von JUWISS-REDAKTION
Seit 2008 erlaubt es das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) Studierenden, unter Anleitung von Volljurist*innen eine spezielle Form der Rechtsberatung anzubieten. Im Bereich des Migrationsrechts haben sich seither ca. 30 Projekte in ganz Deutschland gegründet, von denen sich viele den Namen „Refugee Law Clinic“ (RLC) gegeben haben. Diese Einrichtungen, die aktuell bereits schätzungsweise ca. 3000 studentische Migrationsrechtsberater*innen hervorgebracht haben und weiter stetig wachsen, waren bereits auf den Tag genau vor einem Jahr Gegenstand eines Schwerpunkts hier auf dem JuWissBlog. Nunmehr ist es im September 2016 gelungen, die gemeinsamen Anstrengungen der RLCs in einem Dachverband mit dem Namen „RLCs Deutschland“ zu bündeln – allemal Grund genug für den JuWissBlog, die RLCs wieder in den Fokus zu rücken. Das nachfolgende Interview mit zwei Vorstandsmitgliedern des frisch gegründeten Vereins, Laura Hilb (RLC Gießen) und Christoph König (RLC Berlin), gibt Aufschluss über Motive, Zielsetzungen und Nutzen des RLC-Dachverbandes.
Laura und Christoph, ihr gehört beide dem Gründungsvorstand des RLCs Deutschland e.V. i. Gr. an. Wie kam es zu der Gründung des Dachverbandes der deutschen Refugee Law Clinics?
Laura Hilb (LH): Erste Bestrebungen gab es bereits bei einem ersten Vernetzungstreffen 2014 in Köln. Hintergrund war, dass sich immer mehr RLCs an verschiedenen Standorten gründeten, die auf die Erfahrungen der bereits etablierten angewiesen waren. So gründete sich zunächst das Refugee Law Clinic Network. Bei weiteren in Weingarten und in Kooperation mit der Akademie Rottenburg-Stuttgart stattfindenden Vernetzungstreffen wurde zunehmend deutlich, dass ein loses Netzwerk nicht ausreicht, um eine wirkliche Stimme zu bekommen und als Bewegung wahrgenommen zu werden.
Christoph, welche Zielsetzungen verfolgt ihr mit dem Dachverband? Was ist der Vorteil für die teilnehmenden RLCs?
Christoph König (CK): Der Dachverband soll vor allem Ansprechpartner für alle RLCs in Deutschland für strukturelle, organisatorische und strategische Fragen sein und sich dafür einsetzen, Law Clinics zu institutionalisieren und zu professionalisieren. Nachdem bereits so viele RLCs gegründet und aufgebaut wurden, ist es nun Zeit, darüber nachzudenken, welche verschiedenen (Ausbildungs-) Elemente der RLCs sich als tragfähig erwiesen haben und welche weniger. Davon kann jede RLC profitieren und so ihren Mitgliedern ein Curriculum anbieten, das mit deren Bedürfnissen übereinstimmt. Dazu sollen gemeinsam Qualitätskriterien erarbeitet werden. Der Dachverband soll die RLCs unterstützen, Fortbildungen, Schulungen und Konferenzen anzubieten, damit diejenigen, die daran teilnehmen, das Wissen in „ihre“ RLC tragen und so als Multiplikator*innen wirken. Dieses Angebot soll sich nicht nur an Studierende, sondern auch Lehrende und die Ausbildenden richten.
LH: Sehr viele RLCs haben sehr viele Ausbildungs-, Fortbildungs- und Beratungsmaterialien, die in einem Intranet gesammelt und allen RLCs zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese sollen durch den Dachverband aktualisiert und fehlende Materialien neu erstellt werden. So können vor allem sich neu gründende RLCs bereits auf einen Wissenspool zurückgreifen, der eine erhebliche Arbeitserleichterung darstellt. Es soll auch ein Pool errichtet werden, bei dem sich Praktiker*innen, Wissenschaftler*innen eintragen können, wenn sie bereit wären, Studierende in ihrer Ausbildung zu unterstützen. So kann der Dachverband bei Anfrage durch eine RLC direkt Lehrende vermitteln.
Der Dachverband will sich langfristig dafür einsetzen, dass RLCs an den Universitäten etabliert werden. Das bedeutet konkret, dass sie auch die notwendigen Ressourcen von der Universität zur Verfügung gestellt bekommen, damit die Qualität der Ausbildung und Beratung sichergestellt bleibt und auch die Kontinuität der einzelnen RLCs gewährleistet bleibt. Die Mitglieder sollen sich auf die Ausbildung und die Beratung konzentrieren können, denn so kann das Angebot an Rechtsberatung noch weiter ausgedehnt werden.
CK: Ein sehr wichtiger Punkt ist auch, dass nunmehr relevante Netzwerke beim Dachverband gebündelt werden sollen. Das bedeutet, dass vor allem die engagierte Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Studierendenschaft, Anwält*innen- und Richter*innenschaft und sonstige staatliche Stellen stärker zusammengebracht werden sollen, um mehr Transparenz und Verständnis für die Arbeit der anderen entsteht. Gerne würden wir auch endlich noch stärker mit Law Clinics aus anderen europäischen Staaten zusammenarbeiten.
Was ist eure persönliche Motivation, euch im Vorstand des Dachverbandes zu engagieren?
