von CLAUDIA WUTSCHER
Anders als in Deutschland enthält die österreichische Verfassungsordnung weder eine Pflicht zur Bundestreue noch konkrete Regelungen für den Umgang mit finanziellen Krisen von Bundesländern. Das Debakel um die Milliardenhaftungen Kärntens für die marode Hypo-Alpe-Adria zeigt freilich, dass es sich bei der Frage nach einer Einstandspflicht nicht um ein rein akademisches Problem handelt. Es geht vielmehr ganz konkret darum, ob der Bund oder die anderen Länder für die Hypo-Haftungen Kärntens einspringen müssen. Oder ob die Gläubiger ihre Forderungen vielleicht sogar direkt gegenüber dem Bund oder den anderen Bundesländern einfordern können.
Finanzielle Eigenverantwortung
Die österreichische Verfassung enthält keine ausdrücklichen Regelungen für den Umgang mit finanziellen Krisen von Bundesländern. Allerdings lassen sich durchaus Anhaltspunkte finden: So richtet das B-VG Österreich in der Form eines Bundesstaates ein, in dem den „selbständigen“ Bundesländern eine gewisse Autonomie zukommt. Nach ganz hA gehört dazu auch ein gewisses Maß an finanzieller Eigenverantwortung. Konsequenterweise verpflichtet Art 13 Abs 2 B-VG auch die Bundesländer, bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes und nachhaltig geordnete Haushalte anzustreben. Außerdem gilt gemäß § 2 F-VG das sogenannte finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip, wonach die Gebietskörperschaften den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt, grundsätzlich selbst tragen.
Zugegeben, die für ihre Ausgaben notwendigen Mittel erhalten die Länder zu einem großen Teil über den Finanzausgleich. Das ändert aber nichts daran, dass sie in ihrer Haushaltsführung selbstständig und voneinander sowie vom Bund unabhängig sind. Im Übrigen haben die Länder einerseits eine eigene (wenn auch beschränkte) Steuerhoheit und sie sind andererseits voll privatrechtsfähig, können also etwa Anleihen begeben, Kredite aufnehmen oder Haftungen übernehmen. Diese finanzielle Autonomie spricht grundsätzlich gegen die Annahme einer Einstandspflicht des Bundes oder der anderen Bundesländer.
Eingriffs-/Ingerenzmöglichkeiten?
Unter Umständen könnte das Vorliegen wirksamer Eingriffs- bzw Ingerenzmöglichkeiten durch den Bund oder die anderen Länder eine Einstandspflicht stützen. Solche Möglichkeiten bestehen allerdings grundsätzlich nicht, insbesondere gibt es kein Aufsichtsrecht des Bundes gegenüber den Ländern oder der Länder untereinander. Und auch wenn der Bund seit Inkrafttreten des Fiskalpakts bei evidenten Verstößen gegen Effizienzkriterien auf die Haushaltsführung der Länder uU einwirken könnte und die Verwendung von Bedarfszuweisungen und zweckgebundenen Zuschüssen an Bedingungen knüpfen kann, kann er damit die Begründung finanzieller Verpflichtungen durch ein Bundesland nicht verhindern. Selbst wenn man eine Beistandspflicht im Innenverhältnis annehmen wollte (dazu unten), lässt sich ein „außenwirksamer“ Anspruch der Gläubiger nicht begründen.
Anspruchsgrundlage?
Es fehlt dafür bereits an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage, die eine allgemeine Haftung für Verbindlichkeiten von Bundesländern durch den Bund oder die anderen Bundesländer anordnet. Wollte man aber eine Einstandspflicht annehmen, wäre eine ausdrückliche Normierung notwendig gewesen. Denn, wie B. Raschauer richtig bemerkt, „unter dem Legalitätsprinzip muss eine Haftung eines Dritten für fremde Schuld gesetzlich statuiert sein“. Wären die übrigen Gebietskörperschaften für die Verbindlichkeiten eines Bundeslandes in einer finanziellen Krise haftbar, würde das im Ergebnis wie eine „prämienfreie Haftpflichtversicherung auf Kosten der Allgemeinheit“ (R. Rebhahn) wirken. Gläubiger suchen sich aber bewusst den Gliedstaat als Vertragspartner aus und bekommen für die Inkaufnahme des höheren Ausfallrisikos auch regelmäßig höhere Zinsen. Es ist nur konsequent, dass sie mit ihren Ansprüchen dann auf das exekutionsunterworfene Vermögen der Gebietskörperschaften beschränkt sind.
Einstandspflicht über Eigentumsschutz?
