von JASPER FINKE
Am 18. April hat der Bundestag dem umstrittenen Rettungspaket zugestimmt. Kurz zuvor hatte Dietrich Murswiek noch in einem Gastbeitrag für die SZ in deutlichen Worten vor einer solchen Entscheidung gewarnt. Der Bundestag müsse seine Zustimmung verweigern, da das Rettungspaket unrechtmäßig sei. Doch ist es wirklich so schlimm, wie Murswiek behauptet? Gerieren sich die „Rettungspolitiker“ wie „absolutistische Potentaten, die ohne jede Rechtsbindung handeln […] und für die die Bestimmungen des ESM Vertrages nichts als bedrucktes Papier sind“?
Die Antwort, so unbefriedigend sie auch sein mag, ist ein skeptisches Vielleicht. Dabei handelt es sich nicht um Entscheidungsschwäche, sondern in ihr tritt das eigentliche Grundproblem zu Tage. Welchen Anforderungen müssen prognostische Entscheidungen genügen, die in von Dynamik geprägten Situationen unter erheblicher Unsicherheit gefällt werden? Stellt man diese Frage im Kontext der Zypern-Hilfen, zeigt sich, dass die Antwort keineswegs so einfach ist, wie im SZ-Beitrag behauptet wird – zumindest nicht in Bezug auf die materielle Rechtslage.
Stabilitätshilfen und deren Unabdingbarkeit
Ausgangspunkt der Diskussion ist Art. 12 I ESM-Vertrag. Danach kann der ESM unter strengen Auflagen Stabilitätshilfen gewähren. Voraussetzung ist jedoch, dass diese zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar sind. Murswiek weist zu Recht darauf hin, dass man von einer Unabdingbarkeit eigentlich nur dann sprechen kann, wenn sich diese anhand von Zahlen und Fakten nachweisen lässt. Diese Voraussetzung sei jedoch nicht erfüllt, da sich Kommission und EZB in ihrer Einschätzung allein auf „spekulative Vermutungen“ und „psychologische Erwägungen“ stützen würden. Zypern sei ein Paradebeispiel dafür, dass gerade kein systemisches Risiko vorliege.
Zypern als Systemrisiko – das Problem von Zahlen und Fakten
Diese Begründung ist in vielerlei Hinsicht problematisch. So legt Murswiek z.B. keine Zahlen und Fakten vor, die seine zunächst einmal plausible Annahme belegen würde, dass Zypern ein Paradebeispiel für ein nicht vorliegendes Systemrisiko sei. Natürlich könnte man einwenden, dass er dies auch nicht muss. Schließlich muss die Unabdingbarkeit der Stabilitätshilfe nachgewiesen werden und nicht das mangelnde Systemrisiko Zyperns. Ein solcher Einwand verkennt jedoch den Ansatzpunkt der vorliegenden Kritik.
Murswiek misst mit zweierlei Maß. Er verlangt Fakten und Zahlen als Nachweise, stellt jedoch Behauptungen auf, die er selbst nicht belegt. Zwar verweist er auf die Wirtschaftskraft Zyperns und die relativ geringen Risiken im zypriotischen Bankensystem. Dabei handelt es sich jedoch nur um Annahmen. Und die sind genauso plausibel wie die von Kommission und EZB, wonach sich griechische Banken im Falle einer zypriotischen Insolvenz unmittelbar mit Vertrauensverlusten konfrontiert sähen und von einer Insolvenz insgesamt negative Signalwirkungen ausgingen.
Kausalitäten
Aber selbst wenn sich Murswieks Annahmen mit entsprechenden Daten stützen ließen, so sind sie für das eigentliche Problem der Unabdingbarkeit nicht zwingend relevant. Denn laut Art. 12 I ESM-Vertrag kommt es ausschließlich auf eine kausale Verbindung zwischen Stabilitätsbeihilfe und Finanzstabilität an. Entscheidend ist also, was ohne Stabilitätsbeihilfe geschehen würde. Würde der Euro-Währungsraum ohne entsprechende Hilfen destabilisiert? Natürlich sind die von Murswiek angeführten Faktoren relevant. Gleichzeitig sind es jedoch nur zwei Teile eines größeren Puzzles. So ist aufgrund der derzeitigen Nervosität der Märkte nicht ausgeschlossen, dass eine Insolvenz Zyperns eben doch den befürchteten Flächenbrand verursachen würde.
