von OLIVER DAUM
Generalsekretär Rasmussen hat die NATO als friedensstiftenden Akteur im Syrienkonflikt ins Spiel gebracht. Doch gegenwärtig hätte die NATO gar keine rechtliche Handhabe zu einem militärischen Eingreifen im syrischen Bürgerkrieg. Deshalb sollte Deutschland etwaigen Kriegsbestrebungen entgegenwirken. Das gilt selbst dann, wenn Assad Chemiewaffen gegen sein Volk in Stellung brächte.
Während eines informellen Treffens der NATO äußerte sich Anders F. Rasmussen in unerwarteter Offenheit zu einem möglichen Einsatzszenario im syrischen Bürgerkrieg. Allerdings waren nicht alle Staatenvertreter mit seinem provokanten Vorstoß einverstanden. Die Brisanz seiner Äußerung liegt in ihrer Zweideutigkeit: Sollte die NATO auch außerhalb des Völkerrechts einen Waffengang in Syrien wagen?
Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung eines militärischen Engagements im syrischen Bürgerkrieg ist das Gewaltverbot gem. Art. 2(4) der Charta der Vereinten Nationen (VN). Es untersagt bekanntlich Staaten, und auch der NATO, Waffengewalt gegen andere Staaten anzuwenden. Hiervon sind selbstverständlich und gerade auch Staaten geschützt, in denen ein Bürgerkrieg herrscht.
Eine Ausnahme vom Gewaltverbot stellt das individuelle Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 der Charta der VN dar. Der verteidigende Staat darf seinerseits rechtmäßig Waffengewalt anwenden, um einen rechtswidrigen bewaffneten Angriff eines anderen Staates abzuwehren. Ist der bewaffnete Angriff sogar gegen einen NATO-Staat gerichtet, dann liegt ein Fall der kollektiven Selbstverteidigung vor. Es dürfen auch diejenigen Staaten den Aggressorstaat zurückzuschlagen, die nicht unmittelbar Ziel des Angriffs waren. Im NATO-Fachjargon spricht man vom Bündnisfall gem. Art. 5 NATO-Vertrag.
Auf der Suche nach der passenden Rechtsgrundlage
Das so am nächsten liegende Szenario wäre ein bewaffneter Angriff syrischer Regierungstruppen gegen die Türkei. Doch dürfte das Assad-Regime kein Interesse daran haben, auch noch gegen die Türkei Krieg zu führen. Denn dabei bliebe es nicht: Ein bewaffneter Konflikt mit der Türkei könnte auch das stärkste Militärbündnis der Welt auf den Plan rufen. Und dass es die NATO mit der Bündnispolitik durchaus ernst meint, will sie bereits durch die Stationierung der Patriot-Raketen zum Ausdruck bringen. Die militärische Abschreckung, ein weiteres Salär des Art. 5 NATO-Vertrag, entfaltet seine präventive Wirkung.
Eine andere Möglichkeit rechtmäßig in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen, bestünde in einer entsprechenden Mandatierung durch den hierzu exklusiv befähigten Sicherheitsrat der VN. Aber in den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass das mächtige politische Organ hinsichtlich Syriens keine einschneidenden Entscheidungen treffen möchte. Es bleibt abzuwarten, ob China und Russland ihre eiserne Blockadehaltung auch im Sicherheitsrat in absehbarer Zeit korrigieren werden.
Letzter Ausweg humanitäre Intervention?
Häufig diskutiert wird auch die Schutzverantwortung (auch humanitäre Intervention oder „responsibility to protect“) als Ausnahme vom Gewaltverbot. Auch wenn der Grundgedanke der Schutzverantwortung bisher durchaus militärische Interventionen rechtfertigte, erfolgten diese bisher nur im Rahmen von Kapitel VII-Maßnahmen des Sicherheitsrates. Um jedoch als etablierter Rechtfertigungstatbestand außerhalb entsprechender Autorisierung Anwendung zu finden, fehlt dem Konzept noch die erforderliche rechtliche Schärfe. Dies ändert auch nichts daran, dass die militärischen Luftschläge der NATO im Kosovokrieg 1999 hiermit zu begründen versucht wurden. Unter dem Strich bleibt also festzuhalten, dass sich die NATO aktuell auf keinen handfesten Rechtfertigungsgrund stützen könnte, um in völkerrechtmäßiger Weise in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen.
Doch sollte die Mehrheit der NATO-Mitgliedstaaten dennoch in Syrien eingreifen wollen, so müsste sich die Bundesregierung zwischen zwei Übel entscheiden: Einerseits könnte das Kabinett Merkel geneigt sein zu zeigen, dass sie durchaus die geopolitischen Bedürfnisse erkennen kann und effektiv zu Handeln vermag. Zwar war die prompt geäußerte Bereitschaft zur Beteiligung an der Stationierung der Patriot-Raketen ein wertvolles Signal in die richtige Richtung. Doch zu einer gänzlichen Rehabilitierung nach der umstrittenen Enthaltung zum Libyeneinsatz im Sicherheitsrat bedarf es freilich mehr. Mit spitzer Zunge könnte behauptet werden, dass ein militärisches Engagement in Syrien da gerade recht käme.
Mögliche juristische Folgen für die Bundesrepublik
Andererseits stellt sich die Frage nach etwaigen juristischen Folgen eines rechtswidrigen Syrieneinsatzes 2013. Eine Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zumindest ist unwahrscheinlich. Es entspräche nicht den politischen Spielregeln, dass eine eingesetzte Interimsregierung seinen Königsmacher verklagt. Ein Staatenverfahren wäre demnach nicht naheliegend.
Vermutlich aber könnte die Bundesrepublik von betroffenen Individuen verklagt werden. Nach dem Kosovoeinsatz kam es so zu verschiedenen Verfahren, wobei der Bankovic-Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2001 besondere Erwähnung verdient. Etwas waghalsig stritt der EGMR damals die Menschenrechtsverletzungen mittels NATO-Luftschlägen ab, weshalb das Urteil viel Kritik erntete. Es bleibt abzuwarten, ob der EGMR in Anbetracht der harschen Kritik in vergleichbaren Fällen nochmals so entscheiden würde. Für mögliche Bodenoffensiven wäre der Anwendungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention hingegen eröffnet.
Würde die Bundesregierung wirklich so weit gehen und sich nochmals an einer völkerrechtswidrigen Militäraktion beteiligen wie 1999 im Kosovo, um „des Friedens willens“? Es ist anzuerkennen, dass die Bundesregierung schon einmal politische Standfestigkeit bewies. Und zwar als sie deutsche Truppen am Irakkrieg 2003 nicht beteiligt sehen wollte. Überdies gab ihr das Ende Recht: Nach überwiegender Ansicht in der Völkerrechtsliteratur war der Irakfeldzug 2003 völkerrechtswidrig.
Auch hinsichtlich eines Syrieneinsatzes sollten die Rechtsberater der Bundesregierung zu Vorsicht mahnen. Die Bundesregierung sollte sich in Abwesenheit völkerrechtlicher Rechtfertigungstatbestände in keinem Fall an einer militärischen Intervention in Syrien beteiligen. Das gilt selbst dann, wenn Assad Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzt.