von OLIVER DAUM
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart eine Kommission einzusetzen, um die „fortschreitende Bündnisintegration“ und die „Auffächerung der Aufgaben“ der deutschen Streitkräfte zu untersuchen. Über den hierzu von den Koalitionären eingebrachten Antrag hätte der Bundestag am 14. März 2014 beraten sollen. Doch die Debatte drehte sich weniger um die Gründe, die für oder gegen die Einsetzung der Kommission streiten, sondern vielmehr entwickelte sich eine Grundsatzdiskussion um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland.
Mit diesem Beitrag werden zwei konkrete Vorschläge zur Novellierung des Wehrverfassungsrechts unterbreitet. Einerseits gilt es, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland auf ihre Praxistauglichkeit zu untersuchen. Andererseits sind die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zum Auslandseinsatz ausschließlich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geprägt worden. Hier gilt es für den Bundestag legislativ aktiv zu werden.
Zunächst soll jedoch der Begriff des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Ausland abgegrenzt werden. Dieser meint nicht den Verteidigungsfall gem. Art. 115a GG. Erfasst wird vielmehr die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Missionen im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit gem. Art. 24 Abs. 2 GG, sprich der UNO, der NATO und der EU. Entsendungen ins Ausland außerhalb dieser integrierten Systeme wären also verfassungswidrig, sofern nicht ein Verteidigungsfall vorläge.
Wie kam es zu der exponierten Stellung des BVerfG in wehrverfassungsrechtlichen Fragen?
Im Jahre 1994 entschied das BVerfG in einem Grundsatzurteil zwei grundlegende Aspekte: Zum einen war bis dato umstritten, ob der Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des Territoriums eines durch ein integriertes System verbündeten Staates verfassungsgemäß ist. Das BVerfG bejahte dies (daher der populäre Name: „Out-of-Area“-Entscheidung). Zum anderen unterliegen seither derartige Auslandseinsätze, sofern sie von der Bundesregierung beschlossen worden sind, der konstitutiven Zustimmung des Bundestages. Dieser konstitutive Parlamentsvorbehalt ergibt sich weniger auf Grund einer ausdrücklichen Norm des GG, als vielmehr aus dem verfassungsrechtlichen Bedürfnis einer demokratischen Legitimation für den Einsatz des „Parlamentsheeres“. Somit „entdeckte“ das BVerfG zwar den zuvor existenten aber unsichtbaren Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze in der Verfassung, blieb einer näheren Ausgestaltung des zentralen Begriffs „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ aber zunächst schuldig.
Den Ausführungen des BVerfG folgte der Bundestag, ohne in der Substanz selbst legislativ tätig zu werden und den die konstitutive Zustimmung auslösenden Auslandseinsatz inhaltlich zu prägen: Zum einen konnte das im Jahre 2005 durch ihn verabschiedete Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG) den Ausführungen des BVerfG vom Jahre 1994 nichts Wesentliches hinzufügen. Daher erntete es in der Folgezeit auch den Ruf eines bloßen Verfahrensbeteiligungsgesetzes. Zum anderen führte das BVerfG 2008 im AWACS-II-Urteil aus, dass der Einsatzbegriff ein verfassungsrechtlicher sei, der nicht von „einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (vgl. § 2 ParlBG) verbindlich konkretisiert werden kann.“
Daraus folgt, dass der Bundestag – außer durch eine Verfassungsänderung – keinen Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des zustimmungsbedürftigen Einsatzbegriffs nehmen kann. Im gleichen Zuge nutzte das BVerfG die sich ihm durch das AWACS-II-Verfahren gegebenen Möglichkeiten, um die eigenen Vorstellungen vom „wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt“ zu konkretisieren und zu etablieren. Mit spitzer Zunge könnte behauptet werden, dass es sich beim „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ nicht um einen verfassungsrechtlichen Begriff handelt, sondern um einen verfassungsgerichtlichen! Der Grund hierfür liegt darin, dass der Bundestag, als das primär zuständige Organ, den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Auslandseinsatzes bisher keine eigenen Auffassungen hinzuzufügen in der Lage war.
Erster Vorschlag: Verfassungsergänzung!
Ein erster Vorschlag der Kommission könnte demnach verfassungspolitischer Natur sein: Um sich in einem ersten Schritt verfassungskonforme Einflussmöglichkeiten in der wehrverfassungsrechtlichen Diskussion zu verschaffen, sollte der Bundestag das ParlBG im Grundgesetz verankern. So könnte in Art. 87a GG ein Absatz 5 aufgenommen werden:
„Der Einsatz der Streitkräfte im Ausland bedarf der Zustimmung des Bundestages. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Auf dieser Grundlage ist dann eine gesetzgeberische Anpassung des ParlBG erforderlich, damit der Bundestag Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des Einsatzbegriffs nehmen kann. Darüber, dass hinsichtlich der Definition des Einsatzbegriffs Handlungsbedarf besteht, herrscht fraktionsübergreifende Einigkeit (vgl. BT-Drs. 18/766, 18/775 und 18/839). Die Gründe für den Handlungsbedarf sind vielfältig: Zu nennen ist zum einen die zeitweilige Entsendung einzelner Soldaten in multinationale ständige Stäbe und Hauptquartiere beispielweise der NATO. Soll hierfür die Zustimmung des Bundestages erforderlich sein, wenn deutsche Soldaten von Brüssel aus an der Aufklärung von Konfliktgebieten außerhalb Europas beteiligt sind? Zum anderen wird Deutschland auf Grund eines immer knapper werdenden Wehretats zunehmend von der militärischen Kooperation innerhalb internationaler Organisationen abhängig sein (pooling & sharing). Soll der Bundestag aber seinerseits die Zustimmung zu Krisen- und Konflikteinsätzen der EU verweigern können?
