Privatisierungsproteste und die Bürgerinitiative right2water – EU-Vergaberecht als Gefahr für die deutsche Trinkwasserversorgung?

von SIMONE TERBRACK und SARAH SCHADENDORF

Simone_Terbrack_2011_klSchadendorfSarah_Picture„Wasser ist ein Menschenrecht!“, „Wasser ist ein Allgemeingut, keine Handelsware!“ – diese und ähnliche Appelle verbreiten sich seit einigen Tagen über soziale Netzwerke und Blogs, meist verbunden mit dem Aufruf, die Europäische Bürgerinitiative right2water zu unterzeichnen. Die EU wolle „das Wasser privatisieren“, ist allerorts zu lesen. Im deutschen Protest gegen die „Liberalisierung der Trinkwasserversorgung durch die Hintertür“ vereinen sich Kommunen, Wasserverbände, Gewerkschaften, Politiker und Menschenrechtsaktivisten. Anlass ist der von der EU-Kommission ausgearbeitete Entwurf für eine Dienstleistungskonzessionsrichtlinie, über den gestern, am 24. Januar 2013, im Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments abgestimmt wurde.

Wasserprivatisierungstendenzen weltweit

Der Dämon der Wasserprivatisierung erscheint uns längst nicht mehr nur in Entwicklungsländern, in denen ausländischen Investoren die Wasserversorgung übertragen wurde. Die meisten dieser Privatisierungsprojekte mündeten in einer mangelhaften Wasserversorgung und gleichzeitig enorm gestiegenen Wasserpreisen und verschlechterten somit den Zugang zu Wasser für die Bevölkerung. Einige dieser Fälle landeten als Verfahren vor internationalen Schiedsgerichten, in denen nationale wie internationale NGOs dem Menschenrecht auf Wasser Berücksichtigung zu verschaffen suchten.

Ebenso haben mehrere europäische Länder und deutsche Städte bereits (Teil-)Privatisierungen im Wassersektor vorgenommen und überwiegend schlechte Erfahrungen gemacht. Portugal und Griechenland werden von der Troika aus EU, IWF und EZB dazu angehalten, ihre Wasserversorgung zu privatisieren; nach einem Bericht des ARD-Magazins „Monitor“ sind in Portugal Preiserhöhungen um bis zu 400 % zu verzeichnen. Der Kampf um das „blaue Gold“ verschärft sich also auch in Europa.

Liberalisierungsbestrebungen der EU-Kommission im Wassersektor

Schon vor Jahren sprach sich die EU-Kommission für eine Öffnung des Wassermarktes aus, konnte wegen des Widerstands des EU-Parlaments im „Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinen Interesse“ jedoch nur „Uneinigkeit“ auf Unionsebene in dieser Frage konstatieren. Auch im Rahmen der Verhandlungen zum Dienstleistungsabkommen GATS verfolgt die Kommission seit 2003 eine Liberalisierungsstrategie für wasserbezogene Dienstleistungen. In ihrer Wasserpolitik lässt sie sich, wie die ARD in ihrem Bericht ebenfalls offengelegt hat, von einer Expertengruppe beraten, die größtenteils aus Vertretern der Wasserindustrie besteht. Insbesondere große deutsche und französische Konzerne wie Nestlé oder RWE würden von einer EU- und WTO-weiten Marktöffnung profitieren. Der französische (!) EU-Kommissar Barnier und sein Landsmann, der Berichterstatter des Binnenmarktausschusses Philippe Juvin, betonen zwar beharrlich, dass mit der geplanten Dienstleistungskonzessionsrichtlinie keine Liberalisierung angestrebt werde. Die Ziele der „wirklichen Marktöffnung“ und des „angemessenen Gleichgewichts“ werden dennoch in Erwägungsgrund Nr. 11 des Richtlinienentwurfs (auch für den Wassersektor) genannt.

Streit um den Regelungsbedarf hinsichtlich Konzessionen im Wassersektor

Zurzeit unterliegt die Trinkwasserversorgung in der EU nicht dem allgemeinen Vergaberecht, sondern der etwas weniger strengen Sektorenrichtlinie. Die Zweckverbände und Stadtwerke erbringen die Trinkwasserversorgung für die Kommunen aber aufgrund von Dienstleistungskonzessionen. Konzessionen zeichnen sich dadurch aus, dass nicht der Auftraggeber die erbrachte Leistung vergütet, sondern dass das Unternehmen das Recht bekommt, seine Leistung wirtschaftlich zu verwerten: Den Kunden der Stadtwerke wird eine Rechnung über das verbrauchte Trinkwasser erstellt. Dienstleistungskonzessionen fallen – anders als Baukonzessionen – bisher nicht in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien. Für sie gelten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allein die aus den Grundfreiheiten folgenden Prinzipien der Transparenz und Nichtdiskriminierung.

