„Eine Kette von Befristungen“ – Über die Situation an deutschen Hochschulen und was sich ändern muss

von LOUISE SOPHIA KAVACS

Unter dem Hashtag #ichbinHanna, der seit dem 11.06.2021 auf Twitter viral ging, äußern sich Wissenschaftler:innen zu sog. Kettenbefristungen im Wissenschaftssystem auf Grundlage des WissZeitVG. Sie berichten von endlos befristeten Verträgen und der Unsicherheit, die die Tätigkeit in der Wissenschaft mit sich bringe.

Aufhänger für die „Proteste“ war ein Animationsvideo des BMBF, welches bereits seit 2018 existiert und die Vorteile des WissZeitVG anhand des Beispiels der Biologin „Hanna“ adressiert. Die Fluktuation, durch die lediglich kurzfristige Beschäftigung von wissenschaftlichem Personal an der Universität, fördere laut Videobotschaft die „Innovationskraft“ und beuge so einer sog. „Verstopfung des Wissenschaftssystems“ vor. Das Video wurde seitens des Ministeriums mittlerweile gelöscht. Dabei müsste die Forschungslandschaft in Deutschland grundlegend verändert werden, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs belastbare Perspektiven jenseits der professoralen Ebene zu bieten. Hierauf wird im Folgenden anhand der unzureichenden Regelungen des WissZeitVG eingegangen.

Das Video als Versinnbildlichung/Ausdruck der gesetzgeberischen Intention

Die Kritik, die dem BMBF entgegenschlägt, ist nicht neu. Schon lange gibt es Diskussionen und Kampagnen um das WissZeitVG, welches entgegen der strikteren Befristungsvorgaben des TzBfG, Befristungen im Hochschulbereich gem. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG von nicht promovierten wissenschaftlichen und künstlerischen Personals bis zu einer Dauer von 6 Jahren für die Qualifikationsphase ermöglicht. Für bereits promoviertes wissenschaftliches und künstlerisches Personal gilt ebenfalls die Dauer von bis zu 6 Jahren, im medizinischen Bereich sogar bis zu 9 Jahren, für die eigene wissenschaftliche bzw. künstlerische Qualifikation gem. § 2 Abs. 1 S. 2 1. Hs WissZeitVG. Grundsätzlich sind Verlängerungen dieser Befristungsdauer bspw. aufgrund der Inanspruchnahme von Elternzeit gem. § 2 Abs. 1 S. 3, 4 iVm § 2 Abs. 5 Nr. 3 WissZeitVG vorgesehen. Ausgenommen von diesen Regelungen sind gem. § 1 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG Hochschullehrer:innen an staatlichen Hochschulen, so dass sich die Problematik von Befristungen vor allem im sog. Mittelbau realisiert.

Ursprünglich sollte das WissZeitVG zum einen „Fehlentwicklungen“ der Befristungspraktiken in der Wissenschaft nach seiner letzten Novellierung im Jahr 2016 abstellen; zum anderen aber die „Flexibilität und Dynamik“ der Hochschulen erhalten. Demnach dienten die liberalen Regelungen des WissZeitVG der Intention des Gesetzgebers, Stellen an den Universitäten nicht unbefristet besetzen zu können, um damit ein „Erstarren“ der Forschung und einen laufenden Zustrom von Wissenschaftler:innen zu ermöglichen. Die Fluktuation sei demnach notwendig, damit „eine Generation nicht alle Stellen verstopfe“. Der Gesetzgeber erhofft sich von dieser Rotation insbesondere den Erhalt der „Innovationskraft“.

Das TzBfG, welches bei nichtwissenschaftlichem Personal Anwendung findet, erlaubt hingegen nur Befristungen aus einem sachlichen Grund gem. § 14 Abs. 1 TzBfG, sofern es sich nicht um eine erstmalige Beschäftigung gem. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG bei demselben Arbeitgeber handelt und verhindert mithin das Phänomen der sog. Kettenbefristungen. Gleichwohl erlaubt es kürzere Befristungen als jene, die das WissZeitVG für die Qualifikationsphase vorsieht.

Besonders betroffen zeigt sich also von dieser oktroyierten Personalpolitik der wissenschaftliche Mittelbau, also jene Beschäftigten, die nicht nur forschen, sondern auch vorrangig die Lehre an den Universitäten durch eine in 9 von 10 Fällen befristete Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen sichern. Diese sind auch dann zu befristen, wenn ihre Stellen überwiegend aus Mitteln Dritter finanziert werden, vgl. § 2 Abs. 2 WissZeitVG. Schon der Wortlaut der Norm offenbart den Hochschulen einen gewissen Handlungsspielraum – wonach nur die „überwiegende Beschäftigung“ der Mitarbeiter:innen entsprechend der Zweckbestimmung dieser Mittel erfolgen muss (vgl. BAG, 15.04.1999 – 7 AZR 645/97). Demzufolge lassen sich über Anträge auf Drittmittelprojekte auch Mitarbeitende durch Gelder Dritter finanzieren, die letztlich dennoch Aufgaben, bspw. in Forschung und Lehre übernehmen, obwohl sie nicht haushaltsbeschäftigt sind. Selbiger Befund kann auf staatlich anerkannte Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen übertragen werden.

Die Realität der Hochschulen

Die realen Auswirkungen dieser Personalpolitik sind ebenfalls hinlänglich bekannt. Neben einer Stückelung von Stellen in Erwartung der Leistungsbereitschaft für eine 100%-Stelle, mithin unbezahlter Mehrarbeit, verhindert diese Form der Anstellung für zahlreiche Betroffene ein Recht auf Lebensplanung, wie der stellvertretende GEW Vorsitzende Andreas Keller feststellt. Nicht selten spielt auch ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis eine gewisse Rolle.

