Paukenschlag in der #IchBinHanna-Debatte

von NIKOLAS EISENTRAUT

Das BVerfG erklärt die Regelung des Berliner Hochschulgesetzes, die die verpflichtende Entfristung von Postdoktorand:innen vorsah, für formell verfassungswidrig. Die von der HU Berlin bemühte Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das landespolitische Projekt einer Transformation wissenschaftlicher Qualifikationsstellen hin zu einem flächendeckenden Angebot entfristeter Stellen für Postdocs war bereits politisch tot, nun hat das BVerfG die Regelung verfassungsrechtlich beerdigt. Die Entscheidung hinterlässt den schalen Nachgeschmack, dass damit einem „Weiter-so“ der Qualifikations-Befristung von Postdoktorand:innen der Weg bereitet wurde.

In der Sache ging es um § 110 Abs. 6 S. 2 BerlHG, der die Hochschulen verpflichten sollte, bei der Einstellung promovierter wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen zur Qualifizierung eine Anschlusszusage zu vereinbaren und damit eine Entfristung in Aussicht zu stellen – unter der Bedingung, dass das im Arbeitsvertrag benannte Qualifikationsziel erreicht wird; über dieses sollte die Anschlusszusage in angemessenem Umfang Auskunft geben. Mit der Regelung sollte der große Wurf gewagt und eine Umstellung im System wissenschaftlicher Qualifikationsstellen weg von Befristung hin zu einem flächendeckenden Angebot entfristeter Stellen für Postdocs angestoßen werden.

Landesgesetzgeber ist dem BVerfG voraus

Für das Land Berlin und die Berliner Hochschulen spielt die Entscheidung indes schon keine Rolle mehr: Dem Vernehmen nach plant der Berliner Landesgesetzgeber, die Regelung abzuschaffen, bevor die mehrfach nach hinten verschobene Übergangsfrist des § 126f BerlHG (aktuell: 1.1.2026) überhaupt abgelaufen ist. An die Stelle der Entfristung aller Postdocs sollen nach kontroversen Auseinandersetzungen mit den Berliner Hochschulen die neuen und unbefristeten Stellenkategorien der Lecturer und Researcher treten. Wie viele unbefristete Lecturer- und Researcher-Stellen die Berliner Hochschulen angesichts der finanziell schwierigen Lage indes geschaffen werden, ist offen. Die meisten Postdocs werden damit aller Voraussicht nach weiterhin den Befristungsregelungen des WissZeitVG unterworfen sein, soweit sie nicht eine Juniorprofessur mit Tenure Track ergattern können – eine Stellenkategorie, die seit Bewilligung der 1000 vom Bund geförderten TT-Professuren ebenfalls kaum noch bedient zu werden scheint.

Bezeichnenderweise haben weder das Abgeordnetenhaus von Berlin noch der Senat von Berlin von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, im Verfassungsbeschwerdeverfahren Stellung zu nehmen (Beschluss Rn. 7). Die Norm scheint im Verfahren regelrecht „unverteidigt“ geblieben zu sein, was womöglich auch die rigide Auslegung der Regelung durch das BVerfG erklärt. Berlin hat damit die Chance vertan, sich für eine Reform stark zu machen, die zu einem föderalen Markenzeichen im Wettbewerb um die besten Köpfe hätte werden können.

Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit ja, aber so?

In der Regelung erkennt das BVerfG zu Recht einen Eingriff in die von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit: Der Freiheitsraum der Wissenschaft ist auch bei Übergriffen in Personalentscheidungen eröffnet, soweit es um Hochschullehrer und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen geht. Auch die Aufgabe der Hochschulen, den akademischen Nachwuchs zu fördern, unterstellt das BVerfG dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit (Beschluss Rn. 21). Dass die Regelung in den autonomen Bereich der Hochschulen eingreift, erst nach Abschluss der Qualifikationsphase über die Weiterbeschäftigung zu entscheiden, trifft zu.

