von HANNAH BIRKENKÖTTER und SINTHIOU BUSZEWSKI
Die jungen Leute vom Blog saßen alle um einen Tisch. Kommunikative „U“-Formation. Draußen wehte eine Brise, Motorräder knatterten vorbei. Eigentlich hatte man über etwas anderes reden wollen. Wie schreibe, wie redigiere ich Texte? Was ist ein guter Text? – hatten sie sich gefragt, die jungen Leute vom Blog. Und: Wie geht das, jemandem zu erklären, dass sich sein Text nicht so schön liest? Und dazu hatte man eingeladen: Männer vom Fach, SPIEGEL-Redakteure. Aber dann kam alles doch ganz anders.
Die einfache und die richtige Sprache: Zwei Seelen wohnen ach (!) in meiner Brust
Die Redakteure sagen, es gibt schlimme Wörter. Nein, nicht „Arschloch“. Schlimme Wörter sind langweilige Wörter. Wörter, die nicht sexy sind. Wörter, die technisch sind. Juristische Wörter sind schlimm. Es gibt noch andere schlimme Wörter. Adjektive, zum Beispiel. Substantive sind auch schlimm, vor allem viele hintereinander.
Mir wird heiß. Meine juristische Vorbildung rebelliert. Ich muss doch sachlich und exakt schreiben! Der Tatbestand ist “erfüllt”. Der Schutzbereich “betroffen”. “Mithin ist festzustellen”. Und ich brauche doch Fachbegriffe. Dann wird es eben ein bisschen technisch. „Bauvorbescheid.“ „Dienstleistungskonzession“. „Par in parem non habet imperium.“
– Schön ist anders.
– Aber ist ein wissenschaftlicher Text schön?
– Er kann zumindest schön sein.
– Muss er denn schön sein?
– Einige sagen ja.
– Warum?
– Weil er dann gelesen wird.
Ich denke an Populismus. Und an Helmut Schmidt. Der wird nämlich gelesen. Und an Martenstein, der schöne, grässliche, unwissenschaftliche Texte über Wissenschaft schreiben kann (Hilfe! Adjektive).
Der Vorwurf ist nicht neu. Juristen haben eine Geheimsprache entwickelt, die kein Mensch außerhalb des Geheimbundes versteht. Es wird gar soziale Isolation befürchtet. Weil wir angeben. In der Mensa.
Was ist Stil und was ist Handwerk? Und über welches Handwerk reden wir überhaupt?
„Halte es mit Dan Brown“, sagt der SPIEGEL-Redakteur, „und nutze seine Schreibregel Nummer eins: Bringe den Leser auf die nächste Seite. Das ist ein Handwerk. Du schreibst schließlich auch für Deine Oma, oder meine Oma. Die muss den Text auch lesen können.”
Aber halt! Dieses Bild hat seine Grenzen. So ist das mit Metaphern. Schreibt der Spiegel-Redakteur auch für 8-Jährige? Auch für Analphabeten? Auch für Ausländer ohne Deutschkenntnisse? Warum soll nicht auch hier Dan Browns goldene Schreibregel Nummer eins gelten? Den Leser auf die nächste Seite zwingen. Also: Bilder her! Und was ist mit Blinden? Ton her!
Das zeigt: Sprache ist nicht gleich Sprache. Wir sprechen und wir gewöhnen uns an eine bestimmte Sprache. Nicht umsonst heißt es „Umgangs“sprache. Zu Hause (Dortmund! Pott!) sagt man „grundsätzlich“ wenn man „immer“ meint. Im juristischen Kontext bedeutet „grundsätzlich“ eben nicht „immer“, sondern leitet eine Ausnahme ein.
Wird das Wort „grundsätzlich“ zu Hause einfach nur falsch verwendet? Aber zu Hause versteht’s doch jeder. Es macht so Sinn. Deswegen ist es auch nicht falsch, sondern ein anderes Sprachspiel. Oder noch anders: „Das Bild…legte uns allerdings eine gewisse Verwendung [eines bestimmten Wortes] nahe, aber ich konnte es auch anders verwenden.“ Ist es denn wirklich erstaunlich, dass Spezialisierung in der Sache auch zur Spezialisierung in der Sprache führt? Ich nehme Hammer und Säge und repariere mein iPhone…
Das mag in der Praxis richtig sein, taugt aber für die Theorie nicht
Es gibt nicht die eine juristische Fachsprache, sondern derer viele, je nach Disziplin, Unterdisziplin, Teildisziplin. Als Blog Junger Wissenschaftler_innen im Öffentlichen Recht wollen wir vor allem für die Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht schreiben, in der Breite. Das heißt: Für mich als Völkerrechtlerin ist die Oma vielleicht der Baurechtler (No offense! Andersrum wird auch ein Schuh draus!). Natürlich kann ich auf Begriffe zurückgreifen, die auch er versteht. Muss ich es auch?
Juristisches Handwerk in der Praxis unterliegt bestimmten sprachlichen Konventionen. (Der SPIEGEL-Redakteur in meinem Ohr sagt jetzt: „Vermeide Fremdwörter! Das sind auch schlimme Wörter.“ Wie umschreibe ich? Alles hängt davon ab, ob der Unterschied zwischen „Regel“ und „Konvention“ bemerkt wird…) Werden Urteile im Gutachtenstil geschrieben, sind sie handwerklich schlecht, denn sie erfüllen gerade nicht die gesellschaftlich zugeschriebene Rolle des Urteils. Ergebnis voran! Und das macht gerade im juristischen Handwerk auch Sinn. Recht hat ein beharrendes Element. Recht vermittelt Sicherheit. „Im Namen des Volkes…hat das Gericht für Recht erkannt“: Recht ist gefunden und durch Urteil ausgesprochen. Der gutachterliche Rechtsfindungsprozess gehört nicht hierher.