Was nicht sein darf…
Gerade dieses Argument will Murswiek anscheinend nicht gelten lassen. Zypern könne gar kein Systemrisiko sein, da sich die Vertragsstaaten andernfalls vorwerfen lassen müssten, „mit dem Artikel 12 ESM die Öffentlichkeit und auch den Gerichtshof der Europäischen Union getäuscht zu haben.“ Denn schließlich setze diese Vorschrift voraus, „dass es Fälle gibt, in denen ein Euro-Staat von Zahlungsunfähigkeit bedroht, aber die Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt nicht gefährdet ist.“ Was eine Vorschrift will oder voraussetzt und ob dieses Gewollte und Vorausgesetzte auch tatsächlich eintritt, sind jedoch zwei getrennte Paar Schuhe.
So ist offensichtlich, dass mit Art. 12 I ESM-Vertrag die Vorstellung einhergeht, dass nicht jede Insolvenz eines Euro-Staates zwangsläufig die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes gefährdet. Die Frage ist nur: Was ist die Konsequenz, wenn diese Hoffnung enttäuscht wird? Nehmen wir einmal an, dass aufgrund der angespannten Situation an den Finanzmärkten momentan jede Insolvenz eines Euro-Staates die Währungsstabilität der Euro-Zone grundlegend gefährdet. Folgt daraus, dass die Vertragsstaaten getäuscht haben? Nein, zumindest nicht zwingend, da der Vorwurf nur gerechtfertigt wäre, wenn die Staaten dies bei den Verhandlungen des ESM-Vertrages bereits positiv gewusst haben. Aber selbst wenn sie geahnt haben, dass es im Falle der Zuspitzung der Krise zu einer solchen Situation kommen kann: Hat dies zur Folge, dass Zypern ein Paradebeispiel für ein nicht bestehendes Systemrisiko ist? Wohl kaum. Denn schließlich handelt es sich dabei um eine tatsächliche und nicht eine normative Frage.
Aus diesem Grund läuft auch Murswieks Einwand ins Leere, die Argumentation von Kommission und EZB habe zur Folge, dass es solche Fälle nicht geben könne. Angenommen, die Argumentation von Kommission und EZB ist richtig: dann würde zwar momentan jede Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Staates auch die Euro-Zone destabilisieren. Dieser Kausalzusammenhang ist jedoch zeitgebunden. Dementsprechend ist auch der Hinweis, dass „ein Vertrag nicht so ausgelegt werden dürfe, dass seine Vorschriften ihren Anwendungsbereich verlieren“, irrelevant. Denn schließlich geht es nicht um die Auslegung der Norm, sondern um ihre Anwendung. Sollten die Annahmen der Kommission richtig sein, dann ist Zypern derzeit systemrelevant. Ob dies in vier Jahren immer noch so wäre, steht auf einem völlig anderen Blatt Papier.
Worum es eigentlich geht
Dies verdeutlicht nun endgültig, worum es in dem ganzen Streit wirklich geht: Was heißt unabdingbar, wenn wir die Situation, in der wir im nachhinein positiv wüssten, dass Stabilitätshilfen unabdingbar gewesen wären, unbedingt vermeiden wollen? Es bedeutet zunächst einmal, dass entsprechenden Einschätzungen immer auch ein spekulatives Element innewohnt. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich konstruieren wir nicht im Nachhinein zwingende Kausalzusammenhänge. Vielmehr erfordert die Situation eine prognostische Einschätzung hypothetischer Entwicklungen. Die Frage ist also nicht, ob wir Spekulationen überhaupt zulassen, sondern nur in welchem Umfang. Und weil der Begriff der Spekulation in den Ohren der meisten zu beliebig klingt, wird das Problem begrenzten Wissens lieber in Konzepte wie Einschätzungsprärogative und Beurteilungsspielraum eingekleidet.
