von ANDREA KIEßLING
Im April wurde ein Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium bekannt, der einen ersten Vorschlag für eine Reform des Ausweisungsrechts enthielt. Der Entwurf, der im Ergebnis eine Verschärfung des Ausweisungsrechts bedeutet hätte, wurde mittlerweile überarbeitet; gestern hat das Kabinett eine neue Version beschlossen. Auch wenn diese in einigen Punkten eine Verbesserung darstellt, gibt es weiterhin Anlass zur Kritik. Das gilt auch für einzelne Punkte der Begründung des Entwurfs, die einen interessanten Einblick in das Verständnis der Verfasser davon gewähren, zu welchem Rechtsgebiet das Ausweisungsrecht gehört.
Der Hintergrund
Anlass der Reform des Ausweisungsrechts ist die Rechtsprechung des EGMR, die – rezipiert durch BVerfG und BVerwG – dazu geführt hat, dass das Rechtsfolgensystem des geltenden Ausweisungsrechts nicht mehr nach dem Wortlaut des Gesetzes („zwingend“, „in der Regel“, „kann“) angewendet wird, sondern bei faktischen Inländern immer eine Ermessensausweisung erfordert (ausführlicher habe ich das hier beschrieben). Der Gesetzgeber versucht nun, ein Ausweisungssystem zu schaffen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für alle Ausweisungen vorschreibt. Er gibt den Ausländerbehörden dafür Beispiele für „Ausweisungsinteressen“ und „Bleibeinteressen“ an die Hand, die miteinander abgewogen werden müssen.
Ermessensvorschrift mit zwingender Rechtsfolge
Die neue Version des Reformvorschlags übernimmt die Generalklausel für die Ausweisung aus dem alten Entwurf (§ 53 I AufenthG-E), die Terminologie wird lediglich dem Polizei- und Ordnungsrecht angeglichen. Statt „die öffentliche Sicherheit und Ordnung […] beeinträchtigt oder gefährdet“ soll es nun nur noch „die öffentliche Sicherheit und Ordnung […] gefährdet“ heißen (was der bereits herrschenden Auslegung in Rechtsprechung und Literatur zu dem bislang in § 55 I AufenthG allein verwendeten Begriff „beeinträchtigt“ entspricht). Die weitere Ausgestaltung der Norm war bereits in der ersten Version ungewöhnlich: Anders als im Verwaltungsrecht bei Ermessensentscheidungen üblich werden nicht im Tatbestand die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geprüft und auf Rechtsfolgenseite die öffentlichen und privaten Interessen über eine „kann“-Regelung miteinander abgewogen. Vielmehr ist die Norm so aufgebaut, dass der Tatbestand außer der Gefährdung der Schutzgüter noch die Abwägung der Interessen enthält. Kommt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen überwiegen, ist die Ausweisung dann zwingend („wird ausgewiesen“) vorzunehmen. Hierauf wird noch zurückzukommen sein.
Verbesserungen
Die neue Version belässt es bei den grundsätzlichen Verschärfungen bei den terrorismus- und extremismusbezogenen Ausweisungsgründen. An anderen Stellen wird jedoch eine Entschärfung angestrebt. Dies gilt auch für die Begründung. Sprach die alte Fassung noch davon, dass die „Ausweisung von Ausländern“, die gravierende Rechtsverstöße begangen haben, „erleichtert“ werden würde, heißt es nun, dass die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten die „Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern“ solle. An einigen Punkten des Gesetzestexts wurde konkret nachgebessert, so wurde z.B. § 55 III AufenthG-E der ersten Version gestrichen, der Bindungen des Ausländers in den Heimatstaat bei der Abwägung für ihn negativ ins Gewicht fallen ließ. Das wird allerdings in der Begründung der neuen Version relativiert, die solche Bindungen als ein Beispiel für eine Verstärkung des Ausreiseinteresses nennt. Es soll nicht mehr jede Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gem. § 54 I Nr. 1 AufenthG-E begründen, gefordert wird nun eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren. Im Vergleich zur jetzigen Regelung stellt dies jedoch immer noch eine Verschärfung dar.
