Techno und Kommunismus: Die „Fusion“ als Prototyp eines erweiterten hybriden Versammlungsbegriffs?

von JONAS GANTER

Die Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat unter den Besucher*innen des „Fusion“-Festivals in Lärz jüngst mit einer Forderung für einen Aufschrei gesorgt: Auf dem Festivalgelände soll künftig ein dauerhafter Polizeiposten eingerichtet werden. Die Sicherheit der Veranstaltung könne nicht garantiert werden, wenn die Polizei nur sporadisch auf dem Festival unterwegs sei. Diese Kontroverse wirft die Frage auf, wo alternative Musikfestivals verfassungsrechtlich zwischen Kommerz und Politik zu verorten sind.

Neben zahlreichen Besucher*innen haben auch die Veranstalter*innen vehement gegen diese Pläne der Sicherheitsbehörden protestiert und teilweise die Durchführung des Festivals insgesamt in Frage gestellt, sollte die Polizei nicht von ihren Forderungen abrücken. Um zu verstehen, warum eine Maßnahme, die bei Großveranstaltungen generell üblich ist, derartig heftige Reaktionen auslöst, muss man sich den inhaltlichen Charakter der „Fusion“ vergegenwärtigen: Im Kern steht die Idee, dass die Teilnehmer*innen für ein paar Tage die politische Utopie einer klassen- und gewaltlosen Gesellschaft ausleben. Das äußert sich auch etwa darin, dass das gesamte Lebensmittelangebot ausschließlich vegetarische Kost beinhaltet und von politischen Gruppen organisiert wird, die mit den Erlösen ihre aktivistische Arbeit vor Ort finanzieren. Die Veranstalter*innen selbst beschreiben das Festival als „vier Tage Ferienkommunismus“.

Großveranstaltung zwischen Politik und Kommerz

Diese selbstironische Verortung zwischen Party und Politik weißt jedoch auf ein juristisch relevantes Problem hin: Wo sind inhaltlich hybride Großveranstaltungen zwischen allgemeinem Polizei- und spezifischem Versammlungsrecht einzuordnen (dazu näher Petersen, DÖV 2019, 131 ff.) ? Spätestens seit der „Loveparade“-Entscheidung des BVerfG ist immer wieder die Diskussion darüber aufgekeimt, wie Großveranstaltungen verfassungs- und versammlungsrechtlich zu behandeln sind, deren äußerer Schwerpunkt zwar auf Musik und kommerzieller „Spaßveranstaltung“ liegt, die aber inhatlich doch eine politisch relevante Verbundenheit der Teilnehmer aufweisen. Hatte das BVerfG der Loveparade das Privileg einer Versammlung i.S.d. Art. 8 GG im Eilverfahren noch vorenthalten, so hatte das BVerwG eine Gegenveranstaltung gegen diese (die so genannte „Fuckparade“) als Versammlung anerkannt. Das Gericht begründete dies mit der politischen Kritik der Teilnehmer der Fuckparade am kommerziellen Charakter der Loveparade. Außerdem sei bei gemischten Veranstaltungen, die sowohl Elemente kommerzieller Großevents, als auch politischer Versammlungen enthielten, aufgrund des hohen Schutzes des Art. 8 GG im Zweifel auf eine Versammlung zu erkennen.

Das VG Meiningen hat diesen Gedanken in jüngster Zeit noch erweitert und ein rechtsradikales kommerzielles Musikfestival in Thüringen als Versammlung anerkannt. Zur Unterscheidung von rein kommerziellen Konzerten führte das Gericht an: „Die innere Bindung der Besucher auf ideologischer Ebene und der Zweck, die eigene weltanschauliche und politische Identität zu bestätigen, zu bestärken und mit anderen zu teilen, heben ein solches Konzert deutlich von anderen Konzerten ab, bei denen der Musikgenuss im Vordergrund steht.“ (VG Meiningen, Beschl. v. 03.07.2017, AZ: 2 E 221/17; ähnlich auch schon VGH Mannheim, Urt. v. 12. 7. 2010, AZ: 1 S 349/10, KommJur 2011, 107).

Politische Verbundenheit als hinreichendes Versammlungsmerkmal?