Die Europäische Kommission hat nun nicht nur vorgeschlagen, die bestehenden Vergaberichtlinien zu modernisieren, sondern in einer eigenen Richtlinie auch die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zu regeln. Diese Richtlinie soll sowohl auf das allgemeine Vergaberecht als auch auf das Sektorenvergaberecht Anwendung finden. Damit unterlägen auch Dienstleistungskonzessionen über die Trinkwasserversorgung dem Vergaberecht.

Den am 20. Dezember 2011 vorlegten Entwurf für eine Konzessionsrichtlinie verteidigt die Kommission mit Verweis auf die mangels Kodifizierung bestehende Rechtsunsicherheit im Bereich der Dienstleistungskonzessionen, den fehlenden Rechtsschutz der Bieter und Marktzutrittsbarrieren aufgrund von unterschiedlichen nationalen Regelungen. Das EU-Parlament hatte im sog. Rühle-Bericht von 2010 festgestellt, dass ein Regelungsbedarf erst dann entstehe, wenn Verzerrungen beim Funktionieren des Binnenmarktes festgestellt würden – was die Kommission in ihrer Folgenabschätzung zu belegen versucht.

Der deutsche Bundesrat, der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie im Bundestag und die deutschen Kommunen sehen hingegen das Subsidiaritätsprinzip aus Art. 5 Abs. 3 AEUV und das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen verletzt und führen das in Art. 14 AEUV vorgesehene Recht auf eigenverantwortliche Erbringung der Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge an. Der Bundesrat hat im März 2012 Subsidiaritätsrüge erhoben. Gewarnt wird zudem vor den strukturellen Auswirkungen insbesondere im Bereich der Wasserversorgung.

Privatisierung der Wasserversorgung durch die geplante Dienstleitungskonzessionsrichtlinie?

Eines vorweg: Das deutsche und europäische Vergaberecht ist kein Privatisierungsrecht. Wenn die Auftraggeber – im hier diskutierten Fall die Kommunen – eine Leistung – wie die Trinkwasserversorgung – selbst erbringen wollen, ist das Vergaberecht nicht anwendbar. Erst wenn sie sich entscheiden, die Leistung außerhalb ihrer eigenen Organisationsstruktur zu vergeben, ist die Beschaffung aus Gründen der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und des Wettbewerbs auszuschreiben.

Die Frage ist vielfach, wo die Grenze zwischen eigener Leistung des Auftraggebers und ausschreibungspflichtiger Beschaffung am Markt verläuft. Dies betrifft insbesondere Unternehmen, die – teilweise – in öffentlichem Eigentum sind, ihre Leistungen aber auch im freien Markt anbieten. Der Europäische Gerichtshof hat schon früh eine ständige Rechtsprechung entwickelt, wann Aufträge vergaberechtsfrei an eigene Unternehmen vergeben werden können. So ist ein vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft möglich, wenn der Auftraggeber über das zu beauftragende Unternehmen eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und das Unternehmen im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig ist. Auch die interkommunale Zusammenarbeit zwischen mehreren Gemeinden zur Erledigung von Aufgaben im öffentlichen Interesse ist nicht auszuschreiben. Der Entwurf der Konzessionsrichtlinie nimmt diese Rechtsprechung auf und stellt die Vergaben von Aufträgen an verbundene Unternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und bei anderen Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen vom Vergaberecht frei (Art. 11, 12 und 15 des Entwurfs).

Die kommunalen Stadtwerke und Zweckverbände gehören zwar oft zu 100 % – etwa in Köln aber auch nur zu 80 % – der öffentlichen Hand. Gleichzeitig sind sie über ihr Strom- und Gasgeschäft aber in großem Umfang im privaten Markt tätig. Dadurch fallen sie nicht unter die bisher im Entwurf kodifizierten Ausnahmen. Den Kommunen steht es jedoch bereits jetzt frei, ihre Stadtwerke nach den Vorgaben der Inhouse-Vergabe oder interkommunalen Zusammenarbeit zu organisieren, um eine europaweite Vergabe zu umgehen. Dazu müsste vor allem das Strom- und Gasgeschäft von der Trinkwasserversorgung getrennt werden. Zudem müssten alle privaten Beteiligungen an den Stadtwerken beendet werden. Zu Veränderungen dieser als bewährt angesehenen Struktur und dem damit verbundenen Aufwand sind viele Kommunen jedoch nicht bereit.