Wenig überzeugt jedoch die Auslegung des § 110 Abs. 6 S. 2 BerlHG durch das BVerfG, dass die Regelung verlange, alle wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft zu übernehmen, die dies möchten (Beschluss Rn. 22). Diese pauschale Einordnung verkennt den steuernden Charakter der Anschlusszusage, die vergleichbar der Tenure-Track-Vereinbarung harte Evaluationskriterien formuliert, die erst bei Erreichen den Anspruch auf Entfristung begründet. Dass die Hochschule also aller Steuerungsmöglichkeiten zugunsten der wissenschaftlichen Mitarbeitenden verlustig gehe, bringt die Regelung gar nicht mit sich. Vielmehr verlagert das Regelungsmodell – entsprechend der Tenure-Track-Professur – die Auswahlentscheidung auf den Zeitpunkt der Einstellung vor, weil in diesem Moment alle Kriterien definiert werden, die dann auch zu einer Entfristung führen müssen. Dass die Mitarbeiter:innen alle diese Kriterien am Ende auch wirklich erfüllen, ist nicht allein von ihrem Willen abhängig, sondern von dem Nachweis der in der Anschlusszusage vereinbarten Kriterien, die Auskunft über die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des/der Stelleninhaber:in gibt. Dass die Anschlusszusage nur unter angemessener Berücksichtigung des Qualifikationsziels abzuschließen ist, ändert nichts an der harten Voraussetzung, dass das Erreichen des Qualifikationsziels Bedingung für die Anschlusszusage ist. Dass das BVerfG hier dennoch einen scharfen Unterschied zur Tenure-Track-Professur erkennen will, liegt wohl darin begründet, dass nur so die formelle Verfassungswidrigkeit überzeugend dargelegt werden kann. Der Entscheidung hätte es gut zu Gesicht gestanden, den Regelungsgehalt des § 110 Abs. 6 S. 2 BerlHG eingehender zu würdigen.

Kompetenztitel Arbeitsrecht, nicht Hochschulrecht

Die Regelung wird vom BVerfG der Sachmaterie des Arbeitsrechts zugeordnet (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) (Beschluss Rn. 29). In Abgrenzung zum den Ländern vorbehaltenen Kompetenzbereich des Hochschulrechts (Art. 70 Abs. 1 GG) ordnet das BVerfG Regelungen nur dort dieser Kompetenzmaterie zu, wo es um die Schaffung neuer Personalkategorien geht (Beschluss Rn. 36) und die Struktur des wissenschaftlichen Personals geregelt wird (Beschluss Rn. 42). Demgegenüber sind Regelungen, die die Dauer und Beendigung von Arbeitsverhältnissen innerhalb der vorhandenen Personalstruktur betreffen, dem Arbeitsrecht zuzuordnen (vgl. Beschluss Rn. 42). Ersteres sei etwa dann gegeben, wenn unter Schaffung einer neuen Personalkategorie ein qualitätsgesichertes Tenure-Track-Verfahren geschaffen werde (Beschluss Rn. 36). Indes weise § 110 Abs. 6 S. 2 BerlHG unter objektiven Gesichtspunkten keine vergleichbare Qualität auf, weil die Regelung an bereits bestehende Personalkategorien anknüpfe und die Vergabe von Dauerstellen gerade nicht von der vorherigen, auf einem formalisierten Verfahren beruhenden Bewertung abhängig sei, ob und mit welchem Ergebnis die bei der Einstellung genau festgelegten, den Anforderungen der konkret vorgesehenen Dauerbeschäftigung entsprechenden Leistungskriterien erfüllt wurden. Vielmehr sei das im Arbeitsvertrag benannte Qualifikationsziel in der Anschlusszusage lediglich angemessen zu berücksichtigen. Bei der Formulierung handelte es sich indes bereits um eine Nachschärfung, um das Erreichen des Qualifikationsziels zum harten Kriterium zu machen (s. Eisentraut, WissR 55, 21 (24), Beitrag nicht open access), sie reichte dem BVerfG indes dennoch nicht aus. Undeutlich bleibt, ob der Berliner Landesgesetzgeber für eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung womöglich eine eigene Stellenkategorie des „Postdoktoranden mit Tenure-Track“ hätte einführen und damit dem Geltungsanspruch des WissZeitVG hätte „entkommen“ können, weil dann schon der Kompetenztitel Arbeitsrecht nicht berührt wäre. Der Beschluss lässt sich aber auch so lesen, dass das WissZeitVG alle mit dem wissenschaftlichen Personal zur Qualifikation abgeschlossenen Arbeitsverträge mit Ausnahme der Hochschullehrer:innen (§ 1 Abs. 1 WissZeitVG) erfasst. Dass die Tenure-Track-Professur in dieser Lesart nicht erfasst wird, liegt allein daran, dass diese der Gruppe der Hochschullehrer:innen zugeordnet ist (§ 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BerlHG).

