Zur Bleiberechtsregelung nach § 25b AufenthG-E, Teil 1/2
von TOBIAS BRINGS und MAXIMILIAN OEHL
Die neue Bleiberechtsregelung ist Anlass und Kern der Gesetzesreform. Im Raum steht der Vorwurf, dass durch diese neue Vorschrift erhebliche Nachteile zulasten Betroffener in anderen Vorschriften kompromissartig „erkauft“ werden sollen. Aber auch im Falle von § 25b AufenthG-E selbst gilt: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Der folgende Beitrag versucht in zwei Teilen, rechtssystematische Mängel des Entwurfs aufzuzeigen und entsprechende Vorschläge zur Optimierung zu unterbreiten. In Teil 1 wird nach einer kurzen Darstellung der Hintergründe die problematische Wechselwirkung zwischen § 25b AufenthG-E und der Neufassung des § 11 AufenthG-E aufgezeigt.
Zur historischen Entwicklung
Hintergrund des Vorhabens ist das Phänomen der „Kettenduldungen“, also die teils Jahre andauernde Praxis der Erteilung von Duldungen wegen kontinuierlicher Unmöglichkeit einer Abschiebung ohne Aussicht auf Erlangung eines rechtmäßigen Aufenthalts.
Diesem Phänomen versuchte man, durch die Vorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG zum Aufenthalt aus humanitären Gründen zu begegnen (vgl. hierzu die Bundesregierung, 2003), der jedoch die Erwartung einer umfassenden Bewältigung des Problems nur partiell erfüllen konnte (anders aber Daniel Thym, S. 5 f.). Das Thema blieb präsent und führte zur Formulierung einer ausdrücklichen, stichtagsabhängigen „Bleiberechtsregelung“ für faktisch integrierte Ausländer im Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006. Das Grundkonzept des Beschlusses wurde später gesetzlich in Form der neuen §§ 104a und 104b AufenthG übernommen. Zum 1.1.2009 trat die Regelung des § 18a, zum 1.7.2011 die Regelung des § 25a AufenthG zum Bleiberechtskomplex hinzu.
So entstand in den vergangenen Jahren ein umfangreiches Regelungsgemenge, das weder den Schutzbedürfnissen der Betroffenen gerecht wird noch, wegen der Stichtagsabhängigkeit des § 104a AufenthG, zukunftsfähig erscheint. Jetzt soll das stichtagsabhängige Bleiberecht einer im Grundsatz dynamischen Regelung weichen: § 25b AufenthG. Bereits am 22.3.2013 hatte der Bundesrat einen Entwurf vorgelegt, der jedoch vom Bundestag am 27.6.2013 abgelehnt wurde (zum Vorgang). Die wesentlichen Punkte wurden im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 29.12.2014 aufgegriffen.
Inhalt der zukünftigen Regelung des § 25b AufenthG-E
Abs. 1 sieht im Wege einer Soll-Vorschrift die Option auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zugunsten Geduldeter bei nachhaltiger Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland vor, wobei Satz 2 bestimmte Regelvoraussetzungen für die Erteilung formuliert, während Satz 1 Raum für Einzelfallentscheidungen aufgrund anderweitig nachweisbarer Integrationsleistungen belässt. Abs. 2 hingegen benennt umgekehrt Ausschlussgründe. Abs. 3 formuliert Ausnahmen von bestimmten Voraussetzungen des Abs. 1 auf Grund bestimmter persönlicher Defizite. Abs. 4 erstreckt den Anspruch des Abs. 1 Satz 2 auf bestimmte Konstellationen des Familiennachzugs. Zuletzt enthält Abs. 5 einige Folgen und Wirkungen der Aufenthaltserteilung..
Lob…
Bevor wir zu den kritikbedürftigen Passagen des Entwurfs vordringen, ist zunächst grundsätzlich zu begrüßen, dass es nun endlich zu gelingen scheint, eine konsensfähige Regelung zur Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration von über längere Zeiträume geduldeten Ausländern zu schaffen. Der konkrete Entwurf ist vor allem insofern positiv zu bewerten, als sich der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung der Regelung weiter von dem Erfordernis einer wirtschaftlichen Integration entfernt und sich stärker einer sozio-kulturellen Integration zuwendet. Dieser Richtungswechsel wird den Realitäten eines Lebens mit der Duldung gerecht.
…und Tadel
§ 25b AufenthG-E weist jedoch relevante, rechtssystematische Mängel auf. Drei dieser Mängel möchten wir an dieser Stelle identifizieren, um sodann Vorschläge für ihre Ausbesserung zu unterbreiten. Der Beitrag kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, zu darüber hinausgehenden Anmerkungen sei auf die umfassenden Stellungnahmen der Verbände und Experten verwiesen.