Änderungen am Richtlinienentwurf in der Sitzung vom 24. Januar 2013

Die Befürchtungen der Kommunen sollen zwischenzeitlich in Brüssel erhört worden sein. Der Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlamentes hat am 24. Januar 2013 (Video, ab 10:30 Uhr) über Änderungsvorschläge abgestimmt. Für die Änderungen betreffend den Wassersektor gilt aber bisher: Nichts Genaues weiß man nicht!

Nach einem Bericht des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft soll in der Ausschusssitzung entschieden worden sein, alle bestehenden Konzessionen unberührt zu lassen, zudem solle eine Übergangszeit für neue Verträge bis mindestens 2020 gelten. Sobald ein Unternehmen allein im Besitz der öffentlichen Hand ist, soll die Beauftragung mit der Trinkwasserversorgung an dieses Unternehmen gänzlich vergaberechtsfrei sein. Auf das Wesentlichkeitskriterium – und die Vermischung mit dem Strom- und Gasgeschäft bei den Stadtwerken – käme es demnach nicht mehr an. Laut „Handelsblatt“ werde aber vorausgesetzt, dass das Unternehmen nur im Wassersektor tätig ist. Dies träfe auf die bisherige Stadtwerke-Struktur nicht zu.

Vorstellbar ist es auch, die Trinkwasserversorgung in den weiteren Beratungen insgesamt aus der Konzessionsrichtlinie auszunehmen. Dies wurde, wie aus der Pressemitteilung hervorgeht, bei den gestrigen Änderungen unter anderem für das Glücksspiel vorgesehen, nicht aber für den Wassersektor. Ausgenommen sind auch schon ganze Bereiche wie das Programmmaterial der Rundfunk- und Fernsehanstalten, bestimmte soziale Einrichtungen wie Werkstätten für Menschen mit Behinderung sowie personenbezogene soziale Dienstleistungen (Art. 8, 17 und 20 des Entwurfs).

Keine unmittelbare Gefahr für Trinkwasserversorgung in Deutschland

Auch wenn für die kommunale Trinkwasserversorgungsstruktur in Deutschland in den weiteren Beratungen keine Ausnahmen geschaffen werden, muss dies noch lange nicht das Ende der hochwertigen deutschen Trinkwasserversorgung bedeuten.

Im Rahmen eines vergaberechtlichen Verfahrens stehen den Kommunen verschiedene Möglichkeiten der Qualitätssicherung zur Verfügung. Schon in der Leistungsbeschreibung und den Eignungsanforderungen können hohe Mindestanforderungen an den Versorger und die Trinkwasserqualität gestellt werden. Der Zuschlag muss sich zudem nicht nach dem Billigstprinzip richten. Das wirtschaftlichste Angebot kann eine Reihe von Qualitätskriterien einbeziehen. Dabei können auch Umwelt- und Sozialkriterien eine Rolle spielen. Zu überlegen ist auch, ob ein niedriges Verbraucherpreisniveau als Zuschlagskriterium gewählt werden kann. Das dadurch gesteigerte Betriebsrisiko des Konzessionsnehmers könnte durch eine Draufzahlung des Auftraggebers ausgeglichen werden.

Auch in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren ist es alles andere als ausgeschlossen, dass die bisherigen kommunalen Betreiber den Zuschlag erhalten. Dann bliebe im Ergebnis sogar alles beim Alten.

Fazit

Die vorgesehene Verrechtlichung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen führt nicht unmittelbar zur Privatisierung deutschen Trinkwassers. Das Vergaberecht lässt viele Möglichkeiten, die bewährten Strukturen beizubehalten und eine hohe Qualität des Trinkwassers sicherzustellen. Die Frage, ob der Wassersektor in den laufenden Beratungen vom Anwendungsbereich der Konzessionsrichtlinie ausgenommen werden soll, ist daher weniger eine existentielle Frage als eine rechtspolitische Grundentscheidung im Bereich der Daseinsvorsorge. Die allgemein auf EU-Ebene bestehenden Privatisierungstendenzen im Wasserbereich sollten aufmerksam beobachtet und kritisch begleitet werden.

Daseinsvorsorge, Europäische Bürgerinitiative, Europarecht, Konzessionen, Privatisierung, Sarah Schadendorf, Simone Terbrack, Vergaberecht, Wasser
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