Neue Werkzeuge für die Montagehalle – Befristungshöchstquote und Anschlusszusage im WissZeitVG

von ARNOLD ARPACI und SIMON PSCHORR

Hintergrund

Das FDP-geführte BMBF veröffentlichte am Freitag, den 17.03.2023 Eckpunkte einer Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Nach großem Widerspruch aus der wissenschaftlichen Community mussten die Ampelparteien diese Vorschläge bereits am Sonntag, den 19.03.2023 zurückrufen. Man wolle nochmal grundsätzlich darüber nachdenken und “zurück in die Montagehalle”. Man brauche eine “neue geteilte Vision”. Das von der SPD geführte BMAS hatte derweil bereits 2021 einen Referent:innenentwurf für eine Novelle des TzBfG vorgelegt. Anders als der Vorschlag zum WissZeitVG enthielt dieser eine Befristungshöchstquote. Ebenfalls diskutiert wird in der wissenschaftlichen Community das Modell der Anschlusszusage. Im Folgenden zeigen wir, welcher berechtigten Kritik sich die Vorschläge des BMBF ausgesetzt sahen. Dieser wollen wir die diskutierten Instrumente gegenüberstellen.

Das zweischneidige Schwert der Befristungshöchstdauer

Das BMBF hatte sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitsbedingungen im akademischen Mittelbau zu verbessern. Dafür sollten die Vertragslaufzeiten von Arbeitsverträgen der Doktorand:innen an die erwartbare Promotionsdauer angepasst und die Planbarkeit und Verbindlichkeit von Karrierewegen in der PostDoc-Phase erhöht werden. Versprochen wurden “klare Entfristungsperspektiven”. Schließlich wolle man “auf mehr unbefristete Beschäftigung hinwirken”. Während die Zielsetzung breite Zustimmung in der wissenschaftlichen Community genießt, entzündete sich die Kritik – auch der hiesigen Verfasser – an den vorgeschlagenen Maßnahmen.

Am schärfsten angegriffen wurde der Vorschlag, die Höchstbefristungsdauer in der PostDoc-Phase auf drei Jahre zu verkürzen. Warum speziell diese Regelung ihr verfolgtes Ziel mehr als nur verfehlen dürfte und welche Instrumente stattdessen anzuraten wären, ist Gegenstand dieses Beitrags. Andere Kritikpunkte an der „Verschlimmbesserung“ des WissZeitVG müssen hier ausgespart bleiben.

Um die Problematik zu verstehen, sollte man sich die Funktionsweise von Befristungshöchstzeiten vor Augen führen. Eine Befristung ohne besonderen Sachgrund über die Höchstdauer (bisher § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG) hinaus ist unwirksam und führt zu einer unbefristeten Beschäftigung. Da die Arbeitgeber:innen aber die bisherigen Beschäftigungszeiten in der Regel im Blick behalten, kommt es dazu selten. Die Stelle wird einfach mit einer Person, die die (personengebundene) Befristungshöchstdauer noch nicht erreicht hat, neu besetzt.

Hinter dem Ansatz, die Befristungshöchstdauer zu verkürzen, steht die Logik, dass eine kürzere Befristung des:der Arbeitnehmer:in die befristete Beschäftigung für den:die Arbeitgeber:in unattraktiv macht, schließlich müsse er:sie ja die neu eingestellten Arbeitnehmer:innen immer wieder neu anlernen und in den Betrieb eingliedern. Damit die Regelung einer Befristungshöchstdauer den erwünschten Effekt (mehr unbefristete Beschäftigung) erzielt, müsste sie so kurz bemessen sein, dass eine reguläre Arbeit im Rahmen der befristeten Beschäftigung nicht mehr praktikabel wäre. Dass durch den politischen Kompromiss von maximal drei Jahren Befristung nach der Promotion weniger befristet wird, ist aber wohl eine Hoffnung, die sich alsbald zerschlagen dürfte. Wahrscheinlicher ist, dass sich die “Drehtür” bzw. das Personalkarussell schlicht schneller drehen würde. PostDocs brauchen keine weitere Anlernzeit, um ihre Aufgaben und in Lehre und Forschung an den Hochschulen zu erledigen. Gleichzeitig haben die Hochschulleitungen und deren Personalverwaltungen ein Interesse daran, freie “flexible” Stellenkontingente vorzuhalten, um bei dem nächsten Berufungsverfahren den:die gewünschte:n neuen Lehrstuhlinhaber:in damit zu locken, dass man sich selbst “eigene” wissenschaftliche Mitarbeiter:innen aussuchen können und nicht auf den bestehenden Personalbestand verwiesen werden muss.

