„Was technisch möglich ist, wird kommen.“ So brachte ein Teilnehmer der transdisziplinären Konferenz zur Entwicklung technischer Unterstützungssysteme 2014 in Hamburg eine wesentliche Herausforderung der Gesetzgebung bei der Regulierung technischer Innovationen auf den Punkt. Denn: Technische Neuheiten erhalten Einzug in immer mehr Bereiche wie den Beruf, die Wohnung oder die Gesundheit. Sie unterstützen, erleichtern, ersetzen, werfen aber auch rechtliche (etwa daten- und arbeitsschutzrechtliche) sowie ethische Fragen auf. Will der Gesetzgeber regulierend eingreifen, steht er nicht nur vor Wertungsfragen, sondern auch vor einem Wissensdefizit: Woher weiß der Gesetzgeber, was technisch möglich ist bzw. möglich sein wird? (Wie) ist eine prospektive Gesetzgebung realisierbar oder sind Regulierungsoptionen auf die Retrospektive beschränkt? Können Ansätze der technikneutralen Regulierung diese zeitliche Dimension überwinden?
Eine weitere gesetzgeberische Herausforderung ist damit noch nicht angesprochen: Der eingangs zitierte Satz mag für solche Technik gelten, an deren Entwicklung (marktwirtschaftliche) Interessen Dritter – allen voran der Industrie – bestehen. Techniken, für die (noch) kein profitabler Markt existiert, nehmen an dieser ständigen Weiterentwicklung nicht teil. Besteht an ihrer Entwicklung aber ein gesellschaftliches Interesse, kann der Gesetzgeber fördernd eingreifen, indem er Entwicklungsanreize schafft. Durch gesetzgeberisches Handeln kann die Entwicklung neuartiger Technik aber auch – bewusst oder als unbedachte Nebenfolge – behindert werden. Welche Innovationsverantwortung trägt der Gesetzgeber?
Mensch-Maschine-Interaktionen, autonome Systeme und Big Data als Herausforderungen
Technische Unterstützungssysteme, die auf die Interaktion zwischen Mensch und Maschine angelegt sind, finden sich in der Arbeitswelt ebenso wie z.B. in der Pflege und Rehabilitation. Sie antworten u.a. auf den demografischen Wandel, gesteigerte Lebenserwartungen und die längere Phase der Erwerbstätigkeit. Hebehilfen beispielsweise verbessern die Leistungsfähigkeit in der Produktion, können entlastend und damit gesundheitserhaltend wirken, während sie gleichzeitig personalisiert angepasst werden können und dafür personenbezogene Daten erheben, die ggfs. eine Auswertung der Arbeitsleistung ermöglichen. Die enge Verbindung von Mensch und Maschine stellt zudem rechtliche Haftungsmodelle in Frage und erfordert die rechtliche Auseinandersetzung mit ethischen Bedenken gegen unterschiedliche Interaktionsmodi (Mensch-Maschine-Kollaboration, -Kooperation, -Verschmelzung).
Immer häufiger werden autonome Komponenten eingesetzt, was für das Recht weitere Unvorhersehbarkeiten und (Haftungs-)Risiken bedeutet. Technische Möglichkeiten im Bereich des Autofahrens reichen vom (teil-)automatisierten Fahren bis zum autonomen Fahren. Diese Entwicklungen werden gerne angeführt, um darzulegen, wie weit die Technik dem Recht voraus sei. Rechtlich zulässig sind in Deutschland bislang nur einzelne Komponenten teilautomatisierten Fahrens wie Einpark- und einige Spurhalteassistenten. Dies soll sich mittelfristig ändern: Das Bundeskabinett hat am 13.04.2016 den von Bundesverkehrsminister Dobrindt vorgelegten Gesetzentwurf zur Umsetzung des geänderten Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr beschlossen. Ziel ist die rechtliche Absicherung weiterer Fahrassistenzsysteme, soweit sie durch den*die Fahrer*in übersteuert bzw. abgeschaltet werden können.
