von ISABEL STAUDINGER und ANNE-CARLIJN PRICKARTZ
Einmal im Jahr kommen in Österreich die Assistentinnen und Assistenten des Öffentlichen Rechts zum fachlichen Austausch und zur Vernetzung zusammen. Die heurige Tagung findet – von 4. bis 6. Oktober 2018 – zum zweiten Mal an der Universität Salzburg statt. So wie sich das Generalthema „Recht und Sprache“ nicht ausschließlich mit Blick auf nationales öffentliches Recht behandeln lässt, so werden auch im die Tagung organisierenden Fachbereich „Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht“ die unterschiedlichen Rechtsordnungen vereint. Entsprechend freut sich das intradisziplinäre Organisationsteam über das (sprach-)vielfältige Tagungsprogramm.
Passend zum Generalthema jährte sich am 26. September zum 17. Mal der Europäische Tag der Sprachen – eine Initiative des Europarates zur Förderung der europäischen Sprachenvielfalt. Neben einzigartigen (im Sinne von un- oder schwer übersetzbaren) Wörtern werden auf der zugehörigen Website auch die längsten Wörter der jeweiligen europäischen Sprachen angeführt. Wer genau hinsieht: Das längste deutsche Wort „Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung“ ist rechtlicher Natur und wird lediglich mit „a regulation about competences“ erklärt. Nun trifft zwar die englische Erklärung nicht unbedingt den Punkt, vermag dafür aber das Phänomen der Juristensprache (im Englischen auch: „Legalese“) als Konnex zwischen Recht und Sprache zu illustrieren.
Neben einer solchen spielerischen Förderung und Erhaltung der europäischen Sprachvielfalt ist die Sprache einerseits konstitutives Element des Rechts und anderseits Schutzgegenstand desselben. So bewahrt zum Beispiel die 1953 in Kraft getretene, von Österreich 1958 ratifizierte und rückwirkend seit 1964 im Verfassungsrang befindliche Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechende Rechte. Festnahmegründe (Art 5 Abs 2 EMRK) und Beschuldigungsgründe (Art 6 Abs 3 lit a EMRK) müssen möglichst schnell in einer verständlichen Sprache mitgeteilt werden und im Verfahren selbst sieht Art 6 Abs 3 lit e EMRK einen Dolmetscher zur Unterstützung für den Fall vor, dass die Verhandlungssprache des Gerichts nicht verstanden wird. Zudem darf laut Art 14 EMRK keine Diskriminierung aufgrund der Sprache geübt werden. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) sichert in ihren Artikeln 21 (Nichtdiskriminierung), 22 (Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen) und 41 (Recht auf gute Verwaltung) derartige Rechte ab. Der österreichische Verfassungsgerichtshof sprach in seinem GrC-Erkenntnis vom 14. 3. 2012, U 466/11, U 1836/11 aus, dass auch diese Rechte als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte geltend gemacht werden können. Auf völkerrechtlicher Ebene schützt Art 2 Abs 2 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vor einer Diskriminierung aufgrund der Sprache. Einen besonderen Schutz erfahren in Österreich zudem die neben Deutsch als Staatsprache anerkannten Minderheitensprachen (siehe zB Art 7 des Staatsvertrags vom 15. Mai 1955); Ähnliches gilt in den benachbarten italienischen Provinzen Südtirol und Trentino.
So sehr der Erhalt der (europäischen) Sprachenvielfalt zu unterstützen ist, so unpraktisch mag sie im EU-Alltag erscheinen: Vertragstexte, sekundäre Rechtsakte und Gerichtsurteile sind nach und nach in die 24 Amtssprachen der EU zu übersetzen, (Gerichts-)Verhandlungen und Beratungen sind sogar simultan zu übersetzen. Im Arbeitsalltag kommt die EU immerhin mit den Arbeitssprachen Deutsch, Englisch und Französisch aus. Denkt man an die entstehenden Kosten, vermag es nicht zu verwundern, dass in diesem Zusammenhang oft auf die biblische Erzählung über den Turmbau zu Babel (1. Mose 11, 7-9 LUT) zurückgegriffen wird. Dort wird die Sprachenvielfalt – ein Resultat der babylonischen Sprachverwirrung – als Gottesstrafe dargestellt. Dieses Thema wird zum Beispiel auch in Episode 300 „Why Don’t We All Speak the Same Language? (Earth 2.0 Series)“ des Podcasts Freakonomics aufgegriffen. Die Sprachenvielfalt ist nun einerseits Gegenstand der Wissenschaft und andererseits stellt sie die Wissenschaft selbst vor das Problem, sich einen Weg der gegenseitigen Verständigung finden zu müssen. Plansprachen wie Esperanto konnten sich zwar weder im Alltag noch in der Wissenschaft durchsetzen, wohl aber hat sich Englisch zur lingua franca der Wissenschaft entwickelt.
Die diesjährige Tagung widmet sich daher aus den Blickwinkeln des Öffentlichen Rechts, des Völker- und Europarechts den vielseitigen Problemstellungen, die sich im Zusammenhang mit dem Generalthema „Recht und Sprache“ ergeben, wie das nachfolgende Programm zeigt:
Panel I: Neue Perspektiven in der Rechtswissenschaft
- Gabriel M. Lentner (Donau-Universität Krems): Language, Law and Power: A Constructivist Perspective on International Law
- Clara Rauchegger (European University Institute/Universität Innsbruck): Automated Analysis of Case Law through Natural Language Processing and AI
Panel II: Auslegung und ihre Grenzen
- Florian Werni (Universität Wien) Die Rechtsnorm als Wille und sprachlicher Ausdruck – Überlegungen zur Konstitution des Forschungsgegenstands der Rechtsdogmatik
- Mathias Eller (Universität Innsbruck): Der Analogieschluss und sein Verhältnis zum ortspolizeilichen Verordnungsrecht der Gemeinden
Panel III: Ungleichbehandlung und Sprache
- Matthias Zußner (Universität Klagenfurt): Die „Sprache“ der Diskriminierung
- Matthias Haller (Universität Innsbruck): Muttersprachliche Gesundheitsversorgung in Südtirol zwischen Verfassungsrecht, Sachzwängen und Unionsrecht
Panel IV: Fremdsprache und Asyl
- Helene Grill (Universität Wien): Der Zugang zu Informationen im Asylverfahren – Sprache und Exklusion/Inklusion
- Sandra Saywald-Wedl (Universität Graz): Deutschkurse für Flüchtlinge Diskussion
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion diskutieren unter der Moderation von Romy Seidl (ORF Salzburg) zum Thema „Verständlichkeit des Rechts als Voraussetzung für den Zugang zum Recht“ Franziska Bereuter (Projekt UnsereVerfassung), Kimbie Humer-Vogl (Abgeordnete im Salzburger Landtag, die Grünen Salzburg), Reinhard Klaushofer (Universität Salzburg, Leiter des Österreichischen Instituts für Menschenrechte), Christoph Pinter (Leiter UNHCR Österreich) und Paul Sieberer (Leiter des Verfassungsdiensts des Landes Salzburg).
Ein detailliertes Programm und weitere Informationen gibt es unter https://www.uni-salzburg.at/oer/oeat2018. Das Organisationsteam freut sich auf rege Teilnahme und eine inspirierende Tagung. Für diejenigen, die nicht dabei sein können: Die Schriftfassung der Referate und allenfalls in der Diskussion gewonnen Erkenntnisse werden – wie bisher – in einem Tagungsband veröffentlich werden (Informationen dazu ebenfalls sobald verfügbar auf der Website).