Für die Beschäftigten im Mittelbau hieße das: Nach drei Jahren ist Schluss mit dem Arbeitsverhältnis an der Hochschule, wenn keine Drittmittel akquiriert werden können. Das von vielen angestrebte Ziel der “Berufungsfähigkeit” wird da noch in weiter Ferne liegen. Nun wurde aus dem Kreis der Ampelkoalition vorgebracht, dass ein weiteres Ziel der Befristungshöchstdauer sei, einen Systemwechsel im Anforderungsbereich zu schaffen. Ob das allein mittels der Befristungshöchstgrenze erreicht werden kann, erscheint jedoch fraglich. Denn auch hier dürfte sich zuvor das kompetitive Umfeld im Wissenschaftsbetrieb auswirken. Wer die finanziellen Ressourcen, insbesondere also vor allem das familiäre Umfeld hat, um sich auch außerhalb einer bezahlten Stelle berufungsfähig zu machen, dürfte gewinnen. Menschen, die auf das Erwerbseinkommen aus wissenschaftlicher Arbeit angewiesen sind, drohen dagegen benachteiligt zu werden.

Die Verkürzung der Befristungshöchstdauer soll dem dringend erforderlichen Arbeitnehmer:innenschutz dienen (vgl. RL 1999/70/EG Erwägungsgrund 3). Als isoliert angewendetes Werkzeug, droht es im Wissenschaftsbetrieb jedoch zum Bumerang für die Beschäftigten zu werden. Es ist daher erforderlich, Befristungshöchstgrenzen mit anderen Instrumenten zu kombinieren. Im Folgenden sollen zwei vorgestellt werden: Die Befristungshöchstquote und die Anschlusszusage.

Alternative Instrumente für das WissZeitVG

1. Vorschlag der Befristungshöchstquote (aus dem TzBfG Entwurf)

Gegen Ende der vergangenen Legislatur hat das BMAS einen Entwurf für ein neues TzBfG erstellt. Auch wenn der Entwurf nicht umgesetzt wurde, lohnt es sich, ihn noch einmal näher zu betrachten, denn er sah ein revolutionäres Regelungsinstrument im Befristungsrecht vor. Neben den bekannten Regelungen zur Befristungshöchstdauer (im Vorschlag 18 statt 24 Monate für die sachgrundlose Befristung und neu maximal fünf Jahre auch für die Befristung mit Sachgrund), wird die Befristungshöchstquote als neues Regelungsinstrument vorgeschlagen: So sollten Arbeitgeber:innen, die in der Regel mehr als 75 Arbeitnehmer:innen beschäftigen, maximal 2,5 Prozent ihrer Arbeitnehmer:innen sachgrundlos befristen dürfen. Die Idee, nicht am einzelnen Arbeitsverhältnis, sondern an der Zusammensetzung der Belegschaft anzusetzen, ist nicht ganz neu. Wie so oft im Arbeitsrecht, ist die Tarifpraxis Vorläufer der gesetzgeberischen Aktivität. Zunächst für die Leiharbeit (z.B. “Zukunftstarifvertrag” von Airbus aus dem Jahr 2011, S. 30) und später auch für Befristungen wurden bereits Quotenregelungen in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen vereinbart.

Zur Durchsetzung sah der Referent:innenentwurf vor, dass sachgrundlose Befristungen in Überschreitung der Quote unwirksam sein sollten. Die so eingestellten Beschäftigten hätten sich also über ein unbefristetes Arbeitsverhältnis freuen können. Die Details der Berechnung können hier ausgespart bleiben.

