Die Bayerische Wolfsverordnung – Wahlkampfgetöse oder Wundermittel?

von KATHARINA VIRTUDES WEIß

Der Freistaat Bayern hat kürzlich eine „Bayerische Wolfsverordnung“ erlassen und ist damit Sachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gefolgt. Doch Bayern begeht, wie so oft, Sonderwege. Während der bayerische Wirtschafts- und Tourismusminister die Verordnung als „Rettungsversuch für Tourismus und Almwirtschaft in Bayern“ bezeichnet, hat die Kritik der Naturschutzverbände nicht lange auf sich warten lassen. Ist die Bayerische Wolfsverordnung nur Wahlkampfgetöse oder doch ein Wundermittel?

Der böse Wolf

Der Wolf ist in den Augen vieler böse – das war nicht nur im Märchen „Rotkäppchen“ so, sondern zu dieser Erkenntnis gelangt man relativ schnell, wenn man sich die jüngsten Äußerungen führender Politiker im Bund (S. 6327) oder in Europa zu Gemüte führt. Das liegt meist darin begründet, dass ein Wolf Nutztiere gerissen hat oder in Ortschaften gesichtet wurde.

Schutzstatus des Wolfs und politische Bestrebungen zur Absenkung des Schutzstatus

Der Wolf ist im Mehrebenensystem rechtlich betrachtet streng geschützt. Es bestehen Zugriffs- und Vermarktungsverbote auf völkerrechtlicher und unionaler Ebene vorgegeben durch die Listung in Anhang II des Berner Abkommens und Anhang IV der FFH-Richtlinie. Bundesgesetzlich schlägt sich dies in § 7 Abs. 2 Nr. 13, 14 BNatSchG nieder, wonach der Wolf eine sowohl besonders geschützte als auch eine streng geschützte Tierart ist. Dabei bestehen immer wieder politische Bestrebungen, diesen Schutzstatus zu senken – zuletzt prominent durch das Europäische Parlament (Entschließungsantrag) oder durch die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag (BT-Drs. 20/3690). Auch auf völkerrechtlicher Ebene wurde der Versuch unternommen, den Wolf von Anhang II in Anhang III der Berner Konvention umzulisten und damit unter einen weniger strengen Schutz zu stellen. Dieser scheiterte jedoch aufgrund wissenschaftlicher Daten: Die alpine Wolfspopulation ist noch immer potenziell gefährdet.

Artenschutzrechtliche Ausnahmen

Daher ist es unter anderem verboten, Wölfen nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG). Von diesen Verboten kann nur dann abgewichen werden, wenn die strengen Voraussetzungen des § 45 Abs. 7 Satz 1, 2 BNatSchG im Einzelfall vorliegen, also ein Ausnahmegrund besteht, keine Alternativen vorliegen und sich der Erhaltungszustand der Population nicht verschlechtert. Diese Ausnahme ist nach § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG auch durch Rechtsverordnung möglich.

Quintessenz der BayWolfV

§ 1 Abs. 1 gestattet das Nachstellen, das Fangen, das Vergrämen und das Töten von Wölfen im Interesse der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit. Eine Gefahr soll nach den Regelbeispielen des § 1 Abs. 2 insbesondere dann vorliegen, wenn ein Wolf sich mehrfach Menschen außerhalb von Fahrzeugen auf unter 30 Meter annähert bzw. die Annäherung von Menschen auf diese Distanz toleriert, er über mehrere Tage in einem Umkreis von weniger als 200 Meter von geschlossenen Ortschaften gesichtet wird oder unprovoziert auf Menschen reagiert. Zudem können Zugriffe zur Abwendung ernster wirtschaftlicher Schäden erfolgen (§ 2). Solche sollen insbesondere dann vorliegen, wenn Wölfe in nicht schützbaren Weidegebieten ein Nutztier verletzen oder töten.

Grundlegende Kritik an der BayWolfV

Es erscheint fraglich, ob die Sichtung von Wölfen in einem Umkreis von weniger als 200 Meter von geschlossenen Ortschaften ausreichend ist, um eine Gefahr bejahen zu können. Denn Wölfe meiden die Anwesenheit von Menschen. Sie nähern sich diesen erst durch positive Reize, z.B. durch eine Futtergabe, an, sodass diese Anreize zunächst zu vermeiden und zu beseitigen sind. Auch die Maßnahmen zur Abwendung ernster wirtschaftlicher Schäden dürften nicht rechtskonform sein. Ein Schaden soll nach der Verordnung vorliegen, wenn lediglich ein (!) Nutztier verletzt oder getötet wird – angesichts des zum Teil geringen Marktwertes von Nutztieren und unabhängig von der erforderlichen Gefahrenprognose – scheint dies mehr als fraglich. Auch wenn § 2 Abs. 3 Herdenschutzmaßnahmen nennt und dem Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Konkretisierungsmöglichkeiten überlässt, wird nicht deutlich, welche Herdenschutzmaßnahmen für unmöglich bzw. unzumutbar erachtet werden. Eine der Brandenburgischen Wolfsverordnung vergleichbare Anlage, die empfohlene Maßnahmen zum Schutz von Weidetierbeständen enthält, fehlt. Zudem wird der Einsatz von Herdenschutzhunden in der Verordnungsbegründung als eine „nicht zumutbare Alternative“ beschrieben. Diese werden jedoch in der Wissenschaft als effektive und empfohlene Herdenschutzmaßnahme angesehen.

