von JOHANNES FRANKE
Haben die Ereignisse im Schanzenviertel während des G20-Gipfels in Hamburg politisch den Weg geebnet für die Anwesenheit von Spezialeinsatzkommandos bei Versammlungen? Die Präsenz einer schwer bewaffneten sächsischen SEK-Einheit bei einer linken Demonstration in Wurzen am vorvergangenen Samstag lässt dies befürchten. Eine solche Militarisierung der zu einer Versammlung entsandten Polizeikräfte ist indes nicht nur politisch fragwürdig, sondern regelmäßig grundrechtswidrig.
Von Hamburg nach Wurzen
Die Bilder vom Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) im Rahmen der „Schanzen-Krawalle“ während des G20-Gipfels gingen um die Welt. Die eigentlich auf Antiterror-Einsätze und Geiselnahmen spezialisierten Sondereinheiten stürmten Hausdächer im Schanzenviertel, von denen linksextreme Gewalttäter Angriffe auf die Polizeikräfte vorbereitet haben sollen. Was immer man von dem SEK-Einsatz in Hamburg halten mag: Er richtete sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegen eine Demonstration, sondern sollte die massiven Ausschreitungen im Schanzenviertel beenden. Die bewaffneten Spezialkräfte wurden erst hinzugezogen, als die überforderte Polizei die Lage anders nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte.
Dies war bei einer Antifa-Demonstration in Wurzen am vorvergangenen Samstag anders. Das linksradikale Bündnis „Irgendwo in Deutschland“ hatte zur Kundgabe in der sächsischen Kleinstadt aufgerufen, die schon seit langem als regionales Zentrum neonazistischer Gewalt und Strukturen gilt. Anmelder der Versammlung war Andreas Blechschmidt, Sprecher der „Roten Flora“ in Hamburg und Mitorganisator der frühzeitig eskalierten Demonstration „Welcome to Hell“ gegen den G20-Gipfel. Empfangen wurden die etwa 300-400 Demonstrant*innen von einem massiven Polizeiaufgebot. Neben regulären Polizeieinheiten und Wasserwerfern war auch eine Einheit des sächsischen SEK vor Ort, deutlich sichtbar und mit Sturmgewehren bewaffnet. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, welche Einsatzmittel zum Schutz vor und von Demonstrationsteilnehmer*innen angemessen sind.
Eingriff durch Abschreckung
Bereits die bloße Anwesenheit von Polizeikräften bei einer Demonstration kann in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit eingreifen. Für die Annahme eines faktischen Eingriffs ist insbesondere entscheidend, ob von der Polizeipräsenz eine einschüchternde Wirkung ausgeht, die geeignet ist, Personen von der Teilnahme an der Versammlung abzuhalten. Insofern kommt es auf die konkreten Umstände an. Unterhalb der Eingriffsschwelle bewegt sich zumindest eine bloß zurückhaltende Polizeipräsenz, die sich für Beobachter nicht als „Demonstration von Stärke“ darstellt.
Ein massives Polizeiaufgebot wird dagegen regelmäßig als Eingriff in die Versammlungsfreiheit zu werten sein. Dabei sollte man die maßgebliche Schwelle angesichts der Bedeutung des Grundrechts und der weitreichenden Rechtfertigungsmöglichkeiten (dazu sogleich) nicht allzu hoch ansetzen. Unhaltbar ist jedenfalls die in Teilen der Literatur vertretene Auffassung, die Anwesenheit der Polizei sei niemals als Eingriff zu werten, weil und soweit es sich um öffentliche Versammlungen handele. Das zwingende Gegenargument drängt sich auf: „Teilnehmer an einer Versammlung üben ein Grundrecht aus, während sich das Abwehrrecht des Art. 8 Abs. 1 GG gerade gegen die Polizei als Repräsentanten des Hoheitsträgers richtet“ (BayVGH, Rn. 30).
Soweit ein faktischer Eingriff anzunehmen ist, hängen das Ausmaß der einschüchternden Wirkung und damit die Eingriffsintensität maßgeblich von Art und Umfang der sichtbaren Polizeipräsenz ab. Auch hier gibt es Abstufungen. Regulär uniformierte Polizeikräfte wirken deutlich weniger einschüchternd, als die gepanzerten und behelmten Beamt*innen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE). Wasserwerfer und Räumpanzer erscheinen zusätzlich bedrohlich. Dennoch ist es zumindest bei Demonstrationen des politisch extremen Spektrums gängige Praxis, all diese polizeilichen Mittel aufzufahren.
