das Korsett der Rahmenbedingungen für Hochschulen enger zu schnüren einerseits und der Abhängigkeit jedenfalls höherer Richter von politischen Berufungsentscheidungen kann man durchaus auch bei diesen eine Zuordnung zum Staat diskutieren.
Weniger Staat wagen!
Grundsätzlich gilt es, so das BVerfG, das Herbeiführen oder Blockieren von Entscheidungen in den Gremien durch einheitlich agierende Staatsvertreter, also staatliche Sperrminoritäten, zu verhindern. Daraus folgert das Gericht: Jedem „Staatsvertreter“ sind zur Wahrung der Staatsdistanz der Aufsichtsgremien zwei staatsferne Mitglieder zur Seite zu stellen, was einer Staatsquote von 1:2 bzw. einem Drittel entspricht. Dies soll für alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelten. Da aber bei entsprechender “Anpassung” der für Entscheidungen nötigen Quoren Sperrminoritäten auch unterhalb dieser Schwelle entstehen können, kann die generelle Fixierung des Anteils im Gegensatz zum Wortlaut des Urteils nur das verfassungsrechtlich notwendige Ergebnis für den aktuellen ZDF-StV (mit seinen qualifizierten Quoren von drei Fünfteln für wichtige Entscheidungen wie beispielsweise die Intendantenwahl) darstellen.
Zukünftig dürfen beim ZDF nicht mehr 34, sondern nur noch 25 der 77 Fernsehratsmitglieder unter die oben beschriebene Definition fallen – vorausgesetzt, die Länder entscheiden sich bei der Umsetzung des Urteils nicht für eine völlige Neukonzeptionierung des Gremiums. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber die Gremien nicht – zur Wahrung von Versorgungsposten – bis zur Arbeitsunfähigkeit vergrößert.
Gleiches gilt im Übrigen auch für den Verwaltungsrat. Und in beiden Institutionen begnügt sich das BVerfG nicht mit der alleinigen Reduzierung der Anzahl der Staatsvertreter: Zusätzlich muss auch der „Staatsblock“ selbst vielfältig zusammengesetzt, also föderal, funktional und parteipolitisch gebrochen sein.
Staatsfern und dynamisch sollt Ihr sein!
Doch der Grundsatz schlägt auch auf Seiten der staatsfernen Gremienmitglieder durch, die “möglichst verschiedenartige Sichtweisen, Erfahrungen und Wirklichkeitsdeutungen“ einbringen sollen. Die Vertreter der sogenannten gesellschaftlichen Gruppen, die die politikferne gesellschaftliche Kontrolle des Rundfunks sichern sollen, werden bislang teilweise direkt bspw. von Verbänden entsendet, teilweise aber auch durch einen Dreiervorschlag, aus dem die Ministerpräsidentenkonferenz auswählt, bestimmt.
Zunächst dürfen alle, die wie im Sinne des BVerfG als “staatlich“ definiert werden, zukünftig keinen bestimmenden Einfluss auf die Bestellung staatsferner Mitglieder haben, was insbesondere den bisherigen Auswahlmodus bezüglich der Vertreter von Verbänden oder Gruppen verbietet. Ein Abweichen von den eingereichten Listenvorschlägen soll nur noch bei “besonderen rechtlichen Gründen” zulässig sein. Wie diese Gründe aussehen sollen können wir uns – abgesehen von Inkompatibilitäten o. Ä. – nicht vorstellen. Noch weiter reichen eben diese personenbezogenen Inkompatibilitätsvorgaben. Die Vertreter staatsferner Verbände und Gruppen müssen ihrerseits staatsfern sein, indem sie „in einer hinreichenden Distanz zu staatlichen Entscheidungszusammenhängen stehen“. Dies gilt insbesondere für Parteimitglieder: Solche mit wie weit auch immer gehobenen Positionen könnten ausgeschlossen und/oder erst nach Ablauf von gesetzlich festgelegten Karenzzeiten in den Gremien zugelassen werden. Damit wird ausgeschlossen, dass Verbände zur Besetzung ihrer Plätze in den Gremien auf staatliche oder staatsnahe Personen zurückgreifen.