Neue Technik ist schließlich darauf ausgelegt, vielfältig mit Daten zu arbeiten. Smart Home Elemente erobern derzeit die häusliche Sphäre: dazu gehören Hausnotrufsysteme, Sturzsensoren sowie Sensoren zur Messung der Kohlenstoffmonoxid-Konzentration, der Luftbelastung durch Pollen, oder der Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Sie erheben Unmengen von Daten, darunter solche, die die Privat- oder Intimsphäre betreffen können, sowie Sozial- und Gesundheitsdaten, für deren Erhebung, Übermittlung und Verarbeitung besondere Schutzvorschriften gelten.
Technikregulierung als Wissensregulierung
Die dargestellte Technik eint ihre beschleunigte Entwicklung, die sich exponentiell steigert und so ein Hinterherkommen der Gesetzgebung, geschweige denn eine Vorausschau, erschwert. Für die Rechtswissenschaft stellen sich daher Fragen nach der Vorhersehbarkeit von technischer Entwicklung einerseits und rechtlicher Regulierungsbedürftigkeit andererseits. Recht wird dabei mitunter als innovationshemmend wahrgenommen, schneidet es doch durch Ge- und Verbote bestimmte Innovationspfade ab. Während das Recht typischerweise darauf gerichtet ist, (Rechts-)Sicherheit und damit Planungs- und Erwartungssicherheit zu erzeugen, lebt der Innovationsprozess zur Entwicklung technischer Neuheiten von dessen Unplanbarkeit, Unvorhersehbarkeit und Ergebnisoffenheit. Will das Recht in diesen Innovationsprozess steuernd und gestaltend eingreifen, bedarf es einer gewissen Flexibilität, die weniger auf Ergebnissicherheit als auf Prozesssicherheit und damit prozedural ausgerichtet ist. Die Organisation von Wissen und Entscheidungen sowie die Frage, wie sich Ordnungsbedarf möglichst früh erkennen und bearbeiten lässt, stehen dabei im Vordergrund. Gleichzeitig birgt diese Herangehensweise das Risiko der Fehleinschätzung, die eine nachträgliche Bewertung und ggfs. Regulierung erforderlich macht. Wo ein solches Risiko entsteht, sind Möglichkeiten der Risikominimierung und -verteilung rechtlich auszuloten. So können (produkt-)haftungsrechtliche Anreize geschaffen werden, um Risikowissen im Innovationsentwicklungsprozess (z.B. über Beobachtungspflichten) zu generieren und in diesen einfließen zu lassen. Rechtliche Vorgaben zu Überwachung und Evaluierung können in einem der Entwicklung nachgelagerten Prozess (z.B. bei Produkten nach Markteinführung) Rechte und Rechtsgüter schützen und gleichzeitig Wissen für künftige Entwicklungsprozesse hervorbringen und so methodisch zu einer fundierten Technikfolgenabschätzung beitragen. Gesetzgeberisches Handeln muss hierfür die Ebene des Verwaltungsverfahrens einbeziehen, auf der Technikregulierung praktisch betrieben wird.
Technikneutrale Regulierung als Lösung?
Der Ansatz technikneutraler Regulierung bemüht sich, rechtliche Standards in den Innovationsentwicklungsprozess zu integrieren, ohne auf die konkrete Technik eingestellt zu sein. Dabei werden rechtliche Schutzmaßnahmen durch technische und organisatorische Vorkehrungen flankiert. Im Datenschutzrecht wird dafür methodisch das sog. Schutzzielkonzept genutzt: Zunächst werden die wesentlichen Schutzziele von Datensicherheit und Datenschutz (z.B. Vertraulichkeit und Datensparsamkeit) festgestellt und im Hinblick auf ihre Bedeutung und Wirkung für die jeweils betroffenen Personenkreise näher spezifiziert und profiliert. In einem derart gestalteten Prozess ist dann z.B. schon bei der Entwicklung darauf zu achten, dass möglichst keine bzw. nur sparsam personenbezogene Daten erhoben werden oder der Personenbezug von Daten durch Verschlüsselungstechniken ganz entfernt wird.
