Aus der Reihe UMWELTRECHT am FREITAG
Der Wolf als besonders geschützte Art genießt in der Europäischen Union außergewöhnlichen Schutz. Behördliche Ausnahmegenehmigungen zum legalen Abschuss sind nur in absoluten Ausnahmesituationen erteilbar. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) legt nun einen europarechtswidrigen Gesetzesentwurf vor. Politisch unter Druck gesetzt, soll das Schutzniveau herabgesenkt werden.
Der Wolf kehrt in seine ursprünglichen Jagdgründe zurück. Artenschützerinnen und Artenschützer freuen sich. Nutztierhalterinnen und Nutztierhalter dagegen müssen nun mit dem Fleischfresser leben. Dessen ursprüngliche Jagdgründe sind angesichts der vielen Rodungen nämlich mittlerweile Ackerland für Nutztiere, welchen sich der Rückkehrer nun in Ausnahmefällen annimmt. Umso wenig verwunderlich ist es, dass die Landwirtschaft dessen Ausbreitung eingedämmt sehen möchte. Wölfe darf man jedoch nicht einfach so töten. Wer das ohne Genehmigung tut, begeht eine Ordnungswidrigkeit, mit Vorsatz eine Straftat. Das Recht schützt den Wolf als sog. besonders geschützte Art. Zur legalen Tötung bedarf es deshalb einer exekutiven Genehmigung. Die Erteilung steht unter strengen Voraussetzungen. Doch die bislang strikten Regeln sollen in Deutschland gelockert werden. Hierfür legt das BMU nun den Entwurf eines Änderungsgesetztes vor. Fraglich ist, ob die geplanten Änderungen mit europäischem Artenschutzrecht vereinbar sind.
Der Wolf als geschützte Art in Deutschland – de lege lata
Dem Grunde nach ist es in Deutschland gem. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verboten, wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten zu töten. Der Wolf (Canis lupus) ist gem. § 7 Abs. 2 Nr. 13 lit. b, aa BNatSchG i.V.m. Anhang IV Richtlinie 92/43/EWG eine solche besonders geschützte Art. Ausnahmsweise kann von diesem Handlungsverbot abgewichen werden. Denn gem. § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG können Behörden im Einzelfall Ausnahmen zur Erreichung verschiedener Ziele erlassen: zur Abwendung erheblicher wirtschaftlicher Schäden (Nr. 1), zum Schutz der natürlichen Tier- und Pflanzenwelt (Nr. 2), für Zwecke der Aufzucht oder künstlichen Vermehrung (Nr. 3), im Interesse der Gesundheit und Sicherheit des Menschen (Nr. 4) oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art (Nr. 5). Weiter darf eine Ausnahme nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der betroffenen Populationen durch die Maßnahme nicht verschlechtert. Die engen Tatbestände und die schwer umsetzbaren behördlichen Beweisführungspflichten machen es den anerkannten Naturschutzvereinigungen in der Praxis leicht, eine Verbandsklagebefugnis gem. § 64 BNatSchG zu begründen und vor Gericht erfolgreich gegen behördliche Genehmigungen vorzugehen.
Der Wolf als geschützte Art in Deutschland – de lege ferenda
Das BMU will diesen Zustand nun verändern und hat hierfür den Referentenentwurf eines Änderungsgesetztes zum BNatSchG vorgelegt. Laut BMU soll die Rechtssicherheit bei der Erteilung von Ausnahmen zu den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten erhöht werden. Außerdem habe sich „beim Vollzug des Bundesnaturschutzgesetzes in der Praxis (…) der Bedarf ergeben, spezifische Regelungen zum Umgang mit dem Wolf zu treffen“. Tatsächlich soll aber vor allem die gesetzliche Hürde zur behördlichen Genehmigungserteilung verringert werden. In § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sollen die Kriterien der Erheblichkeit und Wirtschaftlichkeit etwaiger Schäden gestrichen und lediglich durch das Kriterium der Ernsthaftigkeit ersetzt werden. Hierdurch soll der Ausnahmetatbestand ausgeweitet werden. Ebenfalls soll ein neuer § 45a BNatSchG („Umgang mit dem Wolf“) geschaffen werden. Hierdurch soll der behördliche Genehmigungserteilungsprozess erleichtert, insbesondere bislang bestehende Beweisschwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Eine behördliche Ausnahmegenehmigung soll nämlich gem. 45a Abs. 2 BNatSchG im Falle des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 4 (zur Abwendung ernster Schäden oder im Interesse der Gesundheit des Menschen) auch schon dann möglich werden, wenn eingetretene Nutztierrisse keinem bestimmten individuellen Wolf zuzuordnen sind. Für diesen Fall sollen nun auch die Abschüsse einzelner Mitglieder des Wolfsrudels, denen die Schäden nicht unmittelbar zugeordnet werden können, solange zulässig sein, bis weitere Schäden ausbleiben. Zynisch ließe sich sagen, dass im Zweifel die Schäden jedenfalls mit dem Tod aller Wölfe ausblieben.