Th. Trentinaglia hat jüngst argumentiert (EuGRZ 2016, 253), dass die Gebietskörperschaften einen Haftungsverbund bildeten und Gläubigern gegenüber solidarisch hafteten. Dabei stützt er sich auf eine Rechtsprechungslinie des EGMR, wonach das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel die Nichterfüllung einer gerichtlich festgestellten Schuld nicht zu rechtfertigen vermag. Der EGMR stellte eine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum fest, obwohl es ein Gemeindeinsolvenzverfahren über die Schuldnerin am Laufen war.
Daraus auf das Bestehen einer Einstandspflicht zu schließen, überzeugt mE nicht. Denn der EGMR bezieht sich bloß auf solche Forderungsrechte, für die bereits ein rechtskräftiger Titel besteht. Kürzungen nicht titulierter Forderungsrechte, worunter wohl auch im Insolvenzverfahren angemeldete Forderungen fallen dürften, können demgegenüber nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt sein. Dass in Krisensituationen etwa Pensions- und Gehaltskürzungen oder „hair-cuts“ von Anleihegläubigern zulässig sind, hat der EGMR mehrfach, zuletzt etwa iZm Griechenland, bestätigt. Auch aus dem Eigentumsschutz kann daher keine Einstandspflicht abgeleitet werden.
Bündische Beistandspflicht?
Zu prüfen ist noch, ob eine Beistandspflicht im Innenverhältnis besteht, die der „notleidenden“ Gebietskörperschaft einen Anspruch gegen die übrigen Gebietskörperschaften vermittelt. Anders als J. Augustin vor kurzem argumentiert hat, lässt sich eine solche „bündische Beistandspflicht“ aber mE eher nicht begründen, jedenfalls nicht über einen einklagbaren Anspruch. Denn zwar hat der Bundesgesetzgeber als Finanzausgleichsgesetzgeber den Bundesländern unter Bedachtnahme auf die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit grundsätzlich die Erfüllung ihrer „notwendigen Aufgaben“ zu ermöglichen. Dieser Finanzausgleichsgerechtigkeit ist nach der hM aber bereits entsprochen, wenn mit den zugewiesenen Mitteln die durchschnittliche Aufgabenerfüllung ermöglicht wird.
Außerdem ist der Finanzausgleich konsensual und kooperativ ausgerichtet. Daher indiziert das Vorliegen eines Finanzausgleichspaktums die Sachlichkeit der Regelung. Den Gebietskörperschaften erwachsen aber aus dem F-VG unmittelbar keine Rechte. Das gilt auch hinsichtlich der Gewährung von Bedarfszuweisungen, die nach § 12 F-VG im Ermessen des Gesetzgebers stehen. Weil sie aber außerdem eine gesetzliche Grundlage brauchen, kann bereits deshalb kein vor dem VfGH einklagbarer Anspruch der notleidenden Gebietskörperschaft bestehen. Denn der VfGH könnte ein entsprechendes Unterlassen des Gesetzgebers nicht aufgreifen.
Die Insolvenzfähigkeit von Bundesländern, die von der hM anerkannt wird, liefert ein zusätzliches Argument gegen eine Beistandspflicht bei finanziellen Krisen. Während die Mittel für die notwendigen Verwaltungsaufgaben ohnehin über Abgabenertragsanteile und Schlüsselzuweisungen „regulär“ zur Verfügung gestellt werden, sind eben darüber hinausgehende Tätigkeiten, insbesondere im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung, im Fall einer finanziellen Krise des Landes einzustellen bzw betreffende Verbindlichkeiten nicht mehr zu bedienen. Anders als in Deutschland, wo die Insolvenzfähigkeit von Bundesländern ausgeschlossen ist, stellt die IO ein Verfahren für den Umgang mit finanziellen Krisen zur Verfügung, das eine Beistandspflicht der anderen Gebietskörperschaften entbehrlich macht.
Schluss
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass bei finanziellen Krisen von Bundesländern keine verfassungsrechtliche Einstandspflicht dergestalt besteht, dass Gläubigern ein zusätzlicher Haftungsfonds zur Verfügung stünde. Es ist außerdem anzunehmen, dass auch im Innenverhältnis eher kein Anspruch auf „Beistand“ besteht.
Die hier vorgebrachten Argumente wurden erstmals bei der OEAT 2016 präsentiert. Eine erweiterte und um die Frage nach einer Einstandspflicht für Gemeinden sowie die unionsrechtliche Perspektive ergänzte Version dieses Beitrages erscheint demnächst unter dem Titel „Einstandspflicht bei finanziellen Krisen von Ländern und Gemeinden?“ bei Jan Sramek im Tagungsband „Recht und Krise“. Weiterführende (Literatur-)Hinweise finden sich dort.