Waffenlieferungen an die syrische Opposition zwischen Europarecht und Völkerrecht

von MEHRDAD PAYANDEH

Foto-Mehrdad-schwarzweissWer in diesen Tagen die Zeitung aufschlägt, gewinnt fast zwangsläufig den Eindruck, die rechtliche Zulässigkeit von Waffenlieferungen an die syrische Opposition sei allein eine Frage des Rechts der Europäischen Union. So berichtet etwa die Süddeutsche Zeitung in ihrer Wochenendausgabe vom 23./24. März 2013 über die Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine Weiterführung oder Modifikation des im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen Waffenembargos gegen Syrien. Angesichts der Befristung des Embargos bis Ende Mai kommt der Bericht zu dem Schluss, dass, falls keine Einigung hinsichtlich einer Verlängerung zustande komme, jeder EU-Mitgliedstaat „frei“ sei, Waffen an die Aufständischen zu liefern.

Waffenlieferungen und Völkerrecht

Dieser aktuelle Fokus auf innereuropäische politische Meinungsverschiedenheiten kann und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der maßgebliche rechtliche Rahmen für entsprechende Waffenlieferungen im Völkerrecht zu suchen ist. Und das Völkerrecht verbietet grundsätzlich die Unterstützung aufständischer Gruppierungen in einem anderen Staat durch Waffenlieferungen. Schon die Friendly Relations Declaration vom 24. Oktober 1970 statuiert die Verpflichtung aller Staaten „to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or armed bands including mercenaries, for incursion into the territory of another State” und “to refrain from organizing, instigating, assisting or participating in acts of civil strife or terrorist acts in another State (…), when the acts referred to in the present paragraph involve a threat or use of force”. Dementsprechend qualifizierte der Internationale Gerichtshof in seiner Nicaragua-Entscheidung vom 27. Juni 1986 die US-amerikanische Unterstützung der Contra-Rebellen mit Waffen zur Bekämpfung der sandinistischen Regierung in Nicaragua als Verletzung des Gewaltverbotes (Abs.-Nr. 228). Vor diesem Hintergrund ist die Lieferung von Waffen an die syrischen Aufständischen grundsätzlich untersagt. Sie verstieße gegen das Gewaltverbot des Artikels 2 Nr. 4 der UN-Charta.

Rechtfertigung aufgrund schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen?

Diese völkerrechtliche Bewertung wird auch nicht durch die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen von Seiten des Assad-Regimes relativiert. Durchbrechungen des Gewaltverbotes kommen allein auf der Grundlage des Selbstverteidigungsrechts oder von Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta in Betracht. Zum jetzigen Zeitpunkt sind diese beiden Alternativen jedoch nicht einschlägig, da das Assad-Regime keinen bewaffneten Angriff gegen einen anderen Staat im Sinne von Artikel 51 der UN-Charta verübt hat und die Mitglieder des Sicherheitsrates sich bislang nicht auf ein Handeln nach Kapitel VII der Charta haben einigen können. Auch jenseits von Selbstverteidigungsrecht und Sicherheitsrats-Beschluss erlaubt die Völkerrechtsordnung zwar die Verhängung und Durchführung von Sanktionen durch einzelne Staaten und Staatengruppen als Reaktion auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Maßnahmen, die sich als Verletzung des Gewaltverbotes darstellen, sind hiervon jedoch ausgenommen, wie Artikel 50 Abs. 1 lit. a) der ILC Draft Articles on State Responsibility unmissverständlich zum Ausdruck bringt. Auch die viel beschworene und in der politischen Rhetorik fest verankerte, in ihrer rechtlichen Bedeutung aber erheblich überschätzte Responsibility to Protect ändert an dieser völkerrechtlichen Bewertung nichts.