Von Gästen und Straftätern
So wichtig es ist zu überprüfen, ob der Gesetzgeber nun endlich den Vorgaben von EGMR, BVerfG und BVerwG Rechnung trägt, möchte ich in diesem Beitrag den Blick auf eine andere interessante Begebenheit lenken: Es scheint, als habe ein Strafrechtler die Begründung des Entwurfs an einigen Punkten überarbeitet. Auffallend war zunächst am alten Entwurf, dass die hohe Bedeutung, die gravierende vorsätzliche Rechtsverstöße ausweisungsrechtlich haben sollen, u.a. damit begründet wurden, dass der Ausländer „seinen Status als Gast missbraucht“ habe (S. 45) – eine befremdliche Formulierung, waren Anlass für die Reform doch letztlich die faktischen Inländer, die oft keinerlei Bindungen zum Herkunftsstaat der Eltern haben und Deutschland als ihre Heimat betrachten. Von ihnen als „Gäste“ zu sprechen, zeugt zum einen von einer sehr überholten migrationspolitischen Auffassung: Der Begriff klingt nach einer gnädigen Tolerierung im Bundesgebiet, dabei ist der Aufenthalt von Ausländern über Art. 2 I GG geschützt (dies stellte das BVerfG schon 1973 klar). Zum anderen ist die Formulierung „Missbrauch des Gastrechts“ historisch belastet: Mit ihr wurde insbesondere in der Nazizeit und – begleitet oder bedingt durch die Fortgeltung der Ausländerpolizeiverordnung aus dem Jahr 1938 bis 1965, die eine Ausweisung ermöglichte, wenn der Ausländer „der ihm gewährten Gastfreundschaft [nicht mehr] würdig“ war – in den 1950er und 60er Jahren argumentiert.
Diese heikle Begründung fehlt nun in der neuen Version. Dafür stolpert man beim Lesen immer wieder über – in der alten Version noch nicht vorhandene – Begriffe, die auf ein strafrechtliches und nicht gefahrenabwehrrechtliches Verständnis des Ausweisungsrechts schließen lassen. Ganz allgemein werden die Beispiele für besonders schwer wiegende Ausweisungsgründe damit umschrieben, dass ein „erhebliches Fehlverhalten“ des Ausländers vorliege (S. 35). Bei Sachverhalten mit terroristischem oder extremistischem Bezug soll der Ausländer die Möglichkeit der „Exkulpation“ haben (S. 35, 36 (2x)). An anderer Stelle ist vom „Vorsatz“ des Ausländers die Rede (S. 37).
Ein Fehlverhalten ist etwas anderes als eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Es enthält eine moralische Bewertung des Verhaltens des Ausländers, unabhängig davon, welche Auswirkungen konkret für die (Sicherheit der) Gesellschaft zu befürchten sind. „Exkulpieren“ kann sich nur jemand, der sich schuldig gemacht hat – Schuld ist aber keine gefahrenabwehrrechtliche Kategorie. Bislang werden die Regelungen, die nun mit „Exkulpation“ umschrieben werden, als Beweislastregelung verstanden – kann die Ausländerbehörde beweisen, dass sich der der Ausländer terroristisch betätigt hat, wird es dem Ausländer ermöglicht zu beweisen, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht, weil er z.B. dem Terrorismus mittlerweile abgeschworen hat (vgl. z.B. jetzt schon § 5 IV 2 AufenthG). Warum wird eine bereits bekannte Regelung neu begründet? Auch der Begriff „Vorsatz“ hat im Gefahrenabwehrrecht keinen Platz. Strafrechtliche Begriffe lassen den Ausländerrechtler aber aufhorchen – soll nun gar die Ausweisung eine Strafe darstellen? Dass in der Praxis die meisten Ausgewiesenen Straftäter sind, bedeutet jedenfalls nicht, dass strafrechtliche Maßstäbe an das Ausweisungsrecht anzulegen wären.
Die „Neubescheidung über die Ausweisung“
Dass der Entwurf außerdem weder in der alten noch in der neuen Version von einem Verwaltungsprozessrechtler gelesen wurde, zeigt die Begründung, die für den verwaltungsrechtlich ungewöhnlichen Aufbau der Generalklausel (zur Erinnerung: Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung + Verhältnismäßigkeit als Tatbestandsvoraussetzungen, zwingende Ausweisung als Rechtsfolge) gegeben wird: Diesen Aufbau habe man gewählt, damit die Abwägung durch die Behörde gerichtlich voll überprüfbar sei. Man wolle eine „gerichtliche Verpflichtung der ausweisenden Behörde zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts“ vermeiden. Diese Konstellation umschreibt prozessual die Verpflichtungsklage – gegen eine Ausweisung sollte sich der Ausländer jedoch mit einer Anfechtungsklage wehren. Die Verwaltungsgerichte werden die Ausweisungsverfügungen der Ausländerbehörden in Zukunft sicher nicht intensiver prüfen als bislang; der Gesetzgeber könnte „gefahrlos“ eine Generalklausel schaffen, die dem üblichen Aufbau einer verwaltungsrechtlichen Ermessensvorschrift folgt.
Alte und neue Version enthalten zahlreiche Kuriositäten. Zu hoffen bleibt, dass die ein oder andere im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch gestrichen wird.