von CARSTEN HÖRICH
Ein Ausländer, demgegenüber ein sog. Einreiseverbot gilt, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten, noch darf ihm – selbst bei Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel – ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Durch die Europäisierung des Migrationsrechts gilt dieses Einreiseverbot, soweit es – was in der Regel geschieht – im SIS-System eingetragen wurde, für das gesamte Gebiet der Europäischen Union. Die Möglichkeit zur Auferlegung dieses belastenden Verwaltungsaktes soll durch den neuen § 11 AufenthG-E wesentlich erweitert werden. Hierbei werden allerdings bereits in der jetzigen Fassung des § 11 AufenthG bestehende Rechtsprobleme – mit Ausnahme der Abschaffung des Antrages zur Befristung eines Einreiseverbotes – nicht gelöst, dafür aber viele neue in das Gesetz eingeführt. Der Beitrag gibt einen Überblick über einige problematische Punkte.
Einreiseverbot als gesetzliche Rechtsfolge
§ 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG-E normiert, dass aus einer Ausweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung der Erlass eines Einreiseverbotes folgt. Das Einreiseverbot ist daher – immer noch – als gesetzliche Rechtsfolge vorgesehen, wenn ein Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird. Dies ist mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie, die zwingende Vorgaben für die Ausgestaltung eines Einreiseverbotes enthält, nicht vereinbar. So heißt es in Art. 3 Nr. 6 der Rückführungsrichtlinie: ein Einreiseverbot ist eine „behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme“. Die Anordnung eines Einreiseverbotes als gesetzliche Folge ist aber gerade keine exekutive oder judikative Entscheidung im Einzelfall, sondern eine legislative Rechtsfolgenanordnung. Schon hieraus folgt die Unionsrechtswidrigkeit des § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG-E.
Einreiseverbot bei verschuldeter Nichtausreise
Nach § 11 Abs. 6 AufenthG-E kann gegenüber einem Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, ein Einreiseverbot angeordnet werden, es sei denn, er ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder das Überschreiten der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Die sich aus dieser Norm ergebenden Probleme mit den geplanten § 25b AufenthG-E und § 59 Abs. 1 S. 6 AufenthG-E werden in einem anderen Beitrag des Themenschwerpunktes beschrieben. Auf ein näheres Eingehen wird daher hier verzichtet.
Einreiseverbote nach erfolglosem Asylverfahren
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann nach § 11 Abs. 7 AufenthG-E gegenüber einem Ausländer, dessen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde oder dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, oder das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint wurde, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, oder dessen Folge oder Zweitantrag – §§ 71, 71a AsylVfG – nicht zur Durchführung eines Asylverfahrens geführt hat, ein Einreiseverbot anordnen. In dieser recht umständlichen Formulierung sind Fälle dargelegt, in denen ein Asylantrag negativ beschieden wird. Dies bedeutet daher nichts anderes, als dass in allen Fällen, in denen das Asylverfahren des Betroffenen – unabhängig von den Gründen der Erfolglosigkeit – nicht erfolgreich war, nunmehr ein Einreiseverbot verhängt werden kann.
Gewissermaßen wird für die nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme des deutschen Asylverfahrens die Sanktion eines Einreiseverbotes verhängt. Diese Gesetzesfassung – vgl. die Gesetzesbegründung (S. 46), welche die Verhinderung des Missbrauches des Asylverfahrens als Ziel nennt – unterstellt daher allen abgelehnten Asylbewerbern die Absicht, nicht aus Schutzgründen, sondern lediglich zur Inanspruchnahme deutscher Sozialleistungen bzw. zum Missbrauch des deutschen Asylverfahrens eingereist zu sein, denn nur an ein negativ konnotiertes Verhalten kann eine Sanktion anknüpfen. Dies kann nicht überzeugen, da sich schon für die These der „Einwanderung in die Sozialsysteme über Asyl“ keine Belege finden lassen und die Inanspruchnahme eines Verwaltungsverfahrens an sich noch keine negativ konnotierte Tat ist.
Befristung des Einreiseverbotes von Amts wegen, aber mit Nebenbestimmungen
Positiv – und als Schritt nach vorne – ist zu werten, dass nunmehr endlich eine Befristung des Einreiseverbotes von Amts wegen eingeführt wird, vgl. § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG-E. Dies ist allerdings lediglich die gesetzliche Festschreibung der Rechtsprechung des EuGH, dass ein Antragserfordernis zur Befristung eines Einreiseverbotes nicht mit der Rückführungsrichtlinie vereinbar ist.
Neu eingeführt wird allerdings § 11 Abs. 2 S. 4 AufenthG-E, wonach die Befristung zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit der Bedingung versehen werden kann, dass diese nur endet, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, insbesondere eine nachweisliche Straf- oder Drogenfreiheit. Wenn diese Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht eintritt, so soll eine von Amts wegen mit der ursprünglichen Befristung gleichzeitig festgesetzte längere Frist gelten, vgl. § 11 Abs. 2 S. 5 AufenthG-E. Grundlage für diese Neuregelung ist vermutlich ein Urteil des Bay. VGH, das eine solche Nebenbestimmung als zulässig erachtet hat. In nachfolgenden Urteilen anderer Gerichte wurde allerdings – zutreffenderweise – ausgeführt, dass es an einer Ermächtigungsgrundlage für eine solche Bedingung im deutschen Recht fehlt.