LH: Ich finde es wichtig, dass die Universitäten sich endlich dem Ausbildungsprogramm einer Law Clinic annehmen und es als ihre Pflicht wahrnehmen, Studierende praxisnäher auszubilden. Der Dachverband kann ein Katalysator dafür sein. Wünschenswert wäre es auch, wenn das Migrationsrecht einen anderen Stellenwert, vor allem in der juristischen Ausbildung erhalten würde. Außerdem können die RLCs durch einen stärkeren Austausch voneinander lernen und vor allem sich neu gründende RLCs unterstützen. So werden neue Ressourcen der einzelnen Standorte frei, die in anderen Bereichen sinnvoll eingesetzt werden können.
CK: In den letzten Jahren hat sich die Berliner RLC zu einem Projekt entwickelt, mit dem ich mich auch persönlich identifizieren kann. Ich halte eine RLC gerade jetzt für ein wertiges Projekt, dass noch lange nicht sein volles Potential erreicht hat. Bei der Weiterentwicklung meiner lokalen RLC ist die Vernetzung und Vergemeinschaftung ein elementarer Punkt – mich für den Dachverband einzusetzen war quasi logisch zwingend.
Wo steht ihr momentan mit dem Aufbau des Vereins?
CK: Die Vereinseintragung wurde beantragt, am vergangenen Wochenende haben wir uns erstmals zu einer Vorstandstagung in Frankfurt getroffen – bei einem achtköpfigen, über ganz Deutschland verteilten Vorstandsteam nicht ganz einfach. Gerade arbeiten wir an einem Konzept, wie der Dachverband ausgestaltet sein sollte und welche Aufgaben er übernehmen kann und soll. Dieses Konzept soll die Grundlage für Förderanträge sein. Wir besetzen außerdem gerade unseren wissenschaftlichen Beirat, der unsere Arbeit begleiten und supervidieren soll.
Mit wem kooperiert ihr und wie breit seid ihr vernetzt?
LH: Dadurch dass viele unserer Vorstandsmitglieder sich schon lange in Law Clinics engagieren, haben wir bereits viele regionale, bundesweite, aber auch internationale Kontakte, die uns mit ihrer Expertise im Aufbau unterstützen. Dazu zählen nicht nur Staatsministerin Özoğuz, die bereits im letzten Jahr die Schirmherrschaft für u.a. die RLC Gießen übernommen hat, sondern auch etwa die Robert-Bosch-Stiftung, mit der wir uns aktuell in Finanzierungsgesprächen befinden, Flüchtlingsräte, Anwält*innen, Wissenschaftler*innen, das Netzwerk Migrationsrecht, das European Network of Clinical Legal Education (ENCLE), karitative Einrichtungen wie die Caritas oder Diakonie, der Informationsverbund Asyl und Migration und vor allem die Katholische Akademie Rottenburg-Stuttgart, die uns bereits seit Jahren in unseren Vernetzungsbemühungen wesentlich unterstützt.
Und wo soll die Reise im kommenden Jahr hingehen? Was sind eure „Meilensteine“ für 2017?
LH: Wir sind gerade auf der Suche nach Räumen bzw. einem Arbeitsplatz, um eine Geschäftsstelle für den Dachverband einzurichten. Dort sollen dann quasi alle Fäden zusammenlaufen. Inhaltlich steht bereits im April eine Schulung der „RLCs Süd“ in Weingarten an, deren Teilnehmende sowohl im materiellen Flüchtlingsrecht, als auch in einer sensiblen Gesprächsführung fortgebildet werden sollen. Im September 2017 findet unser drittes bundesweites Vernetzungstreffen statt, bei dem wir die Bedürfnisse und Defizite in RLCs bereits sammeln wollen, um die anstehende Evaluation der einzelnen RLCs vorzubereiten.
Laura, welche positiven Auswirkungen versprichst du dir für die RLC Gießen – den RLC-Standort, den du als wissenschaftliche Mitarbeiterin betreust?
LH: Wir erhoffen uns eine noch stärkere Sichtbarkeit innerhalb der Universität, aber auch in der Gesellschaft, Wissenschaft und anderen wichtigen Akteur*innen in diesem Bereich. Wir würden auch von gezielt aufbereiteten Materialien profitieren, die wir unseren Studierenden zur Verfügung stellen könnten. Zudem sind sicherlich auch viele Ideen anderer RLCs für uns interessant, die wir in unser Curriculum integrieren und so auch stetig die Ausbildung weiterentwickeln könnten.
Insgesamt denke ich mir immer wieder: Es gibt so viele engagierte Studierende in den RLCs (soweit ich das überblicke, sind es ca. 3000); da steckt so viel Potential drin, um gemeinsam tolle Projekte zu verwirklichen, die eine RLC alleine nicht stemmen kann! Dabei denke ich beispielsweise an das Unterstützen von Anwält*innen bei strategischer Prozessführung im Flüchtlingsrecht, aber auch an andere Projekte. Die einzelnen RLCs müssen aber zunächst in organisatorischer, finanzieller Sicht entlastet werden, damit sie sich solchen größeren Projekten widmen können.
Und du Christoph, welche positiven Auswirkungen versprichst du dir für die RLC Berlin – den RLC-Standort, den du als Vorsitzender betreust?
CK: Ich denke, dass die RLCs in Deutschland mittlerweile an einem entscheidenden Punkt stehen; die Berliner RLC hat einen solchen jedenfalls erreicht. Wir sind in Größe, Kompetenz und Verantwortung über die Grenzen einer einfachen Initiative für Ehrenamtliche hinaus. Vom Dachverband verspreche ich mir Strukturen und Möglichkeiten, in denen die Berliner RLC ihre Arbeit weiter ausbauen kann.
Vielen Dank euch beiden für das Gespräch!
Das Interview führte Maximilian Oehl. Mehr Informationen zum Dachverband findet ihr unter rlc-deutschland.de bzw. dem Twitter-Account des Vereins @lawclinics.