Die Ausführungen des VG Meiningen werfen die Frage auf, wie ein Festival wie die „Fusion“ rechtlich einzuordnen ist. Auch dort steht äußerlich unzweifelhaft das gemeinsame Feiern und Tanzen im Vordergrund, das aber durch eine gewisse politische Verbundenheit der Teilnehmer*innen unterlegt ist. Bereits die breite Empörung gegenüber den Plänen der Polizei verdeutlicht, dass es zu kurz sprünge, die „Fusion“ einfach mit rein kommerziellen Festivals wie „Rock am Ring“ oder dem „Hurricane“-Festival gleichzusetzen. Die starke Ablehnung staatlicher Überwachung lässt sich vielmehr als Indiz für eine verbindende staatskritische und damit politische Meinungsbasis der Teilnehmer*innen sehen. So äußerte sich Jonas Hänschel, einer der Veranstalter, gegenüber der TAZ: „Uns ist es wichtig, dass die Gäste frei sein können auf unserem Festival. Die dauerhafte Anwesenheit der Polizei empfinden wir dabei als Repression.“

Doch ist eine rein innere politische Verbundenheit für eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG ausreichend? Wie sehr muss diese auch nach außen getragen werden? Klar ist jedenfalls, dass die bloße Anwesenheit mehrerer Personen mit politisch gleicher Gesinnung noch keine Versammlung macht. Wenn mehrere Wähler einer Partei zufällig dasselbe Konzert besuchen, wird daraus noch keine politische Versammlung. Allerdings sind bestimmte Kunstformate bereits für sich genommen verkörperter Ausdruck einer politischen Denkweise. So ist etwa Punkmusik nicht nur den Texten nach, sondern auch durch den gesamten Habitus der Bands und ihrer Zuhörer*innen regelmäßig Ausdruck einer kritischen Haltung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft. Ähnliches gilt auch für die Fusion, die in der linken politischen Szene in Deutschland einen beinahe legendären Ruf als Paradies hedonistischer Anarchie genießt. Das gemeinsam geäußerte politische Statement folgt in diesem Sinne bereits aus dem Charakter des Festivals selbst und der Teilnahme daran. Der Verzicht auf kommerzielle Werbung, sowie die Organisation des Lebensmittelangebots durch unabhängige politische Initiativen sind nur zwei Beispiele des Ausdrucks eines alternativen antikapitalistischen Gesellschaftsentwurfs, der als gelebte kollektive Praxis für sich genommen bereits ein politisches Statement ist. Wer zur Fusion fährt, sucht dort vor allem auch das besondere Gemeinschaftsgefühl einer linken Community, das so auf anderen Festivals gerade nicht existiert.

Ob daraus allerdings eine eindeutige Einordung unter den Versammlungsbegriff folgt, ist nicht eindeutig. Jedoch sollte im Sinne des verfassungsrechtlichen „in dubio pro concilio“ (s.o.) im Zweifel auch dann von einer Versammlung ausgegangen werden, wenn sowohl äußere Elemente einer „Spaßveranstaltung“, als auch innere Elemente einer gemeinsamen politischen Haltung vorliegen. Zumindest aber sollten die Ordnungsbehörden, auch wenn sie eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG ablehnen, bei der Ermessensausübung hinsichtlich der Wahl ihrer Mittel den besonderen Charakter des Festivals berücksichtigen. Auch bei hybriden Veranstaltungsformaten, welche die Grenze zur Versammlung i.S.d. Art. 8 GG noch nicht überschritten haben, darf es keine schwarz/weiß Betrachtung in dem Sinne geben, dass eine besondere Sensibilität für die spezifischen Auswirkungen von Polizeipräsenz auf die Teilnehmer*innen dann keinerlei Rolle mehr spielt.

Eventuell klärt sich die verfassungsrechtliche Diskussion über die Einordnung des Festivals aber durch die künftigen Entwicklungen in eine eindeutige Richtung. Die Veranstalter haben bereits eine Petition zum Thema „Für die Freiheit von Kunst und Kultur! Gegen anlasslose Polizeipräsenz auf friedlichen Kulturveranstaltungen!“ gestartet. Sollten sie auch das gesamte Festival als solches nun unter dieses Motto stellen, so wäre dies ein noch deutlicheres Charakteristikum einer politischen Versammlung. Ironischerweise hätte dann erst der Plan der Ordnungsbehörden, einen Polizeiposten zu installieren, den staatskritischen Charakter der Fusion weiter forciert.