Die deutlich sichtbare Anwesenheit einer mit Maschinenpistolen ausgerüsteten SEK-Einheit ist aber mehr als eine nur graduelle Steigerung der Polizeipräsenz. Dies gilt schon deswegen, weil die Anwesenheit der Spezialkräfte nicht nur geeignet ist, von der Teilnahme an der Demonstration abzuhalten, sondern die Versammlung auch in den Augen der adressierten Öffentlichkeit diskreditiert. Wenn Einheiten, die für die Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Geiselnahmen ausgebildet wurden, in „voller Kampfmontur“ neben einer Demonstration auflaufen, rückt dies die Teilnehmer*innen aus der Sicht Dritter in die Nähe von Schwerstkriminellen und beeinträchtigt so das grundrechtlich geschützte Kommunikationsanliegen der Versammlung.
Fehlender Bezug zu versammlungsspezifischen Gefahrenlagen
Entscheidend ist aber etwas anderes: Die Anwesenheit der übrigen oben genannten polizeilichen Einsatzmittel am Rande einer Demonstration ist regelmäßig vor allem deswegen nicht zu beanstanden, weil sie einen Bezug zu versammlungsspezifischen Gefahrenlagen haben. Ihre Präsenz ist eine Vorbereitungshandlung, die auf der Prognose beruht, dass die präsentierten Einsatzmittel möglicherweise tatsächlich und rechtmäßig gegen die oder zum Schutz der Versammlung eingesetzt werden könnten.
Gerade bei Demonstrationen der rechts- oder linksradikalen Szene ist auch ein massives Polizeiaufgebot regelmäßig gerechtfertigt – nicht nur, um etwaigen Gewalttaten Demonstrierender vorzubeugen und diese zu unterbinden, sondern häufig auch zum Schutz der Versammlung vor möglichen Angriffen und Störungen. Dabei sind die Beamt*innen der BFE-Einheiten speziell dafür ausgebildet und ausgerüstet, einzelne Störer*innen aus Versammlungen zu entfernen. Ihre martialische Schutzkleidung mag einschüchternd wirken, dient aber dem Schutz vor tätlichen Angriffen, etwa durch Stein- und Flaschenwürfe. Auch Wasserwerfer sind speziell für versammlungsspezifische Gefahrenlagen konzipiert. Sie können Mengen zerstreuen und so etwa die Auflösung einer Versammlung mittels unmittelbaren Zwangs durchsetzen. Räumpanzer können zumindest noch eingesetzt werden, um rechtswidrig errichtete Barrikaden zu durchbrechen.
Sofern plausible Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine entsprechende versammlungsspezifische Gefahrenlage besteht, ist die Bereitstellung all dieser Einsatzmittel am Rande einer Versammlung unbedenklich. Bei der Gefahrenprognose ist den Sicherheitsbehörden zudem ein erheblicher Einschätzungsspielraum zuzugestehen. Sie müssen es nicht riskieren, die zur Gefahrenabwehr notwendigen Einsatzmittel nicht vor Ort zu haben, nur weil diese einschüchternd wirken.
Doch welche versammlungsspezifische Gefahrenlage rechtfertigt die Anwesenheit von SEK-Einheiten „in voller Kampfmontur“? Ausgebildet wurden diese Beamt*innen vor allem für die Terrorismusbekämpfung und Geiselbefreiungen. Von regulären Polizei- und BFE-Einheiten unterscheiden sie sich weiter durch ihre militärisch anmutende Ausrüstung und insbesondere durch das Mitführen vollautomatischer Schusswaffen. Diese Waffen tatsächlich gegen eine Versammlung einzusetzen, ist selbst bei einem unfriedlichen und aufrührerischen Verlauf unvorstellbar und wäre regelmäßig selbst nach deren Auflösung rechtswidrig. Die Präsenz eines voll ausgerüsteten SEK am Rande einer Demonstration lässt sich daher allenfalls in krassen Ausnahmefällen mit einer versammlungsspezifischen Gefahrenlage rechtfertigen. Denkbar wäre dies etwa, wenn konkrete Hinweise auf eine terroristische Bedrohung oder einen Schusswaffengebrauch aus der Versammlung heraus oder gegen die Versammlung bestünden.
Rechtfertigung mit Abschreckung?