Die emotional geführte Debatte reicht von Beschreibungen eines „Prekariats der Wissenschaft“, bis zum Vorwurf, dass Wissenschaftler:innen „geringe Chancen auf eine langfristige Karriere-, Lebens- und Familienplanung [haben sowie die derzeitige Befristungspraxis] eine Benachteiligung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen“ nach HU-Psychologie-Professorin Jule Specht zur Folge hat.

Die Reaktion des BMBF verweist wiederum auf die Impulse durch den Nachwuchs und offenbart die verhärteten Fronten, indem es die Vorteile des WissZeitVG aufzählt und die Verantwortung auf Länder und Hochschulen verlagert. Richtig ist, dass eine Befristungsmöglichkeit keiner -pflicht gleichkommt, aber die Realität an den Hochschulen sieht seit Jahren anders aus. Die Einführung der Juniorprofessur und die Möglichkeit von „tenure track“ zeigen, dass der Gesetzgeber bestehende Probleme zwar erkannt hat; de facto ersetzen tenure-track Professuren aber lediglich bestehende Professuren, die wegen Emeritierung wegfallen.

Zuletzt offenbarte die Pandemie den extremen Nachholbedarf in der digitalen Lehre an Hochschulen, der in der Breite nach knapp 1,5 Jahren als gelungen betrachtet und vor allem durch den sog. Mittelbau getragen wurde. Dieses Engagement und auch die Erschwernisse in der Forschungstätigkeit anerkennend, änderte der Gesetzgeber das WissZeitVG immerhin insofern, als die pandemische Lage eine pauschale Verlängerung gem. § 7 Abs. 3 WissZeitVG ermöglichte.

Dauerstellen als Lösung?

Doch kann die Verstetigung derzeitiger Stellen in Dauerstellen als Allheilmittel betrachtet werden? Insofern könnte tatsächlich das Argument tragen, dass eine Generation das „Glück“ auf Verstetigung hätte und eine andere leer ausginge. Realistischer betrachtet, muss das Konstrukt „Mittelbau“ in seiner Funktion und Zusammensetzung in der deutschen Hochschullandschaft neu gedacht werden. Der Blick auf andere Länder wie die USA, UK und Frankreich zeigt, dass die Innovationskraft von Forschung und Lehre mitnichten durch Verstetigung leidet, wenn diese ganzheitlich konzeptionell gedacht wird. Die USA oder UK stellen Dauerstellen bereits unterhalb der Professur mit Positionen wie dem Lecturer oder Reader bereit; Frankreich sieht hierfür sog. maître de conférence vor. Als Alternativen zum „Rotationsprinzip“ wären demnach sog. Departmentstrukturen zu bevorzugen. Gleichwohl müssen die Interessen an einer Gleichwertigkeit und Demokratisierung von Stellen, die Finanzierungsstruktur und die grundlegende Organisation von wissenschaftlichem Personal an Universitäten auf den Prüfstand gestellt werden. Die Probleme der deutschen Hochschullandschaft lassen sich aber vermutlich nicht mittels einer weiteren Verschärfung des WissZeitVG auffangen, sondern benötigen tiefgreifende Veränderungen in der Forschungslandschaft. Die Stellenstruktur führt derzeit dazu, dass ausgebildete Wissenschaftler:innen sich nach 12 Jahren in Forschung und Wissenschaft mit unweigerlich schlechteren Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt behaupten müssen.

Möglichkeiten böte auch die Ausbildung von Stellen, die bspw. ausschließlich der Lehre oder der Forschung dienen. Im Zuge der Exzellenzstrategie „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ soll ab 2021 das dauerhaft beschäftigte und hauptberufliche Personal in Studium und Lehre ausgebaut werden. Die Evaluation des WissZeitVG gem. § 8 WissZeitVG ist wegen Corona für das Jahr 2022 angesetzt und offenbart womöglich (weitere) Lösungsansätze jenseits der professoralen Mitgliedschaft.

Fazit

Klar ist – einfach wird das Austarieren der gegenläufigen Interessen von Politik und Wissenschaftler:innen nicht. Ob sich eine Lösung durch die Abschaffung des WissZeitVG oder durch eine Novellierung desselbigen erreichen lässt, bleibt vorliegend dahingestellt – es muss sich jedenfalls etwas ändern, um teuer ausgebildeten akademischen Nachwuchs jenseits der professoralen Ebene zu unterstützen. Jedenfalls kann das Argument der „Innovationskraft“ nicht überzeugen, sonst würden auch große Unternehmen, in denen zukünftig technische Umbrüche bevorstehen, wie die Verkehrswende und die Einführung der E-Mobilität, ebenfalls auf diese Argumentation rekurrieren.

Anderenfalls verbleibt Wissenschaftler:innen, die ihre Zukunft in Forschung und Wissenschaft sicher und langfristig planen wollen, nur der Weg ins Ausland, so dass Deutschland jedes Jahr innovative Köpfe verloren gehen (sog. „Brain Drain“), statt Innovationskraft zu fördern.

Zitiervorschlag: Louise Sophia Kavacs, „Eine Kette von Befristungen“ – Über die Situation an deutschen Hochschulen und was sich ändern muss, JuWissBlog Nr. 67/2021 v. 22.6.2021, https://www.juwiss.de/67-2021/

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#ichbinHanna, Lehre & Forschung, Louise Kavacs, Öffentlicher Dienst, Wissenschaft, WissZeitVG, Zukunft
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