Interview im Rahmen des JuWissDay 2022 in Hamburg
von JUWISS-REDAKTION
Sabine Schlacke ist Professorin für Öffentliches Recht, insb. Verwaltungs- und Umweltrecht an der Universität Greifswald. Neben dem Verwaltungs- und Verfassungsrecht erforscht und lehrt sie das internationale, europäische und deutsche Umwelt-, Klimaschutz- und Planungsrecht. Frau Professorin Schlacke wird die Keynote auf dem JuWissDay 2022 in Hamburg zum Thema „Klimaschutz und Städte – Herausforderungen und Potentiale des öffentlichen Rechts“ halten. Sie stand der JuWiss-Redaktion vorab für ein Interview zur Verfügung.
JuWiss: Ihre Keynote trägt den Titel „Klimaschutz und Städte – Perspektiven des öffentlichen Rechts“. Wo sehen Sie in städtischen Räumen die größten rechtlichen Handlungsbedarfe und -chancen für die soziotechnische Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft? Welche „Wenden“ werden neben Verkehrs- und Energiewende nötig sein?
Schlacke: Aus meiner Sicht benötigen wir eine Wende der Baumaterialien und Baukultur und in Folge dessen auch der Architektur, also eine Wende des urbanen Wohnens und Arbeitens. Wir bauen derzeit mit Materialien wie Beton/Zement und Stahl, die sehr klimaintensiv sind, da ihre Herstellung (noch) hohe CO2-Emissionen verursacht. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen verbraucht der Bausektor knapp 40 Prozent der weltweiten Energie. Bauen ist einer der zentralen Treiber des weltweiten CO2-Ausstoßes. Die Initiative der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „Europäisches Bauhaus“, die sie im Zuge des EU Green Deals ins Leben gerufen hat, geht da in die richtige Richtung, setzt etwa auf urbanes Bauen mit nachhaltig erzeugtem Holz. Sie bleibt aber bislang konturenlos und sattelt zu wenig auf vorhandenes Wissen und Erkenntnisse auf.
JuWiss: Innerhalb des Umweltrechts gewinnt das Klimaschutzrecht an Bedeutung. Welche rechtsdogmatischen Entwicklungen überraschen Sie dabei? Was sind aus Ihrer Sicht für den Umwelt- und Klimaschutz besonders gelungene bzw. vielversprechende Instrumente auf einfachrechtlicher Ebene, deren Potentiale bislang noch nicht ausgeschöpft sind bzw. die reformiert werden sollten?
Schlacke: Die wohl wichtigste Entscheidung der letzten Jahre ist der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021. Das Bundesverfassungsgericht konturiert die Pariser Klimaziele, zu denen sich Deutschland im Bundes-Klimaschutzgesetz in seiner Fassung von 2019 bekannt hat, als verfassungsrechtliche Gebote. Das ist dogmatisch sicherlich hinterfragenswert, allerdings erlaubt dies, die in Art. 20a GG nunmehr verkörperten internationalen Klimaschutzziele operabel und damit justiziabel zu machen. An ihnen müssen sich nun legislatives, exekutives und judikatives Handeln messen lassen. Hinsichtlich der Zielerreichung verfügt das Klimaschutzrecht mittlerweile über einen äußerst facettenreichen und vielfältig bestückten Instrumentenkasten, den der Gesetzgeber permanent durch neuartige, interessante Instrumente wie ein Berücksichtigungsgebot der Klimaschutzziele (§ 13 KSG) anreichert. Noch nicht ausgeschöpft sind die kommunalen Potentiale, Klimaschutz – und nicht nur Klimaanpassung – in der Stadt zu verwirklichen. Deshalb ist das Thema des diesjährigen JuWissDays auch von zentraler Bedeutung.
JuWiss: In welcher Hinsicht beurteilen Sie den Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als „Startschuss“ für eine Serie neuer verfassungsdogmatischer Entwicklungen? Welche Bedeutung wird den Grundrechten als intertemporale Freiheitssicherung künftig zukommen?
