von ANNA WEININGER
Never change a running system or a winning team – ob die Taxonomie-Verordnung winning ist, wird sich herausstellen, aber immerhin ist sie running. Das Klassifizierungssystem für nachhaltige Anlagen ist 2020 in Kraft getreten und wird laufend erweitert.
Unabhängig davon plant die Kommission mit dem Programm REPowerEU erschwingliche, sichere und nachhaltige Energie für Europa zu sichern. Allerdings kostet die Entkopplung von Russland: Bis 2027 werden voraussichtlich 210 Milliarden Euro zusätzlich benötigt. Und es erstaunt, dass das Finanzierungssystem Taxonomie nicht für den Nachhaltigkeitsaspekt herangezogen wird.
Taxonomie-Verordnung als Nudging-Instrument
Vereinfacht gesagt soll die Taxonomie-Verordnung dazu führen, dass die Wirtschaft der Europäischen Union nachhaltig wird. Für die Finanzierung fehlen mehrere Milliarden Euro, die durch ein Klassifikationssystem am Finanzmarkt den privaten Anlegern entlockt werden sollen. Erfüllen Wirtschaftsteilnehmer bestimmte Kriterien, so dürfen sie sich als „nachhaltig“ bezeichnen. Dadurch werden Anleger – so die Hoffnung – nur noch in Finanzprodukte investieren, die offiziell als nachhaltig bezeichnet werden. Zugleich soll damit auf das bestehende Bedürfnis nach substanziell nachhaltigen Anlagemöglichkeiten reagiert werden. Durch diesen Nudging-Effekt hofft die Europäische Union, die Unternehmen zu freiwilligen Investitionen in die eigene Nachhaltigkeit zu bringen, um die Konkurrenzfähigkeit zu sichern. Ein Zwang für Unternehmen, sich an die Vorgaben zu halten besteht freilich nicht.
Der Aufbau der Verordnung ist prima facie nicht kompliziert: Art. 1 enthält die Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. Art. 3 listet mehrere Kriterien auf, die erfüllt sein müssen, damit das Finanzprodukt am Markt als nachhaltig bezeichnet werden darf. Eine Wirtschaftstätigkeit muss gemäß den Art. 10–16 einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer der Umweltziele des Art. 9 leisten (lit. a), darf nicht zu einer in Art. 17 bestimmten erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer der Umweltziele des Artikels 9 führen (lit. b), muss unter Einhaltung des in Art. 18 festgelegten Mindestschutzes ausgeübt werden (lit. c) und muss technischen Bewertungskriterien, die die Kommission gemäß Art. 10 Abs. 3, Art. 11 Abs. 3, Art. 12 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 2 festgelegt hat, entsprechen (lit. d). Diese Kriterien werden in den weiteren Artikeln der Taxonomie und delegierten Verordnungen weiter konkretisiert. Die delegierten Verordnungen sind noch nicht vollständig ausgearbeitet und ihre Anwendung ist im Detail recht komplex – sowohl auf die zuständigen EU-Organe als auch auf die Unternehmen wird noch einiger Aufwand zukommen.
REPowerEU und neue Finanzierungsstrategien
Aufgrund der prekären Situation des globalen Energiemarkts hat die Kommission einen Plan namens REPowerEU entwickelt. Seine Ziele sind die Senkung des Energieverbrauchs, die Erzeugung sauberer Energie und die Diversifizierung der europäischen Energieversorgung. Er wird von finanziellen und legislativen Maßnahmen zum Aufbau der dafür benötigten neuen Energieinfrastrukturen und -systeme begleitet.
Die zusätzlich benötigten EU-Mittel sollen über die Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) finanziert werden. Geplant ist, dass die Mitgliedstaaten in ihre Aufbau- und Resilienzpläne eigene Kapitel aufnehmen, um Investitionen in die Prioritäten unter REPowerEU zu lenken und die erforderlichen Reformen durchzuführen. Verbleibende Mittel können für ARF-Darlehen und neue Finanzhilfen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität eingesetzt werden. Als weitere Finanzierungsquellen werden Kohäsionsfonds, der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, die Fazilität „Connecting Europe“, Innovationsfonds, Nationale und EU-Mittel zur Unterstützung der Ziele von REPowerEU, Nationale Haushaltsmaßnahmen, Privatinvestitionen und die Europäische Investitionsbank genannt.