Zitiervorschlag: Jonas Ganter, Techno und Kommunismus, JuWissBlog Nr. 49/2019 v. 14.05.2019, https://www.juwiss.de/49-2019/

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Art. 8 GG, Festival, Fusion, Jonas Ganter, Polizeirecht, Versammlungsrecht
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Timo Schwander
    14. Mai 2019 14:48

    Vielen Dank für den interessanten Artikel zu diesem aktuellen Thema. Ich frage mich allerdings, ob den Veranstalter*innen der Fusion die Berufung auf Art. 8 GG konkret viel helfen wird. Aus §§ 12, 18 I VersG ergibt sich dann erst recht ein – im Gegensatz zur Grundstücksbetretung gem. POR nach hM nicht vom Vorliegen einer konkreten Gefahr abhängiges! – Zutrittsrecht der Polizei (kritisch und mwN Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2015, § 12 Rn. 6 ff.) Ob das auch den Aufbau einer temporären Polizeistation umfasst, darüber kann man streiten, aber ob da dauerhaft eine Hundertschaft mit oder ohne Hütte steht, macht den Kohl auch nicht mehr fett.

    Antworten
  • Jonas Ganter
    15. Mai 2019 16:17

    Lieber Herr Schwander,

    Vielen Dank für diese Ergänzung. Ich habe mich in der Kürze des Blogbeitrags erstmal nur auf die verfassungsdogmatische Frage beschränkt, ob denn Art. 8 GG auf die Fusion überhaupt anwendbar ist. In der Tat halte ich die herrschende Meinung zu § 12 nicht für überzeugend, da es eine widersprüchliche Wertung des Gesetzgebers wäre, zunächst Versammlungen durch Art. 8 GG besonders zu schützen, diese dann aber auf einfachgesetzlicher Ebene des VersammlG als Schranke im Ergebnis schwächer zu stellen als es bei anderen Veranstaltungen der Fall ist, die nur durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt und durch das POR geregelt werden. Den Veranstaltern der Fusion hilft die Mindermeinung vor Gericht vermutlich eher wenig, als Rechtsberater wollte ich den Beitrag aber auch nicht verstanden wissen 😉

    Antworten
  • nichtvegane_Person
    15. Mai 2019 16:48

    Das Fusion-Festival zur Versammlung erklären zu wollen, passt zum Anliegen des Veranstalters, wie Schweinefleisch zu Vegetariern.
    §§ 18 Abs. 1, 12 VersG eröffnet ein Zugangsrecht der Polizei…was der Veranstalter ja gerade nicht will.

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    • Jonas Ganter
      20. Mai 2019 11:42

      Ich bin mir bei der „Eröffnung des Zugangsrechts“ wie gesagt nicht so sicher, sowohl was dessen Voraussetzungen, als auch seinen Umfang betrifft. Der Bayerische VGH hat 2008 sehr schön die Ursprünge des § 12 VersG in einer Verordnung des Reichspräsidenten v. 16.6.1932 dargelegt, in der von einer Entsendung von „Beauftragten der Polizei“ die Rede ist (BayVGH, Urt. v. 15.7.2008 – 10 BV 07.2143 –, Rn. 21). Es geht also um einzelne Polizeibeamte, die einen aufrührerischen Verlauf einer Versammlung frühzeitig erkennen sollen, nicht aber um ganze Hundertschaften. Und auch was die Voraussetzungen eines Zutrittsrechts der Polizei betrifft, halte ich irgendeine Form von Gefahr für notwendig. Es würde dem Gebot staatlicher Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen komplett entgegenstehen, wenn die Polizei auch bei 100%-Sicherheit, dass es keine Gefahren gibt, trotzdem anwesend sein könnte. Denn die Anwesenheit der Polizei ist ja kein Selbstzweck, sondern dient immer noch der Gefahrenabwehr. Kniesel führt dazu aus, dass es 1953 wohl schlicht nicht in der Vorstellungskraft des Gesetzgebers lag, dass die bloße Anwesenheit von Beamten einen abschreckenden Effekt haben kann und damit einen Eingriff darstellt (Kniesel in: Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 12, Rn. 2). Nach dieser Lesart brauch es dann natürlich auch keine Rechtfertigung. Diese Ansicht dürfte aber unter den heutigen Erkenntnissen zur Abschreckung durch Beobachtung (Chilling-Effekt) überholt sein und ist mE nach auch nicht mit dem Gebot der Versammlungsfreundlichkeit aus dem Brokdorf-Beschluss vereinbar. Freilich wird es bei einer großen Anzahl von Personen zu Gefahren kommen, so dass die Polizei dann das Gelände auch betreten kann. Dem haben sich die Veranstalter ja aber auch nie verweigert.

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