Zweiter Vorschlag: Rechtsklarheit schaffen!
Der zweite Vorschlag ist verfassungspraktischer Natur. Die Kommission sollte die Verfassungsmäßigkeit aktueller praktischer Fragen untersuchen, um so Rechtssicherheit/Rechtsklarheit herzustellen. Ein Beispiel bildet die bereits angesprochene Entsendung einzelner Soldaten in ständige Stäbe oder Hauptquartiere, die nicht in einem Krisen- oder Konfliktgebiet liegen. Nach umstrittener Ansicht, stellen Entsendungen, die keine „konkrete Erwartung der Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ begründen, keinen zustimmungsbedürftigen Einsatz dar. Über diese Entsendungen könnte die Bundesregierung allein entscheiden. Nach Ansicht des BVerfG liegt ein zustimmungsbedürftiger Einsatz erst dann vor, wenn deutsche Soldaten innerhalb einer Konfliktregion, in dem z. B. ein bewaffneter Konflikt stattfindet, eingesetzt werden sollen.
Im Rahmen der Diskussion um die Ergebnisse der einzusetzenden Kommission wird auch die Bildung eines Entsendeausschusses vorgeschlagen. In der „Out-of-Area“-Entscheidung ließ das BVerfG eine Abstufung der Parlamentsbeteiligung ausdrücklich zu:
„Je nach dem Anlaß und den Rahmenbedingungen […] sind unterschiedliche Formen der Mitwirkung denkbar. Insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche Arten der Einsätze, vor allem bei solchen, die keinen Aufschub dulden oder erkennbar von geringer Bedeutung sind, empfiehlt es sich, den Zeitpunkt und die Intensität der Kontrolle des Parlaments näher zu umgrenzen.“
In diesem Zusammenhang bleibt jedoch zu fragen, ob ein Entsendeausschuss nunmehr auch nach den Vorgaben aus dem AWACS-II-Urteil verfassungskonform wäre. Müsste nicht jeder Einsatz auf Grund der damit einhergehenden Gefahren für „Leib und Leben“, „Leben und Gesundheit“ oder „individuelle Rechtsgüter der Soldatinnen und Soldaten“ ohnehin vom Bundestag als Plenum entschieden werden? Mit anderen Worten, über welchen Teil der zustimmungsbedürftigen Einsätze sollte der Entsendeausschuss entscheiden?
Es gilt also, den Anforderungen, die sich aus dem Spannungsfeld von praktischer Flexibilität und Bündnistreue (Art. 24 Abs. 2 GG) einerseits und den verfassungsrechtlichen Erfordernissen eines Parlamentsheeres andererseits ergeben, gerecht zu werden. Nach Einsetzung der Kommission soll diese binnen Jahresfrist ihre Ergebnisse präsentieren. Es bleibt also spannend, wie diese ausfallen werden.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ein Aspekt, der m.E. bei der Diskussion über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts und über die Frage, inwiefern man diesen durch eine Verfassungsänderung einschränken kann oder sollte, nicht übersehen werden darf, ist der Kontext, in dem das BVerfG den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt entwickelt hat. Denn in der Out of Area-Entscheidung hat das Gericht nicht nur Aussagen über Art. 24 Abs. 2 GG und Art. 87a Abs. 2 GG getroffen (also über die Eingliederung in die NATO und über die materielle Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes), sondern auch sehr kritisch aufgenommene (und nur von vier Richtern getragene, siehe Abs.-Nr. 298!) Ausführungen zur Reichweite der nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlichen parlamentarischen Zustimmung gemacht: Denn es stellte sich die Frage, ob das ursprüngliche Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag angesichts der doch erheblichen Weiterentwicklung der NATO die deutsche Beteiligung noch parlamentarisch legitimieren konnte. Das BVerfG bejahte dies (bzw. eine Verfassungsverstoß konnte aufgrund der Stimmengleichheit nicht festgestellt werden) und schwächte damit erheblich die Rolle des Parlaments zugunsten der Regierung. Der Parlamentsvorbehalt hat insofern eine kompensatorische Funktion, die sich vereinfacht wie folgt ausdrücken lässt: Wenn die Regierung schon – ohne erneute parlamentarische Zustimmung – außenpolitisch an einer Weiterentwicklung der NATO mitwirken darf, die sich von der ursprünglichen, dem NATO-Vertrag zugrunde liegenden Konzeption doch schon recht weit entfernt hat, dann soll der Bundestag zumindest über den Einsatz der Streitkräfte im konkreten Fall entscheiden dürfen.
Wie auch immer man diese restriktive Lesart des Art. 59 Abs. 2 GG und die Konstruktion eines ungeschriebenen wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verfassungsrechtlich und verfassungsrechtspolitisch bewertet: Die beiden Aspekte müssen stets in ihrem institutionellen Zusammenspiel gesehen werden. Es geht in der Diskussion also nicht nur um eine punktuelle Beschränkung der Beteiligungsrechte des Bundestages bei der Entsendung der Bundeswehr, sondern um eine insgesamt angemessene und sachgerechte Austarierung der (im Grundgesetz nur fragmentarisch geregelten) Verteilung der Organkompetenzen zwischen Parlament und Regierung in auswärtigen Angelegenheiten. Womit freilich noch keine Aussage darüber getroffen ist, ob und wieweit der Parlamentsvorbehalt durch eine Verfassungsänderung eingeschränkt werden kann.
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