Abkehr von gefahrenabwehrrechtlichen Grundsätzen

Die größten Kritikpunkte stellen § 1 Abs. 2 Satz 3 sowie § 2 Abs. 2 Satz 2 BayWolfV dar. Dadurch kehrt die BayWolfV von dem gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz ab, dass die Maßnahmen gegenüber dem schadensverursachenden bzw. dem gefährlichen Wolf vorzunehmen sind (vgl. BR-Drs. 243/19, S. 6). Vielmehr können die Maßnahmen gegen einen Wolf gerichtet werden, der im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis angetroffen wird, ohne dass dieser als schadensverursachend identifiziert werden muss. Auf Bundesebene wurde mit § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG eine vergleichbare Regelung erlassen, die bereits im Gesetzgebungsverfahren mit dem Vorwurf der Unionsrechtswidrigkeit konfrontiert war (vgl. Stellungnahme von Gellermann zu dem Gesetzentwurf). Der EuGH hat klargestellt, dass die Tötung von Wölfen aus Gründen der Prävention unzulässig ist, sofern nicht auf Grundlage streng wissenschaftlicher Erkenntnisse die Geeignetheit der präventiven Tötung nachgewiesen werden kann, um dem Unionsrecht zu entsprechen. Dass die Tötung irgendeines Wolfs dazu führt, dass keine Nutztiere in dieser Region mehr gerissen werden, kann derzeit nicht nachgewiesen werden.

Ein offener Widerspruch

Kurios ist außerdem, dass Ministerpräsident Söder vorab ankündigte, dass der Erhaltungszustand der Wolfspopulation als günstig festgestellt wird. Die alpine Wolfspopulation ist aber immer noch potenziell gefährdet.  Daher fordert § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 BayWolfV, dass „die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindert wird“. Eine Wiederherstellung kann aber nur dann angestrebt werden, wenn der Erhaltungszustand als ungünstig betrachtet wird. Daher stehen § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 im offenen Widerspruch zu Söders Aussage.

Wahlkampfgetöse?!

Aus diesen Gründen sind die Stimmen, wie die der Deutschen Umwelthilfe („ein populistisches Wahlkampfmanöver“), nicht unbegründet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Wolfsverordnung entgegen der Vorgabe des § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG ohne Mitwirkung der anerkannten Naturschutzvereinigungen beschlossen wurde. Die Bayerische Staatsregierung begründet dies zwar damit, dass ein sofortiges Handeln zum Beginn des Almauftriebs zum 1.5.2023 erforderlich gewesen sei. Aus Pressemitteilungen ist jedoch ersichtlich, dass der Erlass einer Wolfsverordnung bereits vor dem 25.4.2023 geplant war, sodass Zweifel bestehen, dass eine vorherige Beteiligung aus zeitlichen Gründen unmöglich war.

Ein Ausblick

Ob die hier dargelegten Bedenken ihre Berechtigung haben, wird sich in Kürze zeigen, denn ein gerichtliches Vorgehen gegen die BayWolfV wird von Bund Naturschutz bereits geprüft. Und selbst Wirtschafts- und Tourismusminister Aiwanger, Befürworter der Verordnung, hegt Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Bestätigen sich diese, wird die Verordnung für unwirksam erklärt werden. Ob die Verordnung im Falle ihrer Rechtmäßigkeit ein Wundermittel gegen den „bösen“ Wolf darstellt, bleibt jedoch fraglich: Denn die Ausnahmen greifen nicht ipso iure, sondern die unteren Naturschutzbehörden müssen das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen erst noch bestätigen, sodass für die Entnahme eines jeden Wolfs ein behördliches Handeln im Einzelfall erforderlich ist. Ein Blick nach Sachsen zeigt, dass von der Möglichkeit von Maßnahmen aufgrund der Wolfsverordnung nur spärlich Gebrauch gemacht wird. Seit 2019 wurde auf Basis der Sächsischen Wolfsverordnung eine letale Entnahme bisher ein einziges Mal genehmigt.

 

 

Zitiervorschlag: Weiß, Katharina Virtudes, Die Bayerische Wolfsverordnung – Wahlkampfgetöse oder Wundermittel?, JuWissBlog Nr. 27/2023 v. 08.05.2023, https://www.juwiss.de/27-2023/.

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