Vor diesem Hintergrund stellen sich dann auch ganz andere Fragen. Genügen die Ausführungen von Kommission und EZB den Anforderungen des Art. 12 I ESM-Vertrag? Darf sich der Bundestag ohne eigene Prüfung diese Einschätzung aneignen? Hätte er besser daran getan, darauf zu bestehen, dass ihm das relevante Material vor der Abstimmung zur Verfügung gestellt wird? Die letzte Frage kann mit einem klaren Ja beantwortet worden. Natürlich ist eine informierte Entscheidung immer besser als der Glaube daran, dass die Einschätzung anderer stimmt. Folgt aus dieser Einschätzung jedoch die Unrechtmäßigkeit der Zustimmung? Einmal davon abgesehen, dass dies nichts mit der Frage zu tun hat, ob die Voraussetzungen des ESM-Vertrages für Stabilitätshilfen erfüllt sind, ist die Antwort alles andere als eindeutig.
Murswiek scheint davon auszugehen, dass die Daten, auf denen die Einschätzung der Unabdingbarkeit basieren, notwendige Voraussetzung dafür sind, dass der Bundestag seiner Budgetverantwortung nachkommen kann. Diese Annahme strapaziert das Konzept der Budgetverantwortung nicht nur über Gebühr. Vielmehr wird dadurch eine umfassende Überprüfungskompetenz des BVerfG konstruiert. Ob die Hilfspakete gemessen am ESM-Vertrag rechtmäßig sind, fällt eigentlich nicht in den Kompetenzbereich des Gerichts. Wird jedoch die Budgetverantwortung daran geknüpft, dass Daten die Unabdingbarkeit der Stabilitätshilfe belegen, müsste das Gericht letztlich überprüfen, ob diese Daten vorliegen und ob sie den Schluss der Unabdingbarkeit zulassen.
Unabhängig davon bleibt die Frage, ob die Zypern-Hilfen tatsächlich unabdingbar sind. Bei der Beantwortung dieser Frage ist unter dem Stichwort „alles Recht ist situativ“ zu berücksichtigen, dass die Entscheidung in einer Krisensituation getroffen werden muss. Warum ist das relevant? Krisen sind geprägt von Unsicherheiten, Entscheidungszwang, Zeitdruck und Dynamiken. Unter diesen Umständen lassen sich Kausalitäten noch viel schwieriger nachweisen als sonst. Diese Abhängigkeit von den tatsächlichen Umständen ist zu offensichtlich als dass man sie wegdiskutieren kann und zwar unabhängig davon, ob man die Zypern-Hilfen gutheißt oder nicht.
Ob es sich bei der Einschätzung von EZB und Kommission tatsächlich um eine von Daten losgelöste Annahme handelt, ist derzeit unklar. Sollte Murswiek mit diesem Vorwurf Recht haben, so ist auch seine Schlussfolgerung richtig, dass sich Rettungspaket und ESM-Vertrag unversöhnlich gegenüberstehen. Dies gilt zumindest unter der Voraussetzung, dass nachgeschobene Daten eine entsprechende Einschätzung nicht rechtfertigen bzw. ein Nachschieben solcher Daten als unzulässig verworfen wird.
Liegt der Bewertung jedoch eine datenbasierte Einschätzung zu Grunde, ließe sich allenfalls über deren Richtigkeit streiten sowie über die Frage, ob sich der Bundestag dieser Einschätzung anschließen konnte, ohne sie zu überprüfen. Diese Fragen haben jedoch nichts mit dem alarmistischen Vorwurf Murswieks zu tun, die Rettungspolitiker handelten wie absolutistische Potentaten. Dabei handelt es sich lediglich um Meinungsmache, die ein Ergebnis rechtfertigen soll – um mehr nicht.