Der große Vorzug einer solchen Regelung ist, dass sie einen Drehtüreffekt zuverlässig verhindert. Der:die Arbeitgeber:in kann nicht, wie bei der personengebundenen Befristungshöchstdauer, schlicht den oder die nächsten nehmen. Vielmehr ist er gezwungen, die Strukturen so umzugestalten, dass der Quote entsprechend ausreichend Stellen für unbefristete Beschäftigung geschaffen werden. Die Bewerber:innen stehen somit nicht mehr in Unterbietungskonkurrenz.

Bei einer Übernahme des Regelungsinstruments der Befristungshöchstquote in das WissZeitVG wäre man freilich nicht an die Ausgestaltung, die sie in dem Referent:innentwurf zum TzBfG erhalten hat, gebunden. Politisch zu entscheiden wäre zuvorderst die Höhe der Quote. Da man aktuell von einem Anteil befristeter Beschäftigung von 92% im akademischen Mittelbau (BuWin 2021, S. 108) kommt, wäre auch eine zeitlich gestaffelte Verschärfung naheliegend. Auch welchen Bezugsrahmen hinsichtlich der erfassten Beschäftigtengruppen man wählt, wäre politisch zu klären. Es wäre eine “enge” Ausgestaltung nur bezogen auf die PostDocs denkbar. Ebenso ist aber auch eine Erstreckung der Quote auf wissenschaftlich Beschäftigte oder alle Beschäftigten der Einrichtung denkbar. Um für den Arbeitgeber bei Vertragsabschluss die Ermittlung des Stands um die Quote zu erleichtern, ist im TzBfG-Entwurf geregelt, dass jeweils der Stand zum Beginn des Quartals maßgeblich sein soll. Eine ähnliche Regelung wäre auch für eine Umsetzung im WissZeitVG denkbar. Die als Antwort auf den TzBfG-Entwurf geäußerte Kritik, dass eine Befristungshöchstquote problematisch sei, da es Arbeitgeber:innen gäbe, die nicht wüssten, wie viele befristete Beschäftigte sie haben, konnte schon im Anwendungsbereich des TzBfG nicht überzeugen. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen sollten noch weniger Bedenken bestehen. Schon jetzt sind in der Regel nur die zentralen Personalverwaltungen zum Abschluss eines Arbeitsvertrages befugt. Diese sollten nachhalten (können), wie viele befristete Arbeitsverhältnisse sie abgeschlossen haben. Dass das Greifen der Befristungshöchstquote im TzBfG-Entwurf davon abhing, dass der:die Arbeitgeber:in mehr als 75 Arbeitnehmer:innen beschäftigt, wurde als möglicherweise gleichheitswidrig kritisiert. (Waskow NZA 2021, 1289, 1292) Für eine Übernahme des Instruments in das WissZeitVG wäre zu empfehlen, auf eine solche Mindestbeschäftigtenzahl gänzlich zu verzichten. Bei einer Quote, die sich nicht in absoluten Zahlen, sondern einem relativen Anteil (%-Zahl) ausdrückt, besteht dafür ohnehin kein zwingendes Bedürfnis.

Letztlich bietet es sich an, die Einführung des Instruments der Befristungshöchstquote mit anderen Regelungen zum Schutz des Mittelbaus vor Prekarisierung zu verbinden. So kann eine Befristungshöchstquote auch mit der im Folgenden skizzierten Anschlusszusage kombiniert werden. So könnte geregelt werden, dass befristete Beschäftigung mit verbindlicher Anschlusszusage aus der Berechnung der Befristungshöchstquote herausgerechnet wird.

2. Vorschlag der Anschlusszusage

Die Anschlusszusage setzt am individuellen Beschäftigungsverhältnis an. Statt jedoch die Befristungshöchstdauer einer sachgrundlosen Befristung einzugrenzen, wird die Befristungsmöglichkeit an eine Zielvereinbarung gekoppelt: Eine Befristungsmöglichkeit besteht nur, wenn bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages vertraglich verbindliche Ziel- und Leistungsvereinbarungen getroffen werden. Werden diese vereinbarten Ziele erreicht, besteht ein vertraglicher Anspruch auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages.