Indem man sich an bestimmte Formen hält, gibt man sich als Teilnehmer_in des Sprachspiels zu erkennen. Wo sprachliche und methodische Konventionen aufgebrochen werden, kann das zweierlei bedeuten: Entweder wurde schlampig gearbeitet. Oder es wurde bewusst gegen die Konvention gearbeitet. Wenn ich die fachsprachlichen Konventionen einhalte, sind Schlampereien in der Methode oder in der Sache oft weniger gut sichtbar. Wenn ich bewusst sprachliche oder methodische Konventionen breche, setze ich mich schnell dem Vorwurf der „Unwissenschaftlichkeit“ aus. Oder jedenfalls dem schlechten Handwerk. Aber ist wissenschaftliches Handwerk nicht auch gerade das Weitertreiben etablierter Formen und Neudenken bereits gestellter Fragen? Liegt nicht ein Erkenntnisgewinn gerade im bewussten Brechen von Konventionen? Oder schieße ich mich damit selbst aus dem Diskurs?
Der JuWissBlog ist in seinem Wesen genau dieser Versuch: Konventionen aufzubrechen, ein neues Medium bereitzustellen. Es geht hier genauso wie in den „etablierten“ Medien natürlich darum, einen Gedanken, der sich dem Gebiet des öffentlichen Rechts irgendwie zuordnen lässt, schlüssig darzustellen. Das kann aber in allen möglichen Formen geschehen. Ob ich dabei die komplizierte Sprache der Rechtswissenschaft benutze, oder doch lieber Omas Jargon, das sei mir selbst überlassen. Das ist ja das Schöne am Bloggen: Im Gegensatz zu etablierten Wissenschaftsmedien bietet der Blog Freiräume. Und vielleicht kann die Behandlung bestimmter Themen auch dazu führen, dass ein Umdenken im „etablierten Apparat“ stattfindet.
Ich versuche den Schluss: Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen. Was sich einfach sagen lässt, sollte der Verständlichkeit halber einfach gesagt werden. Klarheit ist nicht immer einfach.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Herrlicher text. Und lesbar.
Aber wie wird es denn wenn es wirklich um rechtliches geht 😉
Kann man hier Themen vorschlagen oder zieht ihr Artikel aus eurem unendlichen wissenschaftlichen Fundus heraus?
Die Lesbarkeit auch beizubehalten, wenn es um ‚hartes‘ Recht geht, ist natürlich die Herausforderung. Letztlich werden wir uns als Nachwuchswissenschaftler_innen genau diese Frage bei jedem Text aufs Neue stellen müssen. Themenvorschläge kann man immer machen! Auch gern selbst schreiben und an die Redaktion schicken 🙂
@Pierre: Versuch’s doch mal… Text her! 🙂 Ich persönlich glaube, dass auch Prosa eine Konvention ist mit gewissen Funktionen und Grenzen. Vieles hängt hier vom Sprachspiel ab. Wichtig ist, dass Sprache als ein Mittel verstanden wird, das einem Zweck dienen soll: Verständigung. Das setzt Verständlichkeit voraus. Manchmal kann der Gebrauch von Worten, von Sprache, ungenau, missverständlich und/ oder sinnentleert werden. Nämlich dann, wenn sie gelernt wird, ohne reflektiert zu werden.
Hi Hannah, hi Sinthiou,
bin kein Rechtswissenschaftler. Aber ich kenne die Abschottungsmöglichkeit von Sprache in allen möglichen Bereichen. Deshalb hat mir euer Text besonders gefallen.
Ein Positiv-Beispiel zur Verständlichkeit von Fachsprache aus einem Bereich, in dem ich rumturne: http://techcrunch.com/2013/06/20/keep-it-simple/ bzw. http://de.scribd.com/doc/148960786/Passion-Capital-Plain-English-Term-Sheet. Hier geht es sowohl um juristische als auch betriebswirtschaftliche Sprache.
Als Thema würde mich spontan interessieren, warum es keine GEZ für Print gibt oder wie man GEZ-ähnliche Modelle generell legitimieren und die Mittelverwendung anders überwachen könnte. Ein weites, bereits verschiedenartig befüllter Fass, aber vielleicht könnt ihr Klarheit reinbringen 😉
Mindestens erheiternd, vielleicht auch hilfreich zu diesem Thema (also genau wie Euer Text; der jetzt noch mehr böse Adjektive geschenkt bekommen hat 😉 ) ist übrigens das Buch „Kleine Stilkunde für Juristen“ von Tonio Walter, 2002. Auszüge davon hier http://www.skriptorama.de/uber-den-juristischen-stil/.
Dort wird Eure Schlussvermutung ergänzt: „Und überhaupt gilt ohne Ausnahme: Nie darf die Kürze eines Textes auf Kosten seiner Verständlichkeit gehen. Sonst ist der Text nur scheinbar kurz, da er dem Leser mehr Zeit abverlangt als die räumlich längere Fassung.“