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Lieber Jasper,
I beg to differ… Es geht in Art. 12 I ESM-Vertrag eben nicht „ausschließlich [um] eine kausale Verbindung zwischen Stabilitätsbeihilfe und Finanzstabilität.“
Dort steht “ Ist dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar, […] „. Unabdingbar bedeutet nach dem natürlichen Wortsinn, dass Hilfen gezahlt werden können, wenn andernfalls – also im Falle der Nichtzahlung, das Euro-Währungsgebiet finanziell instabil würde. Das kleine Wort „unabdingbar“ bedeutet mithin unbedingt notwendig, nicht nur: „förderlich“. Vulgo: es geht nicht anders.
Was wird aber aus dieser dramatisch klingenden Bedingung? „Es geht nicht anders“ wird durch den angeführten „Einschätzungsspielraum“ (der aus „unabdingbar“ nicht unbegint hervorgeht) über „naja, man kann ja nie wissen“ und „vielleicht hilft’s“ zu: „Es könnte förderlich sein“. Damit wurde aus „unabdingbar für…“ „evtl. hilfreich für…“ und das, naja, das trifft so gut wie immer zu.
Es ist schon bezeichnend für die Umkehrung der Verhältnisse im Rahmen der sog. „Euro-“ („Zypern-„, „Griechendland-„) Rettung, dass Du dazu greifen musst, Herrn Murswiek, der ja sicherlich an der Quelle aller ESM-Dokumente sitzt, vorwerfen zu müssen, er könne nicht beweisen, dass Zypern NICHT systemrelevant sei. Dies stimmt aber mit der Stoßrichtung der übrigen Argumentation überein, denn (s.o.) aus „unabdingbar“ wurde eben: „vielleicht hilft’s“.
Nein, für „Unabdingbarkeit“ muss es schon etwas mehr sein, als „könnte helfen“.
Ich möchte zum Abschluss ein paar „Daten und Fakten“ anführen, die ich leider der öffentlichen
Domäne entnehmen musste: Die Hamburger Sparkasse hatte laut Geschäftsbericht 2012 eine Bilanzsumme von über 39 Mrd. €, die Bank of Cyprus eine solche von 32 Mrd. €: Würdest Du bei der Entscheidung, die Hamburger Sparkasse durch den ESM retten zu lassen, von einer „Unabdingbarkeit“ für die Stabilität des Euro-Währungsraums sprechen, weil einige Spekulanten die Haspa relevant finden könnten?
Was bedeutet die gegenteilige Entscheidung? Sie bedeutet, dass eine potentielle Entscheidung von Finanzinvestoren bestimmt, was in Europa völkerrechtlich gilt.
Lieber Christoph,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Denn er gibt mir Gelegenheit etwas klarzustellen, was im Blogbeitrag zu kurz gekommen ist. Mit der Behauptung, dass es ausschließlich um eine kausale Verbing zwischen Stabilitätshilfe und Finanzstabilität gehe, wollte nicht in Frage stellen, dass der Zusammenhang zwischen Hilfe und Stabilität unabdingbar sein muss. Ich wollte lediglich hervorheben, dass auch wenn die Annahmen von Herrn Murswiek hinischtlich Risiken und Wirtschaftskraft Zyperns stimmen, sie nicht zwingend gegen die Unabdingbarkeit sprechen, weil diese sich aus anderen Faktoren ergeben können, die Herr Murswiek als Spekulation bzw. psychologische Erwägungen abtut.
Deine Formulierung „Es geht nicht anders“ ist sehr hilfreich. Legen wir sie also zu Grunde. Wann ist es gerechtfertigt davon auszugehen, dass es nicht anders geht? Positiv wissen würden wir es nur, wenn die Hilfen nicht gezahlt werden und dann der Währungsraum destabilisiert wird. Dies gilt es jedoch zu vermeiden. Dementsprechend verlangt auch ein „Unabdingbar“ nur eine Prognoseentscheidung. Diese muss natürlich lauten, dass aufgrund der momentan verfügbaren Informationen davon ausgegangen wird, dass die Hilfe tatsächlich unabdingbar ist. Erfüllt die Entscheidung der Kommission und EZB diese Anforderungen? Behauptet haben sie die Unabdingbarkeit, plausibilisiert auch. Mit Zahlen untermauert? Nein, zumindest haben sie diese soweit ersichtlich nicht öffentlich gemacht.