Die Anschlusszusage generiert mithin zwei Phasen der Beschäftigung (sog. Zwei-Phasen-Modell): Die Entwicklungsphase, in der der:die Arbeitnehmer:in an der Erfüllung der vertraglichen Ziel- und Leistungsvereinbarung arbeitet. An deren Ende steht eine Evaluation. War er:sie erfolgreich, wird ein neues, unbefristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen. Verfehlt er:sie die Zielvorgaben, ist eine neuerliche befristete Beschäftigung ausgeschlossen und es steht den Vertragsparteien frei, ob ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (dennoch) begründet wird. Im wissenschaftsarbeitsrechtlichen Diskurs wird darüber hinaus ein sog. Drei-Phasen-Modell vorgeschlagen. Hier geht der Entwicklungsphase eine sog. Orientierungsphase auf Basis eines zeitlich stark begrenzten sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages vor.

Die Anschlusszusage hat den Vorteil, branchenübergreifend – in der Wissenschaft fächerübergreifend – einsetzbar zu sein. Der Gesetzgeber kann Grenzen für die Zielvereinbarungen setzen und Mindestanforderungen für das im Erfolgsfalle abzuschließende unbefristete Arbeitsverhältnis normieren.

Die Zielvereinbarung muss sich am angestrebten unbefristeten Arbeitsverhältnis orientieren. Für die Wissenschaft heißt das: Wer als PostDoc beschäftigt wird, strebt eine Wissenschaftskarriere an und qualifiziert sich mithin nicht (mehr) für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Aber anders als bei der Tenure-Track-Professur folgt auf die Zielerreichung nicht die unmittelbare Berufung auf eine Lebenszeitprofessur, deshalb können die Zielvereinbarungen nicht mit den Erwartungen an die Berufungsfähigkeit deckungsgleich sein. Die Zielvereinbarungen müssen deshalb mit den Erwartungen an die unbefristete Weiterbeschäftigung in der Wissenschaft neben der Professur korrespondieren: Soll der Arbeitsschwerpunkt in der Lehre liegen, bietet es sich an, schwerpunktmäßig Ziele in der Lehre zu stecken (zB wiederholt positive Lehrevaluationen, breites Lehrportfolio etc.). Soll die Leitung einer Forschungsgruppe folgen, könnten Führungsqualifikationen und forschungsbezogene Ziele vereinbart werden. Wird eine Professur angestrebt, so können Schritte zur Habilitation bzw. habilitationsäquivalenten Leistung nachzuweisen sein (zB ein Habilitationskonzept mit annotierter Gliederung, wesentliche Abschnitte, mehrere publikationsreife Fachzeitschriftenbeiträge etc.). Durch die Zielvereinbarung entsteht Transparenz hinsichtlich der Bedingungen zur Weiterbeschäftigung für beide Seiten. Erfolgreiche Arbeitnehmer:innen können sich so eine Dauerstelle “erarbeiten”.

Fazit

Statt nur darüber zu diskutieren, welche Befristungshöchstdauer die beste sei, sollte das BMBF und die Ampel-Parteien bei einer Überarbeitung des WissZeitVG die beiden Instrumente Anschlusszusage und Befristungshöchstquote in Betracht ziehen. Das Land Berlin hat mit § 110 Abs. 6 BerlHG bereits einen Vorstoß gewagt, der die Universitäten zum Umdenken bewegt hat. Aus den gewonnenen Erfahrungen könnte man im Bund schöpfen. Im nächsten Beitrag werden wir die beiden Instrumente am Grundgesetz prüfen. Und so viel sei schon jetzt verraten: Dem Befristungswahnsinn im Wissenschaftsbetrieb ein Ende zu bereiten, könnte am politischen Willen scheitern, aber an der Verfassung scheitert er nicht. Die Verankerung beider Instrumente im WissZeitVG wäre verfassungsgemäß.

Zitiervorschlag: Arpaci, Arnold und Pschorr, Simon, Neue Werkzeuge für die Montagehalle – Befristungshöchstquote und Anschlusszusage im WissZeitVG, JuWissBlog Nr. 17/2023 v. 17.04.2023, https://www.juwiss.de/17-2023/.

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#ichbinHanna, Anschlusszusage, Befristungshöchstquote, Gesetzgebungskompetenz, Wissenschaftsfreiheit
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