Außerhalb dieser regelmäßig nicht einschlägigen Fallkonstellationen lässt sich zugunsten der Entsendung bewaffneter SEK-Einheiten nur noch das Abschreckungsargument selbst anführen: Demonstrant*innen sollen von unfriedlichen Handlungen von vornherein abgehalten werden. Der Abschreckungsgedanke ist nicht grundsätzlich illegitim und wird regelmäßig auch bei der Anwesenheit anderer Polizeikräfte eine Rolle spielen. Problematisch wird es aber, wenn Abschreckung die einzige Begründung für die Präsenz bestimmter Einheiten und Waffen ist, ohne dass plausible Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass ihre tatsächliche Verwendung notwendig oder auch nur rechtmäßig sein wird. Dann wirkt das Abschreckungsargument zunehmend zynisch, zumal gerade in der einschüchternden Wirkung ja auch der Grundrechtseingriff liegt.
Darüber hinaus erscheint auch fraglich, inwieweit die Anwesenheit von SEK-Einheiten potentiell gewaltbereite Demonstrant*innen tatsächlich von Straftaten abhält. Mit einem Schusswaffeneinsatz werden auch diese kaum ernsthaft rechnen, sodass die Präsenz der Spezialkräfte sogar das Gegenteil bewirken und zusätzlich provozierend wirken kann. Kommt es dann zu einem gewalttätigen Verlauf, birgt die Gegenwart vollautomatischer Schusswaffen ein Eskalationspotential, das in keinem Verhältnis zu einer unsicheren „Deeskalation durch Abschreckung“ steht.
Ein Irrweg
Auch politisch ist eine Militarisierung der bei Versammlungen anwesenden Polizeikräfte ein Irrweg. „Law and Order“ mag zwischen G20-Gipfel und Bundestagswahl ein Gewinnerthema sein. Doch Maschinenpistolen am Rande von Demonstrationen produzieren Bilder einer repressiven Staatsgewalt, die eher zu einer weiteren Radikalisierung der Betroffenen und ihrer Sympathisant*innen beitragen dürften. Wie weit die Militarisierung der Polizei auch in demokratischen Staaten voranschreiten kann, zeigten vor drei Jahren die Ereignisse in Ferguson, als Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt von Polizist*innen in Armeeausrüstung bekämpft wurden. Von vergleichbaren Zuständen ist man hierzulande zum Glück noch weit entfernt. Doch jeder Schritt in diese Richtung wäre falsch.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Was für sinnlose Quatsch. Alleine das Binnen-Sternchen (*) zeigte bereits vorab, zu welchem Ergebnis der Autor gelangt.
Eine polizeilich starke und uniforme Präsenz gegenüber Linksextremisten ist wünschenswert.
Die Kosten des G20-Gipfels gehen in die Millionen, dank dieser Krawallmacher.
Im Gegenteil wünschen sich Bürger die Präsenz bewaffneter Polizisten. Besser als, gäbe es keine oder beschnittene. So zeigte es bereits die Schande von Köln.
Lieber DF,
es ist höchst erstaunlich, zu welchen Schlüssen Sie alleine wegen der Nutzung eines Symbols gelangen. Daran sieht man jedoch nur, dass es Ihnen wenig um Inhalt geht.
Diesen versuchen Sie nicht materiell anzugreifen, sondern führen schlicht unjuristische Betrachtungen ins Feld.
Das Recht fragt nicht, was wünschenswert ist. Eine solche Kategorie ist ihm gänzlich unbekannt. Die wirtschaftlichen Folge-Kosten des G20-Gipfels sind enorm. Doch alleine aus einer wirtschaftlichen Betrachtung und einer Folgekostenvermeidung ist das Aufrüsten bei Demonstrationen wohl schwerlich zu rechtfertigen. Weiterhin frage ich mich, woher Sie das Wissen über den „Bürgerwillen“ hinsichtlich der Bewaffnung von Polizisten nehmen. Ich wage zu bezweifeln, dass sich die Mehrzahl der Bürger sicherer fühlt, wenn Polizeieinheiten regelmäßig mit Waffen des Typen MP5 an Bahnhöfen patrouillieren. Weiterhin erschließt es sich mir nicht, warum Sie „die Schande von Köln“ anbringen. Was haben die Geschehnisse (ich unterstelle, dass Sie sich auf die Silvesternacht beziehen) mit der polizeilichen Aufrüstung zu tun?
Im Übrigen ein guter Artikel, der auch zwei Jahre nach Veröffentlichung nichts an Relevanz und Aktualität eingebüßt hat.
CE
[…] eine linke Demonstration im sächsischen Wurzen, ohne konkreten Anlass, durch ein SEK begleitet. Johannes Franke hat auf dem Juwiss-Blog diesen Einsatz ebenfalls überzeugend als eine grundrechtswidrige show of force […]