Schlacke: Angesichts des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu den Landes-Klimaschutzgesetzen vom 18. Januar 2022 scheint mir das Konzept der intertemporalen Freiheitssicherung doch ein sehr spezielles, auf das Bundes-Klimaschutzgesetz zugeschnittenes zu sein. Das Bundesverfassungsgericht tritt in der diesjährigen Klimaschutzentscheidung sehr zurückhaltend auf und eröffnet kaum die Perspektive, die mit Hilfe eines spezifischen Budgetansatzes aus den Grundrechten und Art. 20a GG entwickelte intertemporale Freiheitssicherungspflicht auf andere staatliche Akteure – wie Länder und Kommunen – zu übertragen. Insoweit bin ich nicht sehr optimistisch, dass es sich hier um einen Startschuss für eine Serie neuer verfassungsdogmatischer Entwicklungen seitens des Bundesverfassungsgerichts handelt. Eines ist aber sicher: Karlsruhe hat Klimaschutz als verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund gestärkt. Das zeigt die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2022 zum Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz M-V. Die akademische Auseinandersetzung wird sich freilich hinsichtlich einer Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Dogmatik – wie sich bereits zeigt – nicht bremsen lassen.
JuWiss: Sie beschäftigen sich auch mit dem Planungsrecht, das für komplexe Abwägungsbedürfnisse und lange Verfahrensdauern gerade bei klimarelevanten Vorhaben wie Autobahnen, Flughäfen oder Windenergieanlagen bekannt ist. Inwiefern werden sich die Rationalitäten der Abwägungsentscheidungen durch umwelt- und klimapolitische Fragen sowie ein verstärktes Nachhaltigkeitsdenken künftig verschieben? Überzeugt es Sie, für den schnelleren Ausbau der Windenergie übergangsweise Klimaschutz gegenüber dem Artenschutz zu priorisieren? Kann das Planungsrecht in der Praxis überhaupt schneller und agiler werden?
Schlacke: Der Gesetzgeber kann jederzeit die vor allem durch die Rechtsprechung entwickelte Dogmatik von Abwägungsentscheidungen, die Kern einer Planfeststellungsentscheidung für Infrastrukturvorhaben sind, neu konturieren und bestimmen. Dies zeigt sich insbesondere an den gesetzlichen Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG), des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), des neuen Windenergieflächenbedarfsgesetzes (WindBG), die am 7. Juli 2022 den Bundestag passiert haben. Den Ausbau erneuerbarer Energien als ein im überragenden öffentlichen Interesse stehendes und der öffentlichen Sicherheit dienendes Rechtsgut im EEG, WindSeeG und BNatSchG zu deklarieren, ist ein solches Beispiel und wirft viele neue rechtsdogmatische Fragestellungen auf. Die Abstände zu Windkraftanlagen zu standardisieren – wie es jetzt im BNatSchG verankert ist – ist ebenfalls ein neuer Ansatz, der durch materiell-rechtliche Vereinfachungen die Beschleunigung des Ausbaus von Anlagen für erneuerbare Energien bezwecken soll. Ob dies zugleich zu einer uneingeschränkten Vorfahrt des Klimaschutzes vor insbesondere dem Artenschutz führt, ist angesichts umfangreicher Ausnahmetatbestände wiederum zweifelhaft. Hierdurch ist auch die Beschleunigungswirkung, die durch die jüngsten gesetzlichen Änderungen bezweckt wird, in Frage gestellt. Grundsätzlich bin ich in der Tat der Auffassung, dass der Artenschutz durch die Rechtsprechung des EuGH ggf. gegenüber anderen umweltbezogenen Zielsetzungen in den letzten Jahrzehnten zu einseitig gestärkt wurde. Bspw. ist etwa fraglich, ob der individuenbezogene, absichtslose Schutzansatz des EuGH bei der Interpretation des Tötungsverbots wirklich dem Willen des EU-Gesetzgebers entsprach.
JuWiss: Sie engagieren sich vielfältig in der Rechtspraxis, so sind Sie u.a. tätig für den Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen und daneben in der wissenschaftlichen Politikberatung in den Expertengremien Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen und Wissenschaftsplattform Klimaschutz der Bundesregierung. Welche Erfahrungen machen Sie hier bei der interdisziplinären Zusammenarbeit? Wo liegen Hürden, aber auch Chancen für die Rechtswissenschaft? Inwiefern ist Ihnen daneben die Transdisziplinarität von Wissenschaft ein Anliegen?
Schlacke: Meine ehrenamtliche Tätigkeit als Vizepräsidentin des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen ist insofern herausfordernd, als ich hier nicht eine wissenschaftliche, sondern eine richterliche Perspektive einnehme. Die Konflikte und Fragestellungen, die zu bearbeiten sind, kann man – selbst wenn man Berichterstatterin ist – nicht alleine lösen und beantworten, sondern sie werden in einem Kollegialorgan, dessen Mitglieder sich u.a. aus Rechtspraktiker:innen etwa aus der Justiz und Anwaltschaft zusammensetzen, diskutiert. Insofern ist dies eine sehr spannende, allerdings für Rechtswissenschaftler:innen nicht so übliche Arbeitsweise. Neudeutsch kann dies auch als Transdisziplinarität bezeichnet werden, denn oftmals ist es so, dass die hier gemachten Erfahrungen der Praxis unmittelbar in meine Forschung einfließen und ich manchmal Gelegenheit habe, neues Wissen unmittelbar in der Praxis umzusetzen.