Trotz des nunmehr baldigen Vorhandenseins einer solchen Ermächtigungsgrundlage sprechen unionsrechtliche Vorgaben gegen die Zulässigkeit einer solchen Bedingung. Zielsetzung eines Einreiseverbotes ist es nach den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie, dass ein wirksames Abschreckungsinstrument gegen illegale Einwanderung nach Europa geschaffen wird und die freiwillige Ausreise bei einer bestehenden Ausreisepflicht gefördert wird. Zielsetzung einer Bedingung im Rahmen der Befristung eines Einreiseverbotes ist es allerdings, auf das Verhalten des Drittstaatsangehörigen im Herkunftsland einzuwirken. Schon diese unterschiedlichen Zielsetzungen sind kaum zu vereinbaren.
Hier verwundert es zunächst, dass für die Dauer eines Einreiseverbotes, das sich, so die unionsrechtliche Konzeption in der Rückführungsrichtlinie als auch die bisherige Rechtsprechung des BVerwG, am vorangegangenen Verhalten des Betroffenen orientiert, auf ein zukünftiges Verhalten abgestellt wird, um ein Fristende zu bestimmen. Wie aber hängt das zukünftige Verhalten eines Betroffenen mit der Festsetzung einer jetzt festzulegenden Fristentscheidung zusammen? Ist der Schluss, dass aus vergangener Straffälligkeit neue Straffälligkeit folgt, tatsächlich zwingend? Aus meiner Sicht eher nicht. Eventuelle Straffälligkeit im Ausland kann in einem neuen Visumverfahren eine Rolle spielen, aber nicht bei der Befristung eines Einreiseverbotes.
Auch stellt, da Straf- und Drogenfreiheit nur exemplarisch aufgezählt scheinen („insbesondere Straf- oder Drogenfreiheit“), sich die Frage welche Verhaltensauflagen noch möglich sein sollen. Annahme einer bestimmten Religion? Erreichen eines bestimmten Schulabschlusses? Absolvierung eines Integrationskurses im Ausland? Tragen eines bestimmten Haarschnittes?
Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes nach Ermessen
Gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 AufenthG-E wird über die Länge der Befristung des Einreiseverbots nach Ermessen entschieden. Diese Neuregelung ist als Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des BVerwG zu werten, welches die Befristung eines Einreiseverbotes als gebundene, d.h. gerichtlich voll überprüfbare, Entscheidung angesehen hat. Gewissermaßen soll hierdurch anscheinend „das Rad wieder zurückgedreht werden“. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass das BVerwG dies akzeptiert. Das BVerwG hat seine Rechtsprechung nicht auf den Gesetzeswortlaut des bisherigen § 11 AufenthG gestützt, sondern auf die notwendige Beachtung der Vorgaben der Rückführungsrichtlinie und insbesondere die starke grundrechtliche Beeinträchtigung des Betroffenen, welche eine vollständige gerichtliche Überprüfung notwendig machen. Dieser Ansicht sind in der Folge alle Verwaltungsgerichte gefolgt. Es verbleibt daher abzuwarten, wie die judikative Reaktion auf diese gesetzgeberische Provokation aussieht.
Weiterhin ist die Ausweisungsentscheidung, die als gesetzliche Folge ein Einreiseverbot vorsieht, nach der Anpassung durch die Gesetzesreform gerichtlich voll überprüfbar. Damit hat der Stand des Entwurfes die paradoxe Folge, dass die rechtlichen Folgen der Ausweisungsentscheidung gerichtlich nicht voll überprüfbar sind, die dieses Einreiseverbot auslösende Entscheidung aber schon.
Antragsmöglichkeit für nachträgliche Friständerung
Auf bundesgesetzlicher Ebene soll die Möglichkeit normiert werden, dass auf Antrag nachträglich die Dauer der Befristung eines Einreiseverbotes verkürzt wird, bspw. wenn der Betroffene freiwillig ausgereist ist. Diese von Art. 11 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie geforderte Möglichkeit findet sich nun erstmals im Aufenthaltsgesetz. Ein Rückgriff auf die landesrechtlichen Verwaltungsverfahrensregelungen wird hierdurch unnötig. Es handelt sich daher um eine Verfahrensvereinfachung.
Fazit
Die geplante Neuregelung des § 11 AufenthG macht in der Abschaffung des Antragserfordernisses und der bundesgesetzlichen Regelung einer nachträglichen Fristsetzung tatsächlich Schritte hin zu einer unionsrechtskonformen Regelung des Einreiseverbotes. Angesichts der aufgezeigten Problematik des Entwurfes darf allerdings bezweifelt werden, dass das letzte Wort hier gesprochen ist. Vielmehr steht der Rechtsprechung und der Wissenschaft eine weitere Auseinandersetzung um das Einreiseverbot – mit einigen neuen Streitpunkten – bevor, falls im Gesetzgebungsverfahren nicht noch einschneidende Änderungen vorgenommen werden.
Dieser Beitrag ist Teil der Schwerpunktwoche „Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung“.