Die Anerkennung der syrischen Aufständischen

Wenig erfolgversprechend ist schließlich der Versuch, Waffenlieferungen mit dem expliziten Verlangen der syrischen Aufständischen völkerrechtlich zu legitimieren. Die Kompetenz für die Zustimmung zu derartigen Waffenlieferungen liegt grundsätzlich bei der syrischen Regierung. Zwar wird der Regierung Assads aufgrund des gewaltsamen Vorgehens gegen die Aufständischen zunehmend die Legitimität abgesprochen; dieser politisch relevante Akt allein reicht indes nicht aus, um sie als Regierung im Sinne des Völkerrechts zu disqualifizieren. Umgekehrt bestehen erhebliche Bedenken, die zunehmende Anerkennung der syrischen Aufständischen durch die internationale Gemeinschaft dahingehend zu interpretieren, dass diese nunmehr an die Stelle des Assad-Regimes gerückt wären und folglich völkerrechtlich wirksam ihre Zustimmung zu Waffenlieferungen erteilen könnten. Wie die differenzierte Analyse von Stefan Talmon zeigt, spricht vieles dafür, der Anerkennung der Aufständischen durch die internationale Gemeinschaft „as the (sole) legitimate representative of the Syrian people“ eine vornehmlich politische Bedeutung zuzumessen, die von einer völkerrechtlich relevanten Anerkennung zu unterscheiden ist. Auch die Frage, ob die Aufständischen tatsächlich das gesamte syrische Volk repräsentieren, sollte nicht allzu vorschnell bejaht werden. Solange die syrischen Aufständischen nicht als Regierung Syriens anerkannt sind – und diesen Anspruch durch effektive Kontrolle zumindest weiter Teile des syrischen Staates materiell untermauern können – kann ihre Zustimmung allein nicht ausreichen, um ausländische Waffenlieferungen völkerrechtlich zu legitimieren.

Die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen von Seiten des Assad-Regimes sind ohne jeden Zweifel intolerabel und verletzen fundamentale Normen des Völkerrechts. Sie verlangen nach entschlossenen Reaktionen der internationalen Gemeinschaft – weit über das bisherige Maß hinaus und unter Einbeziehung des UN-Sicherheitsrates – und lassen eine Zukunft Syriens unter einer fortbestehenden Regierung Assads kaum mehr vorstellbar erscheinen. Gleichwohl zieht die Völkerrechtsordnung der gewaltsamen Einmischung in interne Konflikte enge Grenzen. Diese völkerrechtlichen Maßstäbe dürfen bei der politischen Diskussion, ob es ratsam und dem Ziel einer politischen Lösung des grausamen syrischen Konflikts förderlich erscheint, die Aufständischen mit Waffen zu versorgen, nicht außer Acht gelassen werden. Die Völkerrechtsordnung erlaubt weitgehende politische, diplomatische und wirtschaftliche Maßnahmen als Reaktion auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Dass dieser Handlungsrahmen aus den unterschiedlichsten politischen und wirtschaftlichen Motiven nur in den seltensten Fällen ausgeschöpft wird und selbst Staaten, die ein robusteres Eingreifen in Syrien fordern, Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der Welt eher indifferent gegenüber stehen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Jenseits des Rechts auf Selbstverteidigung und eines Vorgehens des UN-Sicherheitsrates zählen gewaltsame Maßnahmen – militärische Interventionen ebenso wie die Unterstützung von Aufständischen mit Waffenlieferungen – jedenfalls nicht zu den völkerrechtlich legitimierten Handlungsinstrumenten zur Reaktion auf schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte.

Außenpolitik, EU, Europarecht, Gewaltverbot, IGH, Mehrdad Payandeh, Syrien, Völkerrecht, Waffenlieferungen
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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Oliver Daum
    26. März 2013 09:48

    Zunächst einmal ein Dankeschön an den Autor für den gelungenen und umfassenden Beitrag!

    Ich stimme zu, dass das Völkerrecht eine Waffenlieferung an die syrische Opposition verbietet, auch wenn diese noch so legitimiert sein mag, wie zuletzt durch die Anerkennung der Arabischen Liga gezeigt. Vielleicht befinden wir uns gerade in einem Umschwung und die von Prof. Talmon vertretene richtige Auffassung, wonach der Anerkennung einer Opposition durch andere Regierungen nur politisches Gewicht – also deklaratorische Wirkung – zukommt, wird sich ändern.

    Abgesehen davon würde ich das Verbot der Waffenlieferungen nicht unter das Gewaltverbot subsumieren, sondern unter das Interventionsverbot. Es sei denn, dass der unterstützende Staat beim Beliefern Gewalt anwenden muss. Doch das ist hier, zumindest nach meinem Kenntnisstand, nicht der Fall.