Dies bringt mich zu der von dir beklagten Umkehrung der Verhältnisse. Mit meiner Kritik beziehe ich mich allein auf Murswieks Argumentation im Gastbeitrag der SZ. Und so finde ich es bezeichnend, dass er selbst keine Zahlen und Fakten nennt. Denn wenn er an der Quelle der ESM-Dokumente sitzt, warum sagt er dann nicht, dass die ihm vorliegenden Daten klar zeigen, dass Zypern nicht systemrelevant ist?
Der Vergleich zwischen den Bilanzsummen der Bank of Cyprus und der Haspa ist wirklich interessant. Aber auch hier stellt sich immer noch die Frage: welche Konsequenzen ziehen wir daraus? So müsste man zunächst nach den unterschiedlichen Verflechtungsgraden der Banken fragen und der Bedeutung für das jeweilige Finanz- und Wirtschaftssystem. Dementsprechend kann die Insolvenz der Bank of Cyprus das zypriotische Finanzsystem kollabieren lassen, während eine Insolvens der Haspa zwar ärgerlich aber letztlich irrelevant sein könnte.
Kollabiert das Bankensystem auf Zypern würde dies wohl zu einer Insolvenz der zypriotischen Staates führen, die wiederum einen „Flächenbrand“ auslösen könnte. Entscheidend ist also, ob die Daten und Fakten eine solche Konsequenz wahrscheinlich erscheinen lassen. Ist das der Fall, dann ist die Stbailitätshilfe unabdingbar, ansonsten nicht.
Ich kann zwar Deine abschließenden Unmut über die Abhängigkeit von Finanzinvestoren verstehen. Ich glaube jedoch, dass dies nichts mit der Geltung des Völkerrechts zu tun hat. Dies gilt als Recht unabhängig von den Entscheidungen der Finanzinvestoren. Sollten diese der Auffassung sein, dass eine Insolvenz Zyperns der Anfang vom Ende ist und dem Euro nicht mehr zu trauen ist, dann ist das ein relevanter Umstand für die Frage, ob eine Rettung unabdingbar ist. Ich mag diese Abhängigkeiten auch nicht. Aber wir können doch nicht behaupten, dass sie nicht existieren.
Ich kann nur dies sagen: unabdingbar heisst unabdingbar. und der bundestag hat mal wieder viel zu schnell entschieden. man kann mit hyperdifferenzierungen auch einfach interessen verdecken, wie im beitrag geschehen. wer aber in wessen interesse handelt, das will das publikum gerne wissen.
Ich denke über die Beurteilung der Systemrelevanz Zyperns kann man durchaus streiten, umso wichtiger scheint mir das zweite Argument Murswieks zu sein, indem er auf die Verfahrensseite abstellt und beanstandet, dass Gouverneursrat (und BTag) in einer Abstimmung über Hilfen und Auflagen entscheiden, obwohl Art. 13 ESMV hierfür ein gestuftes Verfahren nahelegt. Wenig überzeugend ist freilich die „Erpressungskulisse“, die Murswiek zeichnet. Allerdings scheinen mir die zwei Verfahrensstufen und damit die zweifache (zeitlich gestreckte) Zustimmung gerade dann sinnvoll, wenn man die Hilfen und v.a. die Auflagen im Bereich des „Politischen“ belässt und nur restriktive rechtliche Grenzen setzt.
Es ist ebenso bezeichnend wie beschämend, welche Pirouetten hier von jemandem gedreht werden, den man von Position und Titel her mit einem integren juristischen Fachmann verwechseln könnte, um den evidenten Rechtsbruch, den die sogenannte Zypern-Rettung markiert, zu retuschieren.