§ 25b AufenthG wird durch die Neufassungen der Einreise- und Aufenthaltsverbote des § 11 AufenthG konterkariert
Einer der Hauptkritikpunkte der meisten Verbände liegt nicht in § 25b AufenthG-E selbst, sondern in dessen Zusammenspiel mit der Neufassung des § 11 AufenthG-E. Allgemein soll es durch die Reform zu einer erheblichen Ausweitung der Möglichkeiten zur Erteilung von Einreise- und Aufenthaltsverboten kommen (s. dazu den Beitrag von Carsten Hörich). § 25b AufenthG-E muss insofern in direktem Zusammenhang mit § 11 Abs. 6 Satz 1 AufenthG-E gelesen werden, der besagt:
„Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich.“
Um die besonderen Folgewirkungen dieses Absatzes für einen Geduldeten zu verstehen, ist das Rechtsinstitut der Duldung kurz zu erläutern. Die Duldung ist – laut § 60a AufenthG – die (vorübergehende) Aussetzung der Abschiebung (von vollziehbar ausreisepflichtigen Personen). Sie wird den Betroffenen gewährt, wenn eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und verleiht ihnen eine Art „Bleibeschutz“ bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die ihre Abschiebung hindernden Umstände nicht mehr bestehen. Sie ist aber gerade kein Aufenthaltstitel und begründet keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Daraus folgt nach § 60a Abs. 3 AufenthG vor allem das Bestehenbleiben der „Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist“ und deren Vollziehbarkeit. Für einen Geduldeten, dessen Interesse ja gerade nicht in einer Ausreise liegt, kommt es somit qua Gesetz zwangsweise zu einem Verstoß gegen eine Ausreiseverpflichtung (innerhalb der grundsätzlich gemäß § 59 AufenthG vorgegebenen Ausreisefrist). Eine Ausreise wird allerdings zumeist nicht nur den tatsächlichen Interessen der Betroffenen diametral entgegenstehen, sie würde nach § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG vielmehr sogar dazu führen, dass die „Aussetzung der Abschiebung […] mit der Ausreise des Ausländers“ erlischt.
Mit § 11 Abs. 6 Satz 1 AufenthG-E und dessen Anknüpfung an den Verstoß gegen die Ausreisepflicht würde somit zukünftig eine Rechtsgrundlage zur Erteilung von Einreise- und Aufenthaltsverboten geschaffen, die im Grunde alle Geduldeten erfassen würde. Zwar würde man diese Verbote befristen müssen, vgl. § 11 Abs. 6 Satz 3 AufenthG-E, allerdings soll der Fristlauf nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG-E weiterhin erst mit der eigentlichen Ausreise beginnen, sodass es mangels Ausreise praktisch nie zu einem Fristablauf kommen würde. (Zu der Frage, warum sich das Problem auch nicht über den neuen § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG-E und den Entfall der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht lösen ließe, s. Stellungnahme von ProAsyl, S. 11 f.) Letztlich würde dies für die Betroffenen zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass ihnen gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG-E trotz Rechtsanspruchs wegen fortbestehender Einreise- und Aufenthaltsverbote gerade kein Aufenthaltstitel nach § 25b AufenthG-E erteilt werden dürfte (vgl. bereits die Kritik von Pro Asyl zum Referentenentwurf, S. 4).
Der Bundesregierung ist dieses Spannungsverhältnis sehr wohl bewusst. So versucht sie dem Problem in ihrer Begründung zum aktuellen Entwurf auf mehreren Ebenen zu begegnen. Zum einen wird versucht, unter Verweis auf das Verschuldenserfordernis in § 11 Abs. 6 Satz 1 AufenthG-E das Konfliktpotential zu relativieren. Diese Argumentation wird jedoch der Praxis der Behörden und der Rechtsprechung nicht gerecht, die an das Fehlen des Verschuldens aktuell einen extrem hohen Maßstab anlegen (s. Stellungnahme von ProAsyl, S. 12 f.), sodass dieses Erfordernis letztlich kein hinreichendes Korrektiv darstellen würde. Letztlich müsste die Vorschrift um die Aussage, dass „bei Vorliegen von Duldungsgründen“ kein Verbot erteilt werden dürfte, ergänzt werden.
Zum anderen argumentiert sie, dass dem Problem über die Anwendung des § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG-E begegnet werden könne:
„Eine Aufhebung oder Verkürzung eines möglicherweise bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots ist regelmäßig vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Absatz 1 vorliegen (vgl. die Begründung zu § 11 Absatz 4 Satz 1).“ (S. 53 unter Verweis auf S. 43 f.)
Es bleibt jedoch unverständlich, warum diese Sachverhalte einer Ermessensentscheidung der Behörden im Einzelfall überlassen sein sollten. Dies wurde auch in den Empfehlungen der Ausschüsse an den Bundesrat zu Recht angemerkt, in die Stellungnahme des Bundesrates später jedoch nicht übernommen. Die Unschädlichkeit der Verbote nach § 11 AufenthG-E in Konstellationen der Bleiberechtsregelungen sollte jedoch in dieser Klarheit auch in den eigentlichen Gesetzestext aufgenommen werden, um die Behörden bereits gesetzlich zu binden. Wünschenswert wäre beispielsweise eine Ergänzung des § 11 Abs. 4 AufenthG-E um einen neuen Satz 2:
„Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 Kapitel 2, insbesondere nach §§ 25 Abs. 4a bis 5, 25 a und 25 b dieses Gesetzes vorliegen.“ (So bereits die Forderung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, S. 5)
Fazit
Mit Blick auf das Zusammenspiel zwischen § 25b und § 11 AufenthG-E bestehen zahlreiche Anknüpfungspunkte für Revisionen, die ganz unterschiedlich ausgestaltet werden könnten. Selbst die Infragestellung der Daseinsberechtigung und Rechtmäßigkeit des § 11 Abs. 6 AufenthG-E an sich ist legitim. Unverkennbar ist jedoch, dass ohne entsprechende Änderungen und Klarstellungen die Geeignetheit der Normensystematik der §§ 11 und 25b AufenthG-E zur Abschaffung der Problematik der „Kettenduldungen“ an sich in Frage stünde.
Dieser Beitrag ist Teil der Schwerpunktwoche „Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung”.