Zur Bleiberechtsregelung nach § 25b AufenthG-E, Teil 2/2
von TOBIAS BRINGS und MAXIMILIAN OEHL
Während sich Teil 1 des Beitrages kritisch mit der Wechselwirkung zum neuen § 11 AufenthG-E auseinandergesetzt hat, widmet sich Teil 2 der hochaktuellen Problematik des Spracherfordernisses beim Familiennachzug, die auch im Rahmen von § 25b AufenthG-E relevant werden kann, sowie der widersprüchlichen Anpassung des § 44 AufenthG im Lichte der neuen Vorschrift. Beide Regelungsbereiche bedürfen einer Überarbeitung, andernfalls drohen normenhierarchische Konflikte bzw. normative Widersprüche.
Die ewigen Wirrungen von Familiennachzug und Spracherfordernissen
Die Möglichkeiten des Familiennachzugs im AufenthG sind bereits de lege lata nicht leicht nachzuvollziehen. Nach dem aktuellen Entwurf würde es erneut einige durch § 25b AufenthG-E bedingte Änderungen geben.
Insofern ist zwischen zwei Sachverhaltskonstellationen zu unterscheiden. § 25b Abs. 4 AufenthG-E würde als neue Rechtsgrundlage zugunsten von Ehegatten, Lebenspartnern und minderjährigen ledigen Kinder, die mit dem nach Abs. 1 Begünstigten bereits in familiärer Gemeinschaft leben, „Inlandsfälle“ erfassen.
Der Familiennachzug aus dem Ausland hingegen würde sich weiter nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 27 ff. AufenthG richten. Auch insofern käme es jedoch zu Änderungen des § 29 Abs. 3 AufenthG. Für Ehegatten und minderjährige Kinder wäre nach der Regelung des § 29 Abs. 3 Satz 1 AufenthG-E ein Nachzug zum Stammberechtigten mit Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG-E nur beschränkt aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen bzw. zur Wahrung der politischen Interessen der BRD möglich. Ein Familiennachzug zu nach § 25b Abs. 4 Satz 1 AufenthG-E Berechtigten wäre gem. § 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG-E sogar gänzlich ausgeschlossen.
Während die vereinfachte Familienzusammenführung nach § 25b Abs. 4 AufenthG-E grundsätzlich zu begrüßen wäre, sind die Änderungen in § 29 Abs. 3 AufenthG-E abzulehnen. Die nach § 25b AufenthG-E relevanten Integrationsleistungen der Betroffenen würden wegen dieser Modifikationen nur eingeschränkt berücksichtigt – sie würden in entsprechenden Konstellationen, also insbesondere beim Familiennachzug aus dem Ausland, durch die Einschränkungen entwertet. Dies widerspräche den normativen Ausgangserwägungen bei der Schaffung des § 25b AufenthG-E, nachhaltige Integration zu honorieren und zu verfestigen.
Ein in der Reform bisher nicht angegangenes Problem wäre jedoch allen Regelungen immanent: die bislang ungeklärte Problematik der Spracherfordernisse beim Familiennachzug und deren potentielle Unionsrechtswidrigkeit. Auch nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG-E wäre eine Voraussetzung, „über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen“ zu verfügen. § 25b Abs. 4 Satz 1 AufenthG-E nimmt für die dort genannten Familienangehörigen diese Vorschrift in Bezug und verlangt von diesen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis somit ein bestimmtes Maß an Sprachkenntnis. Für im Ausland befindliche Familienangehörige eines gem. § 25b Abs. 1 AufenthG-E Aufenthaltsberechtigten würden diverse vergleichbare Regelungen in den § 27 ff. AufenthG gelten. Für Ehegatten würde sich der Nachzug bspw. auch nach § 30 AufenthG richten, sodass sich der nachziehende Ehegatte gemäß dem umstrittenen § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG „zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen“ können müsste. Fakt ist: Ohne legislative Klarstellungen würden allgemein bestehende Rechtsprobleme zu Spracherfordernissen beim Familiennachzug auch im Rahmen des neuen § 25b AufenthG-E relevant werden.