Den bizarren Gipfel der dargelegten Rechtsauffassung stellt die Forderung an Murswiek da „Zahlen und Fakten“ zu liefern. In Anbetracht der 0,2% Wirtschaftsleistung, die Zypern in der Euro-Zone erbringt, ist diese Lieferung leicht erbracht. Zu erbringen haben die „Zahlen und Fakten“ aber jene, die für dieses Rettungspaket entscheiden und dessen -laut Vertragstext- „Unabdingbarkeit“ nachweisen müssen. Belegt ist der Rechtsbruch bereits dadurch, dass dies nicht geschehen ist!
Murswiek muss nur diesen Umstand benennen um den Rechtsbruch aufzuzeigen und nicht etwa selber „Zahlen und Fakten“ liefern.
Um seinen fachlichen Offenbarungseid vollkommen zu machen, fügt der Autor dann noch die „Nervosität der Märkte“ in seinen konsistenzlosen argumentativen Flickenteppich ein. Nach der „marktkonformen Demokratie“ soll hier offenbar die „marktkonforme Rechtssprechung“ etabliert werden? Und im nächsten Schritt werden Urteile revidiert, wenn am Folgetag die Börsenkurse fallen?
Die Fatalität der sogenannten Euro-Rettung liegt in der Tatsache begründet, dass zur kurzfristigen Krisenlinderung fortlaufend Rechtsbrüche veranstaltet werden, welche die prinzipiellen Ursachen der Krise nicht mindern, sondern verstärken. Aus einem Rettungs-Verbot wurde ein Rettungs-Gebot gemacht auf das sich „die Märkte“ mittlerweile durch „ständige Übung“ verlassen.
Alles Recht ist eben nicht situativ. Wäre dem so, dann hätten wir kein Recht mehr sondern -wie bei der Euro-Rettung- Willkür!
Nachtrag:
Das Szenario des „Flächenbrandes“ war von Beginn an eine politische Volte um die jeweils opportune Agenda durchzusetzen – auch gegen Recht und Gesetz.
Vor einem Jahr war die Pleite Griechenlands auf einmal kein Problem mehr:
„Der CDU-Politiker (Kauder) sagte zu einem möglichen Euro-Austritt Athens, die Eurozone habe mit den Rettungsschirmen ‚erhebliche Möglichkeiten, damit eine Ansteckung nicht stattfindet‘.“
Und jetzt gibt es die Ansteckung beim Griechenland-Trümmer Zypern „unabdingbar“.
Lassen sich Juristen bei der Bewertung von Rechtsfragen auf derlei Argumentations-Spiele ein, wie es Herr Finke vorschlägt, haben Sie ihren Beruf deutlich verfehlt.
Sehr geehrter Herr Keefer,
ich kann nicht sagen, dass ich Ihnen für Ihre Beiträge danke. Aber ich nehme sie zur Kenntnis und möchte kurz darauf reagieren – sachlich. Vielleicht bin ich mit meiner Forderung, Herr Murswiek möge seine Behauptungen mit Daten untermauern, ein wenig über das Ziel hinaus geschossen. Allerdings bin ich nach wie vor der Auffassung, dass das Problem – juristisch betrachtet – deutlich komplexer ist als es in dem Beitrag für die SZ dargestellt wurde.
So sagen die relativ geringe wirtschaftliche Bedeutung Zyperns und die teilweise überschaubaren Bilanzsummen der zypriotischen Banken für sich genommen nichts aus. Und genau darauf wollte ich mit den Hinweis, dass auch Herr Murswiek keine Zahlen/Fakten vorlegt, hinweisen. Soweit ich weiß, hat niemand behauptet, dass Zypern für sich genommen systemrelevant ist. Es ging immer nur um die Ansteckungsgefahren. Aber genau dieses Thema hat Herr Murswiek in seinem Beitrag ausgespart bzw. als Spekulation und psychologische Erwägungen diskreditiert.
