xGovernment n.0 oder von der Informatisierung der Begriffe

von CHRISTIAN DJEFFAL

ChristianDjeffal_formatiertInformatisiert sich unsere Gesellschaft? Ein Indiz dafür könnte die zunehmende „Informatisierung der Begriffe“ sein. Informatische Konzepte wie „cloud“ oder „update“ sind in aller Munde, auch in der Rechtswissenschaft werden informatische Konzepte immer häufiger dort verwendet, wo es gar nicht um Informations- und Kommunikationstechnologien geht, besonders im Kontext des Bedeutungswandels von Begriffen. Dieser kann langsamer oder schneller vonstattengehen, manchmal vielleicht nicht schnell genug. Besonders bei schnellem Wandel, wie wir ihn durch konstante Erfindungen im Bereich von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) erleben, kommt es häufiger zur Notwendigkeit, Begriffe anders zu besetzen oder neu zu prägen. Gerade in diesem Zusammenhang wird auf Konzepte aus der Informatik, bzw. aus dem Bereich von IKT-Produkten zurückgegriffen und dies auch in der Rechtswissenschaft. Dieser Trend soll hier am Beispiel des Begriffs eGovernment beleuchtet werden. Unter diesem Begriff wird schon seit geraumer Zeit eine rechtswissenschaftliche und praktische Diskussion um die Digitalisierung und Automatisierung der Verwaltung geführt.

eGovernment als Beispiel

Der Begriff eGovernment wurde in Deutschland durch die wegweisende Speyerer Definition, aber auch durch große Studien zum Thema als „elektronische Abwicklung von Geschäftsprozessen im Bereich von Regieren und Verwalten mit IKT“ definiert. Die in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft – neben der Passauer Definition – zu Grunde gelegte Begriffsbestimmung ist sehr erfolgreich darin, auch Entwicklungen abzubilden, die sich erst später ergeben haben. So sind zum Beispiel elektronische Kommunikation und das ersetzende Scannen darunter zu fassen, aber auch spätere Entwicklungen, wie Entscheidungen, die auf Algorithmen basieren. Weil der Begriff des eGovernment so weit ist, haben Autoren in den letzten Jahren in zweierlei Hinsicht versucht, den Begriff zu variieren:

a/b/cGovernment

Ein Trend besteht darin, neue Präfixe zu schaffen, die spezifischer als „elektronisch“ sind. Verkürzte Adjektive, die dann mit dem Substantiv zusammengefügt werden, kennt man besonders von bestimmten Softwareprodukten: das „e“ steht für „electronic“. Vergleichbar ist etwa die Abkürzung „eCommerce“ für elektronischen Geschäftsverkehr. Neben dem „e“ für electronic finden sich noch weitere Beispiele, wie etwa mGovernment für „mobile Government“ – also Verwaltung basierend auf mobilen, schnurlosen Endgeräten. Der Begriff smart Government hebt auf die intelligente Vernetzung von Regierung und Verwaltung ab. Die Bereitstellung von Informationen wird teilweise als iGovernment bezeichnet. Die Begriffe aGovernment und bGovernment für „algorithmic Government“ und „blockchain Government“ könnten bald dazu stoßen.

eGovernment 2.3.4

Ein weiterer Trend besteht darin, Begriffe mit einer Versionsnummer zu versehen. Das ist besonders bei Programmierern gebräuchlich, die ihren bereits veröffentlichten Code verbessern. Ist die Versionsnummer „2.3.4“, so zeigt die Hauptversionsnummer („2“) an, wenn das Programm mit wesentlichen Neuerungen herausgekommen ist, während die Nebenversionsnummer („3“) funktionale Erweiterungen kennzeichnet. Die Revisionsnummer („4“) verwenden Programmierer, wenn sie Fehler korrigieren oder Sicherheitslücken schließen. Diese Art der Nummerierung entspricht einer weit verbreiteten Praxis, die jedoch teilweise variiert und konkreten Bedürfnissen angepasst werden kann.