Im Fokus der Kritik steht seit einigen Jahren v.a. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Hatte das BVerwG in seinem Urteil vom 30.03.2010 diesbezüglich noch keine Unionsrechtswidrigkeit erkennen können und angesichts einer mittlerweile überholten Stellungnahme der EU-Kommission auf eine Vorlage der Rechtsfrage verzichtet, haben sich mittlerweile nicht nur die EU-Kommission selbst, sondern auch EuGH-Generalanwalt Mengozzi (im Rahmen der Schlussanträge zum Dogan-Verfahren) dahingehend geäußert, dass diese deutsche Regelung mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) wohl nicht zu vereinbaren sei. Begründet wird dies v.a. mit dem Fehlen der Option einer einzelfallgerechten Prüfung von Anträgen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände, was letztlich dazu führe, dass Zweck und praktische Wirksamkeit der Richtlinie verfehlt würden und die Ausübung des in der Richtlinie vorgesehenen Rechts auf Familienzusammenführung praktisch unmöglich gemacht werde.
Aktuell liegt die Frage der Vereinbarkeit der strikten deutschen Spracherfordernisse beim Familiennachzug denn auch wieder beim EuGH (der sich i.R.d. Dogan-Verfahrens einer Beantwortung dieser heiklen Frage noch entzogen hatte). Auch Generalanwältin Kokott hat in ihren Schlussanträgen vom 19.3.2015 (anlässlich eines Verfahrens, das niederländische Spracherfordernisse betrifft) nochmals die Relevanz der Möglichkeit einer Beurteilung des Einzelfalls unter Berücksichtigung aller Fragen der Zumutbarkeit betont (Rn. 39 ff.).
Der avisierte Gesetzentwurf begegnet dieser Problematik bisher überhaupt nicht und nimmt damit deutlich Kurs auf ein unionsrechtswidriges Auflaufen. Der Bundesrat hat dies in seiner Stellungnahme moniert und in Anbetracht aktueller Entwicklungen (S. 1 ff.) eine vollständige Aufhebung der relevanten Regelungen gefordert, die Bundesregierung hingegen übt sich laut ihrer Gegenäußerung (S. 1) vorerst im Abwarten.
Will man Konflikte mit Unionsrecht verhindern, muss dem Erfordernis der Möglichkeit einer Prüfung aller relevanten Umstände des Einzelfalls bei Spracherfordernissen in den Regelungen zum Familiennachzug Rechnung getragen werden. Dies könnte auch die Vorschrift des § 25b Abs. 4 AufenthG-E betreffen. In Anbetracht all dessen sollte folgender Passus Eingang in die betroffenen Vorschriften finden:
„Von der Voraussetzung des [Normangabe] ist abzusehen, wenn die Beurteilung des Einzelfalls ergibt, dass es dem Betroffenen in Anbetracht aller Umstände unmöglich war, die erforderlichen Kenntnisse zu erlangen, und das Interesse an der Familienzusammenführung überwiegt.“
Insgesamt erscheint eine Verdrängung der Spracherfordernisse beim Familiennachzug im Wege des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs bzw. im Zuge des sich abzeichnenden EuGH-Urteils mittelfristig als wahrscheinlich.