Anders ist meine Tätigkeit in den Expert:innenräten gestaltet, die zum Zwecke der wissenschaftlichen Politikberatung errichtet wurden. Hier ist in der Tat die Interdisziplinarität die Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Schwierige Probleme der eigenen Disziplin so klar und einfach vorzustellen und Lösungsoptionen oder Handlungsempfehlungen so zu formulieren, dass sie von allen verstanden und mitgetragen werden können, ist nicht einfach. Zugleich müssen sie so juristisch präzise begründet und gestaltet sein, dass auch von der eigenen Disziplin – hier die Rechtswissenschaft – noch als wissenschaftlich begründet erachtet und möglichst verarbeitet werden. Letztlich sind politische Entscheidungsträger:innen die Adressat:innen. Gerade für sie müssen die gefundenen Ergebnisse und Empfehlungen verständlich und überzeugend sein. Voraussetzung für ein Gelingen ist also, die eigenen Erkenntnisse allgemeinverständlich zu präsentieren und zugleich die Erkenntnisse anderer Disziplinen zu verstehen und zu einer gemeinsamen Empfehlung zu verarbeiten. Das ist aus meiner Sicht die Herausforderungen aber auch der zentrale Mehrwert dieser Expert:innengremien.
JuWiss: Wie politisch ist die rechtswissenschaftliche Forschung im Öffentlichen Recht gerade in Zeiten der Klimakrise? Wie bestimmt sich Ihrer Einschätzung nach die Grenze zwischen Wissenschaft und politischem Engagement? Kann die Abgrenzung nicht nur thematisch, methodisch sondern auch anhand der Person oder des Erkenntnisinteresses erfolgen?
Schlacke: Das ist keine leichte Frage. Ich bin der persönlichen Überzeugung, dass rechtswissenschaftliche Forschung im Öffentlichen Recht immer in gewisser Weise politisch ist, nicht nur in Zeiten der Klimakrise. Ich glaube kaum, dass die individuellen politischen Grundüberzeugungen vollständig beiseite gelegt werden können. Sie aber so weit wie möglich in den Hintergrund treten zu lassen, sie zu hinterfragen, bezweckt die rechtswissenschaftliche Methodik. Sie versucht letztlich zu verhindern, dass keine politisch gefärbten gerichtlichen Entscheidungen getroffen werden. Als Landesverfassungsrichterin sehe ich es als meine Pflicht an, mich politisch zurückzuhalten, u.a. um nicht bei Entscheidungen als befangen zu gelten. Das heißt aber nicht, dass ich nicht politisch tätig werden kann. Wichtig ist, deutlich zu machen, in welcher Rolle agiert wird. Ich persönlich folge dem Grundsatz, dass ich, solange ich auch als ehrenamtliche Richterin tätig bin, im Zweifel meine Unterschrift nicht unter politische Statements setze oder politische Aktionen intensiv unterstütze.
JuWiss: Gibt es noch etwas, das Sie der jungen Wissenschaft im Öffentlichen Recht mit auf den Weg geben möchten? Was möchten Sie speziell dem umweltrechtlichen „Nachwuchs“ ans Herz legen?
Schlacke: Jüngeren Generationen pauschal Ratschläge zu erteilen, ist meines Erachtens immer schwierig. Sie erleben und erfahren eine andere akademische Kultur, leben schlicht in einer anderen Welt. Ich bevorzuge es, Ratschläge konkreten Personen zu erteilen, wenn ich danach gefragt werde. Grundsätzlich gilt Folgendes für alle Generationen: Machen Sie Ihr Herzensthema – und wenn es das Umweltrecht ist: umso besser – auch zum Thema Ihrer wissenschaftlichen Arbeiten. Dann werden Sie ganz sicher Erfolg haben und vielleicht einen kleinen Beitrag zur Verbesserung dieser Welt leisten.
JuWiss: Frau Professorin Schlacke, wir danken Ihnen herzlich für das Interview.
Die Fragen für die JuWiss-Redaktion stellten Ines Reiling und Judith Sikora.
Zitiervorschlag: Interview mit Sabine Schlacke im Rahmen des JuWissDay 2022 in Hamburg, JuWissBlog Nr. 34/2022 v. 12.07.2022, https://www.juwiss.de/34-2022/.
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