Zur Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
Politisch unter Druck gesetzt macht das BMU nun also ernst. Doch wurde die Rechnung ohne das Unionsrecht gemacht? Bereits seit 1992 verpflichtet die Europäische Union mittels RL 92/43/EWG die Mitgliedstaaten dazu, einen nationalen Rechtsrahmen zu schaffen, welcher das strikte Tötungsverbot besonders geschützter Arten (Art. 12) ebenso wie die Möglichkeiten, Ausnahmen zu diesem zu erlassen (Art. 16), umfasst. In Frage steht nun, ob die Verschärfungsambitionen mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar sind. Die Mitgliedstaaten können laut Art. 16 RL 92/43/EWG zur Verhütung ernster Schäden an Eigentum (lit. b) Ausnahmen zu dem allgemeinen Tötungsverbot einfachgesetzlich verankern. Überdies kann, ohne konkrete Zielvorgabe, die Entnahme einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß (lit. e) einfachgesetzlich verankert werden. Mittels seiner jüngst ergangenen Tapiola-Entscheidung hat sich der EuGH zu den erheblichen Anforderungen an die behördliche Ausnahmeerteilung auf Basis der „Ausnahme-Ausnahme“ lit. e geäußert. In jedem Fall darf es aber keine anderweitige zufriedenstellende Lösung geben und die Populationen der betroffenen Art müssen in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen können, vgl. Art. 16 Abs. 1 Hs. 1 RL 92/43/EWG.
Nun mittels nationalen Rechts nicht erhebliche, wirtschaftliche Eigentumsschäden als Zielsetzung einer Ausnahmegenehmigung zu nutzen, sondern ernste, spiegelt zwar den Wortlaut des Unionsrechts wider, verhilft aber letztlich aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH nicht wesentlich zu einer Vereinfachung der behördlichen Genehmigungsanforderungen. Da der Artenschutz in der EU ein besonderes Schutzniveau genießt und Ausnahmevorschriften hierzu restriktiv auszulegen sind, können Schäden eben erst dann als ernst bezeichnet werden, wenn eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten worden ist (so auch Borwieck, ZUR 2020, 50 [52]).
Überdies wirft aber vor allem die neu in das BNatSchG einzufügende Regelung § 45a Abs. 2 die Frage auf, ob auch solche Tiere, die nachweislich gerade nicht den Nutztierriss zu verantworten haben, aber einem Rudel im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang des Schadens angehören, nach unionsrechtlichem Maßstab Ziel einer behördlichen Ausnahmegenehmigung sein dürfen. Fraglich ist hier, ob ein solches Vorgehen überhaupt zur Erreichung der unionsrechtlichen Zielvorgabe einer Verhütung ernster Eigentumsschäden (lit. b) geeignet ist. Denn offenbar will der Gesetzgeber ja gerade nicht die Genehmigung für die Tötung des für den Schaden verantwortlichen Tiers vereinfachen. Vielmehr werden nun scheinbar alle Tiere, die sich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ befinden, zum Ziel. Eigentumsschäden ließen sich bei diesem Vorgehen dann höchsten mit der Tötung aller Tiere vorbeugen. Frei nach der Logik: Wenn es keine Wölfe mehr gibt, reißen die auch keine Nutztiere mehr. Diese vollständige Auslöschung der Population wäre dann aber jedenfalls nicht mit der unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 16 Abs. 1 Hs. 1 vereinbar, die eine Abschussgenehmigung unter den Vorbehalt eines bestehenden günstigen Erhaltungszustands der Art stellt. Die nationale Norm lässt sich auch nicht als Umsetzung des allgemeinen Auffangtatbestands lit. e behandeln. Dessen Anwendungsbereich ist vorliegend gesperrt. Der Gesetzgeber verfolgt nämlich mit § 45a Abs. 2 BNatSchG ausdrücklich das Ziel der Schadensbekämpfung und damit der Umsetzung von lit. b. Damit liegt ein Verstoß gegen das Unionsrecht vor.
Fazit
Die Vorgaben des Gesetzesentwurfs zur Änderung des BNatSchG sollten im anstehenden Gesetzgebungsverfahren noch einmal gründlich überdacht werden. Denn selbst wenn dieser die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten bekäme, wäre damit zu rechnen, dass gegen § 45a Abs. 2 BNatSchG Rechtsschutz ersucht würde. Hierfür wäre es aus Sicht von Naturschutzvereinigungen naheliegend, eine deutsche exekutive Ausnahmegenehmigung anzufechten. Das zuständige Verwaltungsgericht wäre dann verpflichtet, das nationale Recht entweder unionsrechtskonform auszulegen oder bei Unmöglichkeit unionsrechtskonformer Auslegung als unionsrechtswidrig und damit unanwendbar zu behandeln. Gemäß Art. 267 AEUV stünde es dem Gericht frei, dem EuGH Fragen darüber zur Vorabentscheidung vorzulegen; erst letztinstanzlich wäre es dazu verpflichtet (sofern die Auslegung nicht als acte clair-Konstellation angesehen wird). Das ursprünglich durch das BMU verfolgte Ziel, mehr Rechtssicherheit zu schaffen, würde in jedem Fall gerade verfehlt.
Zitiervorschlag: Klausmann, Das BMU will dem Wolf mit einer Gesetzesverschärfung an den Kragen – doch wurde die Rechnung ohne das Unionsrecht gemacht?, JuWissBlog Nr. 24/2020 v. 13.3.2020, https://www.juwiss.de/24-2020/.
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