Sperrwirkung des WissZeitVG

Da also der Kompetenztitel des Arbeitsrechts eröffnet ist, stellte sich die anschließende Frage, ob der Bundesgesetzgeber von diesem Titel in Sperrwirkung entfaltender Weise abschließend Gebrauch gemacht habe (Beschluss Rn. 40 ff.). Dies bejaht das BVerfG (a.A. Eisentraut, WissR 55, 21 (27 ff.), Beitrag nicht open access): Zwar sei die in § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG eingeräumte Befristungsmöglichkeit nicht unmittelbar berührt, da Einstellungen weiterhin befristet erfolgten; die Notwendigkeit einer Anschlusszusage führe aber dazu, dass im Falle erfolgreicher Qualifizierung ein unbefristeter Vertrag geschlossen werden muss (Beschluss Rn. 43). Die Regelung falle damit in den Anwendungsbereich des WissZeitVG, der auch das wissenschaftliche Personal nach abgeschlossener Promotion auf Qualifikationsstellen mit Ausnahme der Hochschullehrer:innen (§ 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG) umfasse. Die Regelung sei in ihrer Entstehung gerade geschaffen worden, um landesrechtliche Regelungen zu verhindern, die darauf abzielten, den laufenden Zustrom von Nachwuchswissenschaftlern zu erschweren, weil freie Qualifikationsstellen wegfallen (Beschluss Rn. 49). Die Öffnungsklausel des § 1 Abs. 2 WissZeitVG wird allein als Öffnungsklausel für die Hochschulen interpretiert, die landesgesetzgeberische Regelungen ausschließe (Beschluss Rn. 47) (a.A. m.w.N. Eisentraut, WissR 55, 21 (28 f.).

Pflicht zur Befristung aus der Wissenschaftsfreiheit?

Zur materiellen Rechtslage äußert sich das BVerfG in der Folge nicht mehr. Indes sticht eine Einordnung im Rahmen der Eingriffsqualifikation ins Auge, die für die Frage der Vereinbarkeit von Entfristungsmodellen mit der Wissenschaftsfreiheit noch für Diskussionsstoff sorgen dürfte: Das BVerfG meint, es erfordere der Möglichkeit zur generellen Befristung der Beschäftigungsverhältnisse des wissenschaftlichen Personals auf Qualifikationsstellen, um die Aufgabe der Förderung des akademischen Nachwuchses zu erfüllen (Beschluss Rn. 22). Damit geht das BVerfG über die referenzierte Entscheidung (BVerfG, Beschl. v. 24.4.1996 – 1 BvR 712/86 Rn. 108 = BVerfGE 94, 268) hinaus, die gerade keine Notwendigkeit genereller Befristung sieht, sondern diese nur für gerechtfertigt erachtet, aber Raum für alternative Konzepte gelassen hatte (Eisentraut, WissR 55, 21 (32)). Es erscheint als bedenkliche personalpolitische Weichenstellung für das Hochschulsystem, wenn das BVerfG nun die generelle Befristung von Qualifikationsstellen verfassungsfest zu machen droht (in diese Richtung aber auch von Coelln, zunächst hier und neuerlich hier). Sie widerspricht dem ausdrücklichen politischen sowie verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu verortenden Ziel, wissenschaftliche Karrieren planbarer zu gestalten (s. zu dieser Förderpflicht Eisentraut, WissR 55, 21 (32 f.)) und würde auch das in allen Landeshochschulgesetzen mittlerweile normierte Tenure-Track-Modell in Frage stellen, das genau das tut, was das BVerfG scheinbar für unzulässig erachtet: Qualifikationsstellen nicht mehr generell zu befristen, sondern über Anschlusszusagen Planungsperspektiven zu ermöglichen. Es bleibt zu hoffen, dass die Ausführung nur der argumentativen Unterfütterung der eingreifenden Qualität der Regelung diente und keine Aussage dazu enthält, ob das Regelungsmodell als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit auch gerechtfertigt werden kann.