Dass Ansteckungseffekte extrem schwer zu kalkulieren sind, ist kein Geheimnis. Es gibt zahlreiche Modelle und Überlegungen, um anhand von Daten und dem Grad der Vernetzung der Finanzinstitute, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios zu berechnen. 100%ig beweisen kann man die Ansteckung jedoch nicht. Aber aus dieser Schwierigkeit zu schließen, dass die Hilfen nicht unabdingbar sein können, würde bedeuten, dass der ESM Stabilitätshilfen nur gewähren darf, wenn wir positiv wissen, dass ansonsten die Währungsunion destabilisiert wird. Dies ist bei auf die Zukunft bezogenen Entscheidungen schlicht unmöglich. Letztlich würde es bedeuten, dass der ESM nur dann einschreiten kann, wenn es um die Rettung Deutschlands oder Frankreich und vielleicht noch Italiens geht. Dafür ist der ESM meines Wissens aber nicht nur unterfinanziert. Dafür wurde er auch nicht geschaffen.
Ich fürchte, dass ich Sie nicht überzeugen kann. Dennoch ist das Problem der Unabdingbarkeit ein vielschichtiges, so dass der Rechtsbruch zwar denkbar, aber gerade nicht evident ist.
Mit freundlichen Grüßen
Jasper Finke
P.S. Es gibt weder ein generells Rettungsgebot noch ein Rettungsverbot. Es gibt juristisch lediglich Regelungen, die unter bestimmten Voraussetzungen Stabilitätshilfen erlauben. Dass damit kurzfristig Symptome behandelt werden und nicht die strukturellen Ursachen des Problems, ist auch mE richtig. Das hat jedoch nichts mit der Rechtmäßigkeit der Symptombekämpfung zu tun. Außerdem kann sie, wie eine Kopfschmerztablette auch, zur Lösung des Problems beitragen, ohne das alleinige Allheilmittel zu sein.
Hallo Herr Finke,
ich freue mich über Ihre Antwort, allerdings bin ich etwas enttäuscht darüber, dass Sie es nicht gechafft haben über Ihr bisher hier gezeigtes Niveau hinauszuwachsen.
Die Sache ist nicht komplex, sondern sehr einfach.
Ihre Vertragsinterpretation wäre ganz hervorragend, wenn im Vertrag stehen würde, dass „Hilfen nur gewährt werden, wenn der berechtigte Verdacht besteht, dass bei Nichtgewährung die Stabilität der ganze Euro-Zone gefährdet ist.“
Vermutlich nicht einmal unsere heldenhaften Euro-Retter hätten aber so einen Freifahrschein unterschrieben. Unterschrieben haben diese Herren jedoch den vorliegenden Vertrag in dem „unabdingbar“ steht und das „unabdingbar“ können Sie doch nicht ernsthaft dadurch schwächen wollen, dass sich der Nachweis einer Unabdingbarkeit schwierig gestaltet!
Offenbar wollte man doch beides: Den Freifahrschein für die Hilfen und die „Unabdingbarkeit“ um den Vertrag besser durch die Parlamente zu bringen. Jetzt, nachdem die Parlamente den ESM verabschiedet haben, kann man -wie Sie es vorschlagen- die Unabdingbarkeit auf- und vom Vertrag abweichen.
Übrigens stellt die No-Bailout Klausel (http://de.wikipedia.org/wiki/Nichtbeistands-Klausel) ein klares und generelles Rettungsverbot dar. „Verbot“ steht in der Klausel selbst!
Herzliche Grüße
Gerold Keefer
Und noch ein Nachtrag:
Bei der „Rettung“ von Zypern gab es -anders als bei allen anderen Euro-„Rettungen“- ein Ultimatum, welches die Drohung eines unmittelbaren Zahlungsstops beinhaltete.
Wenn nun eine „unabdingbare“ Gefährdung der gesamten Euro-Zone bestanden hätte, hätte man nicht auf dieses Mittel zurückgreifen können, ebensowenig, wie auf die Enteignung von Kleinsparern.
Damit ist Zypern als gefahrloses Fall, genau von denen geoutet, die die Hilfen als „unabdingbar“ bezeichnen.
Herzliche Grüße
Gerold Keefer