    Aber eine Sache hat mich stutzig gemacht. An einer Stelle pflichten Sie Prof. Talmon bei und schreiben, dass der Anerkennung der syrischen Opposition durch die internationale Gemeinschaft „vornehmlich politische Bedeutung“ beizumessen ist. Zugunsten einer möglichen Legitimierung der Waffenlieferungen durch die syrische Opposition setzen Sie dann aber voraus, dass die Opposition einerseits „effektive Kontrolle zumindest weiter Teile des syrischen Staates“ ausüben müsste und andererseits „als Regierung Syriens anerkannt“ sein müsste. Damit messen Sie dem Akt der Anerkennung der syrischen Opposition durch andere Staaten eine konstitutive Wirkung bei und nicht bloß eine deklaratorische.

    Antworten
    • Auf der Grundlage der IGH-Rechtsprechung erscheint mir schon das Gewaltverbot einschlägig zu sein. Im Nicaragua-Fall hat der Gerichtshof eben auch indirekte Gewalt in Form von Waffenlieferungen an die Contra-Rebellen hierunter gefasst, unabhängig davon, ob diese Waffenlieferungen mit Gewalt durchgesetzt werden mussten.

      Im Hinblick auf die Anerkennung geht es mir darum, dass die syrische Opposition bislang „als Vertreterin des syrischen Volkes“ anerkannt wurde und nicht etwa als Regierung Syriens. Diese Form der Anerkennung hat m.E. – und hier folge ich Stefan Talmon – allein politische Bedeutung, sie gibt der Opposition keinen völkerrechtlichen Status. Die Frage der deklaratorischen oder konstitutiven Wirkung dieser Anerkennung stellt sich dabei nicht, weil es gar keine Rechtsfolge der Anerkennung gibt, die konstitutiv herbeigeführt oder deklaratorisch festgestellt werden könnte. Anders sähe es aus, wenn die Opposition tatsächlich an die Stelle der Regierung tritt. Entscheidend ist, welchen Status die syrische Opposition erlangen muss, damit ihre Zustimmung zu Waffenlieferungen von anderen Staaten völkerrechtliche Relevanz bekommt.

      Antworten
  • Christopher Schmitz
    27. März 2013 13:36

    Lieber Herr Payandeh,

    haben Sie besten Dank für diesen äußerst gelungenen Kurzbeitrag, der versucht sämtliche moralischen Erwägungen aus einer rechtlichen Analyse des Syrien-Konfliktes weitestgehend auszublenden.

    Was Herr Daum anmerken wollte, war sicherlich, dass eine Waffenlieferung nicht nur gegen das Gewaltverbot verstößt, sondern auch gegen das Interventionsverbot, wie der IGH in dem von Ihnen schon genannten Urteil ebenfalls festgestellt hat (Rn. 242).

    Antworten
  • Oliver Daum
    27. März 2013 16:32

    Lieber Herr Payandeh,

    Sie haben Recht! Im Nicaragua-Urteil hat der IGH festgestellt, dass die USA gegen das völkergewohnheitsrechtliche Gewaltverbot verstoßen haben, indem sie die Contras bewaffnet und ausgebildet haben. Anschließend betont der IGH aber auch, dass nicht jede Form der Unterstützung zugunsten der Contras ein Verstoß gegen das Gewaltverbot darstellte, Rn. 228.

    Der IGH hat keine genauen Kriterien aufgestellt, wonach eine Unterstützungshandlung seitens eines ausländischen Staates zugunsten einer fremden Opposition als Verstoß gegen das Gewaltverbot zu bewerten ist.

    Ob auch eine alleinige Waffenlieferung – also ohne gleichzeitige Ausbildungsunterstützung – ausreicht, um als Verstoß zu genügen, hat der IGH hingegen nicht festgestellt. Die Bewaffnung und die Ausbildung der Contras lagen kumulativ vor. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich nicht so weit gehen und die alleinige Bewaffnung der syrischen Opposition als Verstoß gegen das Gewaltverbot zu werten, wohl aber als Verstoß gegen das Interventionsverbot.

    Ungeachtet dieser akademischen Frage, sollen nach Medienberichten die Kämpfer der syrischen Opposition durch fremde Staaten im Ausland ausgebildet werden. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Waffenlieferungen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung durchaus anders dar.

    Ich hoffe, lieber Herr Schmitz, hiermit auch ihrer dankbaren Anmerkung ausreichend begegnet zu sein.

    Mit den besten Grüßen

    Antworten
  • Die Waffenlieferung stellt also ein Gewaltverbot dar, vielleicht ein Interventionsverbot. Was hat das für Folgen für die Waffenlieferer?
    Welche Rechtfertigungsgründe könnten in diesen Fällen beachtet werden?

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