Ein Wolf ist ein Wolf, ist ein Wolf

von KEA OVIE

Kea OvieAus einer Verpaarung zwischen einem streunenden Hund und einer Wölfin entstanden in Ohrdruf (Thüringen) sechs sog. Hybridwölfe. Diese sollen der freien Natur entnommen werden, da man u. a. eine Verunreinigung des rein wölfischen Genpools befürchtet. Das Ministerium behält sich den Abschuss vor, sollte der Versuch, die Tiere einzufangen, zu kastrieren und unterzubringen missglücken. Fraglich ist, wie die Entnahme der Tiere in Form einer artgerechten Unterbringung oder sogar durch Tötung aus naturschutzrechtlicher, jagdrechtlicher und tierschutzrechtlicher Sicht zu bewerten ist.

Rechtlicher Schutzstatus von Wölfen

Der Schutz des Wolfes (Canis lupus) ist auf unterschiedlichen Rechtsebenen verankert. Zu nennen ist hier der Schutz in Bezug auf den Handel durch Anhang II des Washingtoner Artenschutzabkommens (BGBl.1975 II S. 777 (818)), umgesetzt durch die EG-Artenschutzverordnung (Anhang, Canis lupus). Gem. Anhang II des Berner Abkommens (BGBl.1984 II S. 618 (636)) sowie Anhang IV der FFH-Richtlinie (S. 53) zählt der Wolf zu den streng zu schützenden Arten von gemeinschaftlichem Interesse. Dieser Schutzstatus setzt sich auf nationaler Ebene in § 7 Abs. 2 Nr. 14 b) und Abschnitt 3 BNatSchG sowie § 4 BArtSchV fort. Gem. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, § 4 Abs. 1 S. 1 BArtSchV ist es u. a. verboten, Wölfe zu fangen, zu verletzen oder zu töten (Zugriffsverbot). Der Wolf ist keine nach dem Bundesjagdgesetz jagdbare Tierart. Auch Thüringen hat den Wolf nicht als jagbar qualifiziert. Jagdhandlungen an ihnen sind, da sie nicht dem Jagdrecht, sondern dem Naturschutzrecht unterliegen, regelmäßig bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten bzw. Strafbarkeiten* gem. § 69 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), b) BNatSchG, § 16 Abs. 2 Nr. 1 BArtSchV. Aus tierschutzrechtlicher Sicht ist zu beachten, dass das Töten eines Wolfes ohne vernünftigen Grund eine Straftat nach dem Tierschutzrecht darstellt.

Diesem strengen Schutzstandard unterliegen auch Hybridwölfe, da der Artenbegriff gem. Nr. 4 der Erläuterung zu Anlage 1 der BArtSchV i. V. m. Nr. 11 des Anhangs der EG-Artenschutzverordnung auf sie erweitert wird. Fraglich ist daher, ob ihre Entnahme gerechtfertigt werden kann. Aus artenschutzrechtlicher Sicht und zwecks Prüfung des Vorliegens eines vernünftigen Grundes i. S. d. Tierschutzgesetzes ist daher zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand des Zugriffsverbotes einschlägig ist.**

Entnahme zum Schutz der Wiederansiedlung?

In Betracht käme eine Entnahme aus Gründen des Schutzes der Wiederansiedlung reinerbiger Wölfe gem. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 Alt. 4 BNatSchG. Je höher der Anteil an Hunde-Genen ist, desto eher besteht die Gefahr der Besetzung freier Territorien durch Hybridwölfe, statt durch reinerbige Wölfe. Ebenso besteht die Gefahr des Verlustes von Habitaten, in denen sich reinerbige Wölfe angesiedelt haben. Im Verhältnis zum Schutz der natürlich vorkommenden Tierwelt gem. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 BNatSchG ist dieser Ausnahmetatbestand spezieller, da er konkret an das Merkmal der Wiederansiedlung anknüpft.

Das Wiederansiedeln ehemals heimischer, nunmehr aber nicht mehr vorkommender Arten innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes ist eine der zentralen Aufgaben des Artenschutzes. Ziel ist die Förderung der Artenvielfalt. Umfasst sind auch diejenigen Tierarten, die sich auf natürliche Weise wieder in Deutschland ansiedeln, somit auch Wölfe.

Die Entnahme muss für die Wiederansiedlung im konkreten Einzelfall vernünftigerweise geboten sein. Zumutbare Alternativen sind zu überprüfen. Die Schwelle der Zumutbarkeit ist durch eine Interessenabwägung zwischen der Wiederansiedlung und dem Schutz der Hybridwölfe zu ermitteln.

Da in Thüringen erst vereinzelt reinerbige Wölfe leben, greift jede weitere Verbreitung der Hybridwölfe überproportional in den reinerbigen Genpool ein. Diese Gefahr besteht auch weiterhin, da sich die Mutterwölfin in den vergangenen Jahren nicht mit einem Wolf hat verpaaren können.

Allerdings ist zusätzlich zum formal gleichrangigen Schutz von reinerbigen Wölfen und Hybridwölfen zu beachten, dass der Wortlaut des Ausnahmebestandes nicht auf die Wiederansiedlung reinerbiger Tiere abstellt. Darüber hinaus werden Hybridwölfe auch nach naturwissenschaftlichen Aspekten gem. § 7 Abs. Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG der Art Wolf zugesprochen. Entscheidend ist, dass eine Art über eine Fortpflanzungsisolation verfügt, durch die sie ihren Genpool gegen das Eindringen von Genen anderer Arten schützt. Über eine solche „Fortpflanzungsisolation“ verfügen Wölfe offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Hybridisierung ist ein natürlicher Vorgang. Erst durch Hybridisierung ist der Haushund selber entstanden. Das Argument der Artenvielfalt und die Höhergewichtung sind letztlich durch den Menschen konstruiert und finden in Bezug auf den Schutz von Wölfen keine natürliche Stütze.