Dieser Ansatz eignet sich für die Gewährleistung (verfassungs-)rechtlich verankerter Ziele wie Daten-, Tier- oder Umweltschutz, die einfachrechtlich ausdifferenziert sind und als geltendes Recht Wegmarken technischer Entwicklungen darstellen. Neue technische Möglichkeiten können ihrerseits eine Anpassung dieses Rechts zur Diskussion stellen und – gegebenenfalls – bedingen. Wertende Aspekte wie die ethische Vertretbarkeit des Einsatzes einer bestimmten Technik, die das überkommene Bild von Mensch und Maschine in Frage stellt, lassen sich auf diese Weise allerdings schwerlich prozeduralisieren – hier stößt die Idee der technikneutralen Regulierung an ihre Grenzen.
Technikfolgenabschätzung als Baustein „guter“ Gesetzgebung?
Mit dem Ziel Risiken und Chancen, die innovative Technikentwicklung bergen, im Gesetzgebungsprozess in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, entwickeln sich Instrumente der Folgenabschätzung und -orientierung fort. Folgenabschätzung meint längst nicht mehr nur Risikomanagement, sondern auch die Ermöglichung von Fortschritt. Verfahren reichen von der Risikoermittlung und -bewertung über die Bedarfsprüfung bis zur Verträglichkeitsprüfung. Sie sind ihrerseits auf eine Wissensbasis und Methodik angewiesen, die sie gleichzeitig (mit-)erzeugen sollen. Der zugrundeliegende Gedanke, dass eine breite Wissensbasis das gesetzgeberische Handeln rationalisiert, bedingt zugleich, dass eben diese Basis zur Voraussetzung gesetzgeberischen Handelns gemacht wird und entsprechende Kompetenz und Sachverstand auf der personellen Entscheidungsebene aufgebaut werden müssen. Um das Element des Ungewissen, Unvorhersehbaren einzuhegen, das die Technikfolgenabschätzung prägt, muss der – anderenfalls unendliche – Rahmen der Prognose abgesteckt werden. Die Maßstabsbildung der Technikfolgenabschätzung für das Verwaltungsverfahren stellt ein weiteres grundlegendes Anliegen der Gesetzgebung dar, das eine Kooperation von Technik und Recht unter Einbezug weiterer Disziplinen erforderlich macht.
Fazit
Im Spannungsfeld von Innovation und Rechtsschutz ergeben sich eine Reihe gesetzgeberischer Herausforderungen. Dabei ist es weder zielführend, das Recht als Faktor der Pfadabhängigkeit für technische Innovationen zu betrachten noch beschleunigte Technikentwicklung als Maß rechtlichen Handlungsbedarfs. Technikregulierung muss keine Exit-Strategie für eingeschlagene Innovationserforschungspfade darstellen, sie kann und sollte als Wissensregulierung zunächst darauf ausgelegt werden, Innovationsprozesse zu begleiten. Da die Technikregulierung ein Querschnittsthema der Rechtswissenschaften darstellt – berührt werden u.a. das Haftungsrecht, das Straßenverkehrsrecht, das Strafrecht, das Datenschutzrecht –, bedarf konsistente Regulierung einer am konkreten Regulierungsgegenstand ausgerichteten intradisziplinären Auslotung. Um die Beziehungen und Abhängigkeiten um Technik und Recht rechtlich zu adressieren und Instrumente der Technikfolgenabschätzung weiterzuentwickeln, sind darüber hinaus die transdisziplinäre Zusammenarbeit (nicht nur mit den Ingenieurswissenschaften, sondern auch der Ethik, der Techniksoziologie, der Medizin usw.) und die Entwicklung interdisziplinärer Methoden erforderlich.