Die Nutzbarmachung von privatem Kapital läuft sozusagen unter „ferner liefen“. Die Lenkung von Investitionen wird zwar erwähnt, dies zielt aber wohl auf Investitionen durch die Mitgliedsstaaten ab. Nimmt man die Privatinvestitionen in den Fokus, so bietet sich das Nudging-System der Taxonomie an. Für die Finanzierung durch Privatkapital müsste dann kein neues System geschaffen werden, man könnte diesen Aspekt vielmehr in die Taxonomie-Verordnung implementieren. REPowerEU dient der nachhaltigen Energieversorgung und immerhin ist die Taxonomie-Verordnung ein Instrument zur Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit.
Erweitern statt Erneuern
Für die Verknüpfung sind zwei Ansätze denkbar: entweder ein neues Kriterium in Art. 3 oder eine Ergänzung von Art. 17.
Einerseits könnte der Plan als viertes Kriterium in Art. 3 aufgenommen werden. Als Formulierung böte sich beispielsweise an: „Es dürfen keine Energien, die nicht der REPowerEU-Strategie entsprechen, durch die Wirtschaftstätigen eingesetzt werden“.
Andererseits könnte der Plan als Ergänzung des DNSH-Kriteriums in Art. 3 lit. b), 17 aufgenommen werden. Dafür müsste die bereits existierende delegierte Verordnung überarbeitet und in alle künftigen eine entsprechende Klausel eingefügt werden. Dies gestaltet sich jedoch als schwierig, da der Verstoß gegen Ziele des REPowerEU-Plans dann als Beeinträchtigung eines Umweltziels gestaltet werden müsste. Da die Energie aber nicht von spezifischen Umweltzielen oder Wirtschaftstätigkeiten abhängt, ist es unnötig, die ohnehin kaum übersichtliche Struktur des Art. 17 mit seinen delegierten Verordnungen weiter zu komplizieren.
Würde man ein neues Kriterium „nachhaltige Energie“ aufnehmen, so müsste zudem eine Rechtsgrundlage für den Erlass einer entsprechenden delegierten Verordnung geschaffen werden. Darin sollte die Kommission ausdifferenzieren, welche Energien nicht Grundlage der Produktion in der Wirtschaftstätigkeit sein dürfen. Würde gegen diese Vorgaben verstoßen, so dürfte die Anlage dieses Wirtschaftsteilnehmers am Finanzmarkt nicht als nachhaltig bezeichnet werden. Zugleich ergibt sich die Gelegenheit, die bestehende Einstufungen zu überdenken. Insbesondere ist hier die Einschätzung der Kernenergie als potentiell nachhaltig zu hinterfragen. Funktioniert die Taxonomie so wie geplant, wählen private Anleger dann bevorzugt als nachhaltig gekennzeichnete Finanzmittel. Um eine Abwanderung der Investoren zu verhindern, würden die Unternehmen, die an dieser Voraussetzung scheitern, selbst verstärkt in nachhaltige Energieversorgungsstrategien investieren. Denkbare Folgen wären, dass der Energieverbrauch deutlich gesenkt würde, dass die Wirtschaftsteilnehmer vorhandene Gebäude mit Solaranlagen ausstatten oder dass Windenergieparks gebaut würden, um die Produktionsstätten mit Energie zu versorgen.
Damit würde sich die europäische Wirtschaft freiwillig und ganz von selbst wandeln und der Finanzierungsbedarf würde – zumindest teilweise – durch das bereits am Finanzmarkt vorhandene Kapital gedeckt werden.
Taxonomie-Verordnung als Nachhaltigkeitsjoker der EU
Der Vorteil einer Erweiterung der Taxonomie-Verordnung liegt auf der Hand: sie existiert bereits und daher muss kein neues System geschaffen werden. Zudem würde der Funktionsmechanismus zu einer Entlastung der staatlichen Finanzen führen. Dem Vorwurf, dass die Taxonomie-Verordnung bereits jetzt sehr vielschichtig und im Einzelnen schwer zu durchdringen ist, kann entgegengehalten werden, dass Mehrfachprüfungen, die auf verschiedene Regelungswerke gestützt sind, keine einfachere Alternative darstellen.
Die Taxonomie-Verordnung ist grundsätzlich als allumfassendes System angelegt – dazu gehört auch die nachhaltige Energie. Um zu verhindern, dass künftig immer mehr komplexe Systeme nebeneinander aufgezogen werden, sollte die Taxonomie für alle Finanzierungsfragen von nachhaltiger Entwicklung durch privates Kapital ausgebaut werden.
Zitiervorschlag: Weininger, Anna, Wundermittel Taxonomie?, JuWissBlog Nr. 54/2022 v. 04.10.2022, https://www.juwiss.de/54-2022/.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.