Außerhalb des Software-Kontextes ist die Versionsnummerierung insbesondere dadurch populär geworden, dass sie zur Charakterisierung des Internets genutzt wurde: durch web 2.0 wurden insbesondere soziale Medien bezeichnet, in denen Nutzer auf Plattformen Inhalte generieren und sich kommunikativ untereinander austauschen. Im Anschluss an das web 2.0 wird die Benennung aber uneinheitlich: manche wollen mit web 3.0 das sogenannte semantische Netz kennzeichnen, in dem alle Daten standardisiert mit Kontext versehen werden, um sie zwischen Rechnern einfacher austauschbar zu machen. Teilweise wurde auch das Internet der Dinge mit der Versionsnummer 3.0 verknüpft. Andere kennzeichnen die Technikvision des Internets der Dinge mit der Nummer 4.0, insbesondere im Bereich der sogenannten Industrie 4.0. Dieser Begriff tauchte 2011 wohl auf der CeBIT in Hannover auf und wurde seither auch von der Bundesregierung verwandt, um die vierte industrielle Revolution zu kennzeichnen. Dabei zählte man die Revolutionen wie folgt:

  • Industrie 1.0: Industrielle Revolution: Wasser- und Dampfkraft
  • Industrie 2.0: elektrische Energie
  • Industrie 3.0: Elektronik und IT
  • Industrie 4.0: Internet der Dinge

Hierbei wurden die „Versionen“ der Industrie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und der Erfindung der Dampfmaschine zurückgerechnet. Interessanterweise hat sich in verschiedenen Publikationen im angloamerikanischen Raum eine andere Zählweise eingebürgert, welche die Organisation der Produktion als zentralen Faktor sieht, daneben aber auch Produktionsumstände wie die Technik der Energiegewinnung und Speicherung berücksichtigt. Dementsprechend wird die erste industrielle Revolution im 18 Jahrhundert und in der Automatisierung der Textilindustrie verortet, die zweite industrielle Revolution im 20. Jahrhundert, bei der Einführung des Fließbandes. Für den italienischen Technikphilosophen Luciano Floridi hingegen folgt die informationstechnische Revolution auf die Revolutionen, die durch die Werke von Kopernikus, Darwin und Freud ausgelöst wurden.

Wenn Versionsnummerierungen für die Verwaltung verwendet werden, lehnen sich diese häufig an die Bedeutung von web 2.0 und Industrie 4.0 an. Eine neue Architektur der Verwaltungsorganisation durch soziale Medien wurde als Stein Hardenberg 2.0 bezeichnet. Auch der Begriff Verwaltung 4.0 wird immer häufiger verwendet. Das bayerische Programm Montgelas 3.0 bringt eine neue Versionsnummer ins Spiel.

Dass die Verwaltung damit mit beinahe jedem Trend in Beziehung gesetzt wird, verwundert nicht, wenn man Folgendes bedenkt: die Verwaltung ist nicht nur Anwenderin neuer Technologien, sie ist in vielen Konstellationen auch dazu aufgerufen, diese zu regulieren und zu überwachen. Vielleicht weitet ein aktuelles Policy-Paper deshalb die Informatisierung der Begriffe weiter aus, indem es eine Variable einführt: eGovernment x.0. Variablen exemplifizieren das generische Element von Begriffen, betonen die Wandelbarkeit und weisen damit sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Es gibt sprachlich natürlich auch andere Möglichkeiten, einen solchen Wandel in wenigen Worten auszudrücken, trotzdem ist es schwer, diese Wandelbarkeit in gleicher Weise auf den Begriff zu bringen. So könnte man auf Grundlage des schnellen Wandels im Bereich des eGovernment vielleicht bald von einem xGovernment n.0 sprechen. Will man die Informatisierung der Begriffe weitertreiben, sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Wollte man die Versionen ab der zweiten bezeichnen, könnte man dies in Anlehnung an die Programmiersprache Python mit eGovernment n[2:] versuchen. Jenseits dieser Gedankenexperimente stellt die Verwendung von Variablen in der Begriffsbildung einen wahrnehmbaren Trend dar. Ob sich daran auch eine Informatisierung der Gesellschaft ablesen lässt, bleibt Forschungsarbeiten der Zukunft vorbehalten. Bei welcher Versionsnummer unsere Verwaltung dann angekommen sein wird, wird die Zukunft zeigen.

Christian Djeffal, Digitalisierung und Recht, eGovernment
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