Alle Augen auf den Bund: Kommt eine Reform des WissZeitVG?

Die Entscheidung hat bundespolitische Bedeutung: Ist den Landesgesetzgebern mit der Entscheidung die Möglichkeit eigener Entfristungsregelungen für die Postdoc-Phase weitgehend aus der Hand geschlagen, richtet sich der Fokus jetzt noch stärker auf die in der letzten Legislaturperiode gescheiterten Reformbemühungen des WissZeitVG. Das BVerfG zieht in seiner Argumentation dementsprechend Anträge im Rahmen der Reform des WissZeitVG in der 18. Legislaturperiode im Jahr 2015 heran, die schon damals eine bundesrechtliche Entfristungsregelung anstrebten, um zu untermauern, dass eine Regelung nur Gegenstand des WissZeitVG hätte sein können (Beschluss Rn. 50 ff.). Ob sich indes auf Bundesebene Mehrheiten für eine § 110 Abs. 6 S. 2 BerlHG vergleichbare Entfristungsregelung im WissZeitVG finden, erscheint zweifelhaft, zumal der finanzwirksame Durchgriff der Bundespolitik auf die Landeshaushalte neuerlich verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen würde.

Was bleibt? § 110 Abs. 6 S. 2 BerlHG ist nichtig (Beschluss Rn. 55), auch wenn die Regelung nie angewendet worden ist. Für die Rechtsgeschichte bleibt ein progressives Gesetzgebungsvorhaben, das erstmals den Versuch unternommen hat, die praktischen Schwierigkeiten der Entfristungsforderungen der #IchBinHanna-Bewegung rechtspraktisch in Angriff zu nehmen. Die Regelung ist nicht nur am Widerstand der Berliner Hochschulen gescheitert, sondern auch an der Finanzierbarkeit eines Entfristungskonzepts, das auch hätte sicherstellen müssen, dass genügend Qualifikationsstellen für nachrückende Wissenschaftler:innengenerationen zur Verfügung gestanden hätten (s. zu dieser Finanzierungspflicht Eisentraut, WissR 55, 21 (33 f.)). Es bleibt abzuwarten, ob mit entfristeten Lecturer- und Researcher-Stellen tatsächlich eine Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen von Wissenschaftler:innen erreicht und der teils befürchtete „Brain-Drain“ verhindert werden kann. Für die Postdoc-Phase zur Qualifikation auf eine Lebenszeitprofessur wird es auf absehbare Zeit beim Befristungsmodell bleiben.

 

Zitiervorschlag: Eisentraut, Nikolas, Paukenschlag in der #IchBinHanna-Debatte, JuWissBlog Nr. 62/2025 v. 11.07.2025, https://www.juwiss.de/62-2025/.

Dieses Werk ist unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 lizenziert.

#ichbinHanna, Bundesverfassungsgericht, Hochschulrecht, Wissenschaftsfreiheit, WissZeitVG
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