Inkonsequente Reform zum Zugang zu Integrationskursen nach § 44 AufenthG
Fast schon paradox wirkt mit Blick auf die Gesamtvorschrift die Tatsache, dass § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. c) AufenthG um einen Verweis auf den § 25b AufenthG-E ergänzt werden soll. Daraus folgt, dass man mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG-E grundsätzlich auch einen Rechtsanspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs erlangt, während u.a. den Geduldeten dieser Anspruch weiterhin fehlt. Warum aber gerade Geduldeten – vor allem solchen mit hohen Chancen auf ein Bleiberecht – ein Zugang zu Integrationskursen verwehrt bleiben sollte, bleibt schleierhaft. Dies erkannte auch der Bundesrat, der in seinem Beschluss forderte:
„In Hinblick auf eine Verbesserung der Zugangschancen zum Arbeitsmarkt ist es zudem angezeigt, Asylbewerbern und Geduldeten zumindest im Rahmen verfügbarer Kursplätze die Teilnahme am Integrationskurs zu ermöglichen.“, S. 21 f.; hierbei handelt es sich um einen Änderungsvorschlag, dessen Prüfung die Bundesregierung zumindest angekündigt hat (S. 5).
Besonders absurd mutet der Zugangsanspruch auf Grundlage einer Aufenthaltserlaubnis wegen „nachhaltiger Integration“ dann an, wenn man die Ausschlussgründe in § 44 Abs. 3 AufenthG betrachtet. Hier wird ein Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs versagt, wenn – zusammenfassend – eine solche Teilnahme weder aus sprachlichen noch aus sonstigen Gründen notwendig erscheint (vgl. v.a. Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3). Dies erweckt zumindest den Eindruck einer Ausnahme vom Teilnahmeanspruch durch die Hintertür, da Interessierte mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG-E schon per se gewisse integrative Nachweise erbringen müssen (vgl. dazu auch die Allg. Verwaltungsvorschrift zu § 44 AufenthG und § 4 Abs. 2 IntegrationskursVO) und in der Realität wohl eher über die Mindestanforderungen des § 25b AufenthG-E hinausschießen werden.
Betrachtet man das Erfordernis der langen Voraufenthaltszeiten nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG-E, sollte Betroffenen bereits im Vorfeld die Möglichkeit gegeben werden, über entsprechende Integrationsangebote im gesellschaftlichen Leben Fuß zu fassen. Insofern sollte v.a. Geduldeten nach einem gewissen Zeitraum des Aufenthaltes Zugang zu den Integrationskursen ermöglicht werden – insbesondere dann, wenn sich prognostisch abzeichnet, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG realistisch erscheint (so sogar die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, S. 3). Denkbar ist insofern eine Ergänzung des § 44 Abs. 1 AufenthG um einen neuen Satz 3:
„Ein Anspruch nach Satz 1 besteht auch für Ausländer, deren Aufenthalt seit mehr als 18 Monaten geduldet ist.“
Hierbei handelt es sich nur um eine Mindestforderung, sinnvoll erscheint ebenso eine Öffnung für weitere Personengruppen wie beispielsweise Asylsuchende. Dabei handelt es sich jedoch primär um eine rechtspolitische Frage.
Nachbesserungsbedarf
Sowohl im Hinblick auf die Spracherfordernisse bei der Familienzusammenführung als auch hinsichtlich des Zugangs zu Integrationskursen muss im Gesetzentwurf nachgebessert werden. Eine klare, systematisch saubere Regelung der beiden Bereiche ist wünschenswert. Gerade im Bereich der Spracherfordernisse wird die derzeitige Fassung mit ihrer überbordend genutzten Verweisungstechnik den Ansprüchen an ein verständliches Gesetz nur bedingt gerecht.
Im Ergebnis
Die ersten Schritte sind getan – nun gilt es, auf einen systematisch schlüssigen und dem Ziel der Reform des Bleiberechts gerecht werdenden § 25b AufenthG hinzuwirken. Wie dargestellt, weist die aktuelle Fassung einige dogmatische wie normative Inkonsistenzen auf, die zum einen im Stande sind, die Zielsetzung der Reform in ihrem Kern zu gefährden, zum anderen zwingend notwendige Änderungen unberührt lassen. Zur Überwindung dieser Probleme könnten die aufgeführten Nachbesserungsansätze einige Anhaltspunkte bieten.
Dieser Beitrag ist Teil der Schwerpunktwoche „Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung”.