Dennoch wird hier dem Schutz der Artenvielfalt der Vorrang eingeräumt, denn nur durch die Einschränkung der Hybridisierung kann der Bestand des „typischen“ und somit reinerbigen Wolfes für die nächsten Generationen gerettet werden. Anders kann es sich u. U. darstellen, wenn die Anzahl an reinerbigen Wölfen ansteigt.

Milderes Mittel, im Verhältnis zu einer artgerechten Unterbringung, wäre der Fang der Tiere zwecks Kastration mit anschließender Freilassung. Für die Tiere hätte dies den Vorteil, dass sie ein artgerechtes Leben in Freiheit führen könnten. Jedoch könnten, wegen der Besetzung freier Habitate, weiterhin reinerbige Wölfe an einer Wiederansiedlung gehindert werden, auch wenn sich die Hybridwölfe nicht weiterverpaaren könnten. Bei der Zielerfüllung sind jedoch gewisse Abstriche hinzunehmen. Die vollkommene Eliminierung der Hybridwölfe kann nicht alleiniges Kriterium für die Zielerreichung sein. Letztlich entspricht allein der Fang der Tiere zwecks Kastration und anschließender Freilassung dem Interessenausgleich im konkreten Einzelfall. Auch eine artgerechte Unterbringung kann ausnahmsweise noch zumutbar sein. Das Töten aller sechs Tiere ohne konkreten Anlass steht jedoch in keinem Verhältnis zum Schutz der durch Menschen konstruierten Artenvielfalt. Eine andere Auslegung widerspräche dem Gebot der restriktiven, einzelfallabhängigen Anwendung des Ausnahmetatbestandes.

Die Behörde darf die Hybridwölfe daher einfangen und notfalls artgerecht unterbringen, aber unter keinen Umständen anlasslos töten lassen.

Entnahme aus anderen Gründen

Für eine Ausnahme aus wirtschaftlichen Gründen müsste gem. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 BNatSchG der gesamte Wirtschaftszweig der Schaftierhaltung der Region durch die Hybridwölfe erheblich betroffen sein. Allein erhebliche Schäden einzelner Betriebe reichen nicht aus. Mit Stand Oktober 2017 hat das Muttertier wohl 65 Schafe in dem näheren Umkreis gerissen. In Thüringen werden jedoch ungefähr 100.000 Schafe gehalten (Stand 2016). Somit kann derzeit nicht von einer erheblichen wirtschaftlichen Betroffenheit der gesamten „Schaftierhaltung“ in Thüringen die Rede sein. Dies kann sich jedoch bei einem größeren Wolfsbestand ändern.

Eine Entnahme kann auch nicht gem. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatSchG damit gerechtfertigt werden, dass von den Tieren eine Gefahr für die menschliche Gesundheit und die öffentliche Sicherheit ausgehe, da für eine solche Gefahr keine aussagekräftigen Hinweise bestehen.

Bewertung und Aussicht

Das Ministerium verkennt, dass keiner der Ausnahmetatbestände zur Tötung der Hybridwölfe erfüllt ist. Letztlich wird die Behörde daher vor einem großen Dilemma stehen, sollten sich die Tiere nicht einfangen lassen: Einerseits besteht für einen Abschuss keine Rechtsgrundlage. Andererseits wird der Druck seitens der Nutztierhalter erheblich ansteigen.

Doch eine Änderung des Schutzstatus der Hybridwölfe ist sowohl auf internationaler, als auch auf europäischer Ebene nicht absehbar. Auch eine Einstufung als generell jagdbare Tiere würde keinen Unterschied machen, da die Tiere entsprechend Art. 12 Abs. 1 lit. a) FFH-RL einer ganzjährigen Schonfrist zu unterliegen haben. Darüber hinaus würde sich die Rechtmäßigkeit ihrer Tötung weiterhin auch nach dem Tierschutzrecht bestimmen. Es besteht jedoch kein vernünftiger Grund zur Tötung: Weder geht von den Tieren eine Gefahr für den Menschen aus, noch kann sich die Behörde auf rein wirtschaftliche Gründe stützen.

Das Vorbehalten der Tötung als ultima ratio ist somit nur eine Nebelkerze. Eine solche Aussage offenbart die Hilflosigkeit der Behörden im Umgang mit dem Thema Wolf. Nutztierhaltern ist damit nicht geholfen. Statt der Abgabe eines rechtsgrundlosen Versprechens, das nur zu Enttäuschungen seitens der Nutztierhalter führen kann, bedarf es sowohl eines ganzheitlichen und bundesweiten Konzeptes zum Schutz der Tiere, als auch zum Schutz der Nutztierhaltung. Hierdrauf sollten sich die Kräfte der Umweltministerien richten.


Veröffentlicht unter CC BY NC ND 4.0.

* Der Beitrag erhielt an dieser Stelle am 17.12.2017 eine Ergänzung um „bzw. Strafbarkeiten“.
** Der Beitrag erhielt an dieser Stelle am 17.12.2017 eine klarstellende Änderung. Zuvor hieß es „Mangels einschlägiger jagdrechtlicher Grundlage und zwecks Prüfung des Vorliegens eines vernünftigen Grundes, ist aus artenschutzrechtlicher Sicht zu prüfen, ob ein Ausnahmetatbestand des Zugriffsverbotes einschlägig ist.

 

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