Bei diesen Vorgaben für die Besetzung der Gremien mit staatsfernen Mitgliedern bleibt das Gericht aber nicht stehen, sondern drängt auf eine Dynamisierung der Gremien. Bisher hat der Gesetzgeber im ZDF-StV (und den Anstaltsgesetzen anderer Rundfunkanstalten) eine abschließende Aufzählung von in den Gremien vertretenen Gruppen vorgenommen. Das Gericht erkennt nun eine “Versteinerungsgefahr” – ein Hinweis auf den dynamischen Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? –, wenn durch statische Festlegungen die Gremienbesetzung allzu sehr festgezurrt wird. Zusätzliche Gefahren für die Vielfalt entstehen dem BVerfG zufolge auch, wenn lediglich verbandsmäßig organisierte gesellschaftliche Kräfte, nicht aber kleine (und ggf. neue) Gruppen berücksichtigt werden. Das BVerfG fordert den Rundfunkgesetzgeber auf, das “Spannungsverhältnis von Kontinuität und Flexibilität”, also der Arbeitsfähigkeit einerseits und der Gefahr der Überholung des abgebildeten Gesellschaftsausschnittes andererseits, zum Ausgleich zu bringen. Die Konkretisierung der Dynamisierungsvorgabe liegt allerdings im (weiten) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Für die Neugestaltung der Besetzungsregelungen nennt das BVerfG beispielhaft Lösungsvorschläge wie ein Bewerbungsverfahren oder auch eine “formalisierte regelmäßige Prüfpflicht” bzgl. der vertretenen gesellschaftlichen Kräfte. Hierbei fällt die deutlich unterschiedliche Intensität dieser Ansätze auf. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber in diesem Punkt mit der bloßen Überprüfung nicht das stumpfeste Schwert wählt.
Unabhängigkeit und Transparenz – klingt gut
Alle Vertreter – staatliche, staatsnahe und staatsferne – möchte das BVerfG vor dysfunktionaler Beeinflussung oder Abberufung durch die jeweils entsendende Institution schützen. So sollen Abberufungen ohne wichtigen Grund zukünftig nicht mehr möglich sein. Gleichfalls dem Schutz sämtlicher Gremienmitglieder, aber auch dem Bürger werden die zukünftig zu errichtenden Transparenzregelungen dienen. Transparenz in der Gremienarbeit kann in der Tat Organisationen von der Beeinflussung ihrer Vertreter abschrecken und eine ggf. trotzdem erfolgende Beeinflussung öffentlich machen. Aber auch hier ist zu fragen, ob das Idealbild von Transparenz diese Erwartungen tatsächlich erfüllen kann. Absprachen, Koordinierungen und Ähnliches sind entscheidenden Kollegialorganen nun einmal wesensimmanent und im Zweifel kaum aufzudecken.
Dass die in der mündlichen Verhandlung noch so intensiv untersuchten “Freundeskreise”, also die informelle Abstimmung vor entscheidenden Sitzungen in teilweise parteipolitisch gefärbter Aufspaltung, im Urteil kaum zur Sprache kommen, verwundert auf den ersten Blick. Tatsächlich aber sollen die Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung diese vielbesprochenen Hinterzimmertreffen machtlos stellen: Wo ein Staatsvertreter zwei Staatsfernen gegenüber steht, hilft selbst eine Parteigrenzen überschreitende Blockbildung nicht bei der Durchsetzung von Macht.
Es bleibt spannend – Wetten, dass?!
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das BVerfG mit seinem Urteil einen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat. Die Effektivität der Leitlinien für den Gesetzgeber zur Herstellung funktionsadäquater Staatsferne und Vielfalt wird sich jedoch aufgrund der klaren Betonung der legislativen Spielräume erst herausstellen müssen. Inwiefern dies mit den für die freie Medienordnung konstitutiven Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist, wird einen zentralen Punkt der rechtswissenschaftlichen Diskussion darstellen.
Wer bei der Vielzahl der Akteure nun tatsächlich wessen Freund ist, wird sich spätestens in der Mitte des nächsten Jahres zeigen – dann läuft die Frist zur Umsetzung der 